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Autor Thema: LG Hannover, Urt. v. 01.12.2009, Az. 18 O 52/07 Gaspreiserhöhungen unwirksam (E.ON Avacon)  (Gelesen 5535 mal)

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LG Hannover, Urt. v. 01.12.2009, Az. 18 O 52/07 Gaspreiserhöhungen unwirksam (E.ON Avacon)



Zitat
Die einseitigen Gaspreiserhöhungen der Beklagten sind mangels einer vertraglichen Grundlage unwirksam, unabhängig davon, ob bzw. wann die Kläger den Erhöhungen im Einzelnen widersprochen haben.

a) Zwar nimmt der Bundesgerichtshof bei Vertragsverhältnissen mit Tarifkunden eine konkludente Einigung auf erhöhte Tarife an, wenn die auf öffentlich bekannt gegebenen Preiserhöhungen basierenden Tarife in den Jahresabrechnungen unbeanstandet hingenommen werden und die Kunden weiter Gas bezogen haben, ohne in angemessener Zeit eine Prüfung der Billigkeit — gem. § 315 BGB — zu verlangen (vgl. BGHZ 172, 315; BGH NJW 2009, 502). Diese Rechtsprechung des BGH bezieht sich auf Tarifkundenverträge, bei denen ein gesetzliches einseitiges Preiserhöhungsrecht des Gasversorgers besteht, welches nur der Billigkeitskontrolle unterliegt.
 
Die Kläger dieses Verfahrens werden jedoch - wie ausgeführt - auf der Grundlage von Sonderverträgen, für die ein einseitiges Preisanpassungsrecht der Beklagten nicht wirksam vereinbart wurde, mit Gas beliefert. Eine Erhöhung der Gaspreise würde daher eine vertragliche Einigung der Vertragsparteien voraussetzen. Hierfür gilt wie für andere Vertragsverhältnisse der Grundsatz, dass dem Schweigen oder der widerspruchslosen Hinnahme und sogar Begleichung von Rechnungen kein darüber hinausgehender Erklärungswille zu entnehmen ist (so ausdrücklich für Gasbezugsverträge OLG Hamm, RdE 2009 S. 261,262; dagegen OLG Frankfurt/M, RdE 2009 S. 258 ff).

Ein Verhalten der Kläger, dem ein Erklärungswille oder eine Akzeptanz der Erhöhungen zu entnehmen wäre, ist nicht ersichtlich. Die bloße Hinnahme von Lastschriften aufgrund einer Einzugsermächtigung können jedenfalls nicht als Zustimmung oder Erklärung gewertet werden (vgl. BGH NJW 2000, S. 2667), ebenso wenig wie die Entgegennahme von Jahresabrechnungen, die dem widerspruchslosen Empfang von Rechnungen entspricht, Erklärungswert besitzt. Darüber hinaus ist bei der Würdigung des Verhaltens der Kläger zu berücksichtigen, dass ihnen — vor Verkündung der o.g. Urteile des BGH vom 15.07.2009 — nicht bekannt gewesen ist, dass ein einseitiges Preiserhöhungsrecht der Beklagten — anders als von den Beklagten in ihren Erhöhungsschreiben suggeriert — schon dem Grunde nach nicht besteht. Da die Kläger von dem Fehlen des Preiserhöhungsrechts keine Kenntnis hatten, könnte auch ein etwaiges „Verhalten\" keinesfalls dahin verstanden werden, dass sie einseitige Preiserhöhungen der Beklagten trotz fehlender Berechtigung akzeptieren wollten.


b) Darüber hinaus verspräche nach Einschätzung der Kammer bei der vorliegenden Konstellation die Annahme einer konkludenten Zustimmung durch Schweigen dem Regelungsgehalt des § 308 Nr. 5 BGB.

Nach dieser Regelung dürfen (Zustimmmungs-) Erklärungen eines Verbrauchers nicht als abgegeben gelten, sofern diesem nicht zuvor eine Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt und er auf die Rechtsfolge etwaigen Schweigens hingewiesen worden ist.

