Am 24.1.2012 habe ich zu § 19 Abs. 2 StromNEV folgende Verfassungsbeschwerde eingereicht:
An das
Bundesverfassungsgericht
Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe
Verfassungsbeschwerde
des
Dr. Lothar Gutsche, Buschhütter Weg 4, 41189 Mönchengladbach
- Beschwerdeführer -
wegen der Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz durch die Änderung der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) vom 25. Juli 2005 über Artikel 7 des Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011 (veröffentlicht am 3. August 2011)
Es wird beantragt,
§ 19 Abs. 2 StromNEV - Artikel 7 in Bundesgesetzblatt 2011 Teil I Nr. 41 - insoweit für verfassungswidrig zu erklären, als es private Stromverbraucher mit Kosten belastet, die mit der Netzentgeltbefreiung bestimmter Großabnehmer verbunden sind,
hilfsweise,
den Gesetzgeber zu verpflichten, binnen angemessener, vom Bundesverfassungsgericht festzusetzender Frist, die entsprechenden Bestimmungen des § 19 Abs. 2 StromNEV verfassungskonform neu zu fassen.
BegründungDie Begründung ist wie folgt gegliedert:
1. Sachverhalt
1.1 Neuregelung des § 19 Abs. 2 StromNEV
1.2 Betroffenheit als Stromverbraucher
2. Rechtslage
2.1 Zulässigkeit
2.2 Annahmefähigkeit
2.2.1 grundsätzliche Bedeutung
2.2.2 Durchsetzung der Grundrechte
2.3 Begründetheit
2.3.1 Schutzbereich
2.3.2 Eingriff
2.3.3 Rechtswidrigkeit
Verzeichnis der Anlagen
1. SachverhaltKern der Verfassungsbeschwerde ist die Feststellung, dass der Gesetzgeber die Kosten, die mit der Entlastung stromintensiver Betriebe von Netzentgelten verbunden sind, nicht auf die privaten und kleineren gewerblichen Stromverbraucher umverteilen darf, sondern als industriepolitische Aufgabe aus dem Staatshaushalt finanzieren muss.
1.1 Neuregelung des § 19 Abs. 2 StromNEV
Das Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes vom 28. Juli 2011 (BGBL I S. 1690) fasste in Artikel 7 den § 19 Abs. 2 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) wie folgt neu:
1Ist auf Grund vorliegender oder prognostizierter Verbrauchsdaten oder auf Grund technischer oder vertraglicher Gegebenheiten offensichtlich, dass der Höchstlastbeitrag eines Letztverbrauchers vorhersehbar erheblich von der zeitgleichen Jahreshöchstlast aller Entnahmen aus dieser Netz- oder Umspannebene abweicht, so haben Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen diesem Letztverbraucher in Abweichung von § 16 ein individuelles Netzentgelt anzubieten, das dem besonderen Nutzungsverhalten des Netzkunden angemessen Rechnung zu tragen hat und nicht weniger als 20 Prozent des veröffentlichten Netzentgelts betragen darf. 2Erreicht die Stromabnahme aus dem Netz der allgemeinen Versorgung für den eigenen Verbrauch an einer Abnahmestelle die Benutzungsstundenzahl von mindestens 7 000 Stunden und übersteigt der Stromverbrauch an dieser Abnahmestelle 10 Gigawattstunden, soll der Letztverbraucher insoweit grundsätzlich von den Netzentgelten befreit werden. 3Die Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts nach Satz 1 wie auch die Befreiung nach Satz 2 bedürfen der Genehmigung der Regulierungsbehörde. 4Der Antrag kann auch durch den Letztverbraucher gestellt werden. 5Der Netzbetreiber hat der Regulierungsbehörde unverzüglich alle zur Beurteilung der Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 erforderlichen Unterlagen vorzulegen. 6Die Betreiber von Übertragungsnetzen sind verpflichtet, entgangene Erlöse, die aus individuellen Netzentgelten nach Satz 1 und Befreiungen von Netzentgelten nach Satz 2 resultieren, nachgelagerten Betreibern von Elektrizitätsverteilernetzen zu erstatten. 