Ich erhielt heute folgendes Schreiben der WEMAG AG:
\"Gasbelieferung durch die WEMAG AG
Sehr geehrter Herr ...,
seit dem 01.07.2010 werden Sie mit unserem günstigen Produkt WEMAGAS beliefert.
Sollten Sie in den vergangenen Tagen ein Schreiben über eine mögliche Ersatzbelieferung durch die E.ON Hanse Vertrieb GmbH erhalten haben, betrachten Sie bitte dieses Schreiben als gegenstandslos. Sie haben das Schreiben der E.ON Hanse irrtümlich erhalten.
Uns liegt eine rechtlich verbindliche Bestätigung des Gasnetzbetreibers vor, dass Sie seit dem 01.07.2010 durch die WEMAG AG versorgt werden. Sie werden nicht durch die E.ON Hanse beliefert.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Ihre WEMAG AG\"
Hierzu passt m.E. auch Folgendes gut:
\"Prof. Dr. Kurt Markert Berlin, den 23. Juli 2010
Ilmenauer Str. 2 a
14193 Berlin
An die
Staatsanwaltschaft Hamburg
Gorch-Fock-Wall 15
20355 Hamburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
gegen die Geschäftsführer der E.ON Hanse Vertriebs GmbH, Kühnehöfe 1-5, 22761 Hamburg, erstatte ich hiermit
Strafanzeige
wegen Verdachts einer strafbaren Handlung in der Form des versuchten oder vollendeten Betrugs (§ 263 StGB).
I. Sachverhalt
Die E.ON Hanse Vertriebs GmbH (nachfolgend EHV) beliefert in Hamburg und Schleswig-Holstein die große Mehrzahl der sog. Sonderkunden (Heizgaskunden) mit Erdgas. In den nicht neuerdings bereits gekündigten Lieferverträgen ist folgende Preisanpassungsklausel enthalten: „HeinGas (die Rechtsvorgängerin der EHV) ist berechtigt, ihre Preise an die Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt anzupassen.“ Gestützt auf diese Klausel hat EHV seit 2004 ihre Lieferpreise mehrfach erhöht und den betroffenen Kunden entsprechende Rechnungen gestellt. Ein großer Teil dieser Kunden hat offenbar die so berechneten Rechnungsbeträge mit oder ohne Vorbehalt auch bezahlt, eine größere Zahl anderer Kunden dies aber ganz oder teilweise verweigert. Von diesen „Verweigerern“ macht EHV seit einiger Zeit flächendeckend die Nachzahlung geltend und hat bereits bei vielen Zivilgerichten in Hamburg und Schleswig-Holstein entsprechende Zahlungsklagen anhängig gemacht.
Soweit mir aus den ins Internet gestellten Informationen der Verbraucherzentrale Hamburg bekannt ist, sind bereits eine Reihe dieser Klagen in erster Instanz abgewiesen worden (z. B. Landgericht Hamburg vom 8.3.2010, 415 O 60/09; Amtsgericht Hamburg vom 24.2.2010, 17 A C 223/09; Amtsgericht Hamburg-Bergedorf vom 5.2.2010, 410 B C 82/09). Begründet wurde dies damit, dass die von EHV als Grundlage für die Preiserhöhungen herangezogene Preisanpassungsklausel nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist und deshalb die darauf gestützten einseitigen Preiserhöhungen nicht wirksam sind. Die fehlende Rechtswirksamkeit dieser Klausel hat auch das Landgericht Hamburg in einem Urteil vom 27.10.2009, 301 O 32/05, festgestellt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des zuständigen VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung von Preisanpassungsklauseln in Gassonderkundenverträgen nach § 307 BGB (Übersicht bei Markert, ZMR 2010, 344 Fußn.3, als Anlage beigefügt) kann es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass die genannte Klausel in den Gassonderkundenverträgen der EHV nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist und deshalb darauf gestützte Preiserhöhungen keine Rechtsgrundlage haben. Nach dieser Rechtsprechung sind Preisanpassungsklauseln in Gassonderkundenverträgen nur dann nach § 307 Abs. 1 BGB wirksam, wenn sie entweder das für die Grundversorgung geltende gesetzliche Preisanpassungsrecht nach § 5 Abs. 2 der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) unverändert in die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Vertrages übernehmen oder in den AGB Anlass, Voraussetzungen und Umfang der Ausübung des Preisbestimmungsrechts des Versorgers und seine Pflicht, dabei das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu wahren, konkret bezeichnet werden. Diese Anforderungen erfüllt die genannte Klausel der EHV zweifelsfrei nicht.
