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Autor Thema: Gericht erlaubt Eon-Avacon die Sperrung  (Gelesen 4377 mal)

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Offline Christian Guhl

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Gericht erlaubt Eon-Avacon die Sperrung
« am: 22. Juli 2006, 16:11:41 »
Mir liegt ein Urteil des AG Dannenberg vor, in dem Eon-Avacon erlaubt wird die Wohnung zu betreten um Gas und Strom zu sperren.
Ob Berufung statthaft ist, kann lt. Auskunft des RA nicht erkannt werden, da der Streitwert nicht feststeht.Zum Fall : Es waren Rückstände aus 2004 und 2005 aufgelaufen, die in Raten getilgt werden sollten.Im Urteil steht :
"Der Beklagte zahlt ab 3.06 350€ mtl., 200€ Abschlag und 150€ auf die Rückstände.Die Klägerin ist nicht bereit die Ratenzahlungen zu aktzeptieren.Dies würde bedeuten, daß die Restschuld in 7 Monaten getilgt ist. Darauf muß sich die Klägerin nicht einlassen.Darin vermag das Gericht keine Unbilligkeit zu sehen."
Weiterhin geht es um Kürzung der Abschlagzahlungen wegen Minderverbrauchs, da eine neue Heizung eingebaut wurde. Eon-Avacon teilte dem Beklagten mit : Das EVU hat gem. § 25 Abs.1 BEltV/AVBGasV das einseitige Bestimmungsrecht über die Höhe der Abschlagzahlungen.Es besteht kein Wahlrecht des Kunden (OLG Hamm v.07.11.1990,WuM 1991,431). Der Beklagte hat nicht das Recht die Höhe der Abschlagzahlungen selbst zu bestimmen (AG Wuppertal v.28.03.1991 Az.:96C725/90)
Der Beklagte hatte gem. § 315 BGB widersprochen, leider nicht auf die Unbilligkeit der Gesamtpreise. Aber das Gericht ist mit keinem Wort auf § 315 eingegangen. Avacon hatte vorgetragen : "Soweit sich der Beklagte auf § 315 stützen will, ist dieser Vortrag unsubstanziiert.Dem Gericht muß die Möglichkeit gegeben werden,Ansatzpunkte für eine Unbilligkeit zu erkennen, die den Billigkeitserwägungen der § 242 BGB entspricht.Hierzu ist es erforderlich, vorzutragen,welche Gaspreise wie erhöht worden sind und diese in Vergleich zu Festpreisen anderer Versorger zu stellen.Es muss weiterhin dargestellt werden,dass diese Preise nicht mit den allgemeinen Erhöhungen von Öl am Weltmarkt zu vereinbaren sind.Der bloße pauschale Hinweis auf § 315 BGB ist ungeeignet, für das Gericht überhaupt die Möglichkeit zu schaffen, Ansätze für die Unbilligkeit zu erkennen.Das bloße Behaupten der Unbilligkeit dürfte ebenso unsubstanziiert sein, wie das Behaupten, der geschlossene Stromliefervertrag sei sittenwidrig, ohne weitere Gründe hierfür vorzutragen."
Ist es für den Fall der Berufung noch nachträglich möglich die Unbilligkeit der Gesamtpreise einzuwenden ?Dann wäre doch die Forderung nicht fällig und Avacon dürfte trotz Betretungsrecht nicht sperren.

Offline RR-E-ft

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Gericht erlaubt Eon-Avacon die Sperrung
« Antwort #1 am: 22. Juli 2006, 16:44:51 »
Die Entscheidung ist berufungsfähig, weil der Streitwert hoch genug liegt.

Man nimmt den erwarteten Jahresrechnungsbetrag, ggf. noch mehr (AG Neuruppin, WuM 2005, 596 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die Ausführungen hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast nach Unbilligkeitseinwand sind falsch.

Schon bei der Festelegung der Abschlagshöhe handelt es sich nach dem Vortrag der Klägerin um einseitige Lesistungsbestimmungen, die somit dem § 315 BGB unterfallen.

Den Bestimmungsberechtigten trifft die vollständige Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit und nicht umgekehrt den anderen eine Darlegungslast zur Unbilligkeit ( BGH NJW 2003, 3131; BGH NJW 2005, 2919, 2922; BGH NJW 2006, 684; BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05 und 9/05).

Der Bestimmungsgegner braucht die Unbilligkeit nur zu rügen, sich also auf die Unverbindlichkeit berufen (BGH, aaO.; LG Köln, RdE 2004, 306, re. Sp.).

Soweit jedoch Forderungen bereits tituliert oder in einer Ratenzahlunsvereinbarung anerkannt wurden und nach dieser  bereits fällig sind, kommt es darauf nicht an.

Besteht ein fälliger Zahlungsanspruch, kann die Sperre auch angedroht und die Versorgung hiernach eingestellt werden, sofern sie sich nicht als unverhältnismäßig erweist.

Pacta sunt servanda:

Hatte man in einer Ratenzahlungsvereinbarung Forderungen anerkannt und etwa eine Gesamtfälligkeitsklausel bei Nichteinhaltung der Zahlungstermine vereinbart, muss man sich nun einmal daran festhalten lassen.

Kein EVU ist verpflichtet, Ratenzahlungen zu gewähren.

Was man bereits anerkannt hat, kann man hinterher nicht als unbillig rügen.

Hatte man hingegen nichts anerkannt, kann man auch erst noch im Zahlungsprozess des Versorgers die Unbilligkeit einwenden (BGH NJW 2003, 3131).

Es liegt auf der Hand, dass man den Einwand deshalb auch jederzeit vor einem solchen Zahlungsprozess bringen kann.

Grundsätzlich hat man alle Einwendungen im Erstprozess zu bringen.

Soweit das Urteil also vorläufig vollstreckbar ist, sollte amn die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, ggf. einen entsprechenden Antrag stellen und die Erfolgsaussichten der Berufung prüfen.

Wurde ein zulässiger Unbilligkeitseinwand gegen Forderungen, mit denen die Versorgungseinstellung begründet wird, übergangen, ist das Urteil rechtsfehlerhaft (BGH NJW 2005, 2919).





Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Christian Guhl

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Gericht erlaubt Eon-Avacon die Sperrung
« Antwort #2 am: 22. Juli 2006, 17:21:36 »
Im Schreiben von Avacon an das Gericht steht ausdrücklich: " Eine Ratenzahlungsvereinbarung wurde zwischen den Parteien nicht geschlossen, eine Stundung durch die Klägerin nicht gewährt."
Ein Anerkenntnis der Forderung durch den Beklagten hat nicht stattgefunden.
Der Anwalt des Beklagten hat ihm mitgeteilt, daß er ohne ausdrückliche Zustimmung nichts unternehmen wird.Wenn ich alles richtig verstanden habe, hat eine Berufung Aussicht auf Erfolg ?

Offline RR-E-ft

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Gericht erlaubt Eon-Avacon die Sperrung
« Antwort #3 am: 22. Juli 2006, 17:34:00 »
@Christian Guhl

Wenn Sie Bauchweh haben und denken, es liege am Blinddarm:

Suchen Sie im Netz nach einem Forum, in denen ein Chirurg erklärt, unter welchen Umständen die Entfernung des Appendix indiziert ist, welche Risiken bestehen und wie das geht, damit Sie ggf. selbst die Nagelschere ansetzen können.

Noch besser berichten Sie jemandem (Nichtmediziner)  von den Beschwerden, der sich seinerseits an ein solches Forum wendet und Ihnen hiernach davon berichtet. Es kann nur gut werden.

Der Betroffene hat doch einen Anwalt und dieser hat die Erfolgsaussichten der Berufung eigenständig zu prüfen und seinen Mandanten zu beraten. Er haftet auch dafür, wofür ihm jedoch auch eine angemessene Vergütung gebührt, die dieses Risko kompensiert.

Den Kollegen wollen wir also keinesfalls seiner Mühewaltung und Erwerbs-Chance  berauben.

Solche Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man alle Tatsachen kennt. "Ich habe gehört oder gelesen, dass..." ist eben schon keine zureichende Tatsachenbasis.

Es kommt auch nicht darauf an, was im Schreiben des Klägers an das Gericht steht, sondern, was im Tatbestand des Urteils steht, der seinerseits ggf. zu berichtigen ist.

Möglicherweise berichten Sie hier von keinem Urteil, sondern von einem Beschluss im einstweiligen Verfügungsverfahren, wo das Rechtsmittel Widerspruch heißt.

Hier geht es jedoch um Grundsatzfragen und nicht um konkrete Einzelfälle.

Solche interessieren mich nur, soweit ich selbst beauftragt bin.

Es liegt mir ganz und gar fern, Fälle zu besprechen, in denen noch andere Kollegen aktuell beauftragt sind.

Wer einen solchen Fall übernimmt, sollte sich m. E. jedoch in der entsprechenden Materie auskennen.

Es kommt ja auch niemand auf die Idee, sich vom Urologen die Kniescheibe operieren zu lassen.

Wer es tut, kann zumindest erahnen, worauf er sich ggf. einlässt.


Auf ein falsches Urteil eines Amtsgerichts mehr oder weniger kommt es auch nicht entscheidend an. Schon die in Bezug genommenen Entscheidungen des OLG Hamm und AG Wuppertal sind so alt, dass sie die nachfolgende BGH- Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle von Energiepreisen nicht berücksichtigen konnte.

Wir orientieren uns an der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH und diese ist nicht nur hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast nach Unbilligkeitseinwand völlig eindeutig, vgl. etwa ZNER 2005, 320, 322, re. Sp. unter c):

 
http://www.pontepress.de/pdf/200504U3.pdf


Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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