Amtsgericht Luckenwalde,
Geschäftszeichen12 C 807/09
verkündet am 20.05.2010
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
der Städtische Betriebswerke Luckenwalde GmbH, Geschäftsführer Christian Buddeweg, Kirchhofsweg 6, 14943 Luckenwalde,
— Kläger —
gegen
— Beklagter —
hat das Amtsgericht Luckenwalde
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2010 durch den Richter D.
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin macht offene Forderungen aus Gaslieferungen für den Lieferzeitraum vom 10.11.2005 bis zum 31.12.2007 geltend.
Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen und beliefert im Netzgebiet der Stadt Luckenwalde Letztverbraucher mit Strom und Gas. Sie ist im Netzgebiet des Beklagten Grundversorger. Die Tarife der Grundversorgung der Klägerin waren bis zu einer Tarifumstellung zum 01.01.2008 nach Verbrauchsstufen gestaffelt und setzten sich aus einem verbrauchsunabhängigen Grundpreis und einem verbrauchsabhängigen Arbeitspreis zusammen. Je nach Verbrauchshöhe galten bis zum 01.01.2008 folgende jeweils auch veröffentlichte Tarifstufen:
Energieverbrauch pro Jahr abgerechnete Tarifstufe
0 bis 3.003 kWh Kleinverbrauch K
3.004 kWh bis 17.042 kWh Grundpreis G
17.043 kWh bis 61.360 kWh Sonderpreis S1
61.361 kWh bis 102.259 kWh Sonderpreis S2
mehr als 102.259 kWh Mindestpreis
Von Seiten des Beklagten wurde eine Anmeldung für Strom- und Erdgaskunden am 01.07.2003 an die Klägerin gesandt; darin war von einem geschätzten Jahresverbrauch von 16.500 kWh und einem monatlichen Abschlag in Höhe von 100,00 £ ab dem 01.07.2003 die Rede. Seitens der Klägerin wurde eine Vertragsbestätigung vom 10. Juli 2003 an den Beklagten gesandt. Wegen der Einzelheiten der Erklärungen wird auf die Anlagen K1 und K2 zur Klageschrift Bezug genommen (Bl. 13 — 15 d. A.).
In der Vertragsbestätigung heißt es u. a., der Beklagte habe sich für das „Gasprodukt Erdgas Bestabrechnung\" entschieden.
Im streitigen Zeitraum nahm die Klägerin Preiserhöhungen vor, deren Zahlungen der Beklagte verweigerte. Die Klägerin macht in ihrer Klage die Differenzbeträge geltend.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei gemäß § 4 Abs. 2 AVBGasV auch zur Vornahme von Preisanpassungen berechtigt gewesen. Der vorliegende Energieliefervertrag sei weder schriftlich noch mündlich abgeschlossen, sondern lediglich durch die faktische Gasentnahme des Beklagten zustande gekommen. Durch die faktische Gasentnahme könne jedoch niemals ein Sondervertrag, sondern immer nur ein Grundversorgungsvertrag zu allgemeinen Tarifen abgeschlossen werden. Das am Hausanschluss eines jeden Künden einseitig und ohne weiteres Zutun des Energieversorgers entnehmbare Erdgas stelle ein Angebot des Grundversorgers zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages nach den zuvor veröffentlichten allgemeinen Tarifen dar. Selbst wenn ein Energieversorgungsunternehmen tatsächlich einmal ausdrücklich Bedingungen eines Sondervertrages öffentlich bekanntgeben möchte, könne aus einer nachfolgenden schlichten Gasentnahme des Kunden allein noch kein Sondervertrag entstehen. Ein Sondervertrag mit Haushaltskunden könne durch „schweigende\" Energieabnahme des Kunden daher nicht entstehen. Auch die sogenannte Bestabrechnung stehe dem nicht entgegen. Die Klägerin könne auch mehrere allgemeine Tarife nebeneinander anbieten. Wenn nur etwa der Tarif „G\", aber nicht der Tarif „S 1\" ein veröffentlichter allgemeiner Tarif wäre, hätte der Beklagte folgerichtig zu den Preisen des Tarifes „G\" abgerechnet werden müssen. Würde ein Tarifkunde aber irrtümlich zu einem falschen Tarif abgerechnet, könne dies keine Auswirkungen auf die grundlegende Einordnung des Vertragsverhältnisses selbst haben.