7Sie haben diese Zahlungen sowie eigene entgangene Erlöse durch individuelle Netzentgelte nach Satz 1 und Befreiungen von den Netzentgelten nach Satz 2 über eine finanzielle Verrechnung untereinander auszugleichen; § 9 des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes findet entsprechende Anwendung. § 20 gilt entsprechend. 8Die Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts wie auch die Befreiung von den Netzentgelten erfolgen unter dem Vorbehalt, dass die jeweiligen Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 tatsächlich eintreten. 9Ist dies nicht der Fall, erfolgt die Abrechnung der Netznutzung nach den allgemein gültigen Netzentgelten.Nach dem neuen § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV werden Netzkunden auf Antrag von den Netzentgelten vollständig befreit, wenn der Stromverbrauch pro Jahr an einer Abnahmestelle mehr als 10 GWh beträgt und eine Vollbenutzungsstundenzahl von 7000 Stunden erreicht wird. § 19 Abs. 2 Sätze 6 und 7 StromNEV regeln, dass entgangene Erlöse durch individuelle Netzentgelte nach Satz 1 (atypische Netznutzer) oder durch Netzentgeltbefreiungen nach Satz 2 künftig im Rahmen eines bundesweiten Ausgleichs ausgeglichen werden. Das Finanz-volumen des Ausgleichs beträgt für das Jahr 2012 nach dem Beschlussentwurf BK8-11-024 der Bundesnetzagentur vom 17.11.2011 insgesamt 1,1 Milliarden Euro, vgl. Seite 2 unter Punkt 2 und Seite 6 unter Punkt II. 5.3 der Anlage 1.
Dieser Ausgleichsbetrag hätte die Netzkosten für jeden üblichen Letztverbraucher mit bis zu 100.000 kWh Jahresverbrauch mit 0,467 Cent/kWh belastet. Das stellten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber in einer Pressemitteilung vom 17.11.2011 fest, vgl. Anlage 2. Daraufhin gab es ein gewaltiges Medienecho, u. a. berichtete der Spiegel am 21.11.2011 über die § 19-Umlage unter dem Titel „
Energiepreise – Regierung lädt Stromkunden Milliardenkosten auf“ und die Welt am 22.11.2011 in dem Beitrag „
Energieversorgung - Wie teuer wird der neue Strombonus für die Bürger?“, vgl. Anlage 3. Mehrere Wirtschafts- und Sozial-verbände protestierten heftig gegen die gesetzliche Neuregelung, weil Privathaushalte und gewerblicher Mittelstand in ökonomisch und sozial unverträglicher Weise belastet werden. Mit dem endgültigen Beschluss BK8-11-024 setzte die Bundesnetzagentur ein Gesamtvolumen von 440 Millionen Euro für die Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV fest, vgl. Seite 14 unter Punkt 2 und Seite 23 unter Punkt II. 5.3 der Anlage 4. Das Ausgleichsvolumen reduzierte sich in dem Beschluss um 660 Millionen Euro für unterbrechbare Verbrauchseinrichtungen (Nachtspeicherheizungen und Wärmepumpen), weil deren Berücksichtigung nicht sachgerecht ist, so die Argumentation der Bundesnetzagentur auf Seite 19 unter Punkt II. 5.1 ihres Beschlusses vom 14.12.2011 in Anlage 4.
Die Umlage nach § 19 Abs. 2 Strom-NEV wird entsprechend § 9 Abs. 7 KWK-G in drei Kategorien A, B und C unterteilt. In Kategorie A fallen Letztverbraucher mit einem Jahres-verbrauch bis zu 100.000 kWh, ab dem 1.1.2012 zahlen sie 0,151 Cent/kWh als Netzkosten-Umlage. Dagegen zahlen Letztverbraucher der Kategorie B, die mehr als 100.000 kWh im Jahr verbrauchen und nicht zur Kategorie C gehören, nur 0,05 Cent/kWh als Umlage für die über 100.000 kWh hinausgehenden Strombezüge. Letztverbraucher, die im Sinne des § 9 Abs. 7 Satz 3 KWK-G als „stromintensiv“ gelten, bilden die Kategorie C und zahlen für die Strombezüge, die über 100.000 kWh im Jahr hinausgehen, sogar nur 0,025 Cent/kWh, vgl. Anlage 5.
