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Autor Thema: Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!  (Gelesen 4705 mal)

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Offline tangocharly

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Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!
« am: 26. Oktober 2010, 17:35:44 »
Nun wird schon wieder \"eine neue Sau durch\'s Dorf getrieben\":

Behauptet das EVU, man habe in einem standardisierten Verfahren (??) an die Abnehmer \"Begrüßungspost\" verschickt und dabei ein Exemplar der AVB mitgegeben, dann werde der Zugang vermutet, wenn der Abnehmer schlicht den Zugang bestreitet (so AG Neu-Ulm).

Bei dieser Leseart müßte der Empfänger beweisen, dass er Nichts bekommen hat. Whow, das sitzt.

Wohl gemerkt, man befindet sich noch im Zivilrecht (Sondervertrag) und nicht im Verwaltungsprivatrecht (Grundversorgung).

Schaut man nach den verwaltungsrechtlichen Bekanntgabebestimmungen (§ 41 Abs. 2 VerwVerfG), dann könnte man auf die Idee kommen, dass ....

Zitat
Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.

Doch prüft man den Regelungsinhalt (Abs. 2 Satz 3) weiter, dann kommt man schon gar nicht auf die Idee, dass ...

Zitat
Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

.... der Empfänger auch nur irgend etwas beweisen, geschweige denn substantiiert bestreiten muß.

So und weil dies so ist, hat sich in der Vergangenheit das Bundessozialgericht -BSG- (26.07.2007, Az.: B 13 R 4/06 R) und kein geringeres Organ, als das Bundesverfassungsgericht, mit dieser Frage zu befassen gehabt.

Zitat
Tz 18     
Ob das Hinweisschreiben dem Kläger zugegangen ist, hat das LSG nicht festgestellt. Seiner Rechtsansicht folgend, hat es diesen Umstand für unerheblich gehalten. Soweit es darüber hinaus ausgeführt hat, \"nach den sog Regeln des Anscheinsbeweises (müsse) davon ausgegangen werden\", dass eine \"Zustellung\" des Schreibens erfolgt sei, weil bei der BfA kein Rücklauf zu verzeichnen sei, beruht diese Feststellung auf einem Rechtsirrtum. Die Rechtsprechung hat bereits geklärt, dass ohne eine nähere Regelung weder eine Vermutung für den Zugang eines mit einfachem Brief übersandten Schreibens besteht (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 15.5.1991 - 1 BvR 1441/90, NJW 1991, 2757; ebenso bereits Bundesfinanzhof vom 23.9.1966, BFHE 87, 203) noch insoweit die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66 unter Aufgabe früherer Rechtsprechung: S 73; Bundesgerichtshof vom 5.4.1978 - IV ZB 20/78, VersR 1978, 671; BGH vom 24.4.1996 - VIII ZR 150/95, NJW 1996, 2033, 2035 aE) .

Und das BSG geht noch weiter und postuliert noch klarer:

Zitat
Tz 19     
Auch wenn nach der Lebenserfahrung die weitaus größte Anzahl der abgesandten Briefe beim Empfänger ankommt, ist damit lediglich eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer Briefsendung gegeben. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten eines Geschehensablaufs in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere (BGH vom 27.5.1957, BGHZ 24, 308, 312) . Denn die volle Überzeugung des Gerichts vom Zugang lässt sich auf eine - wenn auch große - Wahrscheinlichkeit nicht gründen (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71)

Tz 20
In diesem Sinne aber bestehen schon dann \"Zweifel\", wenn der Adressat den Zugang - schlicht - bestreitet (BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71) . Im Ergebnis nichts anderes gilt jedoch in anderen Rechtsbereichen; auch im Zivilrecht zB hat der Erklärende (bzw jener, der sich hierauf beruft) den Zugang einer Erklärung zu beweisen (so zB zur Mängelanzeige nach § 377 Handelsgesetzbuch: BGH vom 13.5.1987, BGHZ 101, 49, 55; dort auch dazu, dass eine Mängel\"anzeige\" empfangsbedürftig ist)  

Tz 21     
Das LSG wird daher festzustellen haben, ob dem Kläger das Hinweisschreiben zugegangen ist. Eine Nichtaufklärbarkeit geht insoweit zu Lasten der Beklagten.

