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Autor Thema: BGH zu HEL- Klauseln in Fernwärmeverträgen  (Gelesen 5981 mal)

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Offline ESG-Rebell

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BGH zu HEL- Klauseln in Fernwärmeverträgen
« am: 11. Januar 2011, 14:04:50 »
betrifft:
BGH VIII ZR 66/09 mdl. Verh. am 19.01.2011  HEL- Klausel in Fernwärmeverträgen
BGH VIII 273/09 mdl. Verh. am 12.01.2011 - HEL- Klausel in Fernwärmeverträgen

Die Themen Spannungsklauseln - insbesondere HEL-Klauseln - hatten wir doch schon mehrfach.
Ist da in den kommenden Verfahren mit Überraschungen oder interessanten Neuigkeiten zu rechnen?

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline RR-E-ft

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BGH zu HEL- Klauseln in Fernwärmeverträgen
« Antwort #1 am: 11. Januar 2011, 14:07:50 »
Die Verfahren sind sehr, sehr spanndend wegen § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV.

Bundesweit laufen unzählige Rechtsstreite um die Frage der Wirksamkeit entsprechender Klauseln in Formular- Fernwärmeverträgen.

Ein Terminsbericht vom 12.01.11 wäre mir sehr, sehr wichtig.
Die gesamte Branche schaut morgen nach Karlsruhe.
Die wenigsten können hinfahren.

Offline ESG-Rebell

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BGH zu HEL- Klauseln in Fernwärmeverträgen
« Antwort #2 am: 12. Januar 2011, 00:27:34 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Die gesamte Branche schaut morgen nach Karlsruhe.
Da ist wohl was dran - eine Besuchergruppe ist angemeldet.
Mir wurde daher frühzeitiges Erscheinen angeraten. ;)

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline ESG-Rebell

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BGH zu HEL- Klauseln in Fernwärmeverträgen
« Antwort #3 am: 12. Januar 2011, 13:10:06 »
Verhandlung am 12.01.11 von 10:02 bis 10:45 Uhr.
8. Zivilsenat: Ball, Dr. Milger, Dr. Hessel, Dr. Fetzer, Dr. Bünger

LG Dessau-Roßlau - Urteil vom 29. Dezember 2008 - 2 O 633/06
OLG Naumburg - Urteil vom 17. September 2009 - 1 U 23/09
(veröffentlicht ZNER 2009, 400)   

Kläger: Stadtwerke Zerbst, RA Dr. Semmler, RA Adolf Topp (AGFW)
Beklagte: Wohnungsbaugesellschaft \"Frohe Zukunft\", RA Dr. Schott

----- 10:02 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:
Schildert den Sachverhalt und die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.
Siehe BGH VIII 273/09 mdl. Verh. am 12.01.2011 - HEL- Klausel in Fernwärmeverträgen

Die Revision meint, die Preisanpassungsklausel sei nicht nach §307 BGB zu prüfen sondern nach §24 (3) AVBFernwärmeV wirksam. Sie bezieht sich dabei auf ein Urteil des Senats aus dem Jahr 1987. Der Senat räumt ein, dass er die Weichenstellung in jenem Urteil in seiner Rechtsprechung der vergangenen Jahre schlichtweg übersehen hat; zumal keiner der damaligen Senatsmitglieder mehr dabei ist.

Es stellt sich die Frage ob die Preisanpassungsklausel der Verordnung §24 (3) AVBFernwärmeV genügt (Er zitiert diese). Nach vorläufigen Erwägungen versteht der Senat diese Verordnung so, dass eine Preisanpassungsklausel zwei Parameter enthalten muss. Erstens eine Kostenkomponente und zweitens eine Komponente, die den \"Wärmemarkt\" abbilden soll. Dieser Begriff ist im Hause unbeliebt und wird unterschiedlich ausgelegt.

Beide Parameter zusammen sollen eine Dämpfungsfunktion erzielen, um ein volles Durchschlagen von Änderungen auf den Endpreis zu mildern. Fraglich ist, ob die hier verwendete Preisanpassungsklausel beide Aspekte hinreichend berücksichtigt.

Die Kostenvariable ist hier der HEL-Index, nicht die Erdgaskosten obwohl Erdgas zur Wärmeerzeugung verwendet wird. Fraglich ist ob eine Anbindung an den HEL-Index hinreichend kostennah ist oder ob die tatsächlichen Erdgaskosten einfließen müssen. In seinen Erdgas-Urteilen hat der Senat eine alleinige HEL-Bindung verworfen.

Zweitens sind die Verhältnisse auf dem Wärmemarkt zu berücksichtigen. Zu klären ist, wie dieser Begriff hier zu verstehen ist. Geht es um die Region Zerbst, die Rheinschiene oder gar den globalen Wärmemarkt?

