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Autor Thema: BGH, Urt. v. 14.07.10 VIII ZR 246/08 Abgrenzung Tarifkunde/ Sondervertrag (EWE)  (Gelesen 9180 mal)

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Zitat
Verhandlungstermin: 17. März 2010

VIII ZR 246/08

LG Oldenburg - Urteil vom 22. November 2007 – 9 O 403/06
OLG Oldenburg - Urteil vom 5. September 2008 – 12 U 49/07
(veröffentlicht in RdE 2009, 25)

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen. Die Kläger werden als Endverbraucher von einem nordwestdeutschen Energieversorgungs-unternehmen zum \"Sondertarif I\" (ab 1. April 2007 \"E. Erdgas classic\") leitungsge-bunden mit Erdgas beliefert. Das beklagte Unternehmen verwendete Auftrags-formulare für die Herstellung von neuen Gasanschlüssen, in denen es auszugsweise heißt:

\"Es wird die Versorgung mit Erdgas zum Sondertarif der E. [= Beklagte] beantragt.



Der Auftrag erfolgt aufgrund der \"Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts- und Gasversorgung von Tarifkunden\"(AVBEltV/AVBGasV) vom 21. Juli 1979 einschließlich der \"Ergänzenden Bestimmungen der EWE Aktiengesellschaft\" in jeweils gültiger Fassung\".

Seit 1. April 2007 verwendet die Beklagte \"Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Lieferung von Energie … außerhalb der Grundversorgung\". Diese lauten auszugsweise wie folgt:

\"1. Vertragsgrundlage für die Energielieferung

Die Lieferung von Erdgas erfolgt auf der Grundlage der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrund-versorgungsverordnung – GasGVV vom 26.10.2006 (BGBl. I S. 2396)), …, sofern in diesen \"Allgemeinen Geschäftsbedingungen…\" sowie in den Ergänzenden Bedingungen der E. AG [= Beklagte] nichts anderes geregelt ist.



3. Vertragslaufzeit und Kündigung



Der Erdgaslieferungsvertrag hat eine Laufzeit von sechs Monaten gerechnet ab Lieferungsbeginn. Er verlängert sich automatisch jeweils um einen Monat, wenn er nicht von einer Vertragspartei gekündigt wird. Es gilt eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende des jeweiligen Ablaufs.



Die Möglichkeit zur Kündigung anlässlich von Preisanpassungen bzw. im Falle eines Umzugs gemäß … GasGVV bleibt unberührt.



4. Preisänderung

Der Erdgaspreis ändert sich, wenn eine Änderung der Preise der E. AG für die Grundversorgung eintritt; es ändert sich der Arbeitspreis um den gleichen Betrag in Cent/kWh, der Grundpreis um den gleichen Betrag in Euro/a. Die Preisänderung wird zu dem in der öffentlichen Bekanntgabe über die Änderung der Erdgaspreise genannten Zeitpunkt wirksam.



Im Falle einer Preisänderung hat der Kunde ein Sonderkündigungsrecht. Der Kunde ist berechtigt, das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist zum Wirksamwerden der Preisänderung zu kündigen.\"

Das beklagte Unternehmen erhöhte seit dem 1. September 2004 in mehreren Schritten einseitig die Arbeitspreise für das von ihr gelieferte Erdgas. Die klagenden Kunden haben die Feststellung begehrt, dass die zwischen ihnen und der Beklagten jeweils bestehenden Gasversorgungsverträge über den 31. August 2004 hinaus zu einem nicht höheren als dem bis dahin von der Beklagten geltend gemachten Arbeitspreis im Sondertarif I bis zur nächsten auf die mündliche Verhandlung folgenden Preisänderung fortbestehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage festgestellt, dass die zwischen den Berufungsklägern und der Beklagten jeweils bestehenden Gasversorgungsverträge zu einem nicht höheren als dem bis zu einem bestimmten Zeitpunkt von der Beklagten geltend gemachten Arbeitspreis im Sondertarif I fortbestehen. Der genaue Zeitpunkt weicht hinsichtlich der einzelnen Kläger voneinander ab.

Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, die von der Beklagten verwendeten Bestimmungen seien, selbst wenn man eine wirksame vertragliche Einbeziehung der AVBGasV und der GasGVV in die zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisse voraussetzte, unwirksam, weil sie gegen das Transparenzgebot verstießen (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Den Klägern stünden die geltend gemachten Ansprüche aber nicht zu, soweit sie die einseitigen Preiserhöhungen der Beklagten und die darauf basierenden Jahresabrechnungen ohne Beanstandung in angemessener Zeit akzeptiert hätten, indem sie weiterhin Gas bezogen und die nachfolgenden Rechnungen bezahlt hätten. Hierdurch sei der einseitig erhöhte Preis zu einem zwischen den Parteien vereinbarten Preis geworden. Deswegen obsiegten insgesamt neun Kläger in vollem Umfang. Hinsichtlich der übrigen Berufungskläger gelte die Preiserhöhung zum 1. September 2004, teilweise auch noch spätere Preiserhöhungen, mangels rechtzeitiger Beanstandung als vereinbart, so dass deren Klage insoweit abzuweisen sei.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen (klageabweisenden) Urteils. Von den ursprünglich 66 Klägern verfolgen 46 ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter
.

Die Klausel- ihre wirksame Einbeziehung könnte schon deshalb gegen § 307 I BGB verstoßen, weil sie von der gesetzlichen Regelung in § 5 II, III GasGVV abweicht. Bei Zugrundelegung der Rechtsprechung aus BGH VIII ZR 326/08 wird sie sich wohl als unwirksam erweisen.

Sollte der Senat die Klauseln gleichwohl für wirksam halten, stünde eine Rückverweisung an das Berufungsgericht zu erwarten, wo geklärt werden müsste, ob die Klauseln in jedes einzelne betroffene Vertragsverhältnis gem. Art. 229 3 5 Satz 2 EGBGB iVm. § 305 II BGB wirksam einbezogen wurde.

Interessant wird werden, wie sich der Senat ggf. zu der Frage stellt, ob auch bei nicht einbezogner/ unwirksamer Klausel durch widerspruchslose Hinnahme und Bezahlung einer Rechnung ein höherer Preis vertraglich vereinbart wurde, obschon es dabei schon regelmäßig an einer annahmefähigen Angebotserklärung des Versorgers gem. §§ 145, 130 BGB fehlen wird (vgl. BGH VIII ZR 199/04).

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Verkündungstermin: 16. Juni 2010 = verlegt auf 14. Juli 2010
Verhandlungstermin: 17. März 2010

Anscheinend gibt es im Senat doch größeren Beratungsbedarf. Als zuletzt Entscheidungen deshalb auf die lange Bank geschoben wurden, erwies es sich als für die Verbraucher vorteilhaft.

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BGH PM Nr. 145/2010 zu VIII ZR 246/08

Nr. 145/2010

Bundesgerichtshof zu Preiserhöhungen

in Erdgas-Sonderverträgen

Der Bundesgerichtshof hat heute über eine weitere Klage von Erdgas-Sonderkunden gegen Gaspreiserhöhungen entschieden. Dabei hat er die von dem Versorgungsunternehmen in älteren Verträgen verwendete Preisänderungsklausel für wirksam, die in jüngeren Verträgen verwendete Klausel hingegen für unwirksam erklärt. Ferner hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zu der Frage weiter entwickelt, in welchen Fällen die widerspruchslose Hinnahme von Jahresabrechnungen als Zustimmung zu einem erhöhten Preis angesehen werden kann.

Die Kläger werden als Endverbraucher von der Beklagten, einem nordwestdeutschen Energieversorgungsunternehmen, zum \"Sondertarif I\" (ab 1. April 2007 \"E. Erdgas classic\") leitungsgebunden mit Erdgas beliefert. Das Unternehmen verwendete Auftragsformulare für die Herstellung von neuen Gasanschlüssen, in denen es auszugsweise heißt:

\"Der Auftrag erfolgt aufgrund der \"Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts- und Gasversorgung von Tarifkunden\"(AVBEltV/AVBGasV) vom 21. Juli 1979 einschließlich der \"Ergänzenden Bestimmungen der EWE Aktiengesellschaft\" in jeweils gültiger Fassung\".

Seit 1. April 2007 verwendet das Unternehmen \"Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Lieferung von Energie … außerhalb der Grundversorgung\". Diese lauten auszugsweise wie folgt:

\"4. Preisänderung

Der Erdgaspreis ändert sich, wenn eine Änderung der Preise der E. AG für die Grundversorgung eintritt; es ändert sich der Arbeitspreis um den gleichen Betrag in Cent/kWh, der Grundpreis um den gleichen Betrag in Euro/a. Die Preisänderung wird zu dem in der öffentlichen Bekanntgabe über die Änderung der Erdgaspreise genannten Zeitpunkt wirksam.



Im Falle einer Preisänderung hat der Kunde ein Sonderkündigungsrecht. Der Kunde ist berechtigt, das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist zum Wirksamwerden der Preisänderung zu kündigen.\"

Das Versorgungsunternehmen erhöhte seit dem 1. September 2004 in mehreren Schritten einseitig die Arbeitspreise für das gelieferte Erdgas. Die Kunden haben die Feststellung begehrt, dass die zwischen ihnen und der Beklagten jeweils bestehenden Gasversorgungsverträge über den 31. August 2004 hinaus zu einem nicht höheren als dem bis dahin geltenden Arbeitspreis im Sondertarif I fortbestehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen haben 56 der ursprünglich 66 Kläger Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Preisanpassungsklauseln für unwirksam gehalten und festgestellt, dass die jeweils bestehenden Gasversorgungsverträge zu einem nicht höheren als dem bis zu bestimmten Zeitpunkten geltenden Arbeitspreis fortbestehen. Die genauen Zeitpunkte weichen hinsichtlich der einzelnen Kunden voneinander ab. Zehn Kunden hatten mit ihrer Klage in vollem Umfang Erfolg. Die Klagen der weiteren im Berufungsverfahren noch vertretenen Kunden hatten nur hinsichtlich eines Teilzeitraums Erfolg; sie sind im Übrigen abgewiesen worden, weil die Kunden die auf den einseitigen Preiserhöhungen basierenden Jahresabrechnungen ohne Beanstandung in angemessener Zeit akzeptiert hatten. Mit ihrer Revision hat die Beklagte die vollständige Klageabweisung angestrebt. Die 46 teilweise unterlegenen Kläger haben ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter verfolgt.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine Rechtsprechung bekräftigt, dass eine Preisanpassungsklausel, die das im Bereich der Grundversorgung bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 5 Abs. 2 GasGVV* (vor deren Inkrafttreten am 8. November 2006: das im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV**) unverändert in einen Normsonderkundenvertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB standhält (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2009 – VIII ZR 225/07, Pressemitteilung Nr. 153/2009, und VIII ZR 56/08, Pressemitteilung Nr. 152/2009).

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die von dem Versorgungsunternehmen vor dem 1. April 2007 verwendete Preisanpassungsregelung der Inhaltskontrolle standhält und somit wirksam ist. Sie gewährleistet in jeder Hinsicht eine sachliche Gleichbehandlung von Tarifkunden und Sonderkunