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Autor Thema: BGH, Urt. v. 23.01.13 VIII ZR 80/12 Rückforderung ergänzende Vertragsauslegung  (Gelesen 4425 mal)

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Offline RR-E-ft

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Die Leitsatzentscheidung BGH, Urt. v. 23.01.13 Az. VIII ZR 80/12 zur Beschränkung der Rückforderung gegen einen Gasversorger infolge ergänzender Vertragsauslegung ist veröffentlicht:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=63150&pos=27&anz=598

Zitat
BGB § 133 C, § 157 D, § 307 Ba, Cb, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 3;
Richtlinie 93/13/EWG Art. 6 Abs. 1
a) Auch in Ansehung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG kann eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisänderungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend geschlossen werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (Fortführung der Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865, Rn. 19 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ 192, 372 bestimmt, und VIII ZR 93/11, ZNER 2012, 265, Rn. 24 ff.).
b) Ist die in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden formularmäßig vereinbarte Preisänderungsklausel nach § 307 BGB unwirksam, verbleiben das Kalkulations- und damit auch das Kostensteigerungsrisiko grundsätzlich bei dem Energieversorgungsunternehmen (Fortführung des Senatsurteils vom 25. Oktober 1989 - VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 145). Dessen Verpflichtung zur Herausgabe der von dem Kunden rechtsgrundlos gezahlten Erhöhungsbeträge ist daher nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
c) Die Verjährung von Rückzahlungsansprüchen wegen Gaspreisüberzahlungen beginnt nicht bereits mit den jeweils geleisteten Abschlagszahlungen, sondern erst mit der anschließenden Erteilung der Jahresabrechnung zu laufen (Bestätigung des Senatsurteils vom 23. Mai 2012 - VIII ZR 210/11, NJW 2012, 2647 Rn. 9 ff.).
BGH, Urteil vom 23. Januar 2013 - VIII ZR 80/12 -
« Letzte Änderung: 12. Februar 2013, 23:46:07 von RR-E-ft »

Offline RR-E-ft

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Der BGH hatte in seinen Entscheidungen vom 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11 und VIII ZR 113/11 eine Möglichkeit entwickelt, wie die durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Klausel im Vertragsgefüge entstehende Lücke geschlossen werden können soll.

Zunächst bedarf es jedoch im konkreten Einzelfall der Feststellung der Voraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung, nämlich dass die weitere Vertragsdurchführung für den Versorger eine unzumutbare Härte darstellt.

Zitat
BGH, B. v. 24.04.12 Az. VIII ZR 278/11, juris Rn. 6

Die vom Senat für den Fall der Unwirksamkeit einer vertraglich vereinbarten Preisanpassungsklausel entwickelte Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, unter II 3, und VIII ZR 93/11, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 4) kommt vorliegend nicht in Betracht, weil es hierzu an einem ausreichenden Vortrag in den Tatsacheninstanzen fehlt.

Die Klägerin hat  trotz eines entsprechenden Hinweises des Berufungsgerichts - weder den vertraglich vereinbarten Ausgangspreis vorgetragen, noch hat sie dargelegt, dass sich aus den Zahlungen des Beklagten ergibt, dass dieser auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 52; vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO und VIII ZR 93/11, aaO).


In seiner Leitsatzentscheidung vom 23.01.13 Az. VIII ZR 80/12 scheint der Senat diese entwickelte Möglichkeit zum Dogma erheben zu wollen.

Zitat
BGH, Urt. v. 23.01.13 Az. VIII ZR 80/12, juris Rn. 23:

Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden hat, ist diese Lücke im Vertrag im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht in-nerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresab-rechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 21 ff., und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 26 ff.; jeweils mwN).

Dass dabei die Voraussetzungen einer solchen ergänzenden Vertragsauslegung im konkreten Einzelfall geprüft wurden (wie bei BGH, B. v. 24.04.12 Az. VIII ZR 278/11, juris Rn. 6) ist nicht ersichtlich.

An dieser notwendigen Voraussetzung kann es insbesondere dann fehlen, wenn die Kosten, die dem Versorger durch die Belieferung entstehen zwischenzeitlich wieder auf das Niveau abgesunken sind, welches bereits bei der Kalkulation für das Angebot des Ausgangspreises zu Vertragsbeginn zu Grunde gelegt wurde.
Es wäre deshalb zunächst zu prüfen, wie sich die abzudeckenden Kosten zwischenzeitlich tatsächlich entwickelt haben.

Allein auf erfolgte einseitige Preisänderungen und den Zeitablauf abzustellen, dürfte deshalb kein hinreichendes Kriterium darstellen.
Im Extremfall ist denkbar, dass alle vorgenommenen einseitigen Preisänderungen ohne entsprechenden Kostenanstieg allein zur Erhöhung des Gewinnanteils vorgenommen wurden.
« Letzte Änderung: 14. Februar 2013, 10:14:23 von RR-E-ft »

Offline uwes

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Ich vermisse eine nähere Auseinandersetzung des BGH mit den verschiedenen Zeiträumen, die den Kunden und seine Ansprüche betreffen.

Wenn der Senat ausführt, dass es unbillig und nicht mehr als ausgewogen dem Vertragsgefüge zuzuschreiben sei, wenn der Kunde die Rückforderung der überzahlten Preisentgelte über mehrere Jahre, also einen "längeren Zeitraum" geltend macht, so muss m.E. auch der Zeitraum berücksichtigt werden, in dem das Versorgungsunternehmen die zuviel geforderten Entgelte behalten darf, weil der Kunde aus Gründen des Zeitablaufs diese nicht mehr geltend machen kann.

Wenn- wie in vielen Fällen - der Kunde bereits seit Jahrzehnten seinem Energieversorger auf der Basis einer unwirksamen Preisklausel Zalungen leistet, und jetzt für lediglich 3 Jahre die zuviel gezahlten entgelte zurückfordert, so vermag ich ein Verschieben des Vertragsgefüges in unangemessener Weise zu lasten des versorgers nicht zu erkennen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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