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Autor Thema: BGH erklärt Fernwärmeklauseln für unwirksam  (Gelesen 4218 mal)

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Offline RR-E-ft

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BGH erklärt Fernwärmeklauseln für unwirksam
« am: 07. April 2011, 16:19:12 »
Der Bundesgerichtshof hat mit zwei Urteilen vom 06.04.2011 die Rechte von Fernwärmekunden gestärkt.

Zu verweisen ist auf die Pressemitteilung des BGH Nr. 56/2011 veröffentlicht im Internet unter:

 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=55690&linked=pm&Blank=1

Preisänderungsklauseln in Fernwärmelieferungsverträgen sind unwirksam, wenn sie nicht auch die konkrete Kostenentwicklung des Versorgers berücksichtigen und ausschließlich auf  Heizölnotierungen abstellen. Dies gelte insbesondere wenn die Fernwärme nicht mit Heizöl sondern mit Erdgas  erzeugt wird.

Im Falle der Unwirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklauseln und aller darauf gestützten Preisänderungen gelte der bei Vertragsabschluss ursprünglich vereinbarte Preis weiter, nur diesen müsse der betroffene Kunde zahlen.

Wurde über den tatsächlich  vertraglich geschuldeten Preis hinaus mehr bezahlt, kann den betroffenen Kunden grundsätzlich ein Rückzahlungsanspruch für die letzten drei Jahre aus ungerechtfertigter Bereicherung zustehen.

Insoweit gelten die Grundsätze, die bisher schon von der Rechtsprechung für den Fall entsprechend unwirksamer Klauseln in Gaslieferungsverträgen entwickelt wurden.

Davon betroffen scheinen auch Fernwärmekunden in Thüringen.

So koppelt etwa die Stadtwerke Energie Jena- Pößneck GmbH die Fernwärmepreise nach wie vor automatisch an Heizölnotierungen der sog. Rheinschiene:

http://www.stadtwerke-jena.de/fileadmin/stadtwerke-jena.de/Preise/Fernwaerme/FW-J_Pb4_ab2010-01-01.pdf

Die Fernwärme in Jena wird mit Erdgas erzeugt. Der Gaspreis ist seit längerem von der Ölpreisentwicklung abgekoppelt, nicht erst durch die Grundsatzentscheidungen des BGH zur Unzulässigkeit der Ölpreisbindung in Gaslieferungsverträgen vom 24.03.2010 (Az. VIII ZR 304/08 und VIII ZR 178/08].

In Hermsdorf wird die Fernwärme sogar mit Biomasse erzeugt und gleichwohl werden entsprechende Heizölklauseln für die Bestimmung des Fernwärmepreises verwendet.

Die Heizölnotierungen auf der sog. Rheinschiene spiegeln jedenfalls nicht die Preisentwicklung auf dem regionalen Wärmemarkt. Sie spiegeln aber auch nicht die Entwicklung der Fernwärmeerzeugungskosten, unabhängig davon, dass außer den Brennstoffkosten auch weitere Kostenbestandteile (Netznutzung) für den kostenbasierten Fernwärmepreis preisbestimmend sind.



Nach alldem sollten alle Fernwärmekunden, ob es sich nun um Verbraucher oder aber um Unternehmen handelt, prüfen lassen, ob in ihren Verträgen die Preisänderungsklauseln ebenso unwirksam sind.

Hiervon hängt nicht nur der aktuelle Zahlungsanspruch des Fernwärmeversorgers ab, sondern es können auch erhebliche Rückforderungsansprüche bestehen.

Offline RR-E-ft

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BGH erklärt Fernwärmeklauseln für unwirksam
« Antwort #1 am: 08. April 2011, 14:59:00 »
Der BGH fordert ein Kostenelement und ein Wärmemarktelement.

Anzumerken ist, dass es einen Wärmemarkt auch nach zutreffender Einschätzung des BGH eigentlich gar nicht gibt.

