Prof. Dr. Kurt Markert
Kommentar zum Urteil des OLG Frankfurt vom 13.10.2009, 11 U 28/09 (Kart).
Dieses Urteil ist das erste mir bekannte, in dem ein Instanzgericht für eine in den AGB eines Gassonderkundenvertrages enthaltene Preisanpassungsklausel die Vereinbarkeit mit der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB mit der Begründung bejaht hat, mit dieser Klausel sei das nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht des Versorgers unverändert übernommen worden. Dass unter dieser Voraussetzung Preisanpassungsklauseln in Sonderkundenverträgen den Kunden nicht unangemessen benachteiligen, hat der VIII. Zivilsenat des BGH in zwei Urteilen vom 15.7.2009 in den Fällen kgu und GASAG entschieden. Meine Kritik daran habe ich in einer Urteilsanmerkung in RdE 2009, 291 ff. bereits ausführlich dargelegt.
Da das OLG Frankfurt, gestützt auf diese Rechtsprechung des VIII. BGH-Zivilsenats, von der Wirksamkeit der streitigen Preisanpassungsklausel ausgegangen ist, unterscheidet sich der von ihm entschiedene Fall von den zahlreichen anderen aktuellen Fällen, in denen – wie auch in den vorgenannten Fällen kgu und GASAG - die Preisanpassungsklausel als unwirksam nach § 307 Abs. 1 BGB beurteilt wurde. Ob auch in diesen Fällen bei widerspruchsloser Bezahlung des auf die (hier unwirksame) Preisanpassungsklausel gestützten Erhöhungsbetrages die Rückforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB ausgeschlossen ist, lässt sich deshalb aus dem Frankfurter Urteil nicht folgern. Die in dieser Frage vom OLG Frankfurt angenommene Divergenz zu dem Urteil des OLG Hamm vom 29.5.2009, 19 U 52/08, auf die es sich für die Zulassung der Revision gegen sein Urteil gestützt hat, liegt somit gar nicht vor, denn das OLG Hamm war in seinem Fall von der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel nach § 307 Abs. 1 BGB ausgegangen. Der vom OLG Frankfurt generell, also auch für den Fall der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel formulierte Leitsatz, auch für Sonderkunden gelte, „dass kein einseitig bestimmter, sondern ein vereinbarter Preis vorliegt, wenn der Gaskunde die auf erhöhten Tarifen basierenden Jahresabrechnungen unbeanstandet hinnimmt und weiterhin Gas bezieht, ohne in angemessener Zeit eine Überprüfung der Billigkeit nach § 315 BGB zu verlangen,“ ist deshalb nicht haltbar. Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats (z. B. Urteil vom 17.12.2008 im Fall Regionalgas Euskirchen) kommt es bei Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel nach § 307 Abs. 1 BGB auf die Billigkeit darauf gestützter Preiserhöhungen von vornherein nicht mehr an. Der Sonderkunde hat hier deshalb auch keinen Anlass, sich mit der Billigkeitsfrage zu befassen und ggf. eine – rechtlich überflüssige – Überprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB zu verlangen.
Ob hier durch die AGB des beklagten Versorgers das für die Belieferung von Tarifkunden geltende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV tatsächlich unverändert in den Liefervertrag mit dem Kläger übernommen wurde, ist sehr fraglich. Zweifel bestehen im Hinblick auf § 305 Abs. 2 BGB bereits an der Annahme des OLG, diese 2001 veröffentlichten AGB seien schon dadurch auch für den Klagezeitraum ab 2004 Vertragsbestandteil geworden, dass ihnen der Kläger stillschweigend zugestimmt habe. Für seine Auffassung zur Übernahme des gesetzlichen Preisanpassungsrechts nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV stützt sich das OLG nur auf die Nr. 3 der AGB: “Soweit in diesen Bedingungen nichts Abweichendes geregelt ist, gelten die „Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung für Tarifkunden…“. Derartige, nur subsidiäre Einbeziehungen der AVBGasV durch die AGB von Sonderkundenverträgen sind aber in allen einschlägigen BGH-Urteilen (z. B. vom 17. 12.2008 im Fall Regionalgas Euskirchen) als unzureichend für die Vereinbarkeit mit § 307 BGB beurteilt worden. Für die von der Klage auch erfasste Zeit ab dem 8. November 2006 könnte die Bezugnahme auf die damals außer Kraft getretene AVBGasV ohnehin keine Rechtswirkung mehr haben, sondern allenfalls die Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 und § GasGVV. Deren Voraussetzungen kommen aber in den AGB der Beklagten auch verbal nicht zum Ausdruck.
Unterstellt man jedoch, dass diese AGB im relevanten Zeitraum Bestandteil des Liefervertrages der Parteien waren und darin ein mit § 307 Abs. 1 BGB vereinbares Preisbestimmungsrecht des Versorgers enthalten war, war folgerichtig auch Raum für die vom Kläger geforderte gerichtliche Billigkeitsprüfung der in dieser Zeit erfolgten Preiserhöhungen. Bei dieser Prüfung geht das OLG von der die Tarif- bzw. Grundversorgung betreffenden Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH aus, wonach vom Kunden nicht rechtzeitig nach der Jahresabrechnung beanstandete Erhöhungen als zwischen den Parteien vereinbart gelten und deshalb einer Billigkeitsprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB entzogen sind. Die damit vom OLG vorgenommene Erweiterung dieser Rechtsprechung auch auf die Sonderkundenverträge lässt den mit dieser Rechtsprechung beschrittenen,, nach den Grundregeln der zivilrechtsdogmatischen Rechtsgeschäftslehre einer juristischen „Geisterfahrt“ gleichkommenden Irrweg nur noch deutlicher hervortreten. Denn nach diesen Regeln fehlt es bei der hier in Rede stehenden Fallkonstellation schon an dem für eine vertraglich bindende Vereinbarung erforderlichen Angebot. Denn die in Ausübung eines bestehenden oder vermeintlichen vertraglichen oder gesetzlichen Preisänderungsrechts getroffene Entscheidung des Versorgers, seine Tarife oder Preise zu erhöhen, ist ein einseitiger Gestaltungsakt, für dessen Wirksamkeit es keiner Annahme durch den Kunden bedarf. Diese Entscheidung und ihre Bekanntgabe können, wie der VIII. Zivilsenat des BGH selbst in einem eine einseitige Mieterhöhung betreffenden Urteil vom 20.7.2005 entschieden hat, auch nicht in ein Angebot zur Einigung auf den erhöhten Preis umgedeutet und die bloße Tatsache der vorbehaltslosen Zahlung des erhöhten Tarifs oder Preises als Annahme dieses Angebots durch den Kunden und damit als dessen Zustimmung zu der Erhöhung umgedeutet werden. Bloßes Schweigen privater Haushaltskunden als Annahme eines Angebots zu konstruieren, würde ebenfalls gegen die vorgenannten Grundregeln verstoßen. Dies gilt ebenso für die Übermittlung der Jahresabrechnung an den Kunden. Etwas anderes könnte nur dann in Betracht kommen, wenn der Kunde damit zugleich aufgefordert würde, eine etwaige Billigkeitsprüfung der Erhöhung innerhalb einer nicht zu kurz bemessenen Frist zu verlangen verbunden mit dem Hinweis, dass das Unterbleiben eines solchen Verlangens innerhalb dieser Frist als Verzicht auf diese Kontrolle gewertet würde. Allerdings würde dies erfordern, dass dem Kunden entweder schon bei der Bekanntgabe der Erhöhung oder jedenfalls im Zusammenhang mit der Jahresabrechnung eine einigermaßen nachvollziehbare Begründung für die Erhöhung gegeben wird. Denn worauf sollte er sonst sein Verlangen einer Billigkeitsprüfung stützen?
Schließlich zeigt die vom OLG vorgenommene Prüfung der Billigkeit der streitigen Preiserhöhungen erneut das ganze Ausmaß der Schwierigkeit auf, in dem sich der Kunde im zivilgerichtlichen Billigkeitskontrollverfahren nach § 315 Abs. 3 BGB trotz des Vorteils, dass der Versorger die Beweislast für die Billigkeit der von ihm vorgenommenen Erhöhung trägt, in vielen Fällen befindet. Wenn – wie in dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall – nicht nur Angestellte des Versorgers, sondern auch Mitarbeiter der von ihm beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Zeugen zur Bestätigung der Richtigkeit der vom ihm zur Begründung der Billigkeit der Erhöhung behaupteten Tatsachen aufgeboten werden, kann der Kunde nur hoffen, vom Gericht nicht – wie in diesem Fall – mit dem Hinweis, für seine gegenteilige Beurteilung keine „greifbaren Anhaltspunkte“ vorgebracht zu haben, abgespeist zu werden. Von Waffengleichheit als Voraussetzung für den verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutz kann in solchen Fällen, für die es allerdings erfreulicherweise auch Gegenbeispiele aus anderen Verfahren gibt, nicht die Rede sein.