Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Gaspreis von 1981 - Beschränkung von Rückforderungsansprüchen bei unterlassenem Widerspruch
RR-E-ft:
BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 113/11 Beschränkung der Rückforderung Sondervertrag ohne Widerspruch
Die Schlagzeilen der Presse:
Urteil: Kunden müssen Preiserhöhungen widersprechen
Schutz für Gasversorger bei Rückzahlungen- Gaspreis von 1981
--- Zitat ---Der BGH korrigierte nun dieses verbraucherfreundliche Urteil. Den Rückzahlungsforderungen könnten nicht die Gaspreise zugrunde gelegt werden, die vor vielen Jahren zu Beginn der Vertragsbeziehung galten. Dies würde zu „kaum vertretbaren“ Forderungen an die Gasunternehmen führen, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Ball. Stattdessen nahm der BGH eine Regelungslücke an, die er mit einer „ergänzenden Vertragsauslegung“ zugunsten der Unternehmen schloss. Demnach muss der Kunde alle Preiserhöhungen akzeptieren, denen er nicht binnen drei Jahren ab Erhalt der jährlichen Abrechnung widersprochen hat. „Das wird beiden Seiten gerecht“, behauptete Richter Ball zur Begründung.
--- Ende Zitat ---
BGH: Dreijährige Widerspruchsfrist bei unwirksamer Gaspreisklausel
--- Zitat ---Für einen länger zurückliegenden Zeitraum könne die Unwirksamkeit der Preiserhöhung - und damit ein Anspruch auf die Rückzahlung von entrichteten Erhöhungsbeträgen - nicht mehr geltend gemacht werden. Entsprechenden Ansprüchen könnten beispielsweise nicht die Gaspreise zugrunde gelegt werden, die beim Vertragsschluss in den 1980er Jahren galten, erklärte der BGH in einem vorliegenden Fall. Der Kunde hatte viele Jahre den Preiserhöhungen nicht widersprochen.
Der Dreijahres-Zeitraum hingegen sei eine Lösung, die den Interessen von Gasversorgern und Verbrauchern gerecht werde, sagte der Vorsitzende Richter des 8. Zivilsenats, Wolfgang Ball. Der BGH habe damit eine \"Regelungslücke\" geschlossen. Das Urteil ist nach Angaben eines Gerichtssprechers \"in der Praxis von großer Bedeutung\".
...
Der Gaskunde hatte die geforderten erhöhten Beträge über viele Jahre jeweils gezahlt, ohne den Preiserhöhungen zu widersprechen. Im Oktober 2008 wechselte er zu einem anderen Gasanbieter. Erstmals im Februar 2009 wandte er sich gegen die von der Bergischen Energie- und Wasser-GmbH während der Vertragslaufzeit vorgenommenen Preiserhöhungen. Er verlangte die Rückzahlung der von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge - und zwar auf der Basis des bei Vertragsschluss im Jahr 1981 geltenden Arbeitspreises, mit dem der Gasverbrauch abgerechnet wurde.
Dem BGH erschien dies aber nicht vertretbar, da \"1981 ganz andere Preisverhältnisse auf dem Energiemarkt herrschten\".
--- Ende Zitat ---
Bei manchem betroffenen Versorger werden nun wohl die Sektkorken knallen.
Der Rheinländer weiß: Man muss auch mal jönne könne.
Schließlich hatten die Verbraucherverbände seit 2004 unablässig gepredigt,
dass betroffene Kunden den Preiserhöhungen widersprechen
und Rechnungsbeträge entsprechend kürzen sollen,
um keine finanziellen Nachteile zu erleiden.
Wer als betroffener Verbraucher all die Jahre die
lauten Apelle der Verbraucherverbände
zum Preiswiderspruch verschlafen hatte,
dem sagt der BGH nun, er solle wenigstens
zügig den Preiserhöhungen der letzten drei Jahre
widersprechen und zuviel gezahltes Geld noch zurückfordern.
Viele werden auch diesen Appell wieder verschlafen.
Tröstlich:
Das Geld ist nicht weg.
Das haben jetzt nur andere.
Und wer es ohne Widerspruch und Rückforderungsvorbehalt an den Versorger zahlte,
der hatte es wohl sowieso übrig und konnte es entbehren.
Wer nicht schon den Gaspreiserhöhungen seit 1984
fortlaufend widersprochen hatte,
für den ist der Gaspreis von 1981 nun wohl endgültig Geschichte.
bolli:
Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie es die Damen und Herren des VIII. BGH-Senats schaffen, jedes mal aufs neue die Kurve in Richtung Versorger zu finden.
Neben dem Sockelpreis in der Grundversorgung hat man nun auf elegante Weise auch einen gewissen Sockel im Sondervertrag einzementiert, obwohl dieser in keiner Weise gerechtfertigt ist. Nämlich insofern, als der Kunde nicht in einer gewissen Zeitspanne nach Rechnungszugang widerspricht. Ob er Kenntnis von unzulässigen AGB-Klauseln hat oder nicht oder ob dieses überhaupt schon festgestellt ist, ist halt sein Problem. Gezahlt ist gezahlt und fertig.
