Energiepreis-Protest > EWE
Der VIII. Zivilsenat, der EuGH oder doch der Große Senat für Zivilsachen des BGH
RR-E-ft:
Zur Überlagerung siehe BGH, Urt. v. 29.04.2010 Xa ZR 101/09 Rn. 33
--- Zitat ---Die Beantwortung der vorgenannten Rechtsfragen erfordert - entgegen der Revisionserwiderung - keine vorherige Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen setzt lediglich von den Mitgliedstaaten einzuhaltende Mindeststandards. Art. 8 dieser Richtlinie erlaubt dem nationalen Recht eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle. Selbst wenn die beanstandeten Klauseln nicht auch gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG als missbräuchlich anzusehen wären, stünde dies einer Unwirksamkeit gemäß § 307 BGB nicht entgegen.
--- Ende Zitat ---
Anders verhält es sich, wenn das nationale Gericht eine Klausel, die nach Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen wegen Verstoß gegen Mindeststandards unwirksam sein kann, für wirksam erachtet. Dann bedarf es einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.
Jagni:
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
6.
Der achte Zivilsenat begründet seine Rechtsauffassungen, die er obiter dicta äußerte, damit, dass sich entsprechendes aus § 310 Abs. 2 BGB ergäbe.
Bei genauer Betrachtung räumt jedoch § 310 Abs. 2 BGB den Versorgungsunternehmen gar keine Privilegierung bei der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB und somit bei der Beachtung des Transparenzgebotes ein, wie sich aus der Rechtsprechung des Senats selbst ergibt:
BGH, Urt. v. 15.07.2009 VIII ZR 56/08 Rn. 17, juris:
Bei (Sonder-)Verträgen der Gasversorgung findet zwar gemäß § 310 Abs. 2 BGB eine Inhaltskontrolle nach §§ 308 und 309 BGB nicht statt, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit Gas (AVBGasV) abweichen, an deren Stelle die Gasgrundversorgungsverordnung getreten ist.
Die beanstandete Preisanpassungsklausel unterliegt aber als Preisnebenabrede (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05, WM 2005, 2335, unter II 1 m.w.N.) in jedem Fall der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB (BGHZ 138, 118, 123 zu den Vorgängerregelungen in § 23 Abs. 2 Nr. 2 und § 9 AGBG).
--- Ende Zitat ---
I
Bei erster Betrachtung mag die Aussage, dass sich aus § 310 Abs. 2 BGB keine Privilegierung der Versorger hinsichtlich der Inhaltskontrolle ergibt, richtig sein, weil die Inhaltskontrolle nach Rn. 17, Satz 2 gar nicht wegfällt, sondern weiterhin funktioniert, und zwar in jedem Fall. So denke ich, soll der Gedanke verstanden werden. Die Versorgungsunternehmen haben also nicht das Privileg, von der Inhaltskontrolle befreit zu sein.
Beim zweiten Anlauf komme ich jedoch zur folgenden Beurteilung:
Wenn der BGH in seiner Rn. 17, Satz 2 sagt, dass „Die beanstandete Preisanpassungsklausel.... als Preisnebenabrede.... in jedem Fall der Inhaltskontrolle ....“ unterliegt, dann meint er damit sicherlich auch nur die „beanstandete“ Klausel, die er letztendlich in seinem Urteil auch verwirft. Das sagt aber nichts darüber aus, ob die Inhaltskontrolle bei der Klausel, die er als Rechtsvorschrift per obiter dicta implementieren lässt, weiter Bestand hat. M.E. ist dieses Implantat kontrollfrei. Die Versorger sind also doch privilegiert.
II
Der Wegfall der Inhaltskontrolle ist nach meiner Einschätzung nicht der wesentliche Inhalt der Rechtsauffassung, die sich aus der kritisierten Entscheidung des BGH ergibt. Vielmehr dürfte der in der Implementierung einer Rechtsvorschrift zu sehen sein, die aus der AVBGasV/GasGVV herübergeholt wird. Diese Implementierung ist es, die so gewaltig stört. Soll der Fortbestand der Inhaltskontrolle gesichert werden, dann würde ich zunächst den Vorgang der Implementierung in Frage stellen – also untersuchen. Und dazu nehme ich jetzt folgenden Anlauf:
Der § 310 Abs 2 BGB hebt nur die Klauselverbote für Energieversorgungsverträge auf. Er lässt also Ausnahmen zu, z.B. dass eine Vorbehaltsklausel in den AGB Verwendung finden kann. Er sagt aber nichts darüber aus, welchen Rechtscharakter ein solcher Änderungsvorbehalt haben soll.
Bei erster Betrachtung scheint es somit möglich zu sein, einen Änderungsvorbehalt zu wählen, der den Charakter einer normalen Preisänderungsklausel hat, oder, der eine zwingende Rechtsvorschrift darstellt, die einfach nur noch zu implementieren ist.
Der BGH hat sich für letzteres entschieden. Und deswegen scheint mir das auch der wesentliche Gehalt der Entscheidung per obiter dicta zu sein. Es ist der Gedanke von der Implementierung einer Rechtsvorschrift mit ihrem ganzen Schweif an Rechtsfolgen.
Damit nimmt die Privilegierung der Versorger ihren Lauf. Dass dabei auch gleichzeitig die Inhaltskontrolle untergeht, ist die Rechtsfolge aus dem sich anknüpfenden § 307 Abs 3, Satz 1. Denknotwendig, das muss ich nun auch einmal sagen, muss sie bei einer solchen Konstruktion auch untergehen, denn was würde es für einen Sinn machen, eine implementierte, mit dem Segen des Verordnungsgebers ausgestattete Rechtsvorschrift mit der Inhaltskontrolle aus einer anderen Rechtsvorschrift zu überprüfen. Der Transparenzmangel ist jetzt kein Thema mehr.
III
Wie begründet der BGH seine Konstruktion?
Zur Begründung nutzt er den Willen des Gesetzgebers, dass hinter der aus § 23 Abs. 2 Nr.3 AGBG in den § 310 Abs. 2 BGB übernommenen Ausnahme der Gedanke steht, dass Sonderabnehmer keines stärkeren Schutzes bedürfen als Tarifabnehmer, so dass es den Versorgungsunternehmen frei stehen muss, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Sonderabnehmern entsprechend den AVBGasV/GasGVV auszugestalten. So kann man den Willen des Gesetzgebers in der BT.-Drs. 14/6040, S 160 nachlesen.
Im Rahmen der so eingeräumten Gestaltungsfreiheit für die Versorger kann es aber nur darum gehen, auch in Sonderverträgen ein einseitiges Preisgestaltungsrecht zu installieren. Das ist es, was der Gesetzgeber meint, wenn er sagt, dass die Sonderabnehmer keines besseren Schutzes bedürfen als Tarifabnehmer. Es geht dabei um eine Parallelgestaltung. Die soll der Versorger selbst im Rahmen der Vertragsfreiheit herbeiführen. Das wird ihm auch gelingen, wenn er dazu bereit ist, eine Preisanpassungsklausel zu gestalten, die der Inhaltskontrolle standhält.
Auch der nächste in die Betrachtung drängende Gedanke, nämlich der der Liberalisierung, treibt dieses Bedürfnis nach einer Parallelgestaltung. Das Bedürfnis ist allerdings nicht neu, es besteht „weiterhin“ und nur deswegen hat schon der Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vorgesehen, dass die Ausnahmeregelung im § 310 Abs 2 BGB beibehalten werden soll. Daraus ist aber nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung vor dem Liberalisierungshintergrund neue Rechtsfolgen herleiten will, die letztlich den Wegfall der Inhaltkontrolle bei Preisanpassungsklauseln bewirken.
Das Bedürfnis nach Parallelgestaltung besteht insbesondere deswegen, weil die Versorger in beiden Vertragssystemen ein berechtigtes Interesse haben, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an die Kunden weiterzugeben, ohne die Verträge kündigen zu müssen. Wäre diese Möglichkeit der Parallelgestaltung nicht gegeben, dann könnten die Versorger ihre Kostensteigerungen nur bei Tarifabnehmern unterbringen. Die Sonderabnehmer hätten somit einen stärkeren Schutz, wären besser gestellt, als Tarifkunden. Das sind sie aber nicht, dank wirksamer Parallelgestaltung.
Die Begründung des BGH für seinen Implementierungsgedanken geht letztlich ins Leere. Sie basiert zwar anfangs auf dem Willen des Gesetzgebers, übersteigt dann aber dessen Intention. Der BGH verneint einen stärkeren Schutz der Sonderabnehmer deutlich umfassender als der Gesetzgeber, er verneint ihn so sehr, dass er sogar vor einer Beseitigung der Inhaltskontrolle bei den Preisklauseln der Sonderabnehmer nicht zurückschreckt.
Der Gesetzgeber zielt dagegen mit seiner Vorstellung von einer Parallelgestaltung keineswegs auf den Untergang der Klauselkontrolle, weil er damit u.a. in eine mächtige Kollision mit dem EU-Recht geraten würde, und in so etwas gerät man eigentlich nur, wenn man sich vergaloppiert.
Ob der BGH so weit über die Vorgaben des Gesetzgebers hinausschießen darf, um geltendes Recht auszulegen, ist zumindest fraglich. Fraglich ist vor allem, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel er diese Attacke geritten hat.
Um aber auch noch die Eingangsfrage zu beantworten: M.E sind es eindeutig die Versorger, die per obiter dicta privilegiert wurden.
Gruß
Jagni
RR-E-ft:
Bei den Bestimmungen der Grundversorgungsverordnungen handelt es sich um kein dispositives Recht und deshalb um keine gesetzlichen Regelungen im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB. Sonst würde es des § 310 Abs. 2 BGB nicht bedürfen. Letzterer privilegiert schon seinem Wortlaut nach nur die Inhaltskontrolle in Bezug auf §§ 308, 309 BGB, nicht jedoch in Bezug auf § 307 BGB.
Jagni:
Wenn in Frage gestellt wird, dass das gesetzliche Preisänderungsrecht überhaupt in einen unter dem Dach der Privatautonomie nach den Regeln der Vertragsfreiheit gestalteten Sondervertrag eingepflanzt werden kann, dann ist der aufgezeigte Weg sicher ein Ansatz.
Allerdings erscheint er mit sehr filigran.
Der § 307 Abs 3 geht zunächst ganz allgemein von Rechtsvorschriften aus. Der Gedanke, die Rechtsvorschriften nun aufzuspalten in dispositives und zwingendes Recht (Verordnungsrecht) ist bestechend bis verwegen. Die Fortführung des Gedankens führt nämlich dazu, dass in AGB, die sich auf die Verträge der Sonderabnehmer beziehen, niemals zwingendes Recht verwendet werden kann, um eine wirksame Klausel zu begründen.
Ist dieser Denkansatz aber auch gefestigt und belastbar?
Offenbar wird davon ausgegangen, dass es bei zwingendem Recht nicht zu davon abweichenden Regelungen kommen kann und nur bei abweichenden Regelungen lässt § 307 Abs 3 BGB die Anwendung von Abs 1 und 2 gelten. Vor diesem Hintergrund wäre dann auch eine Rechtsvorschrift aus einer Verordnung keine Regelung im Sinne von § 307.
Dem steht nun die neue Rechtsetzung des VIII. Senats entgegen, Er bestimmt einfach, wohl Kraft der ihm zufallenden Kompetenz, dass auch zwingendes Recht, also eine Rechtsvorschrift aus einer Verordnung, „unverändert“ einbezogen werden kann. Damit setzt er Recht.
Mit dieser Gegensätzlichkeit ist jetzt umzugehen.
Gruß
Jagni
tangocharly:
Diese Problematik ist doch recht einfach einzuordnen:
(1) Da die GVV\'s für Sonderabnehmer nicht gelten, stellen sie keine Rechtsvorschriften dar i.S.v. § 307 Abs. 3 S.1 BGB, von denen eine Abweichung die Ampel auf Rot stellt.
(2) Erst wenn die GVV in den Sondervertrag implementiert wird, dann kreiert der Versorger \"Bedingungen, die unter § 310 Abs. 2 BGB fallen können (was aber erst dann wieder die Ampel auf Rot stellt, wenn weiteres Bedingungswerk gestellt wird und dies unter den Anwendungsbereich fällt).
(3) Immerhin gibt es aber auch noch einen § 307 Abs. 3 S. 2 BGB - und dort ist der Wurfanker für die Transparenzkontrolle (Leitbild hin und Leitbild her).
(4) Dass die GVV\'s nicht einfach so mal in der Klauselkontrolle Bedeutung haben zeigt auch § 310 Abs. 4 S. 3 BGB: was zur Leitlinie werden soll, bestimmt der Gesetzgeber und nicht der BGH.
Nota bene: Wenn und weil die Problematik bei § 307 Abs. 3 BGB angesiedelt bleibt, kann sich weder die Judikative noch die Legislative über das Gebot von Transparenz und Rechtsklarheit hinweg setzen; erst recht nicht, wenn das Gemeinschaftsrecht auch noch zwingende Forderungen in dieser Richtung aufgestellt hat.
Und wer immer noch nicht erkannt hat, dass die Regelungen in § 36 EnWG und § 5 GasGVV nichts anderes als Wischi-Waschi-Regelungen sind, der tut mir halt einfach leid.
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