1.2 Betroffenheit als StromverbraucherMein privater Stromverbrauch beträgt mit durchschnittlich 4.600 kWh pro Jahr deutlich weniger als 100.000 kWh. Wegen meines geringen Verbrauchs habe ich weder Anspruch auf eine Netzentgeltbefreiung noch auf ein reduziertes, individuelles Netzentgelt im Sinne von § 19 Abs. 2 StromNEV. Die Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV verteuert jede meiner Stromrechnungen ab 2012. Der derzeit noch überschaubare Betrag von 0,151 Cent/kWh könnte sich in den nächsten Jahren deutlich erhöhen, wenn der Gesetzgeber aus industriepolitischen Gründen in § 19 Abs. 2 StromNEV die Menge der Betriebe vergrößert, die eine Befreiung oder zumindest eine deutliche Reduzierung der Stromnetzentgelte beanspruchen können. In einem solchen Fall könnten die zu Lasten der privaten Stromverbraucher umzuverteilenden Netzkosten schnell die Milliardenbeträge pro Jahr erreichen, die in den Medien Ende November 2011 nach dem Beschlussentwurf BK8-11-024 der Bundesnetzagentur vom 17.11.2011 verbreitet wurden.
2. RechtslageDie Verfassungsbeschwerde ist zulässig, annahmefähig und begründet.
2.1 ZulässigkeitDie Verfassungsbeschwerde ist zulässig, da die Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und der §§ 90 ff. BVerfGG vorliegen:
a) Die gesetzliche Regelung § 19 Abs. 2 StromNEV ist ein Akt öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG bzw. des § 90 Abs. 1 BVerfGG.
b) Als natürliche Person bin ich beschwerdefähig.
c) Ich bin beschwerdebefugt, da mich § 19 Abs. 2 StromNEV in meinen folgenden Rechten selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt:
• Recht auf freie Entfaltung meiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG)
• Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
• Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG)
Die Art der Rechtsverletzung wird im Detail in den Abschnitt 2.2.2 und 2.3.2 erläutert.
d) Das Gebot der Rechtswegerschöpfung aus § 90 Abs. 2 BVerfGG findet unmittelbar bei Gesetzen keine Anwendung. Auch eine entsprechende Heranziehung scheidet hier aus, da es keiner fachgerichtlichen Klärung bedarf und mir auch nicht zugemutet werden kann, auf die Anrufung der Fachgerichte verwiesen zu werden.
e) Die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG ist eingehalten. § 19 Abs. 2 StromNEV wurde durch Artikel 7 des Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 26.7.2011 geändert. Das Gesetz wurde am 3.8.2011 im Bundesgesetzblatt 2011 Teil 1 Nr. 41 veröffentlicht und ist nach Artikel 8 des Gesetzes am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten.
2.2 AnnahmefähigkeitDie Verfassungsbeschwerde ist sowohl nach § 93 Abs. 2 Nr. 1 BVerfGG als auch nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 BVerfGG annahmefähig.
2.2.1 grundsätzliche BedeutungDer Verfassungsbeschwerde gegen § 19 Abs. 2 StromNEV kommt grundsätzliche Bedeutung zu. Denn sie wirft eine verfassungsrechtliche Frage auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt. Die Frage ist bisher auch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt. Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung. An der Klärung des Beschwerdegegenstands besteht ein gewichtiges objektives Interesse, das über meinen Einzelfall hinausgeht, vgl. Abschnitt 1.2. Der Gesetzgeber ist an die verfassungsrechtlichen Prinzipien des Steuerstaates und des Sozialstaates und an seine Bindung an die Grundsätze öffentlichen Finanzgebarens zu erinnern. Ebenso liegt die erforderliche Entscheidungserheblichkeit vor.
