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Autor Thema: Neu: Hintergründe von Michael Houben  (Gelesen 5967 mal)

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Offline RR-E-ft

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Neu: Hintergründe von Michael Houben
« am: 13. Oktober 2005, 15:50:46 »
Die Wirtschaftsjournalist Michael Houben (viele Beiträge zum Thema im WDR) hat seine bisherigen Recherchen hier zusammengefasst und darüber hinaus eigene Überlegungen angestellt, wie man die Verhältnisse ändern könnte:


Erdgas: zwischen Monopol und Ölpreisbindung

Nicht zweifelsfrei fest steht der \"preisdifferente\" Import.

Warum ein solcher wohl - insbesondere auf einem Wettbewerbsmarkt - nicht funktionieren kann, wurde bereits erläutert.

Meines Erachtens spricht viel dafür, dass das Erdgas zu Einheitspreisen für die Kontrakte importiert wird.

Die unterschiedliche Preiskopplung muss also nicht auf Bezugs-, sondern nur auf der Absatzseite bestehen. Erklärungen braucht man ja auch nicht für die Förderländer, sondern nur gegenüber den einzelnen Kunden.

Sie ist jedenfalls sachlich ungerechtfertigt, weil sich die Preisschere immer weiter öffnet- zu Lasten der Stadtwerke und Kleinkunden und den Marktmechanismus der Preisbildung außer Kraft setzt.

Zudem würde ein preisdifferenter Import bedeuten, dass bei den Förderländern bereits unterschiedliche Marktsegmente um das Erdgas konkurieren. Die weltweit steigende Energienachfrage, der Energiehunger in Asien würde doch aber gerade eine gesteigerte Nachfrage für Kraftwerke und Großkunden bedeuten, so dass die Preise dafür viel schneller steigen müssten als die Preise für Stadtwerke und private Verbraucher.

Denn deren Energienachfrage wächst keinesfalls so rasant, hängt nicht vom Wirtschaftswachstum in \"Tigerstaaten\" ab.

Ich kann diese Begründung deshalb nicht nachvollziehen.


Nach den Ausführungen der E.ON Ruhrgas sollen die Förderländer das Preisrisiko tragen, die Importeure hingegen das Absatzrisiko.

Ein Absatzrisiko ist nicht ersichtlich, als der gesamte inländische Markt einen relativ stabilen Absatz verzeichnet. Die importierten Gasmengen werden also abgesetzt, fraglich nur zu welchem Preis.

Der Absatz ist nur dann nicht gesichert, wenn Konkurrenzenergien dauerhaft billiger würden, nicht jedoch wenn diese teurer werden.

Mithin ist der Absatz immer gesichert, wenn man den Preisen der Konkurrenzenergie nur nach unten folgt.

Zu berücksichtigen ist auch, dass in diesem Sinne nicht mehr folgende Erdgaspreise durch Wettbewerbseffekte auch selbst die Preise für leichtes Heizöl beeinflussen müssten, nämlich positiv im Sinne der Energieverbraucher.

Verweigert man diesen eine Preisgefolgschaft nach oben, steigt sogar die Nachfrage nach Erdgas und die Absatzmenge würde ausgeweitet werden können.

Den der unterschiedliche Bedarf der Kunden mit verschiedenen Lastgängen lässt sich ja bereits durch Speichermanagement auf einer ganz anderen Stufe der Lieferkette ausgleichen, nämlich bei den Ferngasgesellschaften.

So sollen 50 Prozent des im Winter von der Leipziger VNG Verbundnetz Gas verteilten Erdgasmenge an Stadtwerke, Regionalversorger und Zwischenhändler wie Erdgasversorgung Sachsen-Thüringen GmbH, die wiederum Stadtwerke und Regionalversorger beliefern, im Sommer bezogen und in Speicheranlagen wie in Bernburg gezogen werden.

Dadurch ergäbe sich eine weit konstantere Last als bei einem Bezug nur im Winter. Dadurch scheint es auch nicht gerechtfertigt, das im Sommer zu günstigeren Preisen bezogene Erdgas in der Heizperiode zu den dann gültigen Preisen \"einzupreisen\".  Dabei wird nicht verkannt, dass auch die Speicherung mit Kosten verbunden ist.