Laut Fernwärme- Lobbyverband AGFW gehen regelmäßig  alle fixen Kosten (Kapitalkosten und Lohnkosten) in den Grundpreis ein, für den Arbeitspreis bleiben demnach eigentlich nur die Brennstoffkosten:

 http://www.fernwaerme-info.com/foerderung_und_kosten/kostenbestandteile.html

In die Arbeitspreisformel der Stadtwerke gehen zu 50 Prozent die Änderungen von Heizölnotierungen auf der sog. Rheinschiene ein, daneben zu 20 Prozent Änderungen der Lohnkosten nach einem Index (alos nicht die tatsächlichen bei der Fernwärmeerzeugung und - verteilung anfallenden Personalkosten), weitere 30 Prozent sind irgenwie festgezurrt (Der Gewinnatneil am Preis?!).

Die Brennstoffkosten haben jedenfalls einen höheren Anteil am Arbeitspreis als 50 Prozent, wie man sich leicht denken kann.
Bei den Fernwärmleiefrungen handelt es sich um einen geschlossenen Stoffkreislauf, bei dem es grundsätzlich nur darauf ankommt, die abgenommene Wärme und die auftretenden Wärmeverluste im Netz durch die Feuerung im Heizkraftwerk auszugleichen.

Die Personalkosten haben gar keinen oder einen weit geringeren Anteil. Denn so viel Personal gibt es schließlich gar nicht.  

Die Heizölnotierungen auf der Rheinschiene beeinflussen die Brennstoffkosten für den Einsatzbrennstoff Gas nicht (mehr).
E.ON Ruhrgas bietet Gaslieferungen ohne Ölpreisbindung an, auch für E.ON Thüringen.

Die Kostenbasiertheit der Formel erscheint somit geheimnisvoll, jedenfalls nicht nachvollziehbar.

Die Heizölnotierungen können aber wohl auch nicht das Wärmemarktelement darstellen.

Denn was haben die Heizölnotierungen der Rheinschiene mit den Brennstoffkosten der Erdgas- und Flüssiggaskunden in Jena oder den Heizölkunden  in Jena zu tun oder mit den Kosten der Kunden, die mit Strom, Erdwärme, Holz und Kohle heizen?

Eine Markpreisentwicklung lässt sich jedenfalls nicht in einer mathematischen Formel antezipieren, im Voraus berechnen, so zutreffend der BGH in VIII ZR 178/08 Rn. 31.

Wäre dies möglich und hätten die Stadtwerke gar die Weltformel dafür gefunden, müssten sich wohl auch die Wärmekosten all derjenigen, die nicht mit Fernwärme heizen, eben nach dieser \"Weltformel\" richten. Kann man sich nur ganz schwer vorstellen.

So etwas ging allenfalls beim VEB Energiekombinat Gera Sitz Jena, das seinerzeit nicht nur Strom und Gas, sondern auch Kohle im Monopol an die Bevölkerung lieferte und somit die Preise aller Einsatzbrennstoffe hätte diktieren können, wenn die Preise seinerzeit nicht schon von der staatlichen Preiskommission diktiert worden wären....

Interessant:

Mit dem neuen Wärmespeicher sollen - von der Presse  berichtet - Brennstoffkosten bei der Fernwärmeerzeugung in Jena eingespart werden.

Welchen Einfluss haben die dadurch veränderten Kosten dann aber auf die \"Weltformel\" der Stadtwerke?

Und welchen Einfluss haben sie auf den Wärmemarkt- Preis in Jena, also auf die Heizkosten all derjenigen, die nicht mit Fernwärme heizen?

Man kann sich das alles wohl nur schwerlich vorstellen.

Die Stadtwerke müssen jedoch irgendwann einmal zu der Überzeugung gelangt sein, sie hätten die \"Weltformel\" gefunden.

Beim Grundpreis sind wiederum abstrakte Lohnkosten -  die mit den tatsächlich abzudeckenden Personalkosten nichts zu tun haben ! - zu 40 Prozent beteiligt, Kapitalkosten sind mit 25 Prozent gewichtet und 35 Prozent sind fix (Gewinnanteil am Preis?).

Sollte es um ein Wärmemarktelement gehen, bleibt festzustellen, dass Heizölkunden gar keinen Grundpreis kennen.
Bei Heizöl - dem angeblichen hauptwettbewerber -  sind alle Kosten der notwendigen Infrastruktur (Ölförderung, - beschaffung, Raffenerie, Vertriebs- und Händlernetz) neben Steuern und Abgaben bereits vollständig in den Heizölpreis, den man bei der Lieferung zu zahlen hat, eingepreist.

 

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