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Autor Thema: Prof. Rupert Scholz: Offenlegung versus Grundrechte?  (Gelesen 4690 mal)

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Offline RR-E-ft

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Prof. Rupert Scholz: Offenlegung versus Grundrechte?
« am: 21. September 2005, 20:15:17 »
\"Verfassungsrechtliche Bedenken\":

http://www.welt.de/data/2005/09/21/778471.html

Niemals wurde ein Versorger bisher dazu rechtskräftig verurteilt, seine Preiskalkulation offen zu legen.

Nur wer es nicht tat, hatte prozessual die entsprechenden Folgen zu tragen (OLG München, NJW-RR 1999, 421, LG Berlin, NJW-RR 2002, 992; Gaspreisurteil LG Mannheim v. 16.08.2004 - 24 O 41/04; KG Berlin, WM 2005, 257; Gaspreisurteil AG Karlsruhe v. 27.05.2005, Az. 1 C 262/04 ).


Zudem unterstellt der Kollege, es gäbe einen wirksamen, funktionierenden Wettbewerb, der bisher jedoch gar nicht existiert.

Sonst hätte das Bundeskartellamt wegen des fast wettbewerbsfreien Zustandes auf dem deutschen Erdgasmarkt nicht gerade alle Hände voll zu tun.

Nur in einem funktionierenden Wettbewerb können sich faire Preise über Angebot und Nachfrage herausbilden.

Erst dieser Zustand nennt sich dann \"Marktwirtschaft\" - ein Wort, welches im Grundgesetz gar nicht auftaucht, ohne dass ein Grundgesetzkommentator daran bisher Anstoß genommen hätte.


Die Offenelgung der Preiskalkulation von Monopolisten fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung seit über zwanzig Jahren, ohne dass deshalb je die verfassungsmäßige Ordnung auf dem Spiel gestanden hätte.

Es handelt sich vielmehr um langjährige, gefestigte Rechtsprechung.

Nicht nur das Eigentum der Gasversorger unterfällt dem Schutz des Art. 14 GG, sondern natürlich auch die Geldbörsen der Verbraucher und vor allem deren Inhalt.

Letztere vor Übervorteilung zu schützen, besteht ggf. sogar ein staatlicher Schutzauftrag:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/frames/rs20050726_1bvr008095

Mithin stellt sich das Problem, dass zwischen den divergierenden Interessen von verschiedenen Grundrechtsträgern abzuwägen ist.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits über die Offenlegung der Prämienberechnung von privaten Krankenversicherungen zu entscheiden, die ebenfalls unbetreitbar in einem Wettbewerb stehen.

Die Kalkulation musste auch dabei offen gelegt werden.

Hierzu war keine Änderung des Grundgesetzes erforderlich.


Im Übrigen ist gerade § 315 BGB eröffnet, um die Angemessenheit - selbst staatlich genehmigter - Preise zu kontrollieren:

http://www.bauriedl.de/kapitel3.html

Dann muss das für überhaupt  nicht  behördlich genehmigte Erdgaspreise, die lediglich einer kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht unterliegen ( allein weil die Anbieter Monopolisten sind oder eine marktbeherrschende Stellung inne haben !!!), erst recht gelten.

Die schrille Richterschelte lässt vielmehr eine gewisse Achtung von der verfassungsrechtlich verbrieften richterlichen Unabhängigkeit vermissen.

Gerade dieses Vertrauen auf eine unabhängige Justiz, vor der alle gleich sein sollen, gehört zur fundamentalen Ordnung, welche durch das Grundgesetz geschützt wird.


Die Einschätzung zum ausreichenden Schutz durch die Bestimmungen des GWB kann allein nur darauf zurückzuführen sein, dass da jemand die einschlägige Rechtsprechung des BGH wohl seit Jahren nicht ausreichend verfolgt hat.

Wie man mit den Vorschriften des BGB diejenigen des vollkommen anders einschlägigen GWB \"aushebeln\" sollte, mag das Geheimnis bleiben.

Zwischen Privatkunden und Unternehmen ist die Anwendung des GWB, welches grundsätzlich das Verhältnis zwischen Wettbewerbern oder marktbeherrschenden Unternehmen zur Kartellbehörde regelt, schon fraglich.

Der vollkommene Unterschied zwischen Kartellrecht und zivilrechtlicher Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB wurde seit Jahren immer wieder ganz deutlich von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgearbeitet (vgl. nur Fricke, WM 2005, 547, (548) mit vielen weiteren Nachweisen).


Solche aufgeregten Apelle geben also nur Anlass, sich über die schrillen Töne zu wundern.

Anscheinend hat sich da ggf. die Nervosität eines ganz bestimmten Klientels auf einen Kollegen übertragen, obschon die Juristerei für ihre Nüchternheit und professionelle Sachlichkeit bekannt sein sollte.




Freundliche Grüße
aus Jena


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Graf Koks

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Prof. Rupert Scholz: Offenlegung versus Grundrechte?
« Antwort #1 am: 22. September 2005, 10:42:40 »
Es ist ein Stück weit schlechter Journalismus und Bequemlichkeit teilweise sehr gebildeter und funktionstragender Menschen, wenn rechtliche Zusammenhänge falsch wiedergegeben werden. Wenn ich in den Nachrichten höre, ein Versorger sei \"zur Offenlegung seiner Kalkulation verurteilt worden\", dann ist das schlicht falsch. Niemand wird zu irgend etwas verurteilt ... der Versorger nicht zur Offenlegung, der Kunde nicht zur Zahlung des erhöhten Entgeltes. So einfach ist das.

Die Aufforderung, die Kalkulation offenzulegen, war / ist in Hamburg und Heilbronn ein richterlicher Hinweis nach § 139 Abs.1, 2 ZPO. Wenn Herr Rupert Scholz als gestandener Jurist diese Zusammenhänge nicht erkennt und die WELT es auch nicht besser weiss, dann haben sich da offensichtlich zwei gesucht und gefunden.  Hätte er daneben das Heilbronner Urteil gelesen - wozu er offenbar bislang nicht gekommen ist - dann wüsste er, dass aufgrund der derzeitigen Oligopolstellung der Gasversorgungsunternehmen ernsthafte Wettbewerbsnachteile aufgrund einer Offenlegung wohl nicht zu besorgen sind.

Auch im Wettbewerbsrecht offenbart der gute CSU- Mann profunde Kenntnisse, wenn er davon spricht, § 315 BGB würde das GWB \"aushebeln\". Eine These, für die gestandene Wettbewerbsrechtler gleich welcher Herkunft nur Kopfschütteln übrig haben, sieht man einmal vom Hause des BGW ab.

Bevor man dann nach höchtrichterlicher Klärung ruft, sollte man vielleicht mal schauen, ob das, worüber man spricht, nicht vielleicht bereits von MEHREREN ZIVILSENATEN DES BGH abschließend entschieden ist.

Fazit: Herr Scholz muss noch mal zurück ins Referendariat. So leid mir seine Kollegen jetzt tun ...


M.f.G. aus Berlin
Graf Koks

Offline RR-E-ft

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Prof. Rupert Scholz: Offenlegung versus Grundrechte?
« Antwort #2 am: 22. September 2005, 12:19:20 »
@Graf Koks

Soweit ich weiß, ist Herr Kollege Prof. Dr. Rupert Scholz Mitglied der CDU.
Er kommt nämlich aus Berlin.

Er saß lange im Bundestag, war Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und auch schon mal Bundesverteidigungsminister, zudem ist er GG-Kommentator im Maunz/ Dürig.

http://www.bundestag.de/mdb15/mdb14/bio/S/scholru0.html

http://www.jura.uni-muenchen.de/einrichtungen/ls/scholz/prof.htm

All dies sagt aber nichts darüber aus, dass sich einer mit der einschlägigen BGH- Rechtsprechung zum Energiewirtschaftsrecht befasst hätte. Sonst wäre er wohl vor \"Schnellschüssen\" gefeit.

Niemand würde erwarten, dass da einer auf die Schnelle die gesamte vorhandene Kommentierung zum Energiewirtschaftsrecht einschließlich GWB durcharbeitet, um sich fachlich fundiert äußern zu können.