Solche Speicher entstehen immer mehr, wie auf den Seiten des BAFA zu erfahren ist, so auch in Thüringen in alten Salzstöcken der Deusa International in Bleicherode.

http://www.wingas.de/wga/wg/html/default/jbor-6e79sc.de.html
http://www.cicweb.de/article.aspx?article=51e12da9-d768-479d-a91a-0d0c834951a8

Diese unterschiedlichen Lastgänge werden also im Inland ausgeglichen und können deshalb gar keine Preisdifferenzierung beim Bezug aus dem Ausland rechtfertigen.

Kumuliert wird sich auch beim gesamten Import ein verstetigter Lastgang zeigen. Es ist sogar zu beobachten, dass in den Sommermonaten viel mehr Erdgas importiert wird als in der Heizperiode, was dafür spricht, dass der Lastgang beim Bezug aus dem Ausland gar nichts zu tun hat mit dem Lastgang auf der Absatzseite an Kunden.


Und wenn die Gaspreise für Kraftwerke der Konzerne relativ konstant sind, ist es immer noch eine Unverschämtheit, gestiegene Strom- und Fernwärmepreise mit gestiegenen Gaspreisen zu begründen.

Die Stadtwerke sind Opfer eines Anbieteroligopols, welches nur Erdgas mit HEL- Preisbindung anbietet, und muss sich selbst aus solchen langfristigen Knebelverträgen befreien, um günstiger Erdgas zu beziehen.

Hierzu stehen diesen genügend Wege offen.

Nur so können Stadtwerke ihre gesetzliche Verpflichtung zu preisgünstiger Versorgung erfüllen.

Entegen den Ausführungen von Herrn Houben handelt es sich m.E. nicht um einen \"Gummiparagrafen\", da es eine umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt, was unter preisgünstiger Versorgung zu verstehen ist. Diese Rechtsprechung ist eindeutig.

Deshalb muss man sich weiter mit § 315 BGB gegen unberechtigte Preiserhöhungen zur Wehr setzen, um den vom Bundeskartellamt als nötig angesehenen Druck der Verbraucher auf die Preise zu erzeugen.

Andernfalls wären die Kunden weiter dem Preisdiktat ausgesetzt.




Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Neu: Hintergründe von Michael Houben
« Antwort #1 am: 13. Oktober 2005, 18:13:39 »
Hallo zusammen,

ähnliche Überlegungen stelle ich ja auch an,  und letztlich ist es in der Konsequenz ganz egal, ob diese Differenzerung schon beim Import oder erst bei der Weiterverteilung passiert. Dass sie stattfindet, zeigt die Preisentwicklung in den einzelnen Marktsegmenten. Sie ist ungerecht, sachlich kaum begründbar und daher sicher nicht angemessen.

Tatsächlich könnte eine solche Preisdifferenzierung aber doch schon beim Import stattfinden ohne sich im Ausland ähnlich zu zeigen. Solange der durchschnittliche Erlös, der für die Förderländer am Ende herauskommt mit den angeboten aus anderen Ländern mithalten kann, kann eine solche Ausdifferenzierung dem Exporteur ziemlich egal sein. (Siehe \'Nastrowje-Absatz in meinem Text)

Auch die Möglichkeit der Speicherung habe ich ja erwähnt, auch das lässt sich der Betreiber eines Speichers aber natürlich bezahlen.
Und der Begriff \'Gummiparagraph\' war im von mir benutzten Kontext nicht so gemeint, dass er nutzlos wäre - im Gegenteil

Insofern verstehe ich die von Thomas Fricke hier aufgebauten Gegensätze nicht wirklich.

mfg
Michael Houben

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Neu: Hintergründe von Michael Houben
« Antwort #2 am: 13. Oktober 2005, 19:13:54 »
Hallo Herr Houben,

ich sehe auch keine Gegensätze in unseren Auffassungen.
Da muss ich mich missverständlich ausgedrückt haben.

Wenn ich sagte, ich könne eine Begründung nicht nachvollziehen, so meine ich die Begründungen der Gaswirtschaft. Um deren Glaubwürdigkeit geht es. Ich habe mir dazu meine Meinung gebildet.

Ich kann einfach keine sachliche Rechtfertigung für die bisherige Praxis erkennen, die schlicht schnellstmöglich beendet gehört.

Zum Gummiparagrafen ist anzumerken, dass es sich bei \"verbraucherfreundlichen Preisen\" tatsächlich um Gesetzeslyrik handelt, mit der keiner wirklich etwas anfangen kann.

