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LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 23.10.09, Az. 4 HK O 9057/08 (Gasuf)

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RR-E-ft:
LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 23.10.09, Az. 4 HK O 9057/08

Nach Auffassung des Landgerichts besteht ein Sondervertrag. Die Bedingungen der AVBGasV seien in diesen gem. § 305 II BGB nicht wirksam einbezogen worden.

Gleichwohl räumt das Gericht dem Versorger ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 4 AVBGasV bzw. § 315 BGB im Wege ergänzender Vertragsauslegung ein und kommt zu dem Ergebnis, dass die Preisänderungen der Billigkeit entsprochen hätten, weil die Behauptungen des Versorgers dazu nicht (zulässig) bestritten worden seien.

Nach der Entscheidung BGH, Urt. v. 28.10.2009 - VIII ZR 320/07 Tz. 38 ff.  scheidet im Falle nicht einbezogener oder gem. § 307 BGB unwirksamer Preisänderungsklauseln eine ergänzende Vertragsauslegung - wie sie das Landgericht vorgenommen hat- aus,wenn sich der Versorger in überschaubarer Frist durch ordnungsgemäße Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.

Der BGH hat mit B. v. 15.09.2009 - VIII ZR 241/08  entschieden, dass dem Energieversorgungsunternehmen auch dann ein Recht zur ordentlichen Kündigung zusteht, wenn ein solches nicht ausdrücklich im Vertrag geregelt ist. Folglich bestand wohl ein Recht des Versorgers, sich in überschaubarer Frist aus dem Vertragsverhältnis zu lösen, was eine ergänzende Vertragsauslegung gerade ausschließen soll. Das \"Ob\" der Kündigungsmöglichkeit stellt das Landgericht selbst auch überhaupt nicht in Frage, sondern nur die Kündigungsfrist. Dass eine solche nicht länger als ein Jahr bemessen sein wird, liegt auf der Hand. Eine Kündigungsmöglichkeit innerhalb eines Jahres schließt jedoch die ergänzende Vertragsauslegung regelmäßig aus (BGH, Urt. v. 28.10.2009 - VIII ZR 320/07).

Somit steht die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth in Punkt der ergänzenden Vertragsauslegung in Frage.

Zudem geht das Landgericht rechtsfehlerhaft davon aus, dass der beklagte Gasversorger gegenüber dem Kläger keine Monopolstellung einnahm (vgl. nur BGH Urt. v. 28.10.2009 - VIII ZR 320/07 Tz. 46).

Zudem hat der BGH entschieden, dass sich der einzelne Gaskunde unter Berufung auf eine Kartellrechtswidrigkeit der Gaspreisbestimmung berufen kann (vgl. BGH, Urt. v. 23.06.09 - KZR 21/08].

Zu den Tatsachenbehauptungen, die für die Billigkeit der Gaspreiserhöhungen 2004 ff. sprechen sollen, soll der Kläger schließlich entweder nicht substantiiert oder nicht rechtzeitig bestritten haben, so dass das Gericht diese unbestrittenen Behauptungen seiner Entscheidung zu Grunde legen konnte, ohne diese inhaltlich zu überprüfen.

Die Entscheidung erscheint deshalb unter mehreren Gesichtspunkten fragwürdig. Eine Berufung ist bei dem Streitwert zulässig.

Dem Versorger gasuf war das Urteil auf seiner Homepage eine Pressemitteilung vom 01.12.2009 wert,weil er darin die Billigkeit seiner Preisforderungen bestätigt sieht.

tangocharly:
Ich werde mir nun nicht die Mühe machen, diese Entscheidung zu analysieren. Aber wenn man das liest:


--- Zitat ---Zu den Tatsachenbehauptungen, die für die Billigkeit der Gaspreiserhöhungen 2004 ff. sprechen sollen, soll der Kläger schließlich entweder nicht substantiiert oder nicht rechtzeitig bestritten haben, so dass das Gericht diese unbestrittenen Behauptungen seiner Entscheidung zu Grunde legen konnte, ohne diese inhaltlich zu überprüfen.
--- Ende Zitat ---

dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die deutsche Gerichtsbarkeit bei den Entscheidungen vom 13.06.2007 und vom 19.11.2008 stecken geblieben ist. Und zwar dies nur deshalb, um sich nicht mit der gebotenen Billigkeitsprüfung befassen zu müssen.

Leute, dies ist kein Einzelfall. Und was es, angesichts dieses Schandurteils, für den Versorger auch noch schamlos zu jubilieren gibt, bleibt schließlich völlig offen.

energienetz:
Was soll ein Antrag auf Feststellung der Unbilligkeit aller Preisanpassungen seit dem 1.1.1998 (!!!) im Hinblick auf die dreijährige Verjährung etwaiger Rückzahlungsansprüche? Das treibt nur, wie man sieht, den Streitwert unnötig hoch und damit die Kostenlast des Verbrauchers im Fall seines Unterliegens. Was sollen auch Feststellungsanträge für insgesamt sieben behauptete Preiserhöhungen, die tatsächlich nicht stattgefunden haben (S. 11)?
 Und schließlich die Pleite eines verspäteten Vorbringens gegen das vom Versorger präsentierte Wirtschaftsprüfergutachten, wo nach BGH v. 8.7.2009  im Fall Stadtwerke Delmenhorst schon bloßes Bestreiten mit Nichtwissen genügt. Wer als Verbraucher an solche Wahrer seiner Rechte gerät, ist nur zutiefst zu bedauern. Mit einer Berufung lässt sich aber der Schaden voll reparieren. Denn das LG hat fälschlicherweise als Rechtfertigung für seine ergänzende Vertragsauslegung angenommen, der Versorger habe keine Möglichkeit der Vertragskündigung (S.9). Auf S. 7-8 stellt das LG aber fest, dass nach den AGB hier im Übrigen die AVBGasV gilt, d.h. auch dessen § 32 Abs. 1, wonach jede Seite jederzeit kündigen kann. Bei Bestehen einer Kündigungsmöglichkeit des Versorgers ist aber bisher nach allen fünf einschlägigen BGH-Urteilen (zuletzt VIII. Zivilsenat v. 28.10.2009 – Stadtwerke Bremen) eine ergänzende Vertragsauslegung zur Heilung einer gegen § 307 Abs. 1 BGB verstoßenden vertraglichen Preisanpassungsklausel ausgeschlossen worden. Ist demnach hier vom Fehlen einer wirksamen Preisanpassungsklausel auszugehen, kommt es auch nicht mehr auf die vom LG geprüfte Billigkeit der Erhöhungen an.

