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BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 113/11 Beschränkung der Rückforderung Sondervertrag ohne Widerspruch

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RR-E-ft:
dpa-Meldung in Stuttgarter Nachrichten


--- Zitat ---In der Auseinandersetzung um eine unwirksame Gaspreisanpassungsklausel sucht der Bundesgerichtshof (BGH) nach einem Kompromiss. Die Regelung müsse sowohl den Kunden als auch den Gasversorgern gerecht werden.

Das sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Ball am Mittwoch in Karlsruhe. Verhandelt wurden zwei Verfahren zur Rückzahlung von Geldern im Zuge von Gaspreiserhöhungen. Sie waren angestoßen worden, nachdem der BGH im Jahr 2004 die in vielen Verträgen aufgenommene Preisanpassungsklausel für nichtig erklärt hatte. Das Urteil soll am 14. März 2012 verkündet werden.

Viele Gasversorger hatten seit Jahrzehnten eine Klausel verwendet, die ihnen eine stetige Anhebung der Preise zubilligte. Der BGH brachte sie vor sieben Jahren als zu einseitig zu Fall. Damit sei in den Verträgen eine Lücke entstanden, die jetzt gefüllt werden müsse, sagte Ball.

Als größtes Problem nannte er die lange Laufzeit der Verträge. So verlangt ein Kläger, dass alle Erhöhungen seit dem Abschluss des Vertrages 1981 für nichtig erklärt werden. Damit gelte für ihn weiterhin der 1981 festgeschriebene Preis von 4,2 Pfennig pro Kilowattstunde (2,15 Cent). Den Preisunterschied zu diesem Wert fordert er für die Jahre 2006 bis 2008 zurück - eine Summe von mehr als 2500 Euro. Für die Zeit vor 2006 kann er nichts mehr geltend machen, da eine dreijährige Verjährungsfrist gilt.

Diese Berechnung hält Ball für fragwürdig. Schließlich sei auch den Kunden bei Vertragsabschluss klar gewesen, dass Preiserhöhungen auf sie zukommen. Zudem könne niemand Interesse daran haben, die Gasversorger durch tausendfache Nachforderungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen.

Als möglichen Ausweg nannte Ball die Festlegung eines idealtypischen Preises als Grundlage für die Berechnung von Nachforderungen. Denkbar sei auch, einen erst wenige Jahre zurückliegenden Preis für die Berechnung zu verwenden.
--- Ende Zitat ---

Das betrifft offensichtlich den Fall VIII ZR 113/11, wo der Kunde den Gaspreisänderungen nie widersprochen, immer vorbehaltlos vollständig gezahlt hatte und erst sodann nach Vertragsbeendigung für drei Jahre Rückzahlung auf der Basis des bei Vertragsabschluss vereinbarten Preises beansprucht.

In einem solchen Fall kann ein Versorger durchaus halbwegs kalt erwischt werden, wenn die Mehrzahl seiner Kunden plötzlich entsprechend anspruchsberechtigt ist und deshalb dann sogar auf der Matte steht.

Wieso eigentlich soll den Kunden bei Vertragsabschluss klar gewesen sein, dass Preiserhöhungen auf sie zukommen, jedoch keine Preissenkungen ?!

Da stellt sich der Senat wohl in Widerspruch zum Urteil vom 28.10.09 VIII ZR 320/07 Rn. 46.

Wieso soll niemand Interesse daran haben können, die Gasversorger durch tausendfache Nachforderungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen?

Schon die Annahme, dass es zu einer wirtschaftlichen Schieflage überhaupt erst kommt, scheint verfehlt.
Die bisherige Erfahrung zeigt nämlich deutlich, dass nur wenige betroffene Kunden entsprechende Ansprüche überhaupt in unverjährter Zeit geltend machen.  

Auch solche wirtschaftlichen Risiken aus der Verwendung unwirksamer Klauseln gehören in einen Wettbewerbsmarkt. Zu einem Wettbewerbsmarkt gehört selbstverständlich auch, dass es sogar zum - aus wirtschaftlichen Gründen erzwungenen - Marktaustritt einzelner Lieferanten kommen kann.

