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Autor Thema: BGH, Urt. v. 21.04.10 VIII ZR 97/09 - Schutz- und Rücksichtnahmepflicht bei Leistungsbestimmung  (Gelesen 4135 mal)

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Offline RR-E-ft

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PM des BGH

Zitat
In dem Vertragsverhältnis der Parteien bestehen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten. Aus diesen folgt ein Anspruch auf erneute Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts...

Dies dürfte auch überall dort gelten, wo den Versorgungsunternehmen einseitige Leistungsbestimmungsrechte zufallen, etwa bei den Allgemeinen Preisen der Grund- und Ersatzversorgung.

Offline RR-E-ft

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Urteilstext veröffentlicht

Zitat
BGH VIII ZR 97/09 Rn. 17

aa) Die in der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang erfolgte
Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats zur gerichtlichen Billigkeitskontrolle bei einseitigen Tariferhöhungen eines Gasversorgers (BGHZ 172, 315, Tz. 36; 178, 362, Tz. 16) verfängt hier nicht.

Anders als die Revisionserwiderung meint, folgt aus der zunächst unbeanstandet gebliebenen Ausübung des in § 18 Abs. 2 Satz 2 und 4 AVBWasserV vorgesehenen Bestimmungsrechts nicht, dass sich die Parteien auf den vom Wasserversorgungsunternehmen angebrachten Wasserzähler vertraglich geeinigt haben mit der Folge, dass diese Vereinbarung künftig nur nach den für eine Vertragsänderung geltenden
Grundsätzen geändert werden könnte.

Mit der Bestimmung des einzubauenden Wasserzählers durch das Wasserversorgungsunternehmen wird lediglich konkretisiert, mittels welcher Messeinrichtung dieses seinen Pflichten gemäß § 18 Abs. 1 und 2 AVBWasserV nachkommen wird, eine einwandfreie Messung der verbrauchten Wassermenge zu gewährleisten (Abs. 2 Satz 1) und hierzu eine näher zu bestimmende Messeinrichtung (Abs. 2 Satz 2) zu liefern, anzubringen, zu überwachen und zu unterhalten (Abs. 2 Satz 3).

Bei genauer Betrachtung:

Eine unbeanstandete Ausübung des Änderungsrechts des Allgemeinen Preises der Grund- und Ersatzversorgung gem. § 5 Grundversorgungsverordnung folgt auch nicht, dass sich Grundversorger und grundversorgter Kunde auf den Preis geeinigt haben mit der Folge, dass diese Vereinbarung künftig nur nach den für eine Vertragsänderung geltenden Grundsätzen geändert werden könnte.

Denn:

Mit der Bestimmung des Allgemeinen Preises durch öffentliche Bekanntgabe gem. § 5 GVV wird lediglich konkretisiert, mittels welchen Preises der Grundversorger seinen Pflichten gem. §§ 2 Abs. 1, 36, 38 EnWG nachkommen wird, eine möglichst preisgünstige, effiziente leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität und Gas anzubieten/ durchzuführen.

Die Allgemeinen Preise der Grundversorgung sind (von Anfang an) gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden, was die Verpflichtung des Grundversorgers einschließt, bei rückläufigen Kosten bei preisbildenden Kostenfaktoren die Preise zugunsten der grundversorgten Kunden anzupassen.

Nichts anderes galt bei dem Tarifänderungsrecht gem. § 4 AVBV in Bezug auf die gesetzliche Versorgungspflicht gem. § 10 EnWG 1998.


Zitat
BGH, Urt. v. 13.01.10 VIII ZR 81/08 Rn. 18:

Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO, Tz. 28, und vom 28. Oktober 2009, aaO, Tz. 29).

Wegen der gesetzlichen Bindung der Allgemeinen Preise des Grundversorgers an den Maßstab der Billigkeit, trifft den Grundversorger von Anfang an die (gesetzliche) Verpflichtung, im laufenden Vertragsverhältnis die Allgemeinen Preise der Grundversorgung immer wieder - unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der grundversorgten Kunden an einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung - der Billigkeit entsprechend neu zu bestimmen.

Die Pflicht zur Neubestimmung folgt dabei nicht erst aus der vertraglichen Schutz- und Rücksichtnahmepflicht, sondern aus den energierechtlichen gesetzlichen Regelungen selbst, nämlich §§ 2 Abs. 1, 36, 38 EnWG iVm. § 5 GVV.

Dass der VIII.Zivilsenat diesbezüglich weiter von einer vertraglichen Einigung ausgeht (BGHZ 172, 315, Tz. 36; 178, 362, Tz. 16) erscheint nicht logisch fassbar.

Zur Verwirkung ist auch etwas zu erfahren.


Zitat
BGH VIII ZR 97/09 Rn. 18

bb) Entgegen der Revisionserwiderung ist der mit der Klage verfolgte Anspruch auch nicht verwirkt. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB bestimmt für die Geltendmachung des Rechts auf gerichtliche Überprüfung der Billigkeit keine besondere Frist. Gleichwohl ist das Recht innerhalb angemessener Frist geltend zu machen (vgl. BGHZ 172, aaO) und kann durch illoyale Verzögerung der Klageerhebung verwirkt werden (vgl. BGHZ 97, 212, 220; MünchKommBGB/Gottwald, 5. Aufl., § 315 Rdnr. 47). Die Klägerin hat hier jedoch bereits fünfeinhalb Monate nach der Ablehnung des Zähleraustauschs - auf diesen Zeitpunkt und nicht auf den des ursprünglichen Zählereinbaus kommt es entgegen derAuffassung der Revisionserwiderung hier an - die vorliegende Klage erhoben. Für eine Verwirkung fehlt es daher schon am Zeitmoment.

Nach lediglich fünfeinhalb Monaten fehlt es für die Verwirkung am Zeitmoment. Neben dem Zeitmoment erfordert eine Verwirkung regelmäßig ein Umstandsmoment.

 

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