Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Kaufbeuren klagt wegen Konzessionsabgabe  (Gelesen 15569 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RuRo

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 655
  • Karma: +0/-0
Kaufbeuren klagt wegen Konzessionsabgabe
« Antwort #15 am: 22. Juli 2010, 16:07:57 »
Landgericht Kempten 1 HK O 2653/09 VRiLG Lechner als Einzelrichter  Verhandlungsbeginn: 9.00 Uhr

Stadt Kaufbeuren – Kläger

Erdgas Schwaben – Beklagte
vertreten durch RAin Dr. Kermel, Berlin, anwesend Geschäftsführer Markus Kittl

Sachlage:
Klagegegenstand ist ein Auskunftsanspruch und darauf aufbauend ein Leistungsanspruch auf Konzessionsabgabe für die Zeit von 1999 bis 2004

Verhandlung:
Die Beklagtenvertreterin hat in ihren Schriftsätzen wohl ausführlichen Vortrag zum Vorliegen einer kartellrechtlichen Streitigkeit verwandt. VRiLG Lechner stellt dazu eingangs fest, dass eine solche nicht vorliegt, es lediglich um den Anspruch der Klägerin aus dem geschlossenen Konzessionsvertrag gehe.

Die Konzessionsabgabenverordnung (KAV) kenne auch keine Pflicht zum Abschluss von Sonderverträgen. Ob ein solcher SoV zwischen Versorger und Verbraucher geschlossen wird, obliegt der Entscheidung des Versorgers im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit.

Somit liegt auch keine energiewirtschaftliche Streitigkeit, die die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründen würde, vor. Es gehe um rein zivilrechtliche Ansprüche aus dem Vertragswerk zwischen Kommune und Versorger.

VRiLG Lechner teilt seine vorläufige rechtliche Einschätzung mit:
Der Anspruch der Klägerin ist verjährt.

Anmerkung:
VRiLG Lechner bemerkt, dass im Zuhörerraum eifrig mitgeschrieben wird, was ihn deutlich missmutig stimmt. Er erwartet für die nächste Zukunft weitere Klagen. Es wird angedeutet, dass eine solche bereits anhängig ist.

Es folgen Ausführungen zur Unterscheidung primärer/sekundärer Erfüllungsansprüche in Abgrenzung zu Schadenersatzansprüchen. Schadenersatz setzt Verschulden voraus. Ob ein solches seitens der Beklagten vorliege erscheint fraglich. Immerhin habe die Klägerin ein vertraglich vereinbartes Auskunftsrecht (wie Richter Lechner sich dessen Ausübung vorstellt wird später deutlich!)

VRiLG Lechner erörtert seine Rechtsauffassung zur Verjährung. Es wird zur Schuldrechtsreform und veränderten Fristen ausgeführt.

Unabhängig von der Verjährung gehe es im Kern um die Unterscheidung Tarifkunde/Sondervertragskunde. Dazu möchte Richter Lechner schon detailliert ausführen, damit die Parteien sich für weitere Verfahren gleich darauf einstellen können.

Wie schon erwähnt gibt es in der KAV keine Abgrenzung. Den Schriftsätzen der Bekl. ist eine Differenzierung der maßgeblichen Begrifflichkeiten zu entnehmen, die so nicht standhalten. Es wir auf ein Gutachten von Prof. Büdenbender verwiesen. Danach gibt es keine Mehrdeutigkeit der Begriffe, sondern eine exakte Eindeutigkeit. Wer sich auf die Versorgung von Tarifkunden beruft (wie in den von ihm verhandelten EKO-Fällen), hat dies auch bei der Abführung der KA so zu handhaben. Entsprechend unterschiedlich argumentierte Klagen des Versorgers gegen seine Verbraucher (insbesondere vor dem AG Kaufbeuren) kann er nicht nachvollziehen und hat dafür auch kein Verständnis.

Die Bezeichnung „Sonderpreis“ in einer allgemeinen Bekanntgabe führe nicht zu einem Sondervertrag. Es ist lediglich ein weiterer allgemeiner Tarif. Die Ausführungen des OLG Düsseldorf, welches insbesondere die Ausführungen des LG Augsburg angreift, sind für Richter Lechner apodiktischer Natur. Eine „Bestpreisabrechnung“ ist jedenfalls keine Belieferung im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit. Das EVU entscheidet lediglich WIE beliefert wird. Eine Einschätzung ob dies dann eine Belieferung als Tarifkunde oder SoV-Kunde steht dem EVU nicht zu.

Die Bekl.-Vertreterin und Richter Lechner tauschen dann ihre unterschiedlichen Standpunkte zu dem BFH-Urteil von 1985 (?) und der BGH-Entscheidung, VIII ZR 225/07 vom 15.07.09 aus.

Die alles entscheidende Frage sei:
Ist ein Sonderpreis ein allgemeiner Grundversorgungstarif?