Wohl kein einziger potentiell betroffener Gasversorger ist systemrelevant.
Jeder einzelne Versorger kann wohl durch Wettbewerber leicht ersetzt werden, meint wohl jedenfalls auch Gazprom.  

Das Verwenderrisiko darf nicht den Kunden übergewälzt werden.

Wollte der Vorsitzende Ball sich tatsächlich als Volkswirt betätigen, könnte er wohl zu  dem Ergebnis gelangen, dass auch im Falle der beanspruchten Rückzahlungen das Geld schließlich  nicht weg ist. Es haben dann wiederum nur andere. Volkswirtschaftlich also wohl eher ein Nullsummenspiel.


Schließlich wurden ja auch rechtsgrundlos  erhöhte Preise teils über Jahrzehnte von den Versorgern abkassiert und die Rückforderung betrifft lediglich  drei Jahre.

Ferner ist ggf.  zu berücksichtigen, dass die tausendfach  auf Rückzahlung klagenden Kunden das wirtschaftliche Risiko tragen, dass sich ihre gerichtlich festgestellten Rückforderungsansprüche überhaupt durchsetzen lassen, der Versorger nicht Insolvenz anmeldet.

RR-E-ft:
Beitrag im BBH- Energieblog


--- Zitat ---Es ist zu erwarten, dass der BGH eine „salomonische“ Entscheidung fällen wird, die sowohl den Interessen der Kunden, als auch denen der EVU Rechnung tragen wird. Eine solche Lösung dürfte auf eine Kürzung des Rückzahlungsanspruchs der klagenden Kunden hinauslaufen. Die rechtliche Begründung hierfür ist aber nicht ganz einfach.
--- Ende Zitat ---

Wie wahr. Es wird wohl irgendwie gezaubert werden.

Interessant wird es bei BGH Az. VIII ZR 93/11 (Zahlungsklage E.ON Hanse).

RR-E-ft:

--- Zitat ---Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

Nr. 35/2012

Zu den Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in
Erdgas-Sonderkundenverträgen

Der Bundesgerichtshof hat heute zwei Entscheidung zu der Frage getroffen, welchen Preis der Kunde in einem Sonderkundenverhältnis für das entnommene Gas zu entrichten hat, wenn die im Vertrag enthaltene Preisanpassungsklausel unwirksam ist und der Kunde den Preiserhöhungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat.

In dem Verfahren VIII ZR 113/11 macht der Kläger gegen die Beklagte, ein regionales Gasversorgungsunternehmen, Rückzahlungsansprüche geltend. Der Kläger bezog aufgrund eines im Jahr 1981 geschlossenen Sonderkundenvertrages Gas von der Beklagten. Die Beklagte erhöhte in der Vergangenheit wiederholt die Arbeitspreise, mit welchen der Gasverbrauch abgerechnet wird, auf der Grundlage einer unwirksamen Preisanpassungsklausel. Der Kläger zahlte die geforderten erhöhten Entgelte, ohne den Preiserhöhungen zu widersprechen. Im Oktober 2008 wechselte er zu einem anderen Gasanbieter. Erstmals im Februar 2009 wandte er sich gegen die von der Beklagten während der Vertragslaufzeit vorgenommenen Preiserhöhungen und begehrte die Rückzahlung der von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge auf der Basis des bei Vertragsschluss im Jahre 1981 geltenden Arbeitspreises. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr überwiegend stattgegeben.