Tz 22     
Verlangt man, wovon die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung auszugehen scheint, vom Adressaten eines angeblich nicht eingetroffenen einfachen Briefes mehr als ein schlichtes Bestreiten, das Schreiben erhalten zu haben - etwa das substantiierte Vorbringen von Umständen, die ein Abweichen von der \"Erfahrung des täglichen Lebens\" rechtfertigen, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger erreicht (so zB Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 37 RdNr 13) , bedeutet dies eine Überspannung der an den Adressaten zu stellenden Anforderungen. Denn ihm ist im Regelfall schon aus logischen Gründen nicht möglich, näher darzulegen, ihm sei ein per einfachem Brief übersandtes Schreiben nicht zugegangen (zum Grundsatz \"negativa non sunt probanda\" s auch BFH vom 14.3.1989, BFHE 156, 66, 71 mwN; im Einzelnen hierzu: Hebeler, DÖV 2006, 112, 114 f) . Anders ist die Sachlage beim behaupteten verspäteten Zugang (hierzu zB BVerwG vom 24.4.1987 - 5 B 132/86) : Hier kann der Empfänger vortragen, wann genau und unter welchen Umständen er die Erklärung erhalten hat.
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Offline PLUS

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Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!
« Antwort #1 am: 26. Oktober 2010, 19:10:28 »
Das BVerfG ist in der Provinz weit weg. Es ist halt wie im Fussball bei einer Schiedsrichterentscheidung (mindestens unterhalb der 600 €-Grenze). Die Entscheidung gilt als unantastbar, auch wenn sie offenkundig noch so falsch ist. Selbst wenn im seltenen Fall eine falsche rote Karte vom Sportgericht aufgehoben wird, hatte die falsche Entscheidung Einfluss auf das restliche Spiel und gegebenenfalls auf die Tabelle. Im Extemfall ist der Ab- oder Aufstieg davon abhängig. Die Erfahrung zeigt, selbst wenn der Schiri bestochen wurde .....

Allerdings wird unqualifizierten Schiedsrichtern das Pfeifen in künftigen Spielen verboten. ;)

Offline opferlamm-ma

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Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!
« Antwort #2 am: 26. Oktober 2010, 19:22:43 »
Also wir machen hier bereits seit Jahren schon Folgendes:

Irrläufer die uns in unserem Briefkasten erreichen (also an einen anderen Empfänger adressiert sind)  werden (selbstverständlich nur die ungeöffneten Umschläge) fotokopiert und im Hängeregister \"Irrläufer\" abgehängt logischerweise nur die Kopien. Rest geht zur Post, oder wenn es ein Nachbar ist direkt zu ihm (Ohne von ihm unterzeichnetes separates Übergabe Protokoll . Ein weiterer evtl. benötigter Zeuge. Logischerweise notieren wir uns in diesem Fall Datum und Übergabe auf der Kopie des Umschlages.

Briefsendungen die einfach im Hausflur abgelegt bzw. hingeworfen werden, bei denen sich der Zusteller überhaupt nicht die Mühe machte diese in die einzelnen Briefkästen einzuwerfen  fassen wir NICHT an sondern fotografieren diese so wie sie auf dem Boden liegen und archivieren diese Fotos für evtl. spätere Zwecke.

Wir haben hier schon ca. 50 der entsprechenden Kopien bzw. Fotos.

Sollten wir zu einem späteren Zeitpunkt den \"NICHTZUGANG\" beweisen müssen ist ja im Prinzip schon ünmöglich , dann können wir diese \"Dokumente\" vorlegen.

Ausserdem notieren wir JEDE Eingangspost SOFORT in einem Posteingangsbuch.

Einschliesslich Zugang des Spiegel, der Tageszeitung, C\'t etc - AUCH WERBUNGSKATALOGE !!!

Mehr können wir u.E. bei späteren \"Eingangs\" oder \"Zugangsfiktionen nicht tun.
 Wir haben\'s noch nie benötigt ... aber, man weiss ja nie ...

Offline bolli

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Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!
« Antwort #3 am: 27. Oktober 2010, 17:47:53 »
@opferlamm-ma
Wenn sonst keine Beschäftigung da ist, ist das ne prima Aufgabe. Lobenswert!!!  ;)

Offline tangocharly

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Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!
« Antwort #4 am: 28. Oktober 2010, 10:36:44 »
Zitat
Original von bolli
@opferlamm-ma
Wenn sonst keine Beschäftigung da ist, ist das ne prima Aufgabe. Lobenswert!!!  ;)

Ich habe den Beitrag eher als sarkastisch gesehen.

Andrerseits soll es Richter geben, die (ein etwas anderer Sachverhalt) dem Empfänger einer Benachrichtigung über einen Zustellungsversuch per Zustellungsurkunde (z.B. § 132 Abs. 1 BGB) abverlangt haben, nach mehrtägiger Abwesenheit sämtlichen Müll in seinem Briefkasten (Werbung, Zeitschriften, Bananenschalen, etc.) zu durchsuchen (Blatt für Blatt), bevor dieser weggeworfen wird (Stichwort: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung).

Wohlgemerkt, hier geht es um ganz normale Briefsendungen, die Tag für Tag millionenfach in Briefkästen bundesdeutscher Haushaltungen eingeworfen werden.

Wie das Bundessozialgericht (und mit ihm der Bundesgerichtshof und ferner auch das Bundesverfassungsgericht) festgestellt hat (haben), kann man hierbei nur mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten.

Der Sicherheitsgrad einer Wahrscheinlichkeit genügt aber nicht für die sichere Überzeugen des Gerichts über den Vorgang einer Zustellung.

Und nach § 305 Abs. 2 BGB kommt es nicht nur auf die Zustellung an, d.h. schlichte Existenz im Herrschaftsbereich des Empfänger (also Einwurf in den Briefkasten), sondern konkret auf die Kenntnisnahme des Inhalts der Sendung.

Im Gegensatz hierzu steht die Wirksamkeit einer einseitigen rechtsgeschäftlichen Handlung (z.B. Anfechtung, Kündigung) gem. § 130 Abs. 1 BGB, wo es nur auf den Zugang (Empfangsbedürftigkeit) ankommt.

Wenn schon keine Vermutungen über den Zugang angestellt werden können, dann existiert schon erst recht kein Vermutungsrechtssatz für die Kenntnisnahme des Inhalts.
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Offline bolli

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Kenntnis AVB/GVV - Zugangsvermutung ?!
« Antwort #5 am: 28. Oktober 2010, 13:02:08 »
Zitat
Original von tangocharly
Zitat
Original von bolli
@opferlamm-ma
Wenn sonst keine Beschäftigung da ist, ist das ne prima Aufgabe. Lobenswert!!!  ;)

Ich habe den Beitrag eher als sarkastisch gesehen.
Ich auch, deswegen:  ;)

Zitat
Original von tangocharly
Andrerseits soll es Richter geben, die (ein etwas anderer Sachverhalt) dem Empfänger einer Benachrichtigung über einen Zustellungsversuch per Zustellungsurkunde (z.B. § 132 Abs. 1 BGB) abverlangt haben, nach mehrtägiger Abwesenheit sämtlichen Müll in seinem Briefkasten (Werbung, Zeitschriften, Bananenschalen, etc.) zu durchsuchen (Blatt für Blatt), bevor dieser weggeworfen wird (Stichwort: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung).

Wohlgemerkt, hier geht es um ganz normale Briefsendungen, die Tag für Tag millionenfach in Briefkästen bundesdeutscher Haushaltungen eingeworfen werden.

Hm, ist das ungewöhnlich? Werfen Sie nach einem Urlaub den Briefkasteninhalt unbesehen weg. Das ist mir aber wirklich etwas \"grob aussortiert\".

Wenn ich aus einem 14-tägigem Urlaub zurück komme, hab ich ca. 20-30 Minuten damit zu tun, tatsächlich \"Blatt für Blatt\" durchzusehen und Werbung von anderen Schreiben zu trennen und weitere 30 Minuten, um die kouvertierten Schreiben zu öffnen und zu lesen (zumindest meistens). Das finde ich jetzt nicht unbedingt unzumutbar. Die Sorge, dass da die Benachrichtigung über den Millionengewinn (woher auch immer) verloren gehen würde, wäre mir viel zu groß!  ;)

Das gilt aber natürlich nur für die Post, die mir meine beauftragte Person auch hingelegt hat. Geht eine solche Mitteilung, warum auch immer verloren, kann ich erstmal auch nichts wissen und bin auf dem Stand von demjenigen, der seinen Zettel in den Müll geschmissen hat.  :evil:

 

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