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Autor Thema: \"Quersubventionierung\" der Stadtwerke Lingen  (Gelesen 6670 mal)

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Offline enerveto

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\"Quersubventionierung\" der Stadtwerke Lingen
« am: 18. Oktober 2005, 22:25:14 »
Lingener Tagespost vom 15.10.2005:
CDU: Keine Alternative zur Erhöhung der Gaspreise
„... Eine gegenüber den Vorjahren veränderte Kalkulationsgrundlage gebe es nicht. Es würden keine höheren Erträge erwirtschaftet. „Eine  Absenkung des Gaspreises ist nicht möglich, ohne in hohem Umfang den Gaspreis zu subventionieren“, heißt es in der Erklärung der CDU weiter.  ...
Soweit im Übrigen Erträge erwirtschaftet würden, kämen diese allen Bürgerinnen und Bürgern zugute, so Werner Schlarmann, Vorsitzender der CDU-Fraktion. \"Nur so ist es - wie in den letzten 20 Jahren - möglich, dass überhaupt der ÖPNV und das  Linusbad weiter betrieben werden. Nur so können auch durch den steuerlichen Querverbund die Möglichkeiten genutzt werden, um den Bürgern  auch weiterhin angemessene Preise in den Einrichtungen zukommen zu lassen. Wer suggeriert, es ginge auch ohne irgendwelche Erträge, der muss ehrlicherweise deutlich machen, dass er dann auch über die Schließung bestehender Einrichtungen spricht. Denn eine alternative Finanzierung über den städtischen Haushalt gibt es nicht.\"

Sehr geehrte MitstreiterInnen,
in dem o.g.  Artikel in der LT vom 15.10.05 „CDU: Keine Alternative zur Erhöhung der Gaspreise“  ist eine bemerkenswerte Aussage enthalten:
Hiermit wird von verantwortlicher Seite erstmals öffentlich und ungeniert zugegeben, dass mit überhöhten Energiepreisen eine „Quersubvention“ erfolgt. Diese m.E. ungesetzlich überhöhten Energiepreise werden „steuerlicher Querverbund“ genannt.

Energiepreise sind ausschließlich „Kostenpreise“ und haben keine „Steuer- oder Abgabenfunktion“!
Nach § 1 Energiewirtschaftsgesetz sind die Energieversorgungsunternehmen  (EVU) verpflichtet, die Versorgung mit leitungsgebundener Energie (Elektrizität, Gas) so preisgünstig wie möglich zu  gestalten. “Preiswürdig” im vorgenannten Sinne meint nach herrschender Auffassung die Leistungserbringung “so billig wie nur möglich”. Die lässt eine Deckung der tatsächlichen Kosten und einen im vertretbaren Rahmen liegenden Gewinn zu. Ob diesem Kriterium bei der Preisbildung Rechnung getragen wurde, muss der Versorger durch Offenlegung seiner Kosten- und Gewinnkalkulation  nachweisen (so u.a. Urteil AG Heilbronn 15.04.05, Az. 15 C 4394/04; mit Bezug auf BGH-Urteile).

Damit steht nun fest, dass der hohe Betriebsgewinn der Stadtwerke durch überhöhte Erlöse aus überhöhten Energiepreisen erwirtschaftet wurde, zum Zweck einer „Quersubventionierung“ von städtischen Einrichtungen.
(Merke: Gewinn = Erlöse minus Kosten; folgt: höhere Erlöse bei gleichbleibenden Kosten erzielt höheren Gewinn.).
Die Finanzierung der genannten städtischen Einrichtungen ist aus ihren Einnahmen sowie den Steuern und Abgaben der Kommune durchzuführen (Energiepreise gehören nicht dazu).
Soweit die Stadtwerke einen angemessen Betriebsgewinn erwirtschaftet, steht dieser – entsprechend der Gesellschaftssatzung - auch den Gesellschaftern z.B. der Stadt zur Verfügung.
Der Gewinn aus überhöhten Energieerlösen (Preisen) steht den Gesellschaftern nicht zu. Die Energiekunden hätten insofern einen Rückforderungsanspruch.
Der Einwand der Unbilligkeit der Energiepreise gemäß § 315 BGB ist damit begründet und berechtigt.
Obwohl sich der Einwand gegen den Gesamtpreis (also ursprünglicher Preis und Preiserhöhung) richtet, wird in der Regel der alte Preis solange weitergezahlt, bis der Versorger den Gesamtpreis durch eine nachvollziehbare und prüffähige Kalkulationsgrundlage nachgewiesen hat.
Bis jetzt hat jedoch noch kein Versorger seine Energiepreiskalkulation offengelegt. Das scheuen die Versorger, „wie der Teufel das Weihwasser“.