RR-E-ft:
Das Landgericht hat ausgeführt, dass es sich um einen Sondervertrag handelt, weil die Belieferung zu einem Sonderpreis erfolgt. Dafür stellt das Gericht auf die Preisrichtlinien ab, die von einer ergänzenden Geltung der AVBGasV sprechen, was bei einer Tarifversorgung schon nicht notwendig sei. Das leuchtet ein.

Diese Preisrichtlinie besteht indes außerhalb des Vertrages.

Das Gericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es für die wirksame Einbeziehung der Bedingungen der AVBGasV in das konkrete Vertragsverhältnis gem. § 305 II BGB darauf ankam, dass der Kunde vor Vertragsabschluss die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme hatte, was das Gericht vorliegend verneint hat (ebenso LG Gera, Urt. v. 07.11.08 2 HK O 95/08].

Deshalb wurde auch nicht etwa -  wie Prof. Markert es meint -  § 32 AVBGasV in den konkreten Sondervertrag einbezogen.

Gleichwohl bestand  - wie aufgezeigt - ein Recht zur ordentlichen Kündigung undzwar jedenfalls  innerhalb einer Frist, die nach der Rechtsprechung des BGH eine ergänzende Vertragsauslegung bei nicht wirksam einbezogener oder wirksam einbezogener, jedoch unwirksamer Preisänderungsklausel ausschließt (zuletzt BGH VIII ZR 320/07).

Vorstellbar ist, dass der Kunde ein Interesse daran hatte, festzustellen, dass der Vertrag zu dem ursprünglich vereinbarten Preis fortbesteht, ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgers nicht besteht, einseitige Prteisänderungen von Beginn des Vertragsverhältnisses an unwirksam waren  und vertragliche Preisneuvereinbarungen seit dem  Vertragsabschluss nicht erfolgt sind (vgl. LG Gera, Urt. v. 07.11.08 2 HK O 95/08; BGH, Urt. v. 20.07.05  VIII ZR 199/04). Ein solches Interesse, dass der Vertrag zu dem bei Vertragsabschluss vereinbarten Preis fortbesteht, hat nicht unbedingt mit Rückforderungsansprüchen und deren Verjährung zu tun, weil dieses Feststellungsinteresse gerade auch den aktuellen Vertragsstatus betrifft. Für solche Feststellungsklagen ist als Gegenstandswert wohl der dreifache Jahresbetrag des gesamten Vertragsumsatzes zu Grunde zu legen. Stellt man auf einen verinbarten Anfangspreis ab, ist wohl die Differenz zu diesem maßgeblich.

Worum es dem Kläger konkret ging, geht ja aus dem Urteil nicht unbedingt hervor.

Aus dem Klageantrag zu 4. lässt sich ersehen, dass es dem Kläger um den aktuellen Vertragsstatus zu seit Vertragsabschluss unveränderten Bedingungen und Preisen ging. Wäre es ihm daneben auch um die Rückforderung von Überzahlungen in den zurückliegenden Jahren infolge unwirksamer einseitiger Preisänderungen gegangen, hätte er zudem sofort auf Rückzahlung klagen können. Entsprechendes wurde jedoch gerade nicht beantragt.

RA Lanters:

--- Zitat ---Aus dem Klageantrag zu 4. lässt sich ersehen, dass es dem Kläger um den aktuellen Vertragsstatus zu seit Vertragsabschluss unveränderten Bedingungen und Preisen ging. Wäre es ihm daneben auch um die Rückforderung von Überzahlungen in den zurückliegenden Jahren infolge unwirksamer einseitiger Preisänderungen gegangen, hätte er zudem sofort auf Rückzahlung klagen können. Entsprechendes wurde jedoch gerade nicht beantragt.
--- Ende Zitat ---

man weiß leider nicht, worum es dem kläger wirklich ging, es ist ja auch durchaus möglich, dass er schon eine entsprechende kürzung der abschlagszahlungen vorgenommen hat.

aber davon abgesehen, ist es recht schwer die rückforderungsansprüche zu beziffern. angenommen das gericht wäre zu dem ergebnis gekommen, die geforderten preise wären unbillig, hätte es den billigen preis selbst festsetzen können/müssen. der kläger kennt diesen billigen preis aber bei einreichung seiner klage noch gar nicht, nimmt er einen zu geringen preis an, dann sind die rückforderungsansprüche zu hoch und er unterliegt zum teil, setzt er den preis zu niedrig an, verschenkt er unter umständen geld. eigentlich müsste man hier eine klassische stufenklage erheben.

wobei ich das urteil aus den genannten gründen für angreifbar halte. das gericht hat hier meiner meinung nach die verbraucherunfreundlichste variante der vertragsauslegung gewählt.

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