\"Preisgünstigkeit\" als Tatbestandsmerkmal ist aber durch die umfassende wie langjährige  Rechtsprechung des BGH zur Preiswürdigkeit eindeutig. Im Gegensatz zu früher, wo die preisgünstige Versorgung nur in der Präambel des Gesetzes erschien, ist sie heute sogar Gegenstand der gesetzlichen Verpflichtung der EVU, ein Verstoß also Rechtsbruch.

Die Rechtsprechung ist für die aktuell bestehende Monopolsituation vollkommen eindeutig.

Für die Zukunft bedarf es vollkommen neuer Rahmenbedingungen:

Auf dem Strommmarkt wurde Wettbewerb durch prohibitiv überhöhte Netznutzungsentgelte verhindert. Diese sollen durch die Regulierungsbehörde korrigiert werden. Bis es soweit ist, werden die Stromhändler weiter mit § 315 BGB aktiv.

Weil die Stromhändler jedoch auch Strom als Handelsware benötigen, über dessen Erzeugung ebenfalls ein Oligopol herrscht, müssten m. E. alle Strommengen, die aus Kraftwerken ab einer bestimmten Größenklasse kommen, ausschließlich über eine Börse gehandelt werden, wo ebenfalls alle Stromhändler gleichberechtigt zum Zuge kommen.

Dann kann man vielleicht von einem Marktpreis für Elektrizität sprechen.
Bisher haben wir dabei wohl nur die Spot-Markt-Problematik.

Fraglich, ob es einer Förderung bestimmter Stromerzeugungsarten (KWK) bedarf, ob diese Förderung überhaupt zielführend ist:

Besteht ein erhöhter Bedarf an Wärmenetzen, so könnte man einen Ausbau der KWK fördern, wenn deren ausgedehnte Wärmeproduktion auch einen Absatz findet.

Nun profitieren wohl selbst Konzernkraftwerke davon, die nichts anderes tun als eh und je. Zudem gab es eine Entlastung bei der Mineralölsteuer für KWK- Anlagen.

Dann beschweren sich die Betreiber über \"staatliche\" Abgaben, die in ihre eigenen Taschen fließen und die Fernwärmepreise werden erhöht.

Argument der VDEW/ AGFW:

Opportunitätskosten. Hätte man keine Wärme ausgekoppelt, hätte man mehr Strom erzeugt und diesen zu Börsenpreisen teuer verkaufen können.

Als wenn die Aufgabe eines Heizkraftwerkes nicht gerade darin besteht, Wärme zu erzeugen. Zudem gäbe es dann keinen Grund für die privilegierte Mineralölsteuer, weil diese nur für die Wärmeerzeugung gilt.

Opportunistsätskosten mussten ja auch schon als Argument für die angeblichen Auswirkungen des Zertifikatehandels herhalten.

Krude Begründungen allenthalben.


Wichtig ist, dass engagierte Journalisten wie Sie diesen Argumenten der Energiewirtschaft  immer weiter mit bohrenden Fragen nachgehen!    
 
Dabei konnten Sie bisher schon Beachtliches leisten.
Es sind Tatsachen offenbar geworden, die keiner ohne weiteres für möglich gehalten hätte:

Nur ca. die Hälfte der importierten Erdgasmenge soll sich dramatisch verteuert haben, Verbraucher subventionieren die Kraftwerke der Konzerne und bekommen gleichwohl höhere Strom- und Fernwärmepreise in Rechnung gestellt.




Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Neu: Hintergründe von Michael Houben
« Antwort #3 am: 13. Oktober 2005, 20:03:12 »
Nachtrag:


Aufreger ist bisher die unterschiedliche Preisentwicklung und die immer weitere Öffnung der Preis- Schere.

Stellen wir uns mal vor, es gäbe tatsächlich preisdifferente Importmengen für verschiedene Marktsegmente und es hätte überhaupt keine Preisänderungen gegeben.

Dann wären die Importpreise  für Kraftwerke und Industriekunden -vollkommen unabhängig von Preisänderungen - wohl auch schon immer weit geringer als für Stadtwerke und Haushaltskunden.

Mit anderen Worten:

Auch der jeweilige Erdgasimportpreis ist nur der gemittelte Preis der unterschiedlichen Importpreise. Diese waren wohl noch nie gleich hoch.

Um wieviel höher (absolut) mag dann der Importpreis für Stadtwerke- Gas gegenüber dem Importpreis für Kraftwerksgas schon immer liegen?

Damit nähern wir uns dem Thema Margen des Importeurs.

Das Thema Subventionierung der Konzernkraftwerke durch Stadtwerke und Haushaltskunden erfährt noch eine ganz andere Dimension.


Prof. Salje (Jurist. Fakultät Uni Hannover) schreibt in \"Energiewirtschaftliche Tagesfragen\" 4/2005, S. 278, (283):

\"Weil auch die Preise der Vorlieferanten (einschließlich der Gasproduzenten) im Wettbewerb gebildet werden, also auch die Gasproduzenten nicht nur ihre Kosten abrechnen, .....\"

Die Frage darf erlaubt sein, woher der Autor als Jurist all seine Weisheiten über die Gasproduzenten und deren Preisbildung bezieht.

Wenn der also tatsächlich etwas darüber zu berichten weiß, dann sollte man bei diesem, wohl mit Steuermitteln finanzierten Wissenschaftler mal genauer nachfragen.

Ersichtlich wird russisches Erdgas zum Beispiel via Thüringen über die STEGAL/ WEDAL- Leitungen nach Westeuropa geleitet, hat bis dort einen weiteren Weg zurückgelegt und wird dort offensichtlich billiger verkauft als noch in Mitteldeutschland (Thüringen), wie der vierte Benchmarking- Bericht der EU- Kommission vom 05.01.2005 eindrucksvoll belegt.


Das Gas überschreitet die Grenze wohl aus Tschechien nach Deutschland kommend, verteuert sich an der Grenze auf dem Transitwege, um bei der Ausreise an Deutschlands Westgrenze wieder billiger zu werden.

Polemisch könnte man denken, bei Überschreiten der deutschen Grenze aus dem Ausland wird etwa Goldstaub beigemengt, der beim abermaligen Passieren der Grenze aus Deutschland heraus dem Gas wieder entzogen wird. Warum erfolgen solche Beimengungen aber? Was steckt dahinter?

Welche Erklärung hat der kenntnisreiche Wissenschaftler denn wohl für dieses Phänomen?

Man könnte deshalb auch mal bei Prof. Pfaffenberger am Bremer Energie- Institut nachfragen. Dort soll es einen gesponserten Lehrstuhl geben:

http://www.eon-energie.com/Ressources/downloads/021113_harig_bremen.pdf

Metamorphosen?

http://hermes.zeit.de/pdf/index.php?doc=/2004/38/Regulierer
http://www.zeit.de/2003/18/E-Strom?page=3
http://www.energieverbraucher.de/img_db/1033812867_bike-gutac.pdf


Auch dieser Wissenschaftler zeigte sich zum Thema Erdgaspreise sehr kenntnisreich:

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/unterwegs/gaspreise.html

Nach dessen bisherigen Aussagen ist das teuerste bei der Gaspreiskalkulation das Erdgas selbst.

Die Durchleitungsentgelte, die Personalkosten, die Allgemeinen Verwaltungskosten eines Gasversorgungsunternehmens sind also nachrrangig wie wohl auch die Kosten des Leitungsnetzes überhaupt.

Das ist gerade angesichts des Preisunterschiedes zwischen Ost- und Westdeutschland eine ganz bedeutende Erkenntnis. An den Infrastrukturkosten kann es dann wohl gar nicht liegen.

Und auch dabei stellt sich die Frage nach der Preisentwicklung auf dem Transit russischen Erdgases über Deutschland nach Westeuropa.


Vielleicht hat dieser Wissenschaftler noch weitere Erklärungen parat.


Eins würde mich noch interessieren, weil wohl alle Stadtwerke Mitglied des BGW sind:

Wer kontrolliert die Angaben der Stadtwerke über die Entwicklung ihrer Bezugspreise gegenüber dem Statistischen Bundesamt und wie erfolgt diese Kontrolle.

Werden nur prozentuale Preissteigerungen angegeben oder auch immer konkrete Preishöhen, mengengewichtet, soweit bereits ein Bezugsportfolio besteht?  



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Cremer

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Neu: Hintergründe von Michael Houben
« Antwort #4 am: 13. Oktober 2005, 23:01:23 »
@Fricke,

In einigen Geschäftsberichten der Versorger ist auch nachzulesen, dass mehr Gas in die Speicher geflossen sind, als entnommen wurde.

Fazit:
Jetzt noch preisgünstiges Erdgas wird eingespechert und später zu überhöhten Preisen ausgespeichert, sprich verkauft.
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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gerd@cremer-kreuznach.de

 

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