Wir wählen eine Regierung - wie heißt es so schön bei Tucholsky:  „Sie dachten, sie hätten die Macht. Dabei waren sie nur an der Regierung.“
Die „Regierung“ wechselt, die „Machthaber“ bleiben die gleichen.

„Ohne Macht (§ 315 BGB und die Rechtsprechung dazu) ist Widerstand nur eine Provokation.“ (Unbekannt)

Mit freundlichen Grüßen

Offline enerveto

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\"Quersubventionierung\" der Stadtwerke Lingen
« Antwort #1 am: 05. November 2005, 23:55:05 »
Sehr geehrte MitstreiterInnen,

@Graf Koks
hat im Beitrag „BHG VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB“
m.E. einen wichtigen Hinweis in der Preis-Auseinandersetzung mit den örtlichen Versorgern gegeben.

BGH VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB

Preise der Energieversorgung sind „Kostenpreise“.
„Das Kostendeckungsprinzip gehört zu den grundlegenden Prinzipien öffentlichen Finanzge-barens, die die öffentliche Hand auch dann zu beachten hat, wenn sie öffentliche Aufgaben in den Formen des Privatrechts wahrnimmt (BGHZ 115, 311, 318).“
„... Tarife und sonstige Entgeltregelungen von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten ...“
„... auch deshalb als unbillig bewertet, weil die Einhaltung des Kostendeckungsprinzips nicht hinreichend gewährleistet sei...“

„Im Gegensatz dazu ist für die Erhebung von Beiträgen nach Kommunalabgabenrecht das Vorteilsprinzip maßgeblich, das von anderen Bemessungs- und Zuordnungskriterien aus-geht.“

„Entscheidend dafür ist die Schutzbedürftigkeit des einzelnen Bürgers gegenüber der Er-schließung gesetzwidriger Finanzquellen durch die öffentliche Verwaltung, die dem Bürger nicht Entgelte für Leistungen abverlangen soll, für die bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses Abgaben nicht erhoben werden dürften (BGHZ 115, 311, 318; 91, 84, 97).“

Mit freundlichen Grüßen

Offline kamaraba

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\"Quersubventionierung\" der Stadtwerke Lingen
« Antwort #2 am: 06. November 2005, 01:30:01 »
Hallo enerveto,

das ist bei uns in Karlsruhe gang und gäbe. Die Stadtwerke haben einen Gewinnabführungsvertrag mit der KVV (Karlsruher Verkehrsverbund).
Da fließen jährlich ca. 20 Mio. EUR direkt in die Subventionierung des ÖPNV.

Im Gegenzug behauptet der KVV mit seinen Preisen zu den günstigsten im ÖPNV zu gehören.
Habe mal bei der KVV nachgefragt, aber bisher noch keine Monatskarte erhalten.
Gruss aus der EnBW-Hauptstadt Karlsruhe
www.Faire-Energiepreise.de

Offline RR-E-ft

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\"Quersubventionierung\" der Stadtwerke Lingen
« Antwort #3 am: 06. November 2005, 14:54:43 »
@enerveto

Steuerlicher Querverbund ist an sich noch nicht schädlich.

Auch soll die Energieversorgung selbstredend über die reine Kostendeckung auch einen Ertrag (Gewinn) abwerfen, der getrost auch in andere Bereiche fließen kann.

Fraglich ist nur, ob die Gewinne, die im Bereich der Energieversorgung erwirtschaftet werden, tatsächlich angemessen sind, um zu einer angemessenen Verzinsinung des eigenen und aufgeneommenen Kapitals zu führen und darüber hinaus notwendige Investitionen im Bereich der Energieversorgung zu ermöglichen (BGh NJW-RR 1992, 183 ff.).

Wenn jedoch der Versorger gezwungen wird, unbillig überhöhte Preise zu kalkulieren, um über unangemessen hohe Gewinne defizitäre Bereiche im Querverbund überhaupt aufrecht zu erhalten, so ist dies selbstredend zu beanstanden und abzustellen.

Das aufgezeigte System ist weitverbreitet um nicht zu sagen gang in gäbe, ordnungspolitisch jedoch vollkommen fragwürdig.

Dies gilt insbesondere wenn Einkommensschwache sogar aus öffentlichen Mitteln Zuschüsse zu ihren Energiekosten bekommen müssen.

