Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Berufung gegen Urteil AG nur möglich bei Streitwert über 600 Euro
hko:
Anfragen an die Fachleute:
Ich habe hier im Forum schon mehrmals gelesen, dass Versorger am AG wohl gerne Beträge unter 600 Euro einklagen, damit eine Berufung nicht möglich ist. Sie haben ja auch schon Erfolg damit gehabt, wenn Richter am AG sich über Gesetze und vor allem auch Urteile des BGH hinweggesetzt haben.
Nun zu meinen Fragen:
Wer legt den Streitwert fest? Der Kläger klagt aus taktischen Gründen nur einen geringen Teilbetrag ein, obwohl eigentlich ein wesentlich höherer Betrag strittig ist.
Hat der beklagte Verbraucher irgendeine Möglichkeit, in einem solchen Fall den Streitwert über den Grenzwert von 600 Euro zu bringen, damit dann am LG an der richtigen Kammer - hoffentlich - Recht gesprochen werden kann?
Gruß hko
ESG-Rebell:
--- Zitat ---Original von hko
Wer legt den Streitwert fest?
--- Ende Zitat ---
Anfänglich der Kläger. In seinem Mahnbescheid bzw. seiner Klageschrift schreibt er hinein, wieviel er verlangt.
Die von Ihnen geschilderte Salami-Taktik ist wohl nicht unüblich.
Gegenwehr: Eine Widerklage auf Feststellung erheben, dass der ebenfalls offene Rest nicht zu zahlen sei. Dies dürfte m.E. dazu führen, dass das Gericht den Streitwert entsprechend anhebt.
Womöglich könnte ein AG dann zu dem Schluss kommen, dass es nicht (mehr) zuständig ist, wenn der Streitwert einen Betrag von 5000 Euro überschreitet.
Diese Aussage sollte aber noch ein Anwalt kommentieren.
Gruss,
ESG-Rebell.
hko:
Hallo ESG-Rebell,
vielen Dank für die schnelle Antwort.
Gruß hko
RuRo:
@hko
Sollte das Urteil auf einem beachtlichen Fehler des AG beruhen, kann es wie hier weitergehen:
Nach Amtsgerichtsentscheidung muss nicht zwingend Schluss sein
Sollten mehrere Verbraucher mit Einzelstreitwerten von unter 600 EUR in einer Streitgenossenschaft verklagt worden sein, ist nach Auffassung bayer. Gerichte ein Urteil berufungsfähig, wenn sich z.B. zwei Beklagte finden, die in Summe ihrer Einzelstreitwerte die Berufungsgrenze reißen (Streitwert A = 220 EUR, Streitwert B = 400 EUR - A+B sind gemeinsam berufungsfähig).
Lothar Gutsche:
@ RuRo
Der Weg über eine Verfassungsbeschwerde ist sehr aufwendig und wenig erfolgversprechend. Zunächst muss gegen das Urteil des Amtsgerichts \"innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs\" eine Gehörsrüge nach § 321 a ZPO erhoben werden.
Wenn die Gehörsrüge nicht zum Erfolg führt, ist der Weg zum Verfassungsgericht eröffnet. Dort aber beträgt die Erfolgsquote im statistischen Durchschnitt magere 1 - 2 %. Selbst die besten Anwälte in der Szene, z. B. Professor Dr. Rüdiger Zuck und Dr. Michael Kleine-Cosack, schaffen trotz sorgfältiger Vorselektion der Fälle vermutlich kaum mehr als 10 % Erfolgsquote.
Die Kosten der Gehörsrüge und der Verfassungsbeschwerde dürften den Streitwert von unter 600 Euro schnell übersteigen, besonders dann, wenn sich die Anwälte nach Aufwand bezahlen lassen. Bei den geringen Streitwerten müssen die Anwälte das leider tun, damit sie durch zu viele arbeitsintensive Klein-Mandate Ihre Kanzlei nicht rasch in den Ruin führen.
Eine Alternative zum Amtsgericht besteht darin, das ganze Verfahren zu einer Kartellsache zu machen und damit über § 87 GWB die Zuständigkeit eines speziellen Landgerichts mit Kartellkammer zu erzwingen. Dazu müsste der beklagte Endkunde von Anfang an im Prozess gute Gründe vortragen, die z. B. eine verbotene Absprache nach § 1 GWB, einen Preismissbrauch nach § 19 GWB oder einen Verstoß gegen § 29 GWB begründen. Das ist ziemlich aufwendig, weil die Beweis- und Darlegungslast anders als beim reinen Billigkeitsprozess nicht beim Versorgungsunternehmen liegt, sondern beim Kunden, der den den Kartellverstoß behauptet. Ein Beispiel ist in meiner Auseinandersetzung mit den Stadtwerken Würzburg unter http://www.ra-bohl.de/html/strompreise.html dokumentiert. Dort empfehle ich besonders die Schriftsätze vom 18.2.2009 und 21.1.2010.
Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de
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