2.2.2 Durchsetzung der GrundrechteDie Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung meiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt. Die Neuregelung von § 19 Abs. 2 StromNEV erhöht in verfassungswidriger Weise meine Stromrechnung als Privatverbraucher und droht in den nächsten Jahren zu einem wichtigen industriepolitischen Instrument in der Energiewirtschaft zu werden. Die Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV verletzt in grober Weise den Schutz, den mir das Grundgesetz mir mit den Rechten auf freie Entfaltung, Gleichbehandlung und Eigentum gewährt. Der Gesetzgeber geht zu meinem Nachteil geradezu leichtfertig mit den Prinzipien der Finanzverfassung aus den Artikeln 104a – 109 des Grundgesetzes um.
2.3 BegründetheitDie Verfassungsbeschwerde ist begründet. Denn die angegriffenen Neuregelung des § 19 Abs. 2 StromNEV mit einer neuen Umlage von Netzkosten ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und nichtig. Ich werde durch die neue Umlage nach § 19 StromNEV in meinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt.
2.3.1 SchutzbereichDie angegriffene Regelung der Umlage von Netzkosten aus § 19 Abs. 2 StromNEV betrifft meine Grundrechte auf allgemeine Handlungsfreiheit, Gleichbehandlung und Eigentum.
2.3.2 EingriffDie Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV erhöht direkt meine Kosten als Privatverbraucher beim Strombezug und greift damit in meine Grundrechte auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG und freie Entfaltung nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Dadurch, dass ich faktisch keine Möglichkeit habe, nach § 19 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 StromNEV einen Antrag auf Netzentgeltbefreiung oder reduzierte Netzentgelte zu stellen, werde ich gegenüber strom-intensiven Industriebetrieben entgegen Art. 3 Abs. 1 GG benachteiligt.
§ 19 Abs. 2 Satz 7 StromNEV regelt die Art und Weise, wie die durch Netzentgeltreduzierung und Netzentgeltbefreiung entgangenen Erlöse auf die allgemeinen Netznutzer umzulegen sind, vgl. oben Abschnitt 1.1. Bei der Verteilung der Umlage nach § 19 Abs. 2 Satz 7 StromNEV existieren drei Kategorien A, B und C, bei denen ich in die ungünstigste Kategorie A einsortiert und damit nochmals entgegen Art. 3 Abs. 1 GG benachteiligt werde.
Darüber hinaus werde ich durch die Neuregelung aus § 19 Abs. 2 StromNEV zur Finanzierung von industriepolitischen Zielen herangezogen, für die mich als Stromverbraucher keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit trifft. Nach den Grundsätzen des Leitsatzurteils 2 BvR 633/86 des Bundesverfassungsgerichts vom 11.10.1994 zum Steinkohlepfennig resultie-ren daraus Verstöße gegen meine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG.
2.3.3 RechtswidrigkeitDie angegriffene Regelung von § 19 Abs. 2 StromNEV ist weder durch hinreichende Gründe des allgemeinen Wohls gerechtfertigt noch ist das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Grundrechtsverletzung und dem Gewicht der diese rechtfertigenden Gründe ist die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr gewahrt. Schließlich ist § 19 Abs. 2 StromNEV nicht mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Steinkohlepfennig-Urteils vereinbar.
