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Autor Thema: BKartA, B. v. 27.01.2009 - B 10-55/08 sachliche Marktabgrenzung Gasmarkt Standardlastprofil- Kunden  (Gelesen 2347 mal)

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BKartA, B. v. 27.01.2009- B 10- 55/08 sachliche Marktabgrenzung Gas- Standardlastprofilkunden

Zitat
Die Betroffene besitzt nach Auffassung der Beschlussabteilung in ihrem Versorgungsgebiet eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 19 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Nr. 2 GWB und im Sinne des § 29 GWB (als Anbieter von leitungsgebundenem Gas) bei der Belieferung von Standardlastprofilkunden mit Erdgas.

Sachlich relevant ist der Markt der Lieferung von Erdgas an Standardlastprofilkunden im Sinne des § 29 Gasnetzzugangsverordnung (vom 25. Juli 2005, BGBl. I S. 2210), d. h. nicht leistungsgemessenen Endkunden. Die Endkundenstufe umfasst sämtliche Nachfrager von Erdgas, die Erdgas zum eigenen Verbrauch nachfragen.

Auf der Endkundenstufe bilden nicht leistungsgemessene Standardlastprofilkunden einerseits und leistungsgemessene Großkunden andererseits aufgrund der unterschiedlichen Nachfragevolumina, Konditionen und den damit einhergehenden Unterschieden in der Preisgestaltung jeweils eigenständige sachliche Märkte.

Während Standardlastprofilkunden regelmäßig im Rahmen von standardisierten Tarifverträgen aufgrund standardisierter Lastprofile beliefert werden, schließen leistungsgemessene Großkunden einen individuellen Liefervertrag mit dem Gaslieferanten ab und ihre Leistung wird durch spezielle Zähler genau gemessen.

Es ist von einem eigenen Markt der Belieferung von Letztverbrauchern mit Erdgas auszugehen und nicht von einem erweiterten „Wärmemarkt“, der auch die Belieferung mit Öl (für Ölheizungen), Strom (für Wärmeheizungen) oder anderen Produkten (wie Holz für Pellet-Heizungen) umfasst.

Dies entspricht zunächst herrschender Kartellrechtssprechung und –verwaltungspraxis. So hat der Bundesgerichtshof im Leitsatz seiner Entscheidung \"Erdgassondervertrag\" klargestellt: „Die Versorgung von Letztverbrauchern mit Erdgas bildet sachlich einen eigenen Markt; ein einheitlicher Markt für Wärmeenergie besteht nicht (Bestätigung von BGHZ 151,274,282 - Fernwärme für Börnsen).“

Schon zuvor hat der 2. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in einer Entscheidung vom 16. April 2008 – unter expliziter Aufgabe der Rechtsprechung des vormals zuständigen 1. Kartellsenats – bestätigt, dass aufgrund der für einen Wechsel des Energieträgers erforderlichen Aufwendungen die verschiedenen Formen der Wärmeenergie nicht im Sinne des Bedarfsmarktkonzepts als austauschbar angesehen werden können. Die Europäische Kommission geht in ihrer ständigen Entscheidungspraxis ebenfalls von einem eigenständigen sachlich relevanten Markt für die Versorgung von Kleinkunden mit Gas aus.

Ein brennstoffübergreifender Wärmemarkt lässt sich darüber hinaus auch nicht mit der Überlegung begründen, dass Gasversorger bei der Preisstellung nicht differenzieren zwischen Kunden, die sich im Rahmen der Erstausrüstung oder der Ersatzbeschaffung für ein Heizsystem entscheiden müssen, und solchen Kunden, die sich bereits für ein Heizsystem entschieden haben. Denn selbst wenn man über den für beide Nachfragergruppen einheitlichen Gaspreis eine Verbindung zwischen dem Ausrüstungsmarkt und dem Gasliefermarkt herstellen wollte, so wäre es angesichts der gegebenen Verhältnissen auf dem Ausrüstungsmarkt nicht gerechtfertigt, an Stelle eines Gas- Liefermarktes einen brennstoffübergreifenden Liefermarkt anzunehmen. Nennenswerter Wettbewerbsdruck vom Ausrüstungsmarkt auf den Gas-Liefermarkt ist nämlich angesichts des hohen Durchdringungsanteils von Erdgasheizungen bei Neubauten - mehr als 70 % in den Jahren 1995 bis 2005 - sowie unter Berücksichtigung bauordnungsrechtlicher und platzbedingter Hindernisse zu Lasten von Ölheizungen nicht zu verzeichnen.

In räumlicher Hinsicht grenzt die Beschlussabteilung den sachlich relevanten Markt für Erdgas auf der Endkundenstufe mit Erdgas regional nach den etablierten Versorgungsgebieten der beteiligten Unternehmen ab. Dies ist das Netzgebiet, in dem das Unternehmen nach § 36 EnWG die Grundversorgung durchführt. Die netzbezogene räumliche Marktabgrenzung beim Gasbezug durch Endkunden entspricht bis in die jüngste Zeit der Rechtsprechung, der Auffassung der Monopolkommission sowie auch der Praxis des Bundeskartellamts.

Wie der Kartellsenat des OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 16. April 2008 zutreffend ausgeführt hat, erscheint diese Marktabgrenzung weiterhin sachgerecht.

Auf dem so abgegrenzten sachlich und räumlich relevanten Markt besitzt die Betroffene eine marktbeherrschende Stellung mit einem sehr hohen Marktanteil. Nach den Erhebungen der Bundesnetzagentur im Monitoringbericht 200813 haben sich die Lieferantenwechsel im Jahr 2007 zwar erhöht, betragen aber nach wie vor noch 1 % und weniger für den Bereich der Standardlastprofilkunden (bis 1500 MWh/Jahr).

Für das Jahr 2008 liegen noch keine Durchschnittswerte vor; allerdings ist die Wechselquote nach den Ermittlungen des Amtes in den Gebieten der vom Verfahren betroffenen Unternehmen teilweise signifikant höher.

Im Gasmarkt für Endkunden bestehen immer noch gewichtige Marktzutrittsschranken. Zum einen ist ein Teil der Haushalte als Mieter vom Wechsel des Anbieters ausgeschlossen, weil der Vermieter den Versorger bestimmt. Der Vermieter hat aber kein Interesse an einem Anbieterwechsel, da der Gasbezug für ihn ein durchlaufender Posten ist, den er an den Mieter weitergeben kann. Zudem sind nach einer aktuellen Studie nur 14% der Gasendkunden tatsächlich auch bereit, den Gasanbieter zu wechseln. Wie der Monitoring-Bericht 2008 der Bundesnetzagentur ausführt, kann gegenwärtig noch nicht von einem flächendeckenden Wettbewerb im Gassektor gesprochen werden.

Zwar bestehen generell Substitutionsbeziehungen zwischen den verschiedenen Wärmeenergieträgern (Erdgas, Elektrizität, Fernwärme und Öl), die einen gewissen Druck auf die marktbeherrschende Stellung des Gasversorgers ausüben. Wie das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 16. April 2008 ausführt, führt allein die Konkurrenz der Energieträger nicht zu einem hinreichenden Wettbewerbsdruck auf die bisher marktbeherrschenden Versorgungsunternehmen, der ihre marktbeherrschende Stellung ernsthaft in Frage stellen kann. Die tatsächlichen Marktverhältnisse auf dem hier sachlich relevanten Gasendkundenmarkt weisen nach wie vor keinen funktionierenden Wettbewerb auf.

 

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