Die Billigkeit der Preisanpassungen sei durch das von ihr vorgelegte Wirtschaftsprüfertestat der WIBERA Wirtschaftsberatung AG vom 21. Januar 2008 hinreichend belegt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 854,13 E nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 366,65 E ab dem 12.12.2006, aus 487,84 E ab dem 16.04.2008 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, es handele sich nicht um einen Tarifkunden-, sondern um einen Sonderkundenvertrag. Diese Fragestellung sei danach zu beurteilen, ob das Versorgungsunternehmen mit dem fraglichen Vertragstyp seiner Versorgungspflicht nach § 36 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) nachkomme oder ob es den fraglichen Tarif unabhängig von seiner gesetzlichen Verpflichtung — aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit — anbiete. Entsprechend sei nur der jeweils „allgemeinste\" Tarif ein Grundversorgungstarif in diesem Sinne. Bei den Tarifen „S I\" und „S2\" handele es sich — wie schon der Name nahelege — um Sonderverträge mit Haushaltskunden im Sinne des § 41 EnWG. Diese seien Kunden mit einer höheren jährlichen Abnahmemenge vorbehalten und auf diese zugeschnitten.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2010 sowie die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den gesamten Akteninhalt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin stehen im Hinblick auf die Preiserhöhungen nicht die §§ 433 Abs. 2, 453 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 2, 4 Abs. 2 AVBGasV zur Seite. Die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen gegenüber dem Beklagten sind unwirksam. Sie können weder unmittelbar auf § 4 Abs. 2 AVBGasV noch auf Allgemeine Geschäftsbedingungen noch auf ergänzende Vertragsauslegung gestützt werden (vgl. insbesondere OLG Düsseldorf, 2. Kartellsenat, Urteil vom 24.06.2009, Rn 22 ff.).
Die AVBGasV ist nicht als Rechtsvorschrift auf den Gasversorgungsvertrag der Parteien anzuwenden. Der Kläger ist kein Tarifkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 AVBGasV.
Die Abgrenzung, ob es sich um einen sogenannten Tarifkunden oder einen Sondervertragskunden handelt, hat nach generellen, objektiven Kriterien stattzufinden. Es geht darum, ob der Energieversorger die Versorgung aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen einer Versorgungspflicht gemäß § 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 36 Abs.
1 EnWG 2005 oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet (vgl. BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 15.07.2009, Az.: VIII ZR 225/07).
Dabei kann die Einordnung nicht der Disposition des Energieversorgers allein obliegen. Auch die Tatsache, dass standardisierte und veröffentlichte Tarife zugrunde lagen, kann nicht zur Einordnung als Tarifkundenvertrag herangezogen werden. Vielmehr ist eine Versorgung nach dem „allgemeinsten Tarif\" als Tarifkundenvertrag anzusehen; alle über den Grundtarif hinausgehenden Tarife sind als Sondertarife anzusehen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).
Darauf deutet schon die Vorschrift des § 10 EnWG 1998, § 38 EnWG 2005 hin. Danach trifft den Grundversorger die Pflicht, alle Interessierten bis zur Grenze der Unzumutbarkeit anzuschließen. Der für die Grundversorgung maßgebliche Tarif muss daher auch diesen Fallkonstellationen Rechnung tragen und daher — im Verhältnis zu anderen Tarifen — besondere hoch kalkuliert sein. (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).
Soweit in § 10 EnWG 1998, § 36 EnWG 2005 im Plural von Tarifen bzw. Preisen die Rede ist, bezieht sich dies auf die Möglichkeit unterschiedlicher Preise und Tarife in unterschiedlichen Gebieten.
