Energiepreis-Protest > Gerichtsurteile zum Energiepreis-Protest
BGH, Urt. v. 09.02.11 VIII ZR 295/09 Abgrenzung Tarifkunde/ Sondervertragskunde
RR-E-ft:
Beitrag im BBH- Blog
RR-E-ft:
BGH, Urt. v. 09.02.11 VIII ZR 295/09
tangocharly:
--- Zitat ---Tz 39
Der Beklagten steht gemäß Nr. 2 Satz 3 der Bedingungen das Recht zu, sich mit einer Kündigungsfrist von einem Monat vom Vertrag zu lösen. In einem solchen Fall ist ihr, auch wenn sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist an den vertraglich vereinbarten Preis gebunden bleibt, ein Festhalten am Vertrag zu den bestehenden Bedingungen nicht ohne Weiteres unzumutbar (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 51; vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO Rn. 37; jeweils mwN). Der Kläger hat am 20. Dezember 2004 erstmals Widerspruch gegen eine Preiserhöhung der Beklagten erhoben und in der Folgezeit durch Erhebung der vorliegenden Klage deutlich gemacht, dass er mit den weiteren Preisänderungen durch die Beklagte nicht einverstanden ist. Für die Beklagte bestand deshalb seither Anlass, auch eine Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Vertrages etwa mit dem Ziel der Rückkehr in ein Tarifkundenverhältnis in Betracht zu ziehen, um auf diese Weise einer unbefriedigenden Erlössituation zu begegnen.
--- Ende Zitat ---
Die Problematik, welche an der Erhebung des Widerspruchs festgemacht wird, ist so überflüssig wie unnötig.
Es hat den Anschein, als ob es hierzu gälte, wiederum an einem Kuckucks-Ei für die (Sondervertags-)Nester der Verbraucher zu basteln und - von hinten durch die Brust ins Auge - das angesichts der Schuldrechtsmodernisierung überwundene Problem der Verwirkung in dieser
Auseinandersetzung wieder zu beleben.
Es geht hierbei schlicht um die Frage, ob Rückforderungsansprüche der Verjährung unterfallen, was gem. §§ 195 , 199 BGB sicher zu bejahen ist.
Darauf, ob weiter Energie bezogen wurde oder ob nicht, kommt es überhaupt nicht an, solange der Energiekunde nicht einmal weiß, dass er überteuerte Preise gezahlt hat.
Ab seiner Kenntnis tickt die Verjährungsuhr.
Sodann kommt es auch nicht darauf an, ob der Energiekunde einen Widerspruch erhoben hat oder ob nicht. Allenfalls läßt sich aus der Erhebung des Widerspruchs Kenntnis des Kunden ableiten.
In Tz. 39 der Entscheidung vom 09.02.11 wird zwar nicht ausdrücklich dieser Begriff angesprochen, es scheint aber darauf hinaus zu laufen, dass der BGH mit einer \"Klagepflicht des Energiekunden\" liebäugelt.
Dennoch ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (30.04.2003, Az.: VIII ZR 279/02; 15.07.09,
Az.: VIII ZR 56/08, Tz. 36; 21.04.10, Az.: VIII 97/09 ;) auch dieses Problem überwunden, in dem
Sinne, dass keine Pflicht zur Klageerhebung seitens des Energiekunden besteht.
Wenn die in Tz. 39 der Entscheidung vom 09.02.11 angesprochene Klage der Verjährungshemmung
diente, dann ist dies völlig o.k.
Wenn aber ausgedrückt werden sollte, dass der Energiekunde seine Rechte verwirken könne, wenn er nach Widerspruchserhebung nicht rechtzeitig -ohne drohende Verjährung- Klage erhoben hat, dann
ist dies bedenklich.
Der Kartellsenat des BGH entschied erst am 20.07.2010, Az.: EnZR 23/09, dass der regelmäßiger
Verjährungsfrist unterliegende Rückforderungsanspruch (wegen der nun geltenden kurzen
Verjährungsfrist von drei Jahren) nur noch unter besonderen Umständen einer weiteren Verkürzung
unterliegen könne (siehe auch BGH, 13.01.1988, Az.: IVb ZR 7/87, BGHZ 103, 62,68, BGH,
17.02.1969, Az.: II ZR 30/65;).
Man muß ja nicht unbedingt \"Kaffeesatzlesen\". Deshalb könnte man sich auch darauf beschränken, aus der Textziffer 39 heraus zu lesen, dass der BGH meinte, aus der Untätigkeit des Versorgers
rechtliche Auswirkungen ableiten zu müssen.
Ob man aber, wenn weder widersprochen noch geklagt wurde, aus der Unwissenheit des Versorgers, die Rechte der Energiekunden auf Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter Energieforderungen
beschränkend, eine Vertragsergänzung hervor zaubern können soll, um des Versorgers Erlössituation
zu retten, das überschreitet m.E. die Grenzen von §§ 313, 314 BGB.
RR-E-ft:
--- Zitat ---BGH VIII ZR 295/09 Rn. 25
Vorliegend wurde der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum von der Beklagten nicht (mehr) zu allgemeinen Tarifen, sondern zu dem als Sondertarif zu qualifizierenden Tarif E. beliefert. Dieser stand bei den von der Beklagten angebotenen Belieferungsalternativen in unübersehbarem Kontrast zu dem daneben angebotenen Tarif E. B. GAS, der genauso wie der Tarif E. GAS sämtliche in Betracht kommenden Verbrauchsmengen erfasste. Anders als der Tarif E. B. GAS wurde der Tarif E. GAS dabei aber zu den hierfür aufgestellten Bedingungen angeboten, die eine Geltung der AVBGasV nur insoweit vorsahen, als in ihnen nichts Abweichendes geregelt war. Allein schon hieraus ergab sich - wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat - für einen durchschnittlichen Abnehmer, dass die Beklagte die Belieferung zum Tarif E. GAS nicht mehr im Rahmen ihrer Allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht oder Grundversorgungspflicht vornehmen wollte, sondern im Rahmen ihrer allgemeinen Vertragsfreiheit (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 56/08, BGHZ 182, 41 Rn. 16, und VIII ZR 225/07, aaO Rn. 17).