Zu §30 AVBFernwärmeV: Zählt ein Unwirksamkeitseinwand gegen eine Preisanpassungsklausel zu den ausgeschlossenen Einwänden? Entsprechend der bisherigen Senatsentscheidungen bei anderen Energieträgern jedenfalls nicht. Daher wird hier wohl die Wirksamkeit der Preisanpassungsklausel zu prüfen sein.

----- 10:25 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Semmler: (spricht recht zügig und ohne Ausschweife)

Die Preisanpassungsklausel unterliegt nicht der Inhaltskontrolle, da §24 (3) AVBFernwärmeV vorrangig ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll damit die vertraglichen Regelungen in Fernwärmevertägen an die AGB-Richtlinien angepasst werden. Die AVBFernwärmeV ist daher eine spezialrechtliche Verordnung, die privatrechtliche Vereinbarungen verdrängt.

In einem Fernwärmeliefervertrag ist damit ein Rückgriff auf §305 BGB ausgeschlossen. Begründet ist dies im Gegensatz zu Erdgaslieferverträgen mit dem außerordentlich hohen Investitionsbedarf (achtmal höher als bei Erdgas). Eine Inhaltskontrolle nach §307 BGB ist zudem auch deshalb nicht notwendig, weil §24 (3) AVBFernwärmeV dem Verbraucher einen stärkeren Schutz bietet als dies bei anderen Energieträgern der Fall ist.

Das Berufungsgericht hat die Preisanpassungsklausel garnicht hinsichtlich §24 (3) AVBFernwärmeV überprüft. Dies wäre noch nachzuholen. Darüber hinaus ist auch §24 (4) AVBFernwärmeV zu berücksichtigen. Daher ist das Gaspreisurteil vom 24.03.10 nicht hierauf übertragbar. Außerdem geht es im dortigen Fall um Sondervertragskunden, die außerhalb der GasGVV beliefert wurden.

Die Formulierung in §24 (4) AVBFernwärmeV stellt einen Kompromiss zwischen den Belangen des Versorgers und des Kunden dar. Die Preisanpassungsklausel muss die Kosten- und Marktkomponente nicht exakt sondern nur angemessen berücksichtigen. Es sind überhaupt keine direkten Kostenelemente erforderlich. Auch eine Gewinnsteigerung ist demgemäß nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da der Versorger sonst keine Motivation hätte, mittels Investitionen seine Effizienz zu steigern und dadurch Kosten einzusparen.

Der Begriff des Wärmemarkts muss alle Energieträger umfassen. Kostenelemente müssen nur angemessen berücksichtigt werden. Die Kosten- wie Wärmemarktparameter können sich auf den Verkaufspreis auswirken. Die Preisanpassungsklausel der Klägerin wird daher den Anforderungen von §24 (3) AVBFernwärmeV gerecht, da Heizöl nach wie vor der dominierende Energieträger ist. Der HEL-Index Rheinschiene ist als Maßstab geeignet, da dessen Verwendung in allen neuen Bundesländern üblich ist. Der HEL-Index Rheinschiene repräsentiert die Preisentwicklung zudem besser und mit weniger Ausschlägen als etwa ein für Zerbst lokaler Maßstab.

Brennstoffkosten sind für Fernwärmelieferungen nicht zwingend zu berücksichtigen sondern nur Personal- und Bereitstellungskosten, da Fernwärme eigentlich nur ein Abfallprodukt des Blockheizkraftwerks der Klägerin ist und deren Produktion nur einen geringen Mehreinsatz von Gas erfordert.

§30 AVBFernwärmeV soll gewährleisten, dass Versorger nicht mit unzulässigen Verzögerungen bei der Bezahlung ihrer Lieferungen konfrontiert werden. Anders als bei anderen Energieträgern kann die Klägerin aufgrund der hohen Investitionskosten und der langen Laufzeiten (10 Jahre) auch nicht kurzfristig kündigen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich der Preis zudem eindeutig aus der angegebenen Preisanpassungsklausel ohne dass dem Versorger ein Ermessensspielraum bliebe.

----- 10:28 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Schott:

Seit 1987 hat sich einiges geändert. Der Senat hat zwischenzeitlich auch die Kontrollfähigkeit von Klauseln bestätigt, die aus einer AVB übernommen worden sind.

Die AVBFernwärmeV ist niederrangiges Recht, welches bereits vorab erlassenes Recht (§305/307) nicht nachträglich abändern kann.

Das Berufungsgericht sagt genau dasselbe hinsichtlich Transparenz der Preisanpassungsklausel wie der Senat in seiner derzeitigen Rechtsprechung. Der Fernwärmeliefervertrag übernimmt zudem nicht einfach die Klauseln der AVBFernwärmeV sondern formuliert eine eigene Absprache, die an §307 BGB zu messen ist. Im Ergebnis hält sie den dortigen Anforderungen in keinster Weise stand.

Ein Bezug auf Heizöl ist nicht geeignet sondern die tatsächliche Kostenentwicklung ist wiederzugeben. Der HEL-Index ist ein fremdes Kostenelement und zudem nur ein Kostenelement. Der Senat hat bereits geurteilt, dass Kostensteigerungen in einem Kostenelement alleine nicht weitergegeben werden können sondern Kostensenkungen in anderen Bestandteilen ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Die übrigen Kostenelemente werden von der Klägerin aber überhaupt nicht erwähnt. Im vorliegenden Fall ist dadurch eine Gewinnausweitung möglich.

Die Klägerin selbst führt zudem ja aus, bei Fernwärme handele es sich um ein Abfallprodukt, dessen Erzeugung gar keine Kosten verursache. Wenn dem so ist, warum soll dann ausgerechnet eine Steigerung des HEL-Indexes für den Brennstoff Öl eine Kostenerhöhung begründen?

Der sogenannte Wärmemarkt ist ein fingierter Begriff. Ein solcher existiert so nicht. Auf fiktive Preise eines fiktiven Wärmemarktes können daher keine Preiserhöhungen gestützt werden. Daher läuft der betreffende Absatz in §24 (4) AVBFernwärmeV ins Leere. Die verwendete Preisanpassungsklausel ist daher unwirksam; ein Bezug auf den HEL-Index ist ungeeignet.

Zu §24 (3) AVBFernwärmeV: (zitiert diese) Preisanpassungsklauseln müssen die maßgeblichen preisbildenden Faktoren ausweisen. Diese habe ich jedoch nicht verstanden. Jedenfalls können Verbraucher (auch eine Wohnungsbaugesellschaft) diese nicht nachvollziehen.

Ein Ausschluß nach §30 AVBFernwärmeV gilt nur, wenn die Abrechnung nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Das Fehlen einer vertraglichen Rechtsgrundlage ist aber offensichtlich - wenn auch erst richterlich festzustellen. Eine fehlende vertragliche Rechtsgrundlage ist immer gerichtlich überprüfbar.

----- 10:37 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Semmler:

Der HEL-Index ist kein Kostenelement sondern eine Wärmemarktelement. Der Senat hat ja selbst schon zur Dämpfungsfunktion der Kosten- und Wärmemarktelemente ausgeführt. Mit exakten Kostenparametern könnte der Versorger nur bis zur Höhe des Wärmemarktpreises erhöhen und somit unter Umständen nicht kostendeckend liefern.

Wiederholt Argument vom fehlenden Investitionsanreiz bei kostenbasiertem Verkaufspreis.

----- 10:40 ---------------------------------------------------------------------------
Herr Topp:

Verweis auf Urteil von 1987 und weist auf eine erfolgreiche Überprüfung durch das BVerfG hin.
Zur Nachvollziehbarkeit von Preisanpassungsklauseln: Selbst der Verbraucherverband \"Bund der Energieverbraucher\" empfiehlt die Verwendung von Formelklauseln, die auch HEL-Glieder enthalten.

Der HEL-Index ist ein Wärmemarktelement. Als Kostenelement kann man auch die Personalkosten wählen; man muss nicht auf die Brennstoffkosten abstellen.

Dr. Schott:
Laut §24 (4) AVBFernwärmeV dürfen Preisänderungsklauseln nur so ausgestaltet sein, daß sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen.

Hier geht es doch um die Erhöhung des Arbeitspreises und nicht des Grundpreises.

Ball (nach kurzer Diskussion):
Die Frage lautet also: Gehören die Brennstoffkosten zwingend dazu oder können stattdessen auch die Lohnkosten zur Preissteigerung herangezogen werden?

----- 10:45 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:

Am 19.01.11 wird ein ähnlich gelagerter Fall verhandelt.
Der Senat wird sich mit dem Thema sehr eingehend befassen müssen. Daher wird der Verkündungstermin auf den 6.04.2011, 10:00 festgesetzt.

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline RR-E-ft

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BGH zu HEL- Klauseln in Fernwärmeverträgen
« Antwort #4 am: 12. Januar 2011, 13:19:30 »
Recht herzlichen Dank!!!!

Wenn auf demn globalen Wärmemarkt abzustellen wäre, dürften die Landmassen in Afrika, Mittelamerika und Australien außerordentlich preisdämpfend zu Buche schlagen.  :D

Offline RR-E-ft

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