Bei der Verwendung von AGB liegt das Verwendungsrisiko aber nun mal beim Versorger. Ist er sich bei seinen verwendeten Klauseln unsicher, muss er sie weglassen oder die gesetzlichen Regelungen verwenden (obwohl sich natürlich im Rahmen der Diskussion über das gesetzliche Preisanpassungsrecht derzeit die Frage stellt, ob denn auch diese überhaupt rechtlich haltbar sind ;) ). Nun stellt sich nach Jahren raus, dass die vereinbarten Regelungen einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten und ich zu Unrecht zu viel bezahlt habe. Statt aber nun zu sagen: \"Der Versorger hat sich unrechtmäßig bereichert\", sagt man lieber \"Wenn der Kunde so blöd ist und sich nicht wehrt, ist er mit dem zuviel bezahlten Preis einverstanden\" (obwohl an anderer Stelle eindeutig eine andere Rechtsprechung betrieben wird, die sagt: \"Keine Zustimmung durch Schweigen\").
Wird also bedeuten, dass man zukünftig allen Verträgen mit AGB, die Zahlungen zur Folge haben, vorsorglich widersprechen muss und nur unter Vorbehalt weiter zahlt in der Hoffnung, dass der Vertragspartner keine Klage anstrengt um den Vorbehalt wieder zu beseitigen. Dann kann ich später (möglicherweise) noch rechtlich dagegen vorgehen.
Schließlich weiss ich heute bei einigen Regelungen noch nicht, was die Gerichte und insbesondere der BGH mal irgendwann zu bestimmten AGB-Regelungen sagen werden.
Nicht berücksichtigt wird auch nicht, dass manche Versorger ihren Nichtwiderspruchskunden auch nicht die Altverträge gekündigt haben, obwohl sie seit einigen Jahren wissen, dass ihre AGB-Klausel zur Preisanpassung höchstwahrscheinlich (manche haben es sogar schriftlich) unwirksam sind. Da sollte man doch sagen: Eigene Schuld. Aber nein. Man darf weiter unwirksame Klauseln verwenden, die eine Rechtswirkung entfalten und der einfache Kunde, der sich nicht permanent auf dem Laufenden über die Entscheidungshaken beim BGH hält, ist der Dumme. Schließlich kann sowas heutzutage von jedem Normalbürger verlangt werden.
Merkwürdiges Rechtsverständnis.
Manch einer kann sich nur am Kopf kratzen.
RR-E-ft:
Nach den jüngsten Entscheidungen des Senats, deren schriftliche Begründungen noch nicht vorliegen und die deshalb auch nicht nachvollzogen werden können, ergibt sich Folgendes:
Weil es jedenfalls unsicher erscheint, ob in den Sondervertrag überhaupt wirksam eine Preisanpassungsklausel einbezogen wurde und ob eine etwaig wirksam einbezogene Preisänderungsklausel überhaupt wirksam ist, sollten betroffene Kunden spätestens innerhalb von drei Jahren nach Erhalt einer Verbrauchsabrechnung, die einen einseitig erhöhten Preis ausweist, schriftlich Widerspruch erheben und das Preisanpassungsrecht des Versorgers sowie die Angemesseneheit der Preisänderung und des einseitig geänderten Preises bestreiten.
Grundversorgten Tarifkunden hatte die Rechtsprechung des Senats bereits früher nahegelegt (anheimgestellt), den einseitigen Preisänderungen in angemessener Frist nach Erhalt der entsprechenden Verbrauchsabrechnung schriftlich zu widersprechen und das Preisänderungsrecht sowie die Angemessenheit der Preisänderung und des einseitig geänderten Preises zu bestreiten (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07 Az. VIII ZR 36/06).
Siehe auch:
BGH, B. v. 24.01.12 VIII ZR 236/10 Aussetzung bei Tarifkunden bis zur EuGH- Entscheidung
BGH, B. v. 24.01.12 VIII ZR 158/11 Aussetzung bei Tarifkunden bis zur Entscheidung des EuGH
Es geht dem Senat nunmehr wohl nicht nur um eine Beschränkung des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs der betroffenen Kunden,
sondern auch um die nachträgliche Erweiterung des vertraglichen Zahlungsanspruchs des Versorgers gegen betroffene Kunden.
BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 93/10 Zahlungsklage E.ON Hanse gegen Gas- Sonderkunde
Nunmehr muss nach der Rechtsprechung des BGH jeder Kunde,
der von einseitigen Preisänderungen seines Energieversorgers im laufenden Vertragsverhältnis betroffen ist,
zügig schriftlich Widerspruch einlegen, wenn er keinen Rechtsnachteil erleiden will.
Bereits seit Sommer 2004 appellieren die Verbraucherverbände an alle betroffenen Kunden,
den einseitigen Preisänderungen der Energieversorger in laufenden Vertragsverhältnissen umgehend schriftlich zu widersprechen.
Wer nicht hören will, muss zahlen.
RR-E-ft:
Siehe auch:
BGH, Urt. v. 22.02.12 VIII ZR 34/11 Gas Sondervertrag
userD0003:
--- Zitat ---Original von bolli
... Nicht berücksichtigt wird auch nicht, dass manche Versorger ihren Nichtwiderspruchskunden auch nicht die Altverträge gekündigt haben, obwohl sie seit einigen Jahren wissen, dass ihre AGB-Klausel zur Preisanpassung höchstwahrscheinlich (manche haben es sogar schriftlich) unwirksam sind. ...
--- Ende Zitat ---
Wird das nicht berücksichtigt? Auf die schriftliche Begründung des Urteils bin ich sehr gespannt.
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