Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Kalkulation-Geschäftsgeheimnisse

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Pölator:
Hallo zusammen,

oft ist es so, dass der Versorger sich auf \"Geschäftsgeheimnisse\" beruft, als Begründung, seine Kalkulation nicht offen zu legen, da dieses ja seinen \"Mitbewerbern\" (HA-HA-HA) zuspiele.
Gibt es Entscheidungen hierzu, welche Daten/Zahlen einer für uns interressante Kalkulation als Geschäftsgeheimnisse gelten und welche nicht? Wäre nicht auch das Alter dieser Daten relevant (was haben 10 Jahre alte Zahlen mit dem heutigen \"Wettbewerb\" zu tun)?

Ich meine auch hier dazu schon was gelesen zuhaben, kann es aber leider nicht mehr finden.
Wer kann mir da auf die Sprünge helfen?

Danke schon mal,
schönen Tag noch,
der Pölator

jofri46:
In der Tat ist es wohl strittig, inwieweit ein Versorger seine Kalkulation offenlegen muss. Der BGH hat m. W. in früheren Entscheidungen, allerdings nicht Gasversorger betreffend, eine vollumfängliche Offenlegung der Kalkulation abgelehnt und war der Auffassung, eine Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen reiche aus.
Diese Auffassung könnte der BGH auch bei Gasversorgern beibehalten. Hierzu soll noch in diesem Monat (19.11. ?) eine Grundsatzentscheidung ergehen, Az.: VIII ZR 138/07. Sicher wird darüber hier im Forum berichtet. Bis dahin einfach mal abwarten.

RR-E-ft:
Zunächst muss geklärt werden, ob das Unternehmen überhaupt Grundrechtsträger ist, nur dann kann es in Grundrechten verletzt werden. Dies wurde vom BVerfG für kommunale Versorgungsunternehmen auch dann verneint, wenn dieses private Minderheitsaktionäre hatten (HEW Hamburgische Electricitätswerke AG).

Dann kommt es darauf an, ob gesetzliche Publizitätspflichten bestehen. Dies war in § 9 (a) EnWG 1998 hinsichtlich der Spartenabschlüsse der Fall, nunmehr auch § 10 EnWG. Soweit gesetzliche Publizitätspflichten bestehen, kann es sich denknotwendig nicht um Geschäftsgeheimnisse handeln. Zu beachten sind auch § 40 EnWG n. F. und die Publizitätspflichten nach den Netzzugnags- und Netzentgeltverordnungen.

Schließlich sieht die ZPO Möglichkeiten vor, wie Geschäftsgeheimnisse geschütz werden können (in-camera- Verfahren).

Als kommunales Unternehmen  unterlagen die Stadtwerke  auch unabhängig von einer marktbeherrschenden Stellung und energierechtlicher Bestimmungen dem Kostendeckungsprinzip (vgl. KG WuM 2005, 257; BGH, Urt. v. 21.09.2005 – VIII ZR 7/05), was es ihnen verbietet, mit den Entgelten einen übermäßigen Gewinn zu erzielen.
 
Bei der Gasversorgung handelt es sich um einen traditionellen Bereich der Daseinsvorsorge.

Die öffentliche Hand hat, wenn sie sich entschließt, Leistungen der Daseinsvorsorge in privat-rechtlicher Form zu regeln, bei der Festsetzung der Tarife und Entgelte auch öffentlich- rechtliche Vorgaben zu beachten. Sie hat neben den Grundrechten jedenfalls die grundlegenden Prinzipien des öffentlichen Finanzgebarens zu beachten (BGH, Urt. v. 05.07.2005 – X ZR 60/04 unter II 2 c bb) (1); BGHZ 115, 311, 318; 91, 84, 96 f.).  Entscheidend dafür ist die Schutzbedürftigkeit des einzelnen Bürgers gegenüber der Erschließung gesetzwidriger Finanzquellen durch die öffentliche Verwaltung, die dem Bürger nicht Entgelte für Leistungen abverlangen soll, für die bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses Abgaben nicht erhoben werden dürften (BGHZ 115, 311, 318; 91, 94, 97).

Das Kostendeckungsprinzip gehört zu den grundlegenden Prinzipien öffentlichen Finanzgebarens, die die öffentliche Hand auch dann zu beachten hat, wenn sie öffentliche Aufgaben in den Formen des Privatrechts wahrnimmt [BGHZ 115, 311, 318].

Stadtwerke  als kommunale Unternehmen, die sich im Bereich der Daseinsvorsorge betätigen, können sich folglich auf keinen Geheimnisschutz berufen. Sie können schon nicht  in Grundrechten betroffen sein. Im Bereich der Daseinsvorsorge hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass schon die Grundrechtsfähigkeit eines solchen Unternehmens nicht gegeben ist.

So hatte das BVerfG etwa die Grundrechtsfähigkeit der HEW Hamburgische Electricitätswerke AG und damit einen Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verneint (NJW 2000, 1783).  
Auf die weiteren Entscheidungen BVerfGE 45, 63 - Stadtwerke Hameln; BVerfGE 95, 172- Sparkassen; BGHZ 91, 84 - Verwaltungsprivatrecht; zuletzt BGH, Urt. v. 10.02.2005 - III ZR 294/ 04 (ZNER 2005, 150) wird hingewiesen.

Zunächst ist festzustellen, dass die Energieversorgungsunternehmen anders als andere Wirtschaftsunternehmen als gesetzlich  versorgungspflichtiges Gasversorgungsunternehmen besonderen Publizitätspflichten unterliegen.

So sind etwa die netzbezogenen Daten gem. § 20 GasNZV und netznutzungsrelevanter Daten gem. § 21 GasNZV zu veröffentlichen.
Ebenso sind die Netzentgelte, welche als (kalkulatorische) Netzkosten in die Preiskalkulation einfließen, gem. § 27 Abs. 1 GasNEV zu veröffentlichen und die Kalkulation der Entgelte gem. § 28 GasNEV für einen sachverständigen Dritten ohne weitere Information vollständig nachvollziehbar zu dokumentieren. Die Grundsätze der Netzkostenermittlung sind in §§ 4 ff. GasNEV geregelt.
 

Zum preisbildenden Faktor Netzkosten kann nach alldem schon kein Geheimhaltungsbedürfnis bestehen, zumal Wettbewerber, die das Netz in Anspruch nehmen wollen nach der Rechtsprechung des BGH selbst dann Anspruch auf eine zivilrechtliche Billigkeitskontrolle der einseitig festgelegten Netzentgelte haben, wenn diese Netzentgelte mit behördlicher Genehmigung von der Beklagten festgesetzt wurden (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04; Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05 sowie KZR 9/05; BGH, Urt. v. 05.07.2005 - X ZR 60/04 unter II. 1 c). Die Netzkosten sowie die Kosten der Messung sind gem. § 40 EnWG in den Verbrauchsabrechnungen der Energieversorgungsunternehmen gesondert auszuweisen.

Aus der Praxis der Regulierungsbehörden ist bekannt, dass etwa die Bundesnetzagentur die Kostenansätze der Gasversorgungunternehmen für die Netzkosten um bis zu 30 Prozent abgesenkt hat. Demnach waren die Erdgaspreise deshalb bisher insgesamt überhöht kalkuliert und müssen abgesenkt werden (vgl. Säcker, RdE 2006, 65).

Die Gasversorger hatten als integriertes Gasversorgungsunternehmen bereits nach § 9a EnWG 1998 (BGBl. I S. 730) in ihrer internen Buchführung getrennte Konten für die verschiedenen Bereiche Gashandels- und Vertriebsaktivitäten sowie für die Bereiche Speicherung sowie ein konsolidiertes Konto für Aktivitäten außerhalb des Erdgassektors (Nah- und Fernwärmeversorgung; Stromversorgung  etc.)  zu führen, den Jahresabschluss in einer besonderen Form zu führen und eine Ausfertigung des Jahresabschlusses in der Hauptverwaltung zur Einsicht für jedermann bereit zu halten.

Die darin enthaltenen Wirtschaftsdaten unterliegen also einer gesetzlichen Publizitätspflicht und können deshalb keine Geschäftsgeheimnisse darstellen. Ebenso keine Geschäftsgeheimnisse können die in die Tarifpreise einkalkulierten Verbrauchssteuern und Abgaben sein, also etwa die Erdgassteuer, die Konzessionsabgaben gem. Konzessionsabgabeverordnung usw. sein.

Nachdem bei einer Billigkeitskontrolle die Feststellung der maßgeblichen Tatsachen Aufgabe des Gerichts ist und der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit gilt, kann sich ein EVU auch nicht auf erkaufte Bescheinigungen eines Wirtschaftsprüfers berufen.

Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ist aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Dieser muss die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes ermöglichen. Die Beteiligten müssen die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Zu einem wirkungsvollen Rechtsschutz gehört auch, dass der Richter in die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage (vgl. BVerfG, 1 BvR 2203/98 vom 28.12.1999, Absatz 12)

Eine Beweisführung durch einen neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen (Wirtschaftsprüfer) als Beweismittler scheidet aus. Denn ein gerichtliches Sachverständigengutachten ist als Beweismittel unverwertbar, wenn es auf Geschäftsunterlagen beruht, die eine der Parteien nur dem Sachverständigen, nicht dem Gericht und der Gegenpartei zur Verfügung gestellt hat und die im Verfahren auch nicht offen gelegt werden (vgl. BVerwG, B. v. 15.08.2003 – 20 F.8.03, BGH, Urt. v. 12.11.1991 – KZR 18/90, BGHZ 116, 47).

Die gerichtliche Verwertung eines solchen Sachverständigengutachtens versagt nicht nur den Beteiligten, welche die geheim gehaltenen Tatsachen nicht kennen, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz).
Das Gericht verletzt auch seine Pflicht, ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten sorgfältig und kritisch zu würdigen, insbesondere auch daraufhin zu überprüfen, ob es von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht. Dieser Pflicht und dem Gebot der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs kann das Gericht nur entsprechen, wenn der Sachverständige die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens offen legt (vgl aaO., m. w. N.).

Wo dies bereits für ein gerichtliches Sachverständigengutachten gilt, gilt dies erst recht für ein eingeführtes Privatgutachten einer Partei und erst recht für eine Bescheinigung, deren Herkunft und Zustandekommen bestritten und fraglich ist.

Das auf Zahlung klagende EVU hat ggf. die Bezugsverträge, die Bezugskostenrechnungen, die entsprechenden Zahlungsbelege sowie die Spartenabschlüsse Gas gem. § 9a EnWG 1998 offen zu legen.

Pölator:
Hallo Herr Fricke,
vielen Dank!

@jofri46
Das genannte Verfahren ist bekannt. Und abwarten ist so eine Sache, wenn die Fristen laufen... .


mfG
Pölator

nomos:
Ich schliesse mich dem Dank an. Sehr gute Zusammenfassung!

Jetzt ist nur noch zu prüfen, wer denn in unserem sozialen und demokratischen Bundesstaat für die Einhaltung der genannten Vorgaben sorgt, bzw. wer sie Notfalls mit welchen Sanktion erzwingt.

Bei den vielen Verflechtungen, Mandats- und Ämterhäufungen ist die Kommunale Aufsicht eher Teil des Systems geworden.  Man organisiert sich bei den Kommunen mit privatrechtlichen Beteiligungen und Konzernstrukturen und nimmt sich ungehindert alle Freiheiten und orientiert sich nur noch an der privaten Wirtschaft. Für mich tangiert das auch die Bürger als Verbraucher.
 
Bleiben dem Bürger und Verbraucher wirklich nur die BGB-§§  307 und 315?

Öffentliches Recht - Kommunalrecht - Verwaltungsrecht - Verwaltungsgerichte?

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