Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Gleichbehandlung aller Kunden  (Gelesen 5255 mal)

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Offline loragas

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Gleichbehandlung aller Kunden
« am: 25. Januar 2010, 14:16:31 »
Hallo an das Forum,

ich bin seit 2004 \"Gaspreisverweigerer\" (bei E.onWW) und warte im Moment auf die Klageschrift zum mir bevorstehenden Prozeß.

Jetzt frage ich mich, ob sich das Weitermachen überhaupt lohnt, weil ja bereits mehrere Prozesse laufen.

Meine Überlegung ist: sobald in EINEM dieser Prozesse die Preiserhöhungen für unbillig befunden werden, muß der Versorger doch die zu Unrecht kassierten Zahlungen an ALLE Kunden erstatten - oder etwa nicht?

Wenn das wirklich so ist, ist es dann doch sinnlos, dass einige hundert \"Verweigerer\" alle ihre Prozesse \"durchziehen\" und vielfache Prozesskosten auf sich nehmen, anstatt auf den Ausgang der bereits laufenden Verfahren zu warten. (Mir ist bewusst, dass das natürlich bedeutet, erstmal die ausstehenden Forderungen  zu akzeptieren).

Mache ich irgendwo einen Denkfehler?

Offline RR-E-ft

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #1 am: 25. Januar 2010, 14:19:19 »
Der Denkfehler liegt darin begründet, dass nicht beachtet wurde, dass ein Urteil immer nur unmittelbar die an dem rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreit Beteiligten betrifft. Der Ausgang des Verfahrens hängt gerade bei einer Billigkeitskontrolle vom Umfang der Darlegungen/ des Bestreitens im eigenen Prozess ab, so dass sich Urteile schlecht übertragen lassen. Sie können deshalb keine Bindungswirkung entfalten für andere (Parallel-) Fälle, weil es jeweils auf die Behauptungen und das Bestreiten im konkreten Prozess ankommt.

So hat insbesondere E.ON WW wohl vor dem Amtsgericht Paderborn bestimmten Vortrag nicht gehalten, den das Unternehmen nun meint, noch vor dem Landgericht in der Berufung nachholen zu können, dem jedoch § 531 ZPO entegenstehen könnte. Wenn der Versorger einen anderen Kunden wegen der nämlichen Gaspreiserhöhungen verklagt, könnte er in dem neuen Verfahren ja anderen, ggf. umfassenderen  Vortrag halten und auch ganz andere Beweisangebote für den Fall eines Bestreitens aufbieten. Und auch der verklagte Kunde ist nicht auf das Bestreiten und die Beweisangebote beschränkt, auf welche sich andere verklagte Kunden in der Vergangenheit beschränkt hatten.

Bei jeder Klage ist der Ausgang deshalb grundsätzlich vollkommen neu offen.

Etwas anders verhält es sich mit der Übertragbarkeit von Urteilen, soweit es um Rechtsfragen, etwa die Wirksamkeit von in Erdgas- Sonderverträge einbezogene  Preisänderungsklauseln  geht.

Offline loragas

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #2 am: 26. Januar 2010, 13:05:30 »
Aha.

Ich habe zwar nur die Hälfte verstanden, aber es hört sich an wie ein Schlaraffenland für Rechtsanwälte.
Es müßte doch einen Weg geben eine für den Versorger allgemeingültige Preisüberprüfung zu erzwingen.

Offline RR-E-ft

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #3 am: 26. Januar 2010, 13:34:05 »
Das hat nichts mit einem Schlaraffenland für Rechtsanwälte zun tun.

Es ist ein elementarer Grundsatz, dass keine Entscheidung für eine Partei bindend sein darf, auf dessen Ausgang sie keinerlei Einfluss hatte, weil sie an dem Verfahren selbst nicht beteiligt war und sich deshalb selbst nicht mit eigenen Argumenten einbringen konnte.

Siehe auch hier.

Im Zivilprozess hinsichtlich der hier betroffenen Verfahren stellt das Gericht die Tatsachen nicht von Amts wegen fest, sondern die Feststellung streitentscheidender Tatsachen erfolgt durch das individuelle Wechselspiel zwischen Beahaupten, Bestreiten und ggf. Beweisen im konkreten Prozess. Deshalb darf an anderer Kunde des Versorgers nicht an das Maß des Bestreitens eines anderen Kunden in dessen Prozess und die dort darauf gefundene Entscheidung gebunden sein.

Je nachdem, was im eigenen Prozess behauptet, bestritten und ggf. bewiesen wird, kann am Ende ein vollkommen anderes Ergebnis stehen, weil der Entscheidung eben ein anderer (durch behaupten, bestreiten, beweisen) gebildeter Tatsachensachverhalt zu Grunde lag.

Zudem können die Parteien auch neue rechtliche Gesichtspunkte und Argumente eingeführt haben, die ein Gericht selbst bei identischem festgestellten Tatsachensachverhalt zu einer anderen Entscheidung finden lassen. Ein Zivilprozess führt nicht zu einem allgemeingültigen Ergebnis.

Offline bolli

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #4 am: 26. Januar 2010, 13:53:51 »
Zitat
Original von loragas
Aha.