--- Ende Zitat ---
--- Zitat ---BGH VIII ZR 295/09 Rn. 24
Ein Gasversorgungsunternehmen kann sich auf das gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBGasV in einen Tarifkundenvertrag automatisch einbezogene gesetzliche Preisänderungsrecht gemäß § 4 AVBGasV damit nicht unmittelbar stützen, wenn es mit dem Kunden aus dessen Sicht einen Sonderkundenvertrag zu Sondertarifen im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit und damit von vornherein außerhalb des sachlichen Geltungsbereichs der AVBGasV abgeschlossen hat. Ein Preisänderungsrecht nach § 4 AVBGasV besteht aber auch dann nicht, wenn das Versorgungsunternehmen - wie hier - dazu übergeht, einen Kunden, der bis dahin als Tarifkunde versorgt worden ist, aus dessen Sicht außerhalb der allgemeinen Tarifpreise unter Inanspruchnahme von Vertragsfreiheit zu Sonderpreisen zu versorgen. Denn ein Recht zur einseitigen Änderung von Preisen, die keine allgemeinen Tarifpreise sind, regelt § 4 AVBGasV nicht vgl. Morell, AVBGasV, Stand November 2003, E § 1 Abs. 1 Anm. g mwN).
--- Ende Zitat ---
--- Zitat ---BGH VIII ZR 295/09 Rn. 26
Die Beklagte kann das Preisänderungsrecht, das sie für die im streitgegenständlichen Zeitraum außerhalb des allgemeinen Tarifs erfolgte Belieferung mit Gas beansprucht, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht darauf stützen, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV in die von ihr anlässlich der Belieferung gestellten Bedingungen wirksam einbezogen worden seien.
--- Ende Zitat ---
Maßgeblich ist zunächst eine wirksame Einbeziehung gem. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB iVm. § 305 Abs. 2 BGB, was eine Aushändigung der entsprechenden Bedingungen vor Vertragsabschluss und das Einverständnis des Kunden mit der Einbeziehung bei Vertragsabschluss voraussetzt. Ein bloßer Hinweis auf die Geltung der Bestimmungen genügt nicht (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 29.05.08 Az. 19 U 52/08 = VuR 2009, 316; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.06.09 Az. VI – 2 U (Kart) 14/08; OLG Dresden, Urt. v. 26.01.10 Az. 14 U 983/08; OLG Oldenburg, Urt. v. 12.02.10 Az. 6 U 164/09; OLG Dresden, Urt. v. 13.07.10 Az. 9 U 93/10, juris).
Wenn Gasversorger gem. § 2 Abs. 3 AVBGasV bzw. § 2 Abs. 4 GasGVV gesetzlich verpflichtet sind, grundversorgten Tarifkunden rechtzeitig vor oder bei Vertragsabschluss ein Exemplar unaufgefordert auszuhändigen, so muss dies für die Einbeziehung entsprechender Bedingungen als AGB in einen Sondervertrag gem. § 305 Abs. 2 BGB erst recht gelten.
Ein bloßer Hinweis auf die AVBGasV/ GasGVV oder das Anerbieten zur Übersendung der selben in einem nach Vertragsabschluss übersandten Vertragsbestätigungsschreiben genügen dafür nicht (OLG Dresden, aaO.).
Preisneuvereinbarungen kamen bei nicht wirksam einbezogenen oder unwirksamen Preisänderungsklauseln insbesondere nicht durch die unwidersprochene Hinnahme von Preisänderungen und vorbehaltlose Zahlungen auf entsprechende Verbrauchsabrechnungen zustande (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.10 VIII ZR 246/08 Rn. 57 ff., BGH VIII ZR 199/04, juris).
Einseitige Preisänderungen nach Vertragsabschluss waren infolge des nicht wirksam vereinbarten Preisänderungsrechts per se unwirksam. Das Gas musste auch im streitgegenständlichen Zeitraum zu dem Sonderabkommen- Gaspreis geliefert werden, zu dem die Belieferung bereits zu Beginn der Belieferung auf vertraglicher Grundlage erfolgte, Überzahlungen unterliegen der Rückforderung (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 02.09.10 Az. U 1200/09 (Kart); OLG Hamm, Urt. v. 28.10.10 Az. I-2 U 60/10; OLG Frankfurt, Urt. v. 07.12.10 Az. 11 U 27/10; LG Köln, Urt. v. 07.10.10 Az. 8 O 302/09; LG Landau, Urt. v. 28.10.10 Az. HK O 9/09; LG Bonn, Urt. v. 03.11.10 Az. 5 S 3/10 und 5 S 218/09; LG Berlin, Urt. v. 05.11.10 Az. 56 S 63/10; LG Berlin, Urt. v. 29.12.10 Az. 6 O 323/09; LG Köln, Urt. v. 05.01.11 Az. 9 S 207/10; LG Hamburg, Urt. v. 18.02.11 Az. 320 S 129/10 und 320 S 82/10; LG Frankfurt/Oder, Urt. v. 22.02.11 Az. 6a S 30/10; LG Frankenthal, Urt. v. 09.03.11 Az. 2 S 257/10).
Navigation
[0] Themen-Index
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln