Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Mindermeinung: gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers aus EnWG  (Gelesen 34674 mal)

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Offline RR-E-ft

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In einem Aufsatz "Die gerichtliche Kontrolle von Preisbestimmungspflichten im Energiebereich: § 315 BGB - eine inhaltlich auch vom BGH verkannte Norm", veröffentlicht in ZNER 2011, S. 130 ff. habe ich meine Mindermeinung darzulegen versucht:

- Grundversorger unterliegen einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht hinsichtlich der Allgemeinen Preise aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG.
- Die Preisbestimmung muss deshalb so erfolgen, dass sie den betroffenen Kunden eine möglichst preisgünstige Versorgung gewährleisten.
- Diese gesetzliche Preisbestimmungspflicht aus dem EnWG wird gem. §§ 6 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 StromGVV/ GasGVV in die Grundversorgungsverträge implementiert.
- Die Preishauptabrede im Grundversorgungsvertrag besteht  deshalb in einer Preisbestimmungspflicht des Versorgers
   unter Beachtung der Bestimmungen des EnWG.
- Demgegenüber sind (konkludente) individuelle Preisvereinbarungen mit grundversorgten Kunden (die zu einem "vereinbarten Preissockel" führen)
  gesetzlich unzulässig, § 36 Abs. 1 EnWG.
- Preisaneubestimmungen sind insbesondere  infolge und im Umfange steigender Kosten möglich und gesunkener Kosten zwingend.
- Preis(neu)bestimmungen dienen nicht der Wahrung eines bereits bestehenden Äquivalenzverhältnisses,
  sondern dienen jeweils  der Schaffung eines vertragsgemäßen Äquivalenzverhältnisses.
- Der Allgemeine Preis ist wegen der vertraglich implementierten Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers von Anfang an an den Maßstab der Billigkeit gebunden
  und unterliegt deshalb der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB.
- Bei der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB erfolgt eine Kontrolle darüber, ob der Allgemeine Preis vertragsgemäß ist,
  d.h. ob er den betroffenen Kunden tatsächlich eine möglichst preisgünstige, effiziente Versorgung zu verbraucherfreundlichen Bedingungen gewährleistet.
- Eine Billigkeitskontrolle des vom Grundversorger mit der Verbrauchsabrechnung beanspruchten Allgemeinen Preises kann allenfalls verwirken.
- Eine Verwirkung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist von Rückforderungsansprüchen des Kunden
  kann nur noch unter besonderen Umständen angenommen werden.
- Der Grundversorger trägt die Darlegungs- und Beweislast für Zeit- und Umstandsmoment und der besonderen Umstände für eine Verwirkung.
- Der Grundversorger hat kein anzuerkennedes schützwürdiges Interesse an gesetzwidrig zu hoch kalkulierten Allgemeinen Preisen,
  vielmehr kann das Zur-Abrechnung-stellen-lassen zu hoch kalkulierter Allgemeiner Preise eine Betrugsstrafbarkeit der Verantwortlichen begründen (BGH 5 StR 394/08).
- Ein gesetzwidrig zu hoch kalkulierter Allgemeiner Preis, der den betroffenen Kunden eine möglichst preisgünstige Versorgung nicht gewährleistet,
  ist gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB für die betroffenen Kunden unverbindlich und deshalb nicht geschuldet, vgl. auch § 17 StromGVV/ GasGVV.

Eine unter die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 1 BGB fallende Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ergibt sich
nicht aus § 4 AVEltV/AVBGasV bzw. § 5 StromGVV/ GasGVV, sondern unmittelbar aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG i.V.m. §§ 6 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV .

Der Streit darüber, ob der Grundversorger diese Preisbestimmungspflicht in Bezug auf den vom Kunden zu zahlenden Allgemeinen Preis vertragsgemäß erfüllt hat,
gehört deshalb gem. §§ 108, 102 EnWG in die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte.

Möglicherweise kommt nach dem Urteil des EuGH vom 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 nun doch noch eine Diskussion darüber zustande.       
« Letzte Änderung: 29. Oktober 2014, 12:49:29 von RR-E-ft »

Offline userD0010

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Das kann ja noch lustiges Berechnen und Verhandeln werden (von wem auch immer), wenn es darum gehen sollte, die jährlich mögliche preisgünstgste Versorgung der grundversorgten Endverbraucher festzustellen und diesen durch die LG zuzubilligen. Wie viele Verhandlungsjahre wird es denn erfordern, bis jeweils zuständige Landgerichte ihre Kalkulationen mit den Versorgern verhandelt und abgestimmt haben?

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Das kann ja noch lustiges Berechnen und Verhandeln werden (von wem auch immer), wenn es darum gehen sollte, die jährlich mögliche preisgünstgste Versorgung der grundversorgten Endverbraucher festzustellen und diesen durch die LG zuzubilligen. Wie viele Verhandlungsjahre wird es denn erfordern, bis jeweils zuständige Landgerichte ihre Kalkulationen mit den Versorgern verhandelt und abgestimmt haben?
@h.terbeck, lustig ist da nichts. Was sich hier deutsche Politiker, explizit der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber beim Verbraucherschutz leistet und geleistet hat ist eher ein Trauerspiel.

Die Berechnung ist zwar mit einem gewissen Aufwand verbunden. Wenn für die einseitigen Preisänderungen der Energieversorger seit 2004 die Rechtsgrundlage fehlt ist der Preis 2004 der Ausgangspunkt. Jetzt braucht man halt noch die jeweiligen Abrechnungen aus der Grundversorgung bis heute, dann ist die Rechnung eine leichte Übung.

Die von RR-E-ft vertretene Mindermeinung zeigt Sachverstand und tiefe Kenntnis der Materie und sie ist insgesamt nachvollziehbar und für Energieverbraucher höchst wertvoll. Bei mancher vertretenen "herrschenden Meinung" ist das nicht so.

Offline userD0010

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Vll. hätte ich statt "lustiges" besser lustvolles schreiben sollen. Da wird doch jeder Beteiligte an dem Seilchen zu seinen Gunsten zerren. Und die Leistung unserer sog. Politiker ist doch insgesamt ein Trauerspiel, nicht nur beim Verbraucherschutz.

Offline RR-E-ft

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Bei Lichte betrachtet ist wohl zu hinterfragen, was sich aus der Unwirksamkeit der Bestimmungen der §§ 4 AVBEltV/AVBGasV bzw. §§ 5 StromGVV/GasGVV wegen Verstoßes gegen EU- Richtlinien (vgl. EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11) überhaupt für Folgen ergeben, wenn jene Bestimmungen schon von Anfang an nicht die der Billigkeitskontrolle unterliegende Preisbestimmungspflicht der Grundversorger enthielten, sondern sich diese Preisbestimmungspflicht der Grundversorger nach wie vor aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG iVm. § 6 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV ergibt.

Wir müssen wohl geistig flexibel bleiben.

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... Wir müssen wohl geistig flexibel bleiben.
Frei nach Albert Einstein: "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die Jurisprudenz, aber beim Universum bin ich mir sicher." ;)

"Das Rechtsverhältnis zwischen Strom- und Gasgrundversorgern und den Versorgten im Lichte der einschlägigen deutschen Gesetze, Verordnungen, deren Novellierungen und unter Berücksichtigung des EU-Rechts."


Das wäre doch eine sinnvolle Fleißarbeit bzw. eine Dissertation für einen künftigen Doktor der Rechte mit geistiger Flexibilität und dazu sicher noch notwendigen weiteren Fähigkeiten?

PS
Zur Erinnerung, die Intentionen des Gesetzgebers im

§ 1 Energiewirtschaftsgesetz
Zweck des Gesetzes

(1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.

(2) Die Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze dient den Zielen der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen.

(3) Zweck dieses Gesetzes ist ferner die Umsetzung und Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energieversorgung.

dazu § 2
Aufgaben der Energieversorgungsunternehmen
(1) Energieversorgungsunternehmen sind im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Sinne des § 1 verpflichtet.
« Letzte Änderung: 29. Oktober 2014, 17:57:08 von PLUS »

Offline RR-E-ft

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Wenn man von einer gesetzlichen  Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ausgeht, erscheint es womöglich nicht unbedingt zielführend, nach einem Preisänderungsrecht zu fragen.

Andererseits müssen die Transparenzanforderungen für Tariferhöhungen (EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 Tz. 47) auch für entsprechende Preisneufestsetzungen gelten, wenn den Versorger eine Preisbestimmungsflicht trifft. Soweit die Bestimmungen des EnWG nicht dem EU- Recht entsprechen, müssen sie europarechtskonform ausgelegt und angewendet werden, vgl. auch  § 1 Abs. 3 EnWG.

Energieversorger sind gem. § 2 Abs. 1 EnWG im Rahmen dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Sinne des § 1 verpflichtet, was neben dem Zweck gem. § 1 Abs. 1 auch den Zweck des § 1 Abs. 3 EnWG einschließt, so dass auch EU- Recht Beachtung erfordert. 
« Letzte Änderung: 29. Oktober 2014, 23:03:12 von RR-E-ft »

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Wenn man von einer gesetzlichen  Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ausgeht, erscheint es womöglich nicht unbedingt zielführend, nach einem Preisänderungsrecht zu fragen. ...
Ja, womöglich! Flexibilität ist trotzdem gefordert und im Spiel. Man denke oder suche sich nur ein Beispiel mit wechselndem Grundversorger (§36 (2) EnWG).

Es  braucht da schon einen sehr großen oder mehrere Alexander um  diesen gordischen Knoten zu lösen. ;)

und

Zitat
(3) Im Falle eines Wechsels des Grundversorgers infolge einer Feststellung nach Absatz 2 gelten die von Haushaltskunden mit dem bisherigen Grundversorger auf der Grundlage des Absatzes 1 geschlossenen Energielieferverträge zu den im Zeitpunkt des Wechsels geltenden Bedingungen und Preisen fort.

usw....

Kleine Frage: Was hat denn da jetzt nur gegolten?
« Letzte Änderung: 30. Oktober 2014, 08:34:58 von PLUS »

Offline Black

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Die Folge einer solchen Rechtsauffassung wäre die gerichtliche Billigkeitskontrolle des gesamten Energielieferpreises. Statt wie zu Zeiten der Monopolwirtschaft genehmigter Tarife wären es nun gerichtlich kontrollierte und festgesetzte Tarife. Genau das, was der Gesetzgeber im Zuge der Liberalisierung also (angeblich) gerade abschaffen wollte.

Erschwerdend kommt hinzu, dass ein Zivilgericht gar nicht DEN Allgemeinen Tarif für alle Kunden prüfen und festlegen könnte sondern immer nur individuell im Verhältnis der Prozessparteien. Jeder Richter wäre damit befugt den Allgemeinen Tarif anders hoch festzusetzen.

Wenn das Gericht dann noch den Allgemeinen Tarif möglichst "preiswert" festsetzt, bestände kaum noch eine Möglichkeit für Wettbewerber diesen Preis dann noch zu unterbieten. Es wäre für Kunden noch weniger Anreiz die Grundversorgung zu verlassen.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline PLUS

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Die Folge einer solchen Rechtsauffassung wäre die gerichtliche Billigkeitskontrolle des gesamten Energielieferpreises. ...
@Black, steht das nicht seit Jahren eindeutig so im Bürgerlichen Gesetzbuch?!

Zitat
§ 315 BGB Bestimmung der Leistung durch eine Partei (3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen;...

Kein grundversorgter Verbraucher hat je den Preis mit dem Grundversorger vereinbart. Der Grundversorger hat die Leistung und Gegenleistung jeweils bestimmt, von Anfang an!

..und der EuGH hat eben erst Recht gesprochen! Nicht registriert?

So gut wie "Alles" wurde dazu schon mehrfach und ausführlich beschrieben z.B. zur Preissockeltheorie hier klicken und Nachlesen

Offline RR-E-ft

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@Black

Es ist doch aber nunmal so, dass den Grundversorger eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht trifft und die Erfüllung dieser Verpflichtung einer Ausübungskontrolle bedarf, welche sie nur in § 315 BGB findet.

Soweit die Billigkeitskontrolle einer einseitigen Tarifänderung unstreitig ist, überzeugen die Argumente, die gegen eine Billigkeitskontrolle des Tarifs angebracht werden, nicht wirklich.

Denn bei Lichte betrachtet unterscheiden sich doch die Folgen (bis auf den "Preissockel") gar nicht so sehr voneinander. Hier wie dort kann die Billigkeitskontrolle zum Ergebnis haben, dass die getroffene Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB.

BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06, juris Rn. 17

Zitat
Allgemeine, für jedermann geltende Tarife schließen eine Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB nicht von vornherein aus. Zwar ist richtig, dass es bei der Bestimmung der Billigkeit auf die Interessenlage beider Parteien und eine umfassende Würdigung des Vertragszwecks ankommt (Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, NJW-RR 1992, 183, unter III 1). Die Berücksichtigung der typischen Interessenlage beider Parteien und eine umfassende Würdigung des Vertragszwecks sind aber auch bei einem Massengeschäft möglich (vgl. BGHZ 115, 311 zu Abwasserentgelten und BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 60/04, NJW 2005, 2919 zur Abfallentsorgung).

Dabei betrifft die Billigkeitskontrolle insbesondere auch solche Tarife, für welche keine staatliche Preisgenehmigungspflicht besteht. Zu individuellen Tarifen kann es bei der Billigkeitskontrolle wohl nur kommen, wenn man contra legem auf individuelle Preiswidersprüche und hierdurch angeblich individuell gebildete Preissockel abstellt.

BGH, Urt. 18.10.05 KZR 36/04, juris Rn. 10:

Zitat
Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die "jeweils geltende Anlage 3" verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Netzbetreiber auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Netznutzer nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.

Der Maßstab bei der Billigkeitskontrolle eines aufgrund der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht vom EVU gebildeten Tarifs ist kein individueller, so wie schon die Preisbestimmung des Versorgers keine individuelle gegenüber einzelnen Kunden war. Schließlich muss der Prüfungsmaßstab dem Prüfungsgegenstand (hier: der Allgemeinen Preisbestimmung/ Bestimmung des Allgemeinen Preises für einen typischen Abnahmefall) entsprechen.

BGH, Urt. v. 4.3.08 KZR 29/06, juris Rn. 21:

Zitat
Die energiewirtschaftsrechtlichen Kriterien für das zulässige Netznutzungsentgelt stehen damit, wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 164, 336, 341 – Stromnetznutzungsentgelt I; BGH WuW/E DE-R 1730, 1731 f. – Stromnetznutzungsentgelt II), einem Verständnis der Preisbestimmung als Bestimmung des billigen Entgelts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Der Maßstab der Billigkeit und Angemessenheit ist lediglich kein individueller, sondern muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden (vgl. BGHZ 115, 311, 317 ff.; BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17).

Wer davon ausgeht, dass die Versorger (seit Monopolzeiten!) berechtigt waren, durch einseitige Preisänderungen ihre Margen zu wahren, der muss erkennen, dass er es somit zulässt, Monopolrenditen in die Gegenwart fortzuschreiben, obschon solche Renditen wohl unzweifelhaft gegen §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG verstoßen.

Aus meinem Aufsatz geht auch hervor, dass der Gesetzgeber mit §§ 108, 103, 102 EnWG gerade eine Konzentrationswirkung bei bestimmten Spruchkörpern erreichen wollte, um eine Zerfaserung der Rechtsprechung zu vermeiden.

So können immer wieder die gleichen, spezialisierten KfH bei den Landgerichten oder zuständig für mehrere Landgerichtsbezirke ausschließlich zuständig sein für die Billigkeitskontrolle von Netzentgelten und Grundversorgertarifen im Energiebereich.





 
« Letzte Änderung: 05. November 2014, 10:14:47 von RR-E-ft »

Offline bolli

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Aus meinem Aufsatz geht auch hervor, dass der Gesetzgeber mit §§ 108, 103, 102 EnWG gerade eine Konzentrationswirkung bei bestimmten Spruchkörpern erreichen wollte, um eine Zerfaserung der Rechtsprechung zu vermeiden.

So können immer wieder die gleichen, spezialisierten KfH bei den Landgerichten oder zuständig für mehrere Landgerichtsbezirke ausschließlich zuständig sein für die Billigkeitskontrolle von Netzentgelten und Grundversorgertarifen im Energiebereich.
Bedauerlicherweise gefiel dem BGH aber wohl die Rechtsprechung seines Kartellsenats nicht. Denn während in der Anfangszeit Streitigkeiten über die Preise in der Grundversorgung an den LG und OLG konsequenterweise gemäß § 102 EnWG an den Kammern für Handelssachen bzw den Kartellsenaten verhandelt wurden, wurde die Rechtssprechung in diesen Fällen beim BGH entgegen seiner Geschäftsordnung relativ schnell an den VIII Senat abgegeben (da es angeblich um privatrechtliche vertragliche Vereinbarungen ging) der dann auch alsbald in 2007 seine "Preissockeltheorie" aufstellte, die noch heute zur Anwendung kommt.  >:(
Mittlerweile haben auch schon Amtsgerichte über Fragen zur Billigkeit entschieden, obwohl die Preisbestimmungspflicht sich aus dem EnWG und den daraus ergangenen GVV ergibt und somit eine Zuständigkeit gem. § 102 EnWG gegeben sein sollte.
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Offline RR-E-ft

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Die Meinung, dass die Billigkeitskontrolle einer einseitigen Änderung des Tarifpreises keine Streitigkeit im Sinne des § 102 EnWG ist, scheint in der [in meinem Aufsatz aufgeführten] obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig. Der BGH hatte ersichtlich nie Gelegenheit, diese Rechtsprechung der OLG zu überprüfen.

Einzig mit einem Beschluss v. 20.08.07 Az. X ZR 247/07 wurde über eine Gersichtsstandszuständigkeit nach § 106 EnWG in einem energierechtlichen Verwaltungsverfahren die Netzentgeltgenehmigung betreffend vom BGH entschieden.

Offline Black

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@Black

Es ist doch aber nunmal so, dass den Grundversorger eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht trifft und die Erfüllung dieser Verpflichtung einer Ausübungskontrolle bedarf, welche sie nur in § 315 BGB findet.

Ob von dieser einseitigen Bestimmungspflicht auch der Anfangspreis des Neukunden betroffen ist oder nicht, besteht gerade der bekannte Streit, in dessen Rahmen Sie eine Mindermeinung vertreten.

Denn bei Lichte betrachtet unterscheiden sich doch die Folgen (bis auf den "Preissockel") gar nicht so sehr voneinander. Hier wie dort kann die Billigkeitskontrolle zum Ergebnis haben, dass die getroffene Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Bei einer Gesamtpreiskontrolle müsste das Gericht - anders als bei der jetzt praktizierten Preiskontrolle einzelner Anpassungen - auch die Gewinnmarge des Versorgers festlegen. Der Unterschied wäre also erheblich.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline PLUS

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Energiewirtschaftsgesetz
§ 1
Zweck des Gesetzes
(1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.

§ 2
Aufgaben der Energieversorgungsunternehmen
(1) Energieversorgungsunternehmen sind im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Sinne des § 1 verpflichtet.

Diese Verpflichtung im Gesetz entspricht der "Mindermeinung" und bezieht sich zweifelsfrei auf die Gesamtleistung und somit auch auf den Gesamtpreis. Unangemessene nicht betriebswirtschaftlich erforderliche Gewinnmargen neben diversen Quersubventionen entsprechen insbesondere bei Stadtwerken aber auch bei allen anderen Energieversorgern erkennbar nicht dem Sinne des Gesetzes.

Was sich hier entwickelt hat bedarf der Korrektur. Selbst ein Bundesminister AD ist mit der Auslegung und Handhabung der Gesetze nicht einverstanden.

EINSPRUCH!

Zitat von: Norbert Blüm, Bundesminister AD:
Wenn der frühere Präsident des Bundesgerichtshofs, Günter Hirsch, sagt, Richter sollen Gesetze nicht nur danach auslegen, was sich der Gesetzgeber bei Erlass der Gesetze dachte, sondern auch, was er vernünftigerweise gedacht haben sollte, dann machen die Gerichte sich zur Gouvernante der Gesetzgebung. Das geht gegen die Gewaltenteilung.

 

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