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Autor Thema: Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?  (Gelesen 13651 mal)

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Offline bolli

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #30 am: 17. November 2009, 09:37:20 »
Tja,
ich sag\'s ja immer wieder: Ist schon prima, was wir alles für Erklärungen abgeben, wo wir nichts von Wissen, Verträge mit Inhalten abschließen, die wir so nicht kennen.

Aber dank unserer kompetenten Richter wird uns das ja regelmäßig, und in den letzten Jahren zunehmend, vor Augen geführt, meistens sogar schwarz auf weiss.  8)

Offline tangocharly

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #31 am: 17. November 2009, 11:00:38 »
Nun hat sich der VIII. Senat schon am 11.11.2008 mit der Frage des Anerkenntnisses durch vorbehaltlose Zahlung befaßt. Frankfurt unterscheidet beim Gaspreis zwischen Anerkenntnis und Preisvereinbarung. Den Unterschied sieht Frankfurt darin:

Zitat
Tz 54; (1) Zu Unrecht hält der Kläger dem entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die vorbehaltlose Bezahlung einer Rechnung kein Anerkenntnis darstelle (BGH Urteil vom 11.11.2008 – Az.: VIII ZR 265/07 = NJW 2009, 580). Voraussetzung der stillschweigend getroffenen Preisvereinbarung ist nämlich nicht die Bezahlung der Jahresrechnung, sondern dass der Kunde innerhalb einer gewissen Zeit die Jahresrechnung nicht beanstandet, zudem in Kenntnis des erhöhten Preises weiterhin Gas bezieht und auch nicht in angemessener Zeit die Überprüfung der Billigkeit der Preiserhöhung verlangt. Hierbei wird aus über einen längeren Zeitraum hinweg vorgenommenen (Gasbezug) sowie unterlassenen (Beanstandung der Jahresrechnung oder Überprüfung der Billigkeit) Handlungen des Kunden auf sein Einverständnis mit der Preiserhöhung geschlossen.

Demgegenüber sei die Zahlung nur:

Zitat
Tz 54; Demgegenüber handelt es sich bei der bloßen Bezahlung einer Rechnung um eine einmalige Handlung ohne Dauereffekt. Unabhängig davon behandelt die angesprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch nicht die stillschweigende Abgabe einer Vertragsabschlusserklärung, sondern ein stillschweigendes bestätigendes (deklaratorisches) oder tatsächliches Schuldanerkenntnis. In der Begründung des Urteils ist zutreffend ausgeführt worden, dass die Wertung einer rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Erklärung als Anerkenntnis in der Regel eine Interessenlage voraussetzt, die Anlass zur Abgabe eines Anerkenntnisses sein kann, namentlich, um ein zwischen den Parteien bestehendes Schuldverhältnis einem Streit oder zumindest einer (subjektiven) Ungewissheit über dessen Bestand oder seine Rechtsfolgen zu entziehen (Rdn. 11). Der zahlende Rechnungsadressat muss für den Rechnungssteller ersichtlich trotz Streits oder Ungewissheit über seine Zahlungspflicht gezahlt haben. Solche Umstände waren im dortigen Fall nicht festgestellt worden. Bereits insoweit unterscheiden sich die vorliegend in Rede stehenden Fälle von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2008 zu Grunde lag.


Wenn also der zahlende Rechnungsadressat  für den Rechnungssteller ersichtlich trotz Streits oder Ungewissheit über seine Zahlungspflicht gezahlt haben muss, so kann dies dem Gaskunden gerade nicht vorgehalten werden (es sei denn, man unterstellt, dass der Kunde nur innerlich rebelliert hat und dies dem Versorger später auch noch bescheinigt).

Für Frankfurt ist dies aber nicht problematisch, sondern:

Zitat
Tz 54; Das Versorgungsunternehmen als Vertragsgegenseite kann ohne weiteres davon ausgehen, dass dem Gaskunden die Preiserhöhung aufgrund der Jahresrechnung bekannt ist, zumal sie sich entweder regelmäßig unmittelbar aus der Rechnung ergibt oder jedenfalls durch einen Vergleich mit der Abrechnung der vorausgegangenen Rechnungsperiode leicht festzustellen ist. Setzt der Kunde trotz der ihm bekannten Preiserhöhung das Vertragsverhältnis über eine gewisse Zeit ohne Einwendungen gegen die Preiserhöhung fort, so kann daraus nur der naheliegende Schluss gezogen werden, dass er die Preiserhöhung akzeptiert.


Sodann ist es, was die Frankfurter wohl schon erkannt haben, nichts mit Streitbeilegung und Ungewissheit bzw. Anerkenntnis. Also mußte eine Preisvereinbarung herhalten und zwar wegen angeblicher praktischer Gesichtspunkte (man beachte auch die angeblich vom Gesetzgeber nicht gewollte Prozessflut):

Zitat
Tz 54;Für die Richtigkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur stillschweigenden Preisvereinbarung sprechen zudem praktische Gesichtspunkte. Bei der Gasversorgung handelt es sich um ein Massengeschäft. Die Rückabwicklung geleisteter Zahlungen in vielen Einzelfällen nach Ablauf einer längeren Zeit (häufig eines Jahres oder mehr) zieht bereits als solche einen erheblichen Aufwand nach sich, der zusätzliche Kosten verursacht und sich letztlich in Preiserhöhungen in den folgenden Rechnungsperioden niederschlagen wird (zu der vom Gesetzgeber nicht gewollten Prozessflut gegenüber Energieversorgern bei den Zivilgerichten siehe BGH NJW 2009, 502, 504 Randnummer 23). Da es somit nicht auf die Bezahlung der Rechnung ankommt, ist auch der Vortrag des Klägers unerheblich, die Beklagte habe bis zum Jahr 2005 die Rechnungsbeträge durch Lastschrift eingezogen
.

Dies mag ja alles richtig sein; hat aber damit nichts zu schaffen, was der Gesetzgeber wirklich gewollt hat. Denn der Gesetzgeber hat sich 2005 nicht umsonst mit der Kodifizierung von § 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 EnWG befaßt und diese Bestimmungen \"vor die Klammer\" gezogen. Dieser Vorgang verkörpert die von der ständigen Rechtsprechung des BGH manifestierten und \" das ganze Energiewirtschaftsrecht beherrschenden Grundsätze\" (BGH, 2.10.1991, Az.: VIII ZR 240/90). Und ganz abgesehen davon sieht dies auch der Kartellsenat etwas anders als die Frankfurter Richter (BGH, 18.10.2005, Az.: KZR 36/04, Tz. 10).
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Offline reblaus

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #32 am: 17. November 2009, 21:39:23 »
Das OLG Frankfurt zitiert den BGH einfach nur unvollständig. Hätte es die Entscheidung des BGH vollständig übernommen, hätte es seine Begründung folgendermaßen ergänzen müssen.

Setzt der Kunde trotz der ihm bekannten Preiserhöhung das Vertragsverhältnis über eine gewisse Zeit ohne Einwendungen gegen die Preiserhöhung fort, so kann daraus nur der naheliegende Schluss gezogen werden, dass er die zuvor einseitig vorgenommene Preiserhöhung akzeptiert.

Schon wäre diese einseitige Preiserhöhung in seinen Blick gekommen, aus der sich zumindest die Ungewissheit ergibt, ob die einseitige Preiserhöhung denn der Billigkeit entspricht. Es wäre dem OLG aufgegangen, dass in der unbeanstandeten Zahlung einer solchen Jahresabrechnung ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis liegt. Dieses aber nicht vorliegt, wenn die einseitige Preiserhöhung nur scheinbar vorgenommen wurde, weil ein Recht hierzu gar nicht bestand.

Die Frage stellt sich, ob man schon glücklich sein darf, dass das OLG Frankfurt seine Meinung endlich begründet, oder ob man traurig sein muss, dass ihm die Erkenntnis des BGH trotz Nachdenkens über diese Frage nicht gekommen ist.

Wo das OLG Frankfurt den seiner Ansicht nach so entscheidenden Unterschied zwischen Zahlung einer Forderung aus einem Gasliefervertrag und Entnahme von Gas aufgrund dieses Gasliefervertrages sieht, kann ich nicht erkennen. Beides sind Erfüllungshandlungen. Dass diese einen besonderen Erklärungsgehalt dann erhalten sollen, wenn man sie regelmäßig wiederholt und sich danach regelmäßig in längerem Nichtstun betätigt, ist meiner Meinung nach erläuterungsbedürftig.

Offline bolli

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #33 am: 18. November 2009, 10:42:58 »
Zitat
Original von reblaus
Wo das OLG Frankfurt den seiner Ansicht nach so entscheidenden Unterschied zwischen Zahlung einer Forderung aus einem Gasliefervertrag und Entnahme von Gas aufgrund dieses Gasliefervertrages sieht, kann ich nicht erkennen. Beides sind Erfüllungshandlungen. Dass diese einen besonderen Erklärungsgehalt dann erhalten sollen, wenn man sie regelmäßig wiederholt und sich danach regelmäßig in längerem Nichtstun betätigt, ist meiner Meinung nach erläuterungsbedürftig.
Tja, wobei wir auch wieder bei dem berüchtigten Sockelpreis in der gesetzlichen Grundversorgung wären. Auch hier soll ja durch die Entnahme von Gas ein besonderer Vertrag zustande kommen und dessen Inhalt (nämlich die Anerkennung der aktuellen Preise) jede anderweitige Erklärung, die ich eine Sekunde vor und ggf. auch eine Sekunde danach abgegeben habe (nämlich, dass ich den Preis für unbillig halte und es nur deshalb entnehme, da meine Heizung eben Gas braucht und nicht Holz oder Öl), trotzdem überlagert. Einfach irrational, widerspricht  meines Erachtens auch einer Theorie, die an anderer Stelle vom BGH entwickelt wurde, nämlich dass der Wille des durchschnittlichen Verbrauchers zu Grunde zu legen ist ! Wenn ich eine Sekunde vorher widerspreche und auch eine Sekunde nach Entnahme, sollte man dem  durchschnittlichen Verbraucher auch im Augenblick der Entnahme des Gases diesen Willen unterstellen. Alles andere ist an den Haaren herbei gezogen. Und das ich trotzdem entnehme hat einfach damit zu tun, dass ich schon in der gesetzlichen Grundversorgung bin und nicht mehr woanders hin kann (außer in Sonderverträge), dass mich der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Billigkeitsprüfung aber ja auch in die Lage versetzt hat, auf angemessene Preise, und zwar Gesamtpreise und nicht nur Preisveränderungen zu dringen. Was die Richter dann daraus machen, ist schon sehr willkürlich und erfordert ne Menge Kreativität, sowohl, so zu argumentieren, als auch für mich als Verbraucher, das nachzuvollziehen.

Offline reblaus

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #34 am: 18. November 2009, 11:13:40 »
@Bolli
Ich hoffe es reicht aus, Sie daran zu erinnern, dass ich die Rechtsprechung des BGH zum Sockelpreis auf Grundlage des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses sehr wohl nachvollziehen kann, und ich meine Argumente hierzu nicht nochmals wiederholen muss.

Was sich der BGH bei seinem subjektiven Tatbestandsmerkmal zum Willen des druchschnittlichen Verbrauchers gedacht hat, kann ich auch nicht wissen. Ich vermute mal, dass er im Auge hatte, dass es sich bei Wegfall der Preisänderungsklausel bei vielen Verträgen objektiv um Grundversorgungsverträge handeln dürfte, und das subjektive Element zur Erhaltung des Sondervertragsstatus erforderlich ist.

Offline bolli

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #35 am: 18. November 2009, 14:53:30 »
Zitat
Original von reblaus
@Bolli
Ich hoffe es reicht aus, Sie daran zu erinnern, dass ich die Rechtsprechung des BGH zum Sockelpreis auf Grundlage des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses sehr wohl nachvollziehen kann, und ich meine Argumente hierzu nicht nochmals wiederholen muss.
Davon wird die ganze Angelegenheit aber genausowenig plausibel wie ohne Ihr nachvollziehen können. Und es gibt durchaus den einen oder anderen, der es ebenfalls nicht nachvollziehen kann, ob dass immer nur Leute aus dem Bereich der Widerständler sind oder auch neutrale Personen oder sogar die Versorgerseite (heimlich) da mit im Boot ist, kann ich natürlich nicht beurteilen (Identitätsgeheimnis  :D).

Und das mit dem \"durchschnittlichen Verbraucher\" war glaube ich, der Kartellsenat, der hat ja eh keine Ahnung. Im Energiebereich ist nur der \"Ballsenat \" der wahre Senat.  ;)

Offline tangocharly

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Ist der Sockelpreis auf Sonderverträge übertragbar?
« Antwort #36 am: 18. November 2009, 17:25:05 »
Zitat
@bolli
Und das mit dem \"durchschnittlichen Verbraucher\" war glaube ich, der Kartellsenat, der hat ja eh keine Ahnung. Im Energiebereich ist nur der \"Ballsenat \" der wahre Senat.
.

Wobei der genannte \"Fürsteher\" weiland auch schon auf dem rechten Flügel des Kartellsenats saß, bis er zu Höherem be(ge-)rufen wurde.
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