a) Netzentgeltbefreiung unbegründetIm Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften fand eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen statt. Dabei forderte die Wirtschaftsvereinigung Metalle eine „Befreiung von den Netznutzungsentgelten (§ 19 Absatz 2 NEV Strom)“, vgl. Seite 20 rechte Spalte in der Bundestags-Drucksache 17/6365 vom 29.6.2011, siehe online unter
http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/362/36234.html. Tatsächlich folgte der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages in seiner Beschlussempfehlung vom 29.6.2011 dieser Forderung und begründete das auf Seite 34 in Bundestags-Drucksache 17/6365 wie folgt:
„
Stromintensive Unternehmen mit einer hohen Bandlast (über 7 000 Benutzungsstunden im Jahr sowie ein Jahresverbrauch größer 10 Gigawattstunden) sollen von den Netzentgelten befreit werden, da sie aufgrund ihrer Bandlast netzstabilisierend wirken. Örtliche Gegebenheiten sollen keine Rolle spielen für die Frage der Befreiung von den Netzentgelten nach § 19 Absatz 2 Satz 2 StromNEV. Zur Vermeidung überproportionaler regionaler Belastungen wird eine bundesweiter Ausgleich installiert.“
Die Begründung einer angeblichen Netzstabilisierung aufgrund der hohen Bandlast ist nicht tragfähig. Die gesamte StromNEV ist von dem Grundsatz geprägt, die Netzkosten möglichst verursachungsgerecht zu verteilen, wie § 1 Abs. 4 Satz 1, § 12 Satz 2, § 13 Satz 1, § 14 Abs. 4 Satz 2, § 16 Abs. 1 Satz 1 und § 16 Abs. 2 der StromNEV belegen. Die hohe, gleichmäßige Bandlast rechtfertigt zunächst keine Reduktion der Netzkosten und widerspricht dem Prinzip der verursachungsgerechten Kostenverteilung. Deshalb betont die Beschlusskammer 4 der Bundesnetzagentur in der Vorbemerkung zu ihrem „
Leitfaden zur Genehmigung von individuellen Netzentgelten nach § 19 Abs. 2 S. 1 StromNEV und von Befreiungen von den Netzentgelten nach § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV“ vom September 2011, vgl. Seite 2 unter
http://www.bundesnetzagentur.de/DE/DieBundesnetzagentur/Beschlusskammern/BK4/Individuelle_Netzentgelte%20Strom/Leitfaden_indiv_Netzentgelte_2011/Leitfaden_neu_2011_node.html: „
Gemäß § 16 StromNEV werden die von Lieferanten und Letztverbrauchern zu zahlenden allgemeinen Netzentgelte ausgehend vom Prinzip der Verursachungsgerechtigkeit auf der Basis der sog. Gleichzeitigkeitsfunktion ermittelt. Abweichend hiervon eröffnete § 19 Abs. 2 StromNEV bislang die Möglichkeit, einem Letztverbraucher unter bestimmten Voraussetzungen ein individuelles Netzentgelt anzubieten. Neben dieser Möglichkeit wird es zukünftig für einige Letztverbraucher möglich sein, sich grundsätzlich von den Netzentgelten zu befreien zu lassen.“
Die Begründung des Gesetzgebers für die Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV ist demnach sachlich unzutreffend. Darüber hinaus ist dem Gesetzgebungsverfahren zu § 19 Abs. 2 StromNEV keine Begründung zu entnehmen. Insbesondere gibt es keine Gründe z. B. des Umweltschutzes oder des Gemeinwohls, die eine Befreiung von Netzentgelten rechtfertigen könnten. Im Gegenteil, sämtliche Privathaushalte und der gewerbliche Mittelstand werden in nicht verursachungsgerechter Weise mit zusätzlichen Kosten der stromintensiven Industrie belastet.
b) benachteiligende Kostenverteilung nach Kategorien Die Verteilung der Netzentgelte, die den Netzbetreibern durch die Netzentgeltreduzierung und die Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StromNEV entgehen, wird vom Gesetzgeber nicht begründet. Die Verteilung der Kosten gemäß § 19 Abs. 2 Satz 7 StromNEV und damit gemäß § 9 Abs. 7 KWK-G führt zu drei Verbraucher-Kategorien A, B und C. Durch eine gleichmäßige Verteilung der Netzkosten auf alle drei Kategorien würden sich die Belastung gerechter verteilen.