Unstreitig ist, dass § 5 Abs. 2 GasGVV oder die bis 2006 für die Tarifkundenversorgung geltende Vorläuferbestimmung des § 4 Abs. 1 und 2 der AVBGasV nicht unverändert in die AGB der EHV übernommen wurde, sondern für Preisanpassungen allein die oben dargestellte, nur auf die Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt abstellende Sonderregelung gilt. Diese erfüllt schon deshalb nicht die Transparenzanforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil unklar ist, was genau unter „Wärmemarkt“ zu verstehen ist und auf welche Preise (Einzelpreise? Durchschnitt aller Preise gewogen oder arithmetisch?) es im Einzelnen ankommen soll. Der BGH hat deshalb in einem die Berliner GASAG betreffenden Urteil vom 15.7.2009, VIII ZR 225/07, (auf der Internetseite des BGH abrufbar) eine Klausel als nach § 307 Abs.1 BGB unwirksam beurteilt, die das Recht zur Gaspreisanpassung lediglich an die Entwicklung der „an den internationalen Märkten notierten Ölpreise“ knüpfte. Ebenso hat der BGH in zwei Urteilen vom 24.3.2010, VIII ZR 158/08 und VIII ZR 304/08, die Anbindung dieses Rechts allein an die Entwicklung der Inlandspreise für leichtes Heizöl (HEL) als nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam angesehen. Es ist offensichtlich, dass im Lichte dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung die noch viel weniger transparente Anpassungsklausel der EHV einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht standhalten kann und deshalb unwirksam ist. Dies wird auch von den zahlreichen bisher gegen EHV ergangenen Instanzgerichtsurteilen bestätigt. Daraus folgt, dass die von EHV ihren Sonderkunden seit 2004 gestellten Jahresrechnungen insoweit unrechtmäßig sind, als sie die unwirksamen Erhöhungsbeträge einschließen.
II. Strafrechtliche Beurteilung
Nach den Grundsätzen des Beschlusses des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9.6.2009, 5 StR 394/08, als Anlage beigefügt, begründet der vorstehend dargelegte Sachverhalt den Verdacht eines versuchten oder vollendeten Betruges durch die Geschäftsführer der EHV als die hier verantwortlich Handelnden. Dieser Beschluss betrifft einen Sachverhalt, der mit dem meiner Anzeige zugrundeliegenden vergleichbar ist. Es ging um die Täuschungshandlung und Irrtumserregung dadurch, dass der Erbringer einer Dienstleistung (hier die BSR Berlin für Straßenreinigung) den Leistungsbeziehern ein rechtswidrig überhöhtes Entgelt in Rechnung stellte. Dies erfolgte in zwei Varianten: zunächst für die Tarifperiode 1999/2000 in der Weise, dass das für die BSR verantwortlich handelnde Vorstandsmitglied die erst später bemerkte Überhöhung nicht korrigieren ließ, und danach, indem er trotz Kenntnis der rechtswidrigen Tarifüberhöhung diese weiterhin den Rechnungen zugrunde legen ließ.