Dann fließt Geld aus öffentlichen Haushaltsmitteln, die dafür gar nicht bestimmt sind, mittelbar in die Finanzierung defizitärer öffentlicher Bereiche ein.

Dies halte ich für unzulässig, weil die Sozialkassen zum einen oft aus anderen Quellen (Bund/ Land) gespeist werden und von dort selbstredend keine Subventionierung der defizitären Bereiche bewilligt worden wären. Die defizitären Bereiche können nur auf die öffentlichen Fördermittel zurückgreifen, welche für sie tatsächlich in die öffentlichen Haushalte eingestellt wurden.

Oft wird eingewandt, dieses System sei immer noch besser als bei der Energieversorgung durch ein Konzernunternehmen:

Nun fordern Regionalversorger ähnliche Preise wie kommunale Stadtwerke, ohne jedoch einen ÖPNV etc. pp.  aufrecht zu erhalten.

Was sollte also bei denen erst die hohen Preise rechtfertigen?

Dem kommunalen Haushalt bzw. über den Querverbund dürfen der Kommune also nur angemessene Gewinne aus der Energieversorgung zufließen.

Darüber hinaus erhalten die Kommunen ja auch schon die Konzessionsabgaben (die als Kosten in die Energiepreise einfließen), deren Berechtigung bereits unter Bundeswirtschaftsminister Rexrodt in Frage gestellt waren und eigentlich schon längstens abgeschafft sein sollten.

http://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/910903.htm

http://www.intern.nwstgb.de/_scripts/frame_generator/generate.pl?frameset=http%3A//www.intern.nwstgb.de/mitteilungen/archiv/index.phtml&framename=text&url=http%3A//www.intern.nwstgb.de/mitteilungen/archiv/1996/juni/301/index.phtml

Allein der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte wohl kein Konzept, bei Wegfall der Konzessionsabgaben den Ausfall von ca. 3 Mrd. EUR jährlich gegenzufinanzieren, weshalb es diese Abagaben weiter gibt.

Konzessionsabgaben hatte ursprünglich (beginnend in Berlin) ein privates Unternehmen für die Benutzung öffentlicher Straßen, Wege und Plätze und später für das Privileg an die Gemeinde zu leisten, die Gemeindeeinwohner ausschließlich zu versorgen:

http://www.udo-leuschner.de/basiswissen/SB103-002.htm

Das Privileg ist mit der Liberalisierung 1998 entfallen.

Zudem erscheint es fraglich, weshalb eine Gemeinde in der Gestalt des eigenen Stadtwerks überhaupt quasi an sich selbst Konzessionsabgabe leisten sollte.

Das ist eigentlich überhaupt nicht erforderlich. Auch sind die Gemeinden grundsätzlich nicht verpflichtet, sondern gesetzlich nur berechtigt, Konzessionsabgaben zu erheben.

Diese Konzessionsabgaben stehen dem kommunalen haushalt also über die Gewinne aus der Energieversorgung hinaus als entsprechende Einnahmen zur Verfügung.

Konzessionsabgabe sollte man vielleicht eigentlich nur von dritten Unternehmen, die mit der Gemeinde nichts zu tun haben, fordern.
 
http://www.udo-leuschner.de/rezensionen/rf9910stier.htm


Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Cremer

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\"Quersubventionierung\" der Stadtwerke Lingen
« Antwort #4 am: 07. November 2005, 18:57:00 »
@enerveto,

Diese Quersubventionierungen sind zur Zeit üblich. Frage ist nur bis zu welcher Höhe dies nicht verwerflich sein sollte.

Wir in Bad Kreuznach kämpfen auch gegen solche Quersubventionierungen.

Leztes Jahr führte die Stadtwerke \"aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages\" 3,6 Mio€ an die  BGK, Holdinggesellschaft zu 100% in Besitz der Stadt, ab, um damit alle anderen defizitären Betriebe am Leben zu erhalten.  500.000 wären auch ausreichend.

Kein Wunder, dass die Stadtwerke 11% Gewinn nach Steuer ( 6 Mio €) haben. Davon gehen 2,4 Mio € zu gleichen Teilen an die Saarferngas (Mutter ist E.ON Ruhrgas) und RWE Power, da diese beiden je 24,5% Anteile an den Stadtwerken halten.

Dies ist nichts anderes als eine kommunale Steuer!!!
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

info@bifep-kh.de
www.bifep-kh.de
gerd@cremer-kreuznach.de

 

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