Ich weiß nicht, ob beim BGW gestandene Wettbewerbsrechtler zu verorten wären. Es spricht wohl eher einiges dafür, dass man dort erst darauf angewiesen sein wird, überhaupt in einem Wettbewerb Erfahrungen zu sammeln.

So schreibt ein Sächsischer Regional- Gasversorger seinen Kunden aktuell:

\"Darüber hinaus hatten wir noch nie kalkulierte Preise, sondern Wettbewerbspreise.\"


Das ist zwar hinsichtlich der Preiskalkulation ehrlich, jedoch wenig hilfreich. Da mag man sich nun natürlich Gedanken machen, wenn die Gerichte die Offenlegung der Preiskalkulation verlangen und man öffentlich einräumt, man habe noch nie eine gehabt.

Das dachten wir uns ja immer schon....

Es stellt sich dann die Frage, wie man solche \"Wettbewerbspreise\" ermittelt - etwa im Vergleich zu den Brennstoffkosten mit Holzhackschnitzeln. Auch das muss sich ja irgendwie erklären lassen.

Es verwundert, wenn zwar nach einhelliger Meinung noch gar kein Wettbewerb besteht, jedoch schon \"Wettbewerbspreise\" vorhanden sein sollen.

Ersichtlich wird, dass es sich nicht um faire Marktpreise handeln kann, die sich aus einem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage durch zwei gleichstarke Verhandlungspartner herausbilden.

Vielmehr gibt es eine Marktvermachtung auf Seiten der Gasversorger, welche ihre Preise infolge einer Marktmacht diktieren können.

Dass es so ist, zeigt sich allein daran, dass sich die Kartellbehörden berufen fühlen, wenigstens einen kartellrechtswidrigen Preishöhenmissbrauch, der immer mit schlicht verbotenen Preisen zu tun hat, zu verhindern.

Wenn die Verbraucher mit § 315 BGB die Möglichkeit haben, sich gegen überhöhte Energiepreise noch effektiver zur Wehr zu setzen, wird dies wohl nicht zu Beschwerden der Kartellbehörden führen, weil man deren Instrumentarium \"aushebelt\".

Ganz im Gegenteil:

Das Bundeskartellamt ermutigt Verbraucher dazu, Fragen zu stellen.
Allenfalls vor Gericht hat man als Verbraucher die Chance, wirkliche Antworten auf solche Fragebn zu erhalten.

Es bleibt zu hoffen, dass Herr Kollege Prof. Dr. Scholz mit seinen, in diesen Fragen nicht eben nachvollziehbaren Äußerungen nicht auch noch dem juristischen Nachwuchs, der gerade an der Uni herangezogen wird, den Kopf verwirrt statt klare Methoden zu lehren, mit denen später sauber gearbeitet werden kann.

In das Referendariat kann niemand zurückgeschickt werden.

Zum einen bleibt der Abschluss eines zweiten juristischen Staatsexamens (Assessorexamen) immer erhalten, auch wenn man selbst - aus welchen Gründen auch immer - irgendwann vielleicht in Verwirrung verfallen sollte.

Zum anderen gibt es wohl für die Absolvierung eines Referendariats- zumindest bei gleichzeitiger Berufung in ein Beamtenverhältnis - aus guten Gründen auch eine Altersbeschränkung.

Da sollte sich einfach jemand noch einmal vertieft kundig machen, bevor er solche öffentlichen Stellungnahmen abgibt, die in einschlägigen Fachkreisen schlicht nicht nachvollzogen werden können, allenfalls für ein Schmunzeln sorgen.

Schließlich geht es auch immer um das eigene Renomme in Fachkreisen.
Die öffentliche Auseinandersetzung über die in Rede stehenden Fragen ist nun einmal etwas ganz anderes als eine schnittige Rede vor dem Bundestag.


Andererseits erscheint es auch gut möglich, dass ein Kollege von der Presse einfach nur falsch wiedergegeben wurde. Davor ist keiner sicher.

Dann ist es jedoch höchste Zeit, für eine entsprechende Klarstellung zu sorgen.

Zum Stand der Dinge siehe auch hier:

http://www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1109882
http://www.verivox.de/News/ArticleDetails.asp?aid=11300




Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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