Im Übrigen ist auch nicht zu erkennen, nach welchen objektiven Kriterien eine Abgrenzung zwischen Tarif- und Sonderkundenvertrag durchgeführt werden kann, anders als danach, ob der Kunden zu den „allgemeinsten\" oder zu besonderen Tarifen versorgt wird. Mit Rücksicht darauf kann eine objektive, willkürfreie Abgrenzung nur dahin gehend möglich sein, dass alle über den Grundtarif hinausgehenden Tarife als Sondertarife anzusehen sind (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).
Dafür spricht auch noch, dass der Grundgedanke in § 10 EnWG 1998, § 36 EnWG 2005 eine Versorgung von Jedermann ohne Ansehung der Person bis zur Grenze der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit für den Versorger zu einem entsprechend kalkulierten Tarif sicherzustellen. Der Tarif muss schon wegen der Verpflichtung zur Versorgung in wirtschaftlich ungünstigen aber noch nicht unzumutbaren Fällen teurer als notwendig kalkuliert sein. Tarifkunden sind daher diejenigen Abnehmer, die zu diesem Tarif versorgt werden. Die Veröffentlichung weiterer Tarifangebote oder gar die Genehmigung solcher Tarife beruht nicht auf Pflicht, sondern auf berechtigtem wirtschaftlichen Interesse des Versorgers an der Kundengewinnung. Der Versorger kann sie anbieten, muss es aber nicht. Für eine Pflicht, mehrere etwa nach typisierten Abgabemengen gestaffelte Tarife anzubieten, gibt es in § 10 EnWG, § 36 EnWG 2005 keine Grundlage. Es ist nicht Sinn der Regelung, Tarifvielfalt herbeizuführen. Diese ist vielmehr eine Reaktion der Versorger auf die Konkurrenzsituation am Markt (vgl. Kammergericht Berlin, 21. Zivilsenat, Urteil vom 28.10.2008, Az.: 21 U 160/06).
Selbst wenn der Vertrag durch faktische Gasentnahme zustande gekommen sein sollte, ist der Kläger damit nicht automatisch als Tarifkunde einzuordnen. Jedenfalls ist ein etwaiger Tarifkundenvertrag durch die Vertragsbestätigung vom 10. Juli 2003 als Antwort auf die Anmeldung vom 01.07.2003 und dessen stillschweigende Annahme durch die Klägerin im Wege der jahrelangen unwidersprochenen Praktizierung in ein Sonderkundenverhältnis umgewandelt worden.
Unstreitig ist die gegenüber dem Beklagten auf Basis des sogenannten Bestpreises entsprechend der Tarifstufe Sonderpreises „S\" abgerechnet worden (vgl. dazu OLG Düsseldorf a.a.O., Rn 37).
Die AVBGasV und damit auch deren § 4 Abs. 2 sind nicht als Allgemeine Geschäftsbedingungen Bestandteil des Sondervertrages geworden. Mangels Sondervorschriften konnte eine Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen lediglich unter den Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB erfolgen. Das bedeutet, dass die Klägerin bei Vertragsschluss auf die Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen hinzuweisen sowie dem Beklagten die Möglichkeit zu verschaffen hatte, in Zumutbarerweise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.Jedenfalls Letzteres war nicht der Fall. Die Klägerin hat dem Beklagten nicht die zumutbare Möglichkeit verschafft, von dem Inhalt der AVBGasV als Allgemeine Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen. Das bloße Anerbieten einer Zusendung reicht nicht aus, und zwar auch dann nicht, wenn die Bedingungen anderweit der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).
Schließlich ist auch eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass der Klägerin dennoch ein Preiserhöhungsrecht zustehe, nicht möglich (vgl. BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 17.12.2008, Az.: 8 ZR 274/06; OLG Düsseldorf a.a.O.).
Die Klägerin hätte den Vertrag jederzeit unter Berücksichtigung angemessener Kündigungsfristen kündigen, können. Mit Rücksicht darauf liegt keine zu schließende Vertragslücke vor.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: 854,13 €