Ich habe zwar nur die Hälfte verstanden, aber es hört sich an wie ein Schlaraffenland für Rechtsanwälte.
Es müßte doch einen Weg geben eine für den Versorger allgemeingültige Preisüberprüfung zu erzwingen.
Ist doch ganz einfach. Wenn ich (Versorger) heute vor Gericht nen Prozess gegen einen Kunden verliere, weil ich eine bestimmte Argumentation verfolge, dem das Gericht nicht folgt, kann ich morgen mit einer anderen, oder zumindest geänderten Argumentation einen neuen Prozess gegen einen ANDEREN Kunden anstrengen, auch wenn die zugrundeliegenden Lieferverhältnisse identisch sind. Weil ich \"vergessen\" habe, einen bestimmten Punkt vor Gericht zu erwähnen, habe ich beim ersten Mal verloren, beim zweiten Prozess aber gewonnen. Und so ist\'s auch auf Verbraucherseite: Wenn man bestimmte Sachverhalte des Vertragsverhältnisses nicht erwähnt und ggf. rügt, werden sie vom Gericht auch nicht bewertet. Deshalb ist auch nicht jedes Verfahren gleich.

Allerdings ist es z.B. bei den Sonderverträgen so, dass sich im Bereich der Preisanpassungsklauseln durch die BGH-Rechtssprechung in diesem Bereich, die auch bestimmte Kriterien benennt, die mit einer solchen Preisanpssungsklausel erfüllt sein müssen, schon sehr gute Abschätzungsmöglichkeiten über die Erfolgschancen bieten.

Bei der Billigkeit von Preisen, vor allem in der gesetzlichen Grundversorgung, sieht das schon anders aus, vor allem, wenn kein unabhängiges Sachverständigengutachten vorliegt. Da liegt einiges im ungewissen, was ich oder mein Anwalt rausarbeiten muss. Dementsprechend sieht dann die Bewertung der Chancen aus.

Offline RuRo

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #5 am: 26. Januar 2010, 18:17:53 »
Zitat
Original von bolli
Bei der Billigkeit von Preisen, vor allem in der gesetzlichen Grundversorgung, sieht das schon anders aus, vor allem, wenn kein unabhängiges Sachverständigengutachten vorliegt. Da liegt einiges im ungewissen, was ich oder mein Anwalt rausarbeiten muss. Dementsprechend sieht dann die Bewertung der Chancen aus.

Wer bei der Prüfung des Versorgungsvertrags zum Ergebnis \"Tarifkunde\" gelangt, seziere als Nächstes an der öffentlichen Bekanntgabe allgemeiner Preise und Tarife als formeller Wirksamkeitsvoraussetzung.
Leiderln hoits z\'sam, sonst gehts nimma recht lang

Offline RR-E-ft

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #6 am: 26. Januar 2010, 19:33:16 »
Vorstehender Beitrag stellt wohl auf aktuelle Erfahrungen in Schwaben ab.

Offline Kettner

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #7 am: 28. Januar 2010, 13:48:47 »
Zitat
Etwas anders verhält es sich mit der Übertragbarkeit von Urteilen, soweit es um Rechtsfragen, etwa die Wirksamkeit von in Erdgas- Sonderverträge einbezogene Preisänderungsklauseln geht.

...paßt zwar nicht unbedingt in diesen thread, aber eine solche rechtskräftige Feststellung (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 5.5.2009, Aktenzeichen 11 U 61/07 (Kart)) impliziert eine Reihe weiterer interessanter Fragestellungen, die auch den Gleichbehandlungsgrundsatz aller Kunden berührt.

Denn eine rechtskräftig für unwirksam erklärte Preisgleitklausel für gerichtlich anerkannte Sondervertragskunden sollte nicht nur für die Kläger Rückforderungsansprüche begründen, sondern auch für Nicht-Kläger. Diesem hat das OLG Frankfurt jedoch durch seine Ausführungen ein Stück weit den Boden entziehen wollen, worüber sich der Gasversorger natürlich freut (weil er damit billiger davon kommt).

Mit dem eigentlichen Urteil im Rücken bleibt daher vielen Kunden nichts anderes mehr übrig als ihre Rückforderungsansprüche gerichtlich prüfen und geltend zu machen.
In der Zwischenzeit tickt wiederum für die Nicht-Kläger die Verjährungsuhr...
Dr. Carsten Kettner
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Offline RR-E-ft

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #8 am: 28. Januar 2010, 14:06:03 »
Zu den HEL-Preisklauseln will der BGH nach den mündlichen Verhandlungen am 18.11.2009 am 24.03.2010 gleich zwei Entscheidungen verkünden, siehe Unterforum Gerichtsurteile. Die Verschiebung der Verkündungstermine könnte darauf schließen lasen, dass die Fälle nicht ganz einfach liegen.

Offline Kettner

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #9 am: 29. Januar 2010, 08:17:33 »
RR-E-ft schrieb:
Zitat
Zu den HEL-Preisklauseln will der BGH nach den mündlichen Verhandlungen am 18.11.2009 am 24.03.2010 gleich zwei Entscheidungen verkünden

Es geht bei diesem Urteil des OLG Frankfurt (11 U61/07) nicht um die Preisanpassung wg. der Heizölbindung, sondern ausschließlich um die Unwirksamkeit der Preisgleitklausel für Sondervertragskunden. Hier hat der BGH ja durchaus schon in anders gelagerten Fällen eindeutig geurteilt.

Die HEL-Klausel ist in der Tat eine interessante Frage, denn die Beantwortung derselben hätte Implikationen für eine Reihe mittlerweile angepaßter pseudo-transpartenter Preisgleitklauseln.

So oder so, bei positivem Ausgang für die Kunden bliebe immer noch die Frage nach der Gleichbehandlung aller betroffenen Kunden.
Sie, RR-E-ft, haben nachvollziehbar bereits erklärt, weshalb sich Gerichtsurteile nicht so einfach auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen lassen. Im Interesse des Verbraucherschutzes wäre jedoch ein gewisser Automatismus, der eben nicht bedingt, daß ein jeder Kunde noch einmal vor Gericht ziehen muß, wünschenswert. Ob dieser Automatismus aus formal-juristischer Sicht realistisch ist, sei dahin gestellt.
Dr. Carsten Kettner
65551 Limburg

Offline bolli

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #10 am: 29. Januar 2010, 09:51:25 »
Zitat
Original von Kettner
So oder so, bei positivem Ausgang für die Kunden bliebe immer noch die Frage nach der Gleichbehandlung aller betroffenen Kunden.
Sie, RR-E-ft, haben nachvollziehbar bereits erklärt, weshalb sich Gerichtsurteile nicht so einfach auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen lassen. Im Interesse des Verbraucherschutzes wäre jedoch ein gewisser Automatismus, der eben nicht bedingt, daß ein jeder Kunde noch einmal vor Gericht ziehen muß, wünschenswert. Ob dieser Automatismus aus formal-juristischer Sicht realistisch ist, sei dahin gestellt.
Nun, wie so oft im Leben hängt jeder an dem Geld, welches er schon mal in den Fingern oder auf dem Konto hatte.  :D

Die Versorger werden selbst bei formal unwirksamen Klauseln immer noch Gründe zu finden suchen, die Ihnen den Einbehalt des Geldes ermöglichen, zumal sie dieses möglicherweise schon gar nicht mehr haben.

Die Variation in den einzelnen Sachverhalten ist über einen generellen Automatismus der Rückzahlung kaum zu packen, es sei denn, das Unternehmen sagt FREIWILLIG, \"ich erkenne die falsche Klausel an und zahle alles an alle zurück\".

Nun muss man ja ehrlicherweise zugeben, dass ein solcher Fall auch nicht dazu führt, dass angemessene Preise gezahlt werden, denn schließlich dürfte der Vertragsanfangspreis von 1980 heute tatsächlich nicht mehr angemessen sein. Aber wir Verbraucher sagen natürlich mittlerweile, \"wenn wir schon was zurück kriegen, dann bitte soviel wie möglich, wer weiss wann wir das nächste mal was bekommen\" oder \"wir sind jahrelang über den Tisch gezogen worden, nun machen wir es umgekehrt\".
Insofern wird das EVU sich kaum freiwillig AUF SEINE KOSTEN von formaljuristisch zwar zuviel kassiertem Geld, welches aber nicht im Verhältnis zum Einkaufspreis seiner Ware steht, trennen.

Offline ub40

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Gleichbehandlung aller Kunden
« Antwort #11 am: 08. April 2010, 11:35:32 »
Folgender Fall:
Ein AG wird mit Einzelklagen eines Gasversorgers gegen Widerspruchskunden überschüttet. Es beschließt ein Musterverfahren durchzuführen. Der Musterbeklagte hat einen lokalen Anwalt, der natürlich bei der Breite von zu bearbeitenden Fällen kein Experte für das Thema ist.
Angenommen den Versorger-Anwälten (Spezialisten) gelingt es, den Richter (der auch nicht tief in der Materie steht) mit unbewiesenen Behauptungen, der Kunde sei Tarifkunde, mit fehlerhaften Wirtschaftsprüferbescheinigungen, mit willkürlich gewählten und unterschiedlichen Zeiträume für die tabellarische Gegenüberstellung von Bezugskostensteigerungen \"zu überzeugen\" und dann wird zugunsten des Versorgers entschieden.
Welche Chance haben in so einem Fall die anderen Beklagten mit Streitwerten unter 600€, deren Verfahren ruhen, bis das Musterverfahren abgeschlossen ist?
Wird nicht dieses Amtsgericht immer irgendwie \"befangen\" von der Musterentscheidung sein, auch wenn andere Belagte vielleicht mehr Belege gegen den Versorger haben, substantivierter vortragen können. Kann man hier wirklich davon ausgehen, dass in einem neuen Verfahren die Sachlage objektiv und unvoreingenommen angehört und beurteilt wird?
Und wie sollte man sich, wenn man diese Objektivität in nachfolgenden Verfahren nicht voraussetzen kann, verhalten?

 

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