Der BGH hat dazu entschieden, dass eine Täuschung des Leistungsbeziehers i. S. des § 263 Abs. 1 StGB auch konkludent erfolgen kann, wenn der Täter die Unwahrheit seiner Aussage zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, sie aber nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt (Tz. 15). Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei den Rechnungsschreiben der BSR die (konkludent miterklärte) Aussage entnommen, dass die BSR-Tarife unter Beachtung der für die Tarifbestimmung geltenden Rechtsvorschriften ermittelt worden seien und mithin auf einer zutreffenden Bemessungsgrundlage beruhten. Der Leistungsempfänger habe praktisch keine Möglichkeit, die geltend gemachten Entgelte auf die Richtigkeit dieser Grundlage zu überprüfen. Dies wiederum präge seinen Empfängerhorizont. Dass die Leistungsempfänger damit rechnen dürfen, dass die Tarife nicht unrechtmäßig gebildet werden, erkläre der Rechnungssteller in seinem Rechnungsschreiben konkludent (Tz. 16). Insofern sei bei den Empfängern der Zahlungsaufforderungen ein Irrtum erregt worden, weil sie auf eine ordnungsgemäße Abrechnung vertrauten und in diesem Bewusstsein die Rechnungen der BSR als gesetzeskonforme Zahlungsaufforderung ansahen (Tz. 17). Der BGH hat ferner entschieden, dass eine Bereicherungsabsicht i. S. des § 263 Abs. 1 StGB auch dann vorliegen kann, wenn der Täter einem Dritten (hier der BSR) einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen will (Tz. 21). Schließlich ist vom BGH auch die vom Landgericht Berlin bejahte innere Tatseite des Täters als rechtsfehlerfrei festgestellt und die Verurteilung nach § 263 Abs. 1 StGB als rechtmäßig angesehen worden.
Wie oben unter I. dargelegt, steht jedenfalls nach den angeführten Urteilen des VIII. Zivilsenats des BGH vom 15.7.2009 und 24.3.2010 außer Zweifel, dass die von EHV seit 2004 vorgenommenen einseitigen Gaspreiserhöhungen für Sonderkunden auf eine nach § 307 Abs. 1 BGB rechtsunwirksame Preisanpassungsklausel gestützt wurden und deshalb unwirksam sind. Auch nachdem sich jedenfalls im Lichte dieser Urteile die fehlende Rechtmäßigkeit dieser Erhöhungen herausgestellt hat, hält EHV ihre in den Jahresabrechungen seit 2004 gestellten überhöhten Zahlungsforderungen weiterhin aufrecht und versucht sie sogar jetzt noch gegen Zahlungsverweigerer gerichtlich durchzusetzen. Gegenüber den übrigen Kunden, den Vollzahlern, die damit eine Vermögensverfügung zu ihrem Nachteil bereits getroffen haben, ist ihr diese Durchsetzung bereits gelungen.
Danach liegt hier nach den Grundsätzen des Beschlusses des 5. BGH-Strafsenats vom 9.6.2009 eine Täuschungshandlung der für EHV verantwortlich handelnden Geschäftsführer in der Form der ersten Handlungsvariante des BSR-Falles vor, wenn man davon ausgeht, dass diese Personen jedenfalls vomZeitpunkt des Bekanntwerdens der angeführten BGH-Urteile vom 15.7.2009 und vom 24.3.2010 zweifelsfrei Kenntnis von der fehlenden Rechtsgrundlage für die Preiserhöhungen ab 2004 erlangt hatten. Jedenfalls von diesem Zeitpunkt ab wurden die betroffenen Gaskunden (nach Angaben der Verbraucherzentrale Hamburg ca. 400.000) durch die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Entgeltforderungen in den Schlussrechnungen ab 2004 über deren Rechtmäßigkeit vorsätzlich getäuscht. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 263 Abs. 1 StGB liegen nach den Grundsätzen des BGH-Beschlusses vom 9.6.2009 hier vor.
Ich bitte Sie deshalb, in dieser Sache unter den vorstehend dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das öffentliche Interesse daran ist angesichts von ca. 400.000 betroffenen Gaskunden mindestens ebenso groß wie in dem von der Staatsanwaltschaft Berlin aufgegriffenen und mit einer rechtskräftigen Verurteilung nach § 263 Abs. 1 StGB abgeschlossenen BSR-Fall.
Mit freundlichen Grüßen\"