c) Unvereinbarkeit mit Grundsätzen des Steinkohlepfennig-Urteils Das Bundesverfassungsgericht hat sich 1994 mit dem sogenannten Kohlepfennig beschäftigt. Der Kohlepfennig war ein Preisaufschlag auf die Strompreise der Energieversorgungsunternehmen in Deutschland, den die Verbraucher der alten Bundesländer von 1974 bis 1995 zu entrichten hatten. Ziel war die Finanzierung des Steinkohlebergbaus in Deutschland, der ohne den Kohlepfennig gegenüber dem Ausland nicht konkurrenzfähig gewesen wäre. Die Subventionierung des deutschen Steinkohlebergbaus war nach Ansicht des Gesetzgebers aus energie-, sozial- und regionalpolitischen Gründen erforderlich. Am 11. Oktober 1994 entschied der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts jedoch, dass der Kohlepfennig verfassungswidrig ist. Das Verfassungsgerichtsurteil vom 11. Oktober 1994 unter Aktenzei-chen 2 BvR 633/86 findet sich z. B. unter
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv091186.html. Seit dem 1.1.1996 wird der Steinkohleabbau aus dem Staatshaushalt subventioniert.
Die beiden Leitsätze des Urteils vom 11.10.1994 lauten:
1. Um die bundesstaatliche Finanzverfassung wie auch die Budgethoheit des Parlaments vor Störungen zu schützen und den Erfordernissen des Individualschutzes der Steuerpflichtigen im Blick auf die Belastungsgleichheit Rechnung zu tragen, ist eine Sonderabgabe nur in engen verfassungsrechtlichen Grenzen zulässig; sie muß deshalb eine seltene Ausnahme bleiben.
2. Die Ausgleichsabgabe nach § 8 Drittes Verstromungsgesetz (sog. Kohlepfennig) ist nicht als Sonderabgabe zu rechtfertigen, weil sie eine Allgemeinheit von Stromverbrauchern belastet, die als solche keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit für die Aufgabe trifft, den Steinkohleneinsatz bei der Stromerzeugung zu sichern.In der Begründung des Urteils stellt das Bundesverfassungsgericht in Abschnitt C I 1 fest, dass Gemeinlasten aus Steuern zu finanzieren sind. Eine Belastung von Strompreisen mit einer Sonderabgabe wie durch § 19 Abs. 2 StromNEV widerspricht dem Verfassungsgrundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans und verstößt gegen den fundamentalen Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei der Auferlegung öffentlicher Lasten. Mich als privaten Strom-verbraucher trifft keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit für die Netzkosten Dritter, um damit industriepolitische Ziele des Gesetzgebers zu erreichen.
Verzeichnis der AnlagenAnlage 1 – Beschlussentwurf BK8-11-024 der Beschlusskammer 8 der Bundesnetzagentur vom 17.11.2011 zu der Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV
Anlage 2 – Pressemitteilung der Übertragungsnetzbetreiber vom 17.11.2011 zur Umlage der Netzentgelte für stromintensive Betriebe
Anlage 3 – Spiegel-Bericht „Energiepreise – Regierung lädt Stromkunden Milliardenkosten auf“ vom 21.11.2011 und Welt-Bericht „Energieversorgung - Wie teuer wird der neue Strombonus für die Bürger?“ vom 22.11.2011
Anlage 4 – Beschluss BK8-11-024 der Beschlusskammer 8 der Bundesnetzagentur vom 14.12.2011 zu der Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV
Anlage 5 – Publikation der Übertragungsnetzbetreiber „Datenbasis zur §19 StromNEV Umlage 2012“ zum 1.1.2012
Am 14.2.2012 fasste die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Gaier, Paulus und die Richterin Britz unter Aktenzeichen 1 BvR 195/12 gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) einstimmig den Beschluss:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Eine Begründung gibt es nicht, warum meine Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Die ganze Entscheidung passt auf eine einzige Seite, inklusive Stempel und Unterschrift der Urkundsbeamtin.
Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email:
Lothar.Gutsche@arcor.de