Zwar findet bei Sonderverträgen der Gasversorgung gern. § 310 Abs. 2 BGB eine Inhaltskontrolle nach § 308 und 309 BGB nicht statt, soweit die Versorgungs bedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit Gas (AVBGasV) abweichen, an deren Stelle die Grundversorgungsverordnung getreten ist (vgl. BGH, Urteil vorn 15.07.2009 - VIII ZR 56/08, Tz. 17). Eine Regelung, der zufolge das Schweigen eines Kunden auf vertraglich nicht vorgesehene Vertragsänderungen als Zustimmung gelten soll, findet sich in der AVBGasV bzw. der GasGVV nicht. Eine Geschäftsbedingung der Beklagten nach der Schweigen als Annahmeerklärung zu Vertragsänderungen zu werten wäre, würde vom Regelungsgehalt der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden AVBGasV zum Nachteil der Verbraucher abweichen und wäre daher an § 308 Nr. 5 BGB zu messen. Zwar liegt eine entsprechende Regelung nicht vor. Der Rechtsgedanke der Vorschrift ist aber - erst recht - zu berücksichtigen, wenn an das Verhalten von Verbrauchern Rechtsfolgen geknüpft werden sollen, die selbst bei einer entsprechenden Regelung nicht zulässig wären. Daher hätte es hier einer den Anforderungen des § 308 Nr. 5 BGB genügenden information der Kunden bedurft, wenn ihrem Schweigen Erklärungswert beigemessen werden soll.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Widerspruchserfordernis bei Tarifkunden ist auf die hier vorliegende Konstellation nicht übertragbar, da bei diesen lediglich eine auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Preiserhöhungen bezogene Kontrolle gemäß § 315 BGB zu erfolgen hat, während grundsätzlich die rechtlichen Voraussetzungen einseitiger Preiserhöhungen vorliegen. Daher bewegen sich die Versorger bei den Tarifkunden mit den einseitigen Erhöhungen im Rahmen der ihnen grundsätzlich eingeräumten Rechte.

Wenn aber - wie hier - einseitige Preiserhöhungen nicht möglich sind, sondern es zur Erhöhung einer beiderseitigen Vereinbarung bedarf, wäre die Annahme, dass das Schweigen auf vom Vertrag schlechthin nicht gedeckte Erklärungen als Annahme zu verstehen sind, eine über die AVBGasV und GasGW hinausgehende Rechtsfolge, die aus den o.g. Gründen am Regelungsgehalt des § 308 Nr. 5 BGB zu messen ist. Diesem entspräche eine solche Wertung des Schweigens nicht.

Offline tangocharly

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Auch mit dieser Entscheidung ist doch wieder bemerkenswert, dass und wie sich ein Gericht mit der Frage der Privatautonomie auseinander setzt. Dies scheint doch wohl nur auf dem Gebiet der Sondervertragskunden zu gelingen.

Wie selbstverständlich geht die juristische Welt darüber hinweg, dass dem Tarifkunden mittels Rechtsverordnungen ein einseitiges Preisbestimmungsrecht aufoktroyiert wird und der VIII. Senat treibt diese Problematik mit seiner \"Sockelpreis-Theorie\" noch zyklopenhaft auf die Spitze. Nicht einer Silbe würdig ist dem VIII. Senat der Umstand, dass gerade letztere Theorie, die dem Schweigen rechtsgeschäftliche Bedeutung beimißt, einen Eingriff in die Privatautonomie darstellt. Und dies tangiert, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor über 10 Jahren festgestellt hat, das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, 19.10.1993, Az.: 1 BvR 567/89)

Zitat
Ziff. II.2.a) der Gründe:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 8, 274 <328>; 72, 155 <170>). Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die Privatautonomie als \"Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben\" (Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, S. 1210 Rdnr. 58 ).

Die Privatautonomie ist notwendigerweise begrenzt und bedarf der rechtlichen Ausgestaltung. Privatrechtsordnungen bestehen deshalb aus einem differenzierten System aufeinander abgestimmter Regelungen und Gestaltungsmittel, die sich in die verfassungsmäßige Ordnung einfügen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Privatautonomie zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers stünde und ihre grundrechtliche Gewährleistung infolgedessen leerliefe. Vielmehr ist der Gesetzgeber bei der gebotenen Ausgestaltung an die objektiv-rechtlichen Vorgaben der Grundrechte gebunden. Er muß der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum eröffnen. Nach ihrem Regelungsgegenstand ist die Privatautonomie notwendigerweise auf staatliche Durchsetzung angewiesen. Ihre Gewährleistung denkt die justitielle Realisierung gleichsam mit und begründet daher die Pflicht des Gesetzgebers, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel zur Verfügung zu stellen, die als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall durchsetzbare Rechtspositionen begründen.

b) Mit der Pflicht zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung stellt sich dem Gesetzgeber ein Problem praktischer Konkordanz. Am Zivilrechtsverkehr nehmen gleichrangige Grundrechtsträger teil, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genießen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, darf nicht nur das Recht des Stärkeren gelten. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Im Vertragsrecht ergibt sich der sachgerechte Interessenausgleich aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner. Beide binden sich und nehmen damit zugleich ihre individuelle Handlungsfreiheit wahr. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung (vgl. BVerfGE 81, 242 <255>). Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG).

c) Das geltende Vertragsrecht genügt diesen Anforderungen. Die Schöpfer des Bürgerlichen Gesetzbuchs gingen zwar, auch wenn sie verschiedene Schutznormen für den im Rechtsverkehr Schwächeren geschaffen haben, von einem Modell formal gleicher Teilnehmer am Privatrechtsverkehr aus, aber schon das Reichsgericht hat diese Betrachtungsweise aufgegeben und \"in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt\" (Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S. 24). Heute besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Partner als

Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs taugt und daß der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört (vgl. die Übersicht bei Limbach, Das Rechtsverständnis in der Vertragslehre, JuS 1985, S. 10 ff. mit zahlr.Nachw.; zuletzt Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993, S. 216 ff.). Im Sinne dieser Aufgabe lassen sich große Teile des Bürgerlichen Gesetzbuchs deuten (Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982). In diesem Zusammenhang haben die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs zentrale Bedeutung. Der Wortlaut des § 138 Abs. 2 BGB bringt das besonders deutlich zum Ausdruck. Darin werden typische Umstände bezeichnet, die zwangsläufig zur Verhandlungsunterlegenheit des einen Vertragsteils führen und zu denen auch dessen Unerfahrenheit gerechnet wird. Nutzt der überlegene Vertragsteil diese Schwäche aus, um seine Interessen in auffälliger Weise einseitig durchzusetzen, so führt das zur Nichtigkeit des Vertrages. § 138 Abs. 1 BGB knüpft ganz allgemein die Nichtigkeitsfolge an einen Verstoß gegen die guten Sitten. Differenziertere Rechtsfolgen ergeben sich aus § 242 BGB. Die Zivilrechtswissenschaft ist im Ergebnis darüber einig, daß der Grundsatz von Treu und Glauben eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht bezeichnet und die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle des Vertrages begründet (vgl. zuletzt Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S. 70 ff.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993, S. 249 f.). Über die Voraussetzungen und die Intensität dieser Inhaltskontrolle besteht zwar im juristischen Schrifttum Streit. Für die verfassungsrechtliche Würdigung genügt jedoch die Feststellung, daß das geltende Recht jedenfalls Instrumente bereit hält, die es möglich machen, auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren.

Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Haben die Vertragspartner eine an sich zulässige Regelung vereinbart,so wird sich regelmäßig eine weitergehende Inhaltskontrolle erübrigen. Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: \"Vertrag ist Vertrag\". Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren haben und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssen, ist in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum läßt. Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie kommt aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht wird.

Wenn man nun noch hinzu nimmt, dass diese Beschränkung der Privatautonomie auf gesetzlichem Wege erfolgt, nämlich in Anwendung der Rechtsverordnungen (AVBGasV bzw. GasGVV), so muß man auch einen Blick auf Art. 19 Abs. 1 GG werfen, der den sogenannten Gesetzesvorbehalt regelt und das Zitiergebot. Einen derartigen Gesetzesvorbehalt, geschweige denn, dass das Grundrecht zitiert wird, wodurch das krasse Beispiel der Rechtsprechung des VIII. Senats gedeckt werden könnte, nämlich die Statuierung einer \"Sockeltheorie\", d.h. den Rechtssatz dass Schweigen als Zustimmung gewertet werden darf, sucht man in den Materialien vergeblich. Nicht einmal der Teil -4- des EnWG, da wo die Grundversorgung geregelt wird, zitiert dort die Befugnis zur Einschränkung der Privatautonomie eines Bürgers.

Und warum dem Bürger, dem erstmals 2004 die Augen geöffnet wurden wie er von den EVU\'s über den Tisch gezogen wird, die \"Butter vom Brot\" genommen werden muß, weil der Sockelpreis nicht in die Billigkeitskontrolle einfließen dürfe, und Ersterer sich dabei dann nicht in einer \"gestörten Vertragsparität\" wiederfinden soll  -   das hat der VIII. Senat bisher nicht beantwortet   -  jedenfalls nicht vor dem Hintergrund der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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Vielleicht nicht die geeignete Stelle, um die Tarifkundenrechtsprechung des VIII. Zivilsenats in den Fokus zu nehmen.

Der VIII.Zivilsenat hat seit VIII ZR 225/07 nun auch in ständiger Rechtsprechung folgendes festgestellt:

Zitat
BGH VIII ZR 225/07 Tz. 28

Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, wie oben bereits ausgeführt, weiter, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. April 2009, aaO, Tz. 25).

Wie sich dies mit einem \"Preissockel\" vereinbaren lassen sollte, ist nicht recht nachvollziehbar.

Der Versorger hat ein gesetzliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB. Aus diesem ergibt sich auch eine Rechtspflicht zu einer der Billigkeit entsprechenden Leistungsbestimmung. Die Höhe des Allgemeinen Tarifs hängt dabei nicht von individuellen Vereinbarungen mit einzelnen Tarifkunden ab.

Etwas deutlicher akzentuiert beim Kartellsenat des BGH in KZR 2/07.

Zitat
BGH KZR 2/07 Tz. 26

Zwar ergibt sich aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz.17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist

Der Versorger ist gleichermaßen gesetzlich berechtigt wie verpflichtet, die Allgemeinen Tarife für alle Tarifkunden gleichermaßen der Billigkeit entsprechend festzusetzen.

Zudem  ist das einseitige Lesitungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB etwas völlig anderes als das Konsensualprinzip gem. § 145 ff. BGB, ohne dass es dafür erst auf eine strukturelle Ungleichgewichtslage ankäme.  

Das einseitige Leistungsbestimmungsrecht verzichtet auf Angebot und Annahme und verlangt nur gem. § 315 Abs. 2 BGB die einseitige Leistungsbestimmung eines Vertragsteils gegenüber dem anderen.
Der eine Vertragsteil ist dabei immer dem bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des anderen Vertragsteils unterworfen, weshalb der Gesetzgeber als notwendiges Korrelat § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB vorgesehen hat. Das muss auch dann gelten, wenn der eine Vertragsteil die Höhe eines Tarifs zu bestimmen hat und zu deren Bestimmung gesetzlich verpflichtet ist. An der einseitigen Leistungsbestimmung ist immer nur ein Vertragsteil beteiligt. Der andere hat auf diese gar keinen Einfluss. Die einseitige Leistungsbestimmung entspricht gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB entweder der Billigkeit oder aber nicht, so wie das Leben auch keine partiellen Schwangerschaften vorgesehen hat. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht und eine vertragliche Einigung schließen sich deshalb regelmäßig denknotwendig aus, BGH KZR 24/04.

Fakt ist, dass es sich bei einer einseitigen Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 2 BGB nicht um ein auf Annahme gerichtetes Angebot gem. § 145 BGB handelt (BGH VIII ZR 199/04).

 

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