Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Klagen lohnt kaum  (Gelesen 3751 mal)

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Offline RR-E-ft

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Klagen lohnt kaum
« am: 04. März 2010, 15:52:05 »
Die Stadtwerke hatten einen Stromkunden, der seit 2004  Verbrauchsabrechnungen der Stadtwerke nicht mehr ausglich und sich u.a. bereits 2004  auf die Unbilligkeit der Strompreise berief, nach Widerspruch auf einen Mahnbescheid aus 2007 schließlich 2008 am Amtsgericht Jena auf Zahlung in Höhe von 362 € nebst Zinsen und Mahnkosten verklagt.

Das Amtsgericht Jena erklärte sich nach erfolgter mündlicher Verhandlung im Sommer 2009 für sachlich unzuständig und verwies die Sache - wie üblich - an das Landgericht Gera - Kammer für Handelssachen, §§ 108, 102 EnWG. Die 1. Kammer für Handelssachen wies in der Terminsladung zum Termin darauf hin, dass für den Nachweis der Billigkeit der erhöhten Tarife die maßgeblichen Preiskalkulationen von der Klägerin vorzulegen seien. In der öffentlichen Verhandlung am 04.03.2010 Az. 1 HK O 170/09 schlossen die Stadtwerke mit dem von ihnen verklagten Kunden zu Protokoll einen rechtskräftigen Vergleich ab.

Zitat
I.

Der Beklagte zahlt an die Klägerin zur endgültigen Abgeltung aller gegenseitigen Forderungen aus dem Stromlieferungsverhältnis einen einmaligen Betrag in Höhe von 150 € am 01.04.10.

II.

Von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleiches trägt die Klägerin 2/3 und der Beklagte 1/3.

III.

Die Parteien vereinbaren Stillschweigen über die Beweggründe zum Abschluss des Vergleiches.

Der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich wurde im Einvernehmen mit den Parteien und unter Rechtsmittelverzicht auf 400 € festgesetzt.


Die Kosten des Verfahrens und des Vergleiches belaufen sich - ohne Berücksichtigung der mündlichen Verhandlung am Amtsgericht Jena und die Verweisung  - auf 457,45 €.


1. Instanz, zwei Anwälte, Einigung
Streitwert          400,00 €
Ergebnis              0,00 €
Kostenquoten: Klg. 100%  Bkl. 0%
Kosten Klg.         457,45 €
Kosten Bkl.           0,00 €
Ergebnis Klg.      -457,45 €
Ergebnis Bkl.         0,00 €
____________________________________
   Kostenberechnung
Anwaltsgebühren           315,00 €
Auslagenpauschalen        40,00 €
MWSt 19%                    67,45 €
Gerichtsgebühren            35,00 €
                   ---------------
Gesamtkosten               457,45 €

Von diesen hat die Klägerin 2/3, folglich 304,58 € zu tragen.
Von diesen hat der Beklagte 1/3, folglich 152,48 € zu tragen.

Dies rechtfertigt wohl die Annahme, dass sich solche Klagen kaum lohnen, wie folgender Vergleich zeigt:

150 € Stromentgelt zum 01.04.2010 stehen 304,58 € Kosten auf Seiten der Stadtwerke gegenüber.

Von den stillschweigenden Beweggründen für den Abschluss eines solchen Vergleiches ist nichts bekannt geworden.

Es könnte allenfalls gemutmaßt werden, was die in der Verhandlung durch die Leiterin der Rechtsabteilung und den Vertriebleiter sowie einen hochspezialisierten Anwalt vertretenen Stadtwerke zum Abschluss eines solchen Vergleiches bewogen haben könnte....

Dem Prozessvertreter des Beklagten legte die Vorsitzende eine Professur für Energierecht nahe.

========

Weitere Verfahren wegen angeblicher Strom- und Gasspreisforderungen sind anhängig, zu denen die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Gera die Klägerin darauf hinwies, dass die Belieferung zu Sonderprodukten keine Tariflieferungen darstellen und sich folglich kein gesetzliches Preisänderungsrecht aus entsprechenden Verordnungen ergibt (etwa LG Gera 1 HK O 179/09).

Offline Cremer

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Klagen lohnt kaum
« Antwort #1 am: 04. März 2010, 19:37:04 »
Dannn hat der Beklagte doch 150 + 152,48 € insgesamt gezahlt.

Ist doch sehr schlecht, oder?
MFG
Gerd Cremer
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Offline RuRo

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Klagen lohnt kaum
« Antwort #2 am: 04. März 2010, 20:44:32 »
@RR-E-ft
Ist anzunehmen, dass Sie hier über Ihren eigenen Fall berichten?
Leiderln hoits z\'sam, sonst gehts nimma recht lang

Offline tangocharly

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Klagen lohnt kaum
« Antwort #3 am: 04. März 2010, 20:59:04 »
Das ist eine sinnlose Vergleichsführung auf der Basis des Prozesskostenrisikos. Immerhin gehören - nicht nur vor Gericht - zum Streiten zwei Parteien (mindestens).

Was soll der Versorger sonst machen, als prozessieren, wenn er sich vor der betreffenden Situation vorfindet. Und der Verbraucher kann\'s natürlich auch sein lassen, zu kürzen, und damit Prozesse zu vermeiden.

Natürlich ist es prozesswirtschaftlich unwirtschaftlich wegen solcher Prozesse Landrichter zu bemühen, die damit blockiert werden und ihre Zeit lieber in Prozesse investieren würden, wo es um Arbeitplätze oder um Existenzen geht.

Niemand ist gezwungen \"Gieros\"-Versorgern die Rote Karte zu zeigen oder sich vor Gericht die Rote Karte zeigen zu lassen.

Wenn man dann aber schon vor Gericht sich wieder findet, dann muß man sich ggf. auch mit dem Vergleich als Prozessergebnis anfreunden bzw. wenigstens darüber nachdenken.

Der Vergleich ist der prozessuale Maßanzug. Dieser muß nur den Prozessparteien passen und sonst niemand. Deshalb kann auch niemand einen Vergleich ausschlachten wollen, weil er halt im anderen Fall nicht als passend erachtet wird.

Wenn aber ein Vergleich in Erwägung gezogen wird, dann wird in diesem Moment auch völlig anders gerechnet. Und in dieser Situation wird halt auch jeder der Beteiligten \"etwas an der Backe haben\".

Es nützt also nichts, wenn das Rechnungsergebnis lautet: Dann hätte man ja gleich zahlen können; dann hätte man ja gleich auf die Forderung verzichten können.

Erst hinterher ist man bekanntlich klüger.

Also, entweder nimmt man sich (freiwillig) der Sache an oder man läßt es eben bleiben.
Es wird ja wohl Keiner/Keine hier im Forum der Meinung sein, dass er/sie damit die \"Krokodile\" zur Strecke bringen wird. Da sind andere gefragt, die sich aber vielleicht mitunter auch an \"diesem Feuer die Hände wärmen\".
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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Klagen lohnt kaum
« Antwort #4 am: 04. März 2010, 22:05:57 »
Zitat
Original von RuRo
@RR-E-ft
Ist anzunehmen, dass Sie hier über Ihren eigenen Fall berichten?

Es ist nicht anzunehmen, dass ich hier über meinen eigenen Fall berichte.
Mein Fall liegt besonders und eignet sich womöglich mal für eine Grundsatzentscheidung.

Zitat
Original von Cremer
Dannn hat der Beklagte doch 150 + 152,48 € insgesamt gezahlt.

Ist doch sehr schlecht, oder?

Auch zu den Beweggründen des Beklagten ist nichts bekannt geworden.

Er hat aber auch nicht 362 € + 430 € insgsamt zu zahlen, was bei einem Unterliegen bei nicht berufungsfähiger Sache als nicht vollkommen auszuschließendes Risiko womöglich im Raum gestanden haben könnte.

Die Relation geht wohl
auf Beklagtenseite 0 < 150 € + 152 € < 362 € + 430 €
auf Klägerseite - 430 € + Spießrutenlauf << 150 € -  304,58 € < 362 €.

Es gibt Fälle, da übersteigt das Prozesskostenrisiko den eigentlich im Streit stehenden  Betrag.
Wie es sich auswächst, weiß man ja nicht, wenn man anfängt.

Bei anderen ist dieses Verhältnis vollkommen anders.

Offline bolli

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Klagen lohnt kaum
« Antwort #5 am: 05. März 2010, 08:26:49 »
Bei der Frage, inwieweit der Vergleich lohneswert ist, ist meines Erachtens auch zu berücksichtigen, dass es hier ja wohl erstmal nur um Forderungen aus 2005 und höchstens noch 2006 ging (Mahnbescheid 2007) und somit noch eine Reihe anderer Forderungen offen sein könnten, falls der Beklagte noch darüber hinaus bei dem Versorger war. Insoweit hätte ein negatives Urteil für ihn ja auch wegweisenden Charakter, der nun nicht gegeben ist. Bei der Aufteilung 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Versorgers liegt der Schluss nahe, dass der Versorger auch etwaige später entstandene Ansprüche nicht wird komplett eintreiben können.
Man muss immer aufpassen, die meisten Ratten haben noch einen Schwanz.  ;)

Bezüglich der Kosten steht man sich natürlich besser, wenn man beizeiten für einen Rechtsschutz gesorgt hat, was aus meiner Sicht vor allem bei Tarifkunden oder einem Risiko, als solcher vor Gericht eingestuft zu werden (Gutachtenkosten) selbstverständlich sein sollte. Sonst lässt man es in den meisten Fällen bei dem Kostenrisiko wohl besser.

 

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