In dem Verfahren VIII ZR 93/11 verlangt die Klägerin, ein Gasversorgungsunternehmen, von dem Beklagten, einem ehemaligen Sonderkunden, die Zahlung restlichen Entgelts für Gaslieferungen im Zeitraum Januar 2004 bis Februar 2008. Die Klägerin erhöhte seit Vertragsbeginn im Jahre 1998 mehrfach den Arbeitspreis auf der Grundlage einer ebenfalls unwirksamen Preisanpassungsklausel. Der Beklagte leistete bis Mitte 2005 die geforderten Abschlagszahlungen und wandte sich bis dahin auch nicht gegen die Jahresabrechnungen. Im Juli 2005 erhob er erstmalig Widerspruch und berief sich auf die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen. Danach behielt er erhebliche Rechnungsbeträge ein. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revisionen der Energieversorger hatten in beiden Fällen Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass in beiden Verfahren den jeweiligen Ansprüchen nicht, wie von den Berufungsgerichten angenommen, die bei dem jeweils viele Jahre zurückliegenden Vertragsschluss vereinbarten Arbeitspreise zugrunde gelegt werden können. Vielmehr ist die durch die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel in den Verträgen entstandene Regelungslücke im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB* in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhung, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. Denn eine derartige Regelung hätten die Parteien bei einer Abwägung ihrer Interessen redlicherweise vereinbart, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war.
Der Senat hat die Verfahren an die Berufungsgerichte zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen dazu getroffen werden können, wann den Kunden die einzelnen Jahresabrechnungen zugegangen sind und gegen welche Preiserhöhungen die jeweiligen Widersprüche daher noch rechtzeitig vor Ablauf von drei Jahren erhoben worden sind.

*§ 133 BGB: Auslegung einer Willenserklärung

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

*§ 157 BGB: Auslegung von Verträgen

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11

AG Wipperfürth - Urteil vom 12. Januar 2010 – 1 C 251/09

LG Köln - Urteil vom 16. März 2011 – 10 S 66/10

und

Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 93/11

AG Hamburg-Bergedorf - Urteil vom 25. Mai 2010 – 410A C 205/09

LG Hamburg - Urteil vom 18. Februar 2011 - 320 S 129/10

Karlsruhe, den 13. März 2012

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
--- Ende Zitat ---

RR-E-ft:
Vorinstanz LG Köln, Urt. v. 16.03.11 Az. 10 S 66/10


Warum die Parteien entsprechendes redlicherweise vereinbart haben sollten, erschließt sich nicht unmittelbar.
Zunächst wird man die schriftlichen Entscheidungsgründe abzuwarten haben, um den Ratschluss des Senats ggf. nachvollziehen zu können.

Es wird wohl auch die Frage zu beantworten sein, warum redlicherweise auch solche Preisänderungen schlussendlich Bestand  haben sollen,
die dem Versorger allein oder überwiegend zur nachträglichen Erhöhung des Gewinnanteils am Preis dienten.

Redlicherweise hätten die Parteien wohl nur eine Wahrung des ursprünglich vereinbarten Äquivalenzverhältnisses vereinbart,
was ein Recht zur Erhöhung nur im Umfang tatsächlich notwendig gestiegener Kosten ebenso einschließt wie eine Verpflichtung zur Weitergabe gesunkener Kosten.

Ganz offensichtlich haben Gasversorger ihre Preise in der Vergangenheit zB. weit stärker erhöht,
als der vom BAFA amtlich festgestellte monatliche Erdgasimportpreis überhaupt gestiegen war.

Entwicklung der monatlichen Erdgasimportpreise seit Januar 1991

Was daran redlich gewesen sein soll, wüsste man gern.

uwes:
Ich verstehe die PM so, dass der BGH nicht Regelungen zur konkreten Preisänderung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung  aufgestellt hat, sondern - lediglich - eine Verfahrensweise bei unwirksamen Preisänderungsbestimmungen einführt.

Will sagen: Hätten die Parteien die Unwirksamkeit der Klauseln für möglich gehalten, hätten sie vereinbart,
--- Zitat ---dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhung, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.
--- Ende Zitat ---
Es scheint so, als hätte der BGH so eine Art Verfallklausel mit Einwendungsausschluss zum Vertrag \"ergänzt\". Frei nach dem Motto, wer etwas (nicht) will, muss es auch (innerhalb von 3 Jahren) sagen.

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