Richter Lechner ist selbst Gaskunde und hat sich den Geschäftsablauf, anhand seines eigenen Verhaltens und dem des Versorgers, noch einmal vor Augen geführt. Er habe Gas entnommen und dies dem Versorger angezeigt, worauf er ein Begrüssungsschreiben erhalten habe. Er habe keine Wahlmöglichkeit zwischen den Tarifen gehabt. Der Versorger habe ihm eine Bestpreisabrechnung mitgeteilt. Dies ist nach seiner Auffassung eine Versorgung im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht. Etwas anderes könne nur bei entsprechender Wahlmöglichkeit des Verbrauchers gelten.

Ein durchschnittlicher Abnehmer könne nicht ernsthaft glauben, er schließe durch bloße Entnahme von Gas einen Sondervertrag ab.

Wie kann nun die Kommune ihren Auskunftsanspruch geltend machen?
Dazu hat Richter Lechner auch eine vorläufige Meinung. Die Kommune kann beim Versorger die Begrüssungsschreiben einsehen. Nur so könne die Kommune Klarheit über das Rechtsverhältnis zwischen Verbraucher und Versorger bekommen. Dieses Recht der Kommune stellt die Bekl.Vertreterin ausdrücklich während der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede.

Zum Ende der Verhandlung legt der Kl.Vertreter seine Auffassung zur Verjährung dar. Es geht um unerlaubte Handlungen (§§ 823 bis 853 BGB).

Richter Lechner nimmt die Kommune hier in die Pflicht. Wer in 2009 einen Zustand aus 2000 beklagt, muss sich schon fragen lassen, wie der vertraglich vereinbarte Auskunftsanspruch in der Vergangenheit ausgeübt wurde. Nach seiner Auffassung sind derartige Ansprüche durch das eigene Verhalten abgeschnitten.

Es folgt der Gütevorschlag, der nach Unterbrechung der Verhandlung wie folgt gefasst wird:

HINWEISE des Gerichts

1.   Nach derzeitiger Rechtsauffassung des Gerichts sind die Ansprüche der Kläger verjährt.

2.   Der sekundäre Erfüllungsanspruch der Klägerin ist dem primären Erfüllungsanspruch gleichgestellt. Als Anspruch aus Vertrag ist die Verjährung zutreffend.
3.   Die Rechtsproblematik wurde ausführlich besprochen. Es gibt zwei kontroverse Auffassungen:

Die Klägerseite sieht in der Übersendung von Begrüssungsschreiben nach der Rechtsprechung des BGH keinen Abschluss eines Sondervertrags. Der titulierte „Sonderpreis“ ist ein Tarif i.S. der AVBGasV.

Die Beklagtenseite sieht, unabhängig von einem förmlichen Vertragsschluss, in dem Begriff „Sonderpreis“ keinen allgemeinen Tarif i.S. der BTO-Gas. Die BTO-Gas ist relevant weil in ihr der Begriff „Pflichttarif“ definiert ist. Die Sicht des Kunden ist damit unerheblich.

Das Gericht schlägt der Klägerseite die Klagerücknahme vor. Im Gegenzug macht die Beklagte keine Kostenerstattung gelten. Die Beklagte erklärt Kostenverzicht. Die Klägerin erklärt die Rücknahme der Klage.

Anmerkung:
Es waren Vertreter weiterer Kommunen anwesend. Mit größtem Interesse wurde von diesen die Reaktion von Frau Dr. Kermel, auf die Vorstellungen des VRiLG Lechner zum Umfang der Auskunftspflicht, aufgenommen. Bis dato war ein derart offenes Verhalten des Konzessionsnehmers zur Klärung von vertraglichen Ansprüchen nicht zu beobachten. Wie ließe sich sonst auch das nächste anhängige Klageverfahren erklären!?
Leiderln hoits z\'sam, sonst gehts nimma recht lang

Offline RuRo

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 655
  • Karma: +0/-0
Kaufbeuren klagt wegen Konzessionsabgabe
« Antwort #16 am: 24. Juli 2010, 17:52:46 »
so titelt die Allgäuer Zeitung zur Verhandlung vom 22.07.10, in ihrer Ausgabe vom 23.07.10 auf Seite 25.

Leider ist der Artikel online nicht verfügbar.

Auszug aus dem Artikel:
Dass die Klage an der Verjährung scheitern würde, sei zu erwarten gewesen,
so ein städtischer Mitarbeiter, der am Rande der Sitzung von einem „Versuchsballon“sprach.

„Wir sind nicht unzufrieden mit dem Verlauf der Gerichtsverhandlung.“ Nun werde die Stadt Ansprüche für die Jahre 2005 und 2006 vor Gericht geltend machen, die nicht verjährt seien. „Dabei geht es dann tatsächlich um die Inhalte“. Die zusätzlichen Konzessionsforderungen für diese zwei Jahre in Höhe von 744 000 Euro machen die finanzielle Dimension des Falls deutlich.

Denn andere Kommunen beobachten den Streit mit Interesse, weil sie sich als Kunden von Erdgas Schwaben ebenfalls nachträglich höhere Abgaben erhoffen.

Anmerkung:
Hoffen allein wird keinen Erfolg bescheren.
Leiderln hoits z\'sam, sonst gehts nimma recht lang

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz