Auch der zweite Senat des Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde gegen die Nichtvorlage beim EuGH nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss des BVerfG vom 17.11.2017, 2 BvR 1131/16)
http://www.bverfg.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/11/rk20171117_2bvr113116.html
Eine Kurzstellungnahme dazu hat Prof. Kurt Markert verfasst:
Positiv an dem Beschluss sind trotz des für die Beschwerde führenden Gaskunden enttäuschenden Ergebnisses der Nichtannahme ihrer Verfassungsbeschwerde immerhin zwei Aspekte: Erstens hat das BVerfG seine Entscheidung diesmal – anders als bei seiner früheren im Parallelfall Brüninghaus (Beschluss vom. 17.9.2016, 1 BvR 2971/15) – auch ausführlich begründet und nicht wie damals die Beschwerde ohne Begründung kurzerhand „abgeschmiert“. Anlass zu Kritik gibt allerdings das Ergebnis in der zentralen Streitfrage des Verfahrens, ob der VIII. Zivilsenat des BGH mit seiner Weigerung, die Vereinbarkeit des von ihm als Ersatz für das europarechtswidrige „alte“ gesetzliche Preisanpassungsrechts in der Gasgrundversorgung mittels ergänzender Vertragsauslegung inhaltsgleich neu erschaffene vertragliche Anpassungsrecht mit den europarechtlichen Vorgaben der Transparenzanforderungen der EU-Gasrichtlinie 2003/55/EG vereinbar ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorzulegen, gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen hat (zu 1.). Zweitens hat das BVerfG festgestellt, dass der BGH bei seiner Entscheidung zur Frage der Direktanwendung dieser Anforderungen auf Kommunalunternehmen den unstreitigen Vortrag der beklagten Gaskunden zum vollständigen Kommunaleigentum des klagenden Versorgers nicht berücksichtigt und insoweit durch Verweigerung rechtlichen Gehörs gegen Art 103 Abs. 1 GG verstoßen hat, was allerdings nicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde führte, weil die Beschwerdeführer ausdrücklich auf die erforderliche Rüge verzichtet hatten (zu 2.).
1. Aus der Beschlussbegründung (Rdn. 25-29) ergibt sich zunächst, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG die Verletzung der Vorlagepflicht letztinstanzlich entscheidender deutscher Gerichte nach Art. 267 Abs. 3 AEUV, die nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann nicht gilt, wenn die Auslegung der im Einzelfall entscheidungserheblichen Unionsrechtsnorm „derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftiger Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt,“ nur stark eingeschränkt gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, nämlich nur dann, wenn die Nichtvorlage „bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist“ (Rdn. 25). Dies wird vom BVerfG nur dann angenommen, wenn das nationale Gericht entweder seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkennt (Rdn. 26) oder bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abweicht (Rdn. 27) oder willkürlich annimmt, die Frage sei bereits im Sinne eines „acte clair“ oder „acte éclairé“ geklärt (Rdn. 28). Die beiden ersten Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor (zutreffend Rdn. 31.32). Dafür, dass nach Ansicht des BVerfG auch die dritte Voraussetzung hier nicht vorliegt, überzeugen hingegen auch seine längeren Ausführungen dazu in Rdn. 33-41 nicht. Denn sie begründen im Wesentlichen nur die Feststellung des BVerfG, der BGH sei vertretbar zu dem Ergebnis gelangt, dass der hier streitgegenständliche Liefervertrag unter Berücksichtigung der anwendbaren Vorschriften der AVBGasV keine Regelung für Preisänderungen durch den Versorger enthält (Rdn. 40). Diese offensichtlich nur das vom BGH als europarechtswidrig kassierte gesetzliche Preisanpassungsrecht des Versorgers betreffende Feststellung ist jedoch nur die Voraussetzung für die vom BGH vorgenommene Ausfüllung der dadurch entstandenen Vertragslücke mittels ergänzender Vertragsauslegung durch Ersetzung des kassierten gesetzlichen Preisbestimmungsrechts durch ein ebenso intransparentes und inhaltgleiches vertragliches Anpassungsrecht. Die sich erst anschließend stellende Frage, ob auch dieses Recht europarechtlich nicht anders beurteilt werden kann als das kassierte gesetzliche Anpassungsrecht und die Ansicht des BGH zutrifft, die Vereinbarkeit jenes Rechts mit dem Europarecht sei durch die Rechtsprechung des EuGH bereits im Sinne eines „acte éclairé“ als jeden vernünftigen Zweifel ausschließend geklärt anzusehen, hat das BVerfG jedoch mit der Feststellung umgangen, dies sei allein eine Frage des einer Auslegung durch den EuGH nicht zugänglichen nationalen Rechts (Rdn. 34 und 41). Zwar ist es, wie das BVerfG in Rdn. 36 ausführt, nach Art. 288 Abs. 3 AEUV den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten überlassen, Form und Mittel zur Verwirklichung des Ziels einer Richtlinie zu wählen, weist aber zutreffend auf die Verpflichtung hin, dabei den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus dem Unionsrecht ergibt, und dessen volle Wirksamkeit sicherzustellen. Daran fehlt es aber ganz offensichtlich, wenn wie hier ein die Kunden belastendes europarechtswidriges gesetzliches Preisanpassungsrecht vom BGH mittels ergänzender Vertragsauslegung durch ein vertragliches Anpassungsrecht ersetzt wird, das sogar die Kunden noch stärker belastet als das gesetzliche, weil es anders als dieses den Versorger nicht nur zur Weitergabe notwendiger Kosten, sondern darüber hinaus nach Maßgabe der „Dreijahreslösung“ des BGH auch noch zu gewinnsteigernden Preiserhöhungen berechtigt. Der auf einen stärkeren Verbraucherschutz abzielende Zweck der Richtlinie 2003/55/EG wird durch diese Art, nach nationalem Recht die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die Vorgaben dieser Richtlinie zu gestalten, offensichtlich verfehlt, da sie den Verstoß gänzlich sanktionslos lässt und die Kunden damit nicht nur so stellt, als hätte es diesen Verstoß nicht gegeben, sondern sie sogar noch darüber hinaus mit einem noch weitergehenden Anpassungsrecht des Versorgers belastet. Die den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten nach Art. 288 Abs. 3 AEUV eingeräumte Kompetenz, auch die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Richtlinienvorgaben zu bestimmen, schließt zwar neben der Anwendung der allgemeinen nationalen Verjährungs- und Verwirkungsregelungen auf Kundenansprüche auch die Ausfüllung entstandener Vertragslücken mittels ergänzender Vertragsauslegung mit ein, muss aber ihre europarechtliche Grenze dort finden, wo die Lückenfüllung wie hier den Zweck („effet utile“) der Richtlinienvorgaben im Kern verfehlt. Dies hat das BVerfG mit seiner Einordnung der hier zur Beurteilung stehenden ergänzenden Vertragsauslegung des BGH als ausschließliche Frage des nationalen Rechts verkannt. Die Ansicht des BGH, die Europarechtskonformität seiner ergänzenden Vertragsauslegung sei ein jeden vernünftigen Zweifel ausschließender „acte éclairé“, erweist sich danach als willkürlich und daher nach dem Maßstab des BVerfG (Rdn. 25) als offensichtlich unhaltbar. Sein Hinweis in Rdn. 42, dass das für europarechtswidrige allgemeine Geschäftsbedingungen geltende Anpassungsverbot des Art. 6 Abs. 1 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG hier nicht anwendbar ist, trifft zwar formalrechtlich zu, macht aber jedenfalls deutlich, dass es nicht dem Zweck der für Unternehmen verbindlichen europarechtlichen Vorgaben entsprechen kann, Verstöße dagegen gänzlich sanktionslos zu lassen und die betroffenen Verbraucher damit schutzlos zu stellen. Dies widerspricht auch den vom BVerfG in Rdn. 25 zitierten „das Grundgesetz bestimmenden Gedanken“ (vgl. z. B. Art. 19 Abs. 4 GG). In Rdn. 50 hat das BVerfG die ergänzende Vertragsauslegung des BGH zwar als „rechtsfehlerhaft“ bezeichnet, was jedoch in klarem Widerspruch zu seinen Ausführungen dazu in den Rdn. 25-42 steht.
2. Zur Frage der Direktanwendung der hier maßgeblichen Richtlinienbestimmungen hat das BVerfG in Rdn. 39 mit Ausnahme des in Rdn. 43 ff. aufgezeigten Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur allgemein erklärt, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden, also insoweit auch kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegt. Letzteres trifft m. E. auch zu. Denn die Frage, ob nicht rechtzeitig von einem Mitgliedstaat umgesetzte EU-Richtlinienbestimmungen von in deren Schutzbereich fallenden Verbrauchern nicht nur dem Staat selbst, sondern auch den staatlicher Aufsicht unterliegenden Kommunalunternehmen entgegengehalten werden können, ist durch die vom BVerfG in Rdn. 39 zitierte EuGH-Rechtsprechung geklärt („acte éclairé“). Die Vorfrage, ob die jeweils in Betracht stehende Richtlinienregelung als Voraussetzung für ihre direkte Anwendbarkeit hinreichend bestimmt ist, ist keine vom EuGH im Verfahren nach Art. 267 AEUV zu klärende Auslegungsfrage, sondern im Einzelfall durch die nationalen Gerichte zu entscheiden. Ein Erfolg der Verfassungsbeschwerde wegen des Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG hätte deshalb nur bewirken können, dass die Frage der Bestimmtheit von den zuständigen Tatsacheninstanzen erneut hätte entschieden werden müssen. Dabei sind zwei Zeiträume zu unterscheiden. Bis zum Inkrafttreten der GasGVV am 8.11.2006 enthielt das bis dahin aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV gefolgerte gesetzliche Preisanpassungsrecht der Versorger von Tarifkunden keinerlei Pflicht, die Kunden vorzeitig über beabsichtige Preisanpassungen zu informieren. Im Anhang A der Gasrichtlinie 2003/55/EG war jedoch klar bestimmt, dass die Kunden rechtzeitig über beabsichtigte Änderungen der Vertragsbedingungen unterrichtet werden müssen, also jedenfalls vor deren Inkrafttreten. Insoweit kann über die hinreichende Bestimmtheit der Richtlinie kein vernünftiger Zweifel bestehen. Dass diese Vorabinformation der Kunden auch den Anlass, die Voraussetzungen und den Umfang der jeweils geplanten Änderung einschließen muss, ergibt sich demgegenüber ausdrücklich erst aus dem EuGH-Urteil vom 23.10.2014, C-359/11 und C-400/11. Für die Zeit ab dem Inkrafttreten des § 5 Abs. 2 GasGVV, der eine sechswöchige Vorabinformation zum jeweiligen Monatsende als Wirksamkeitsvoraussetzung für die beabsichtigte Änderung vorschreibt, ist deshalb die Frage der Bestimmtheit der Richtlinie schwieriger zu beantworten, bleibt aber auch insoweit eine im Revisionsverfahren nur begrenzt kontrollierbare Tatfrage.
3. Mit seinem Beschluss hat das BVerfG nur entschieden, dass seiner Ansicht nach der VIII. Zivilsenat des BGH mit seiner Weigerung, die Frage, ob seine ergänzende Vertragsauslegung mit den Transparenzanforderungen der Gasrichtlinie 2003/55/EG vereinbar ist, dem EuGH vorzulegen, nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen hat. Er hat aber damit nicht auch festgestellt, dass diese Auslegung europarechtskonform ist. Ebenso wenig hat er entschieden, dass diese Anforderungen als Voraussetzung für ihre Direktanwendung auf kommunale Versorger nicht hinreichend bestimmt sind oder diese Versorger jedenfalls nicht zu den Organisationen oder Einrichtungen gehören, denen gegenüber sich die Kunden nach den Voraussetzungen der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar auf diese Anforderungen berufen können. Den Instanzgerichten steht es daher nach wie vor frei, bei nicht von vornherein unvernünftigen Zweifeln an der Europarechtskonformität der ergänzenden Vertragsauslegung des VIII. Zivilsenats des BGH diese Frage dem EuGH nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen. Ebenso können sie die Frage der Direktanwendung der genannten Transparenzanforderungen auf Kommunalunternehmen auch ohne Vorlage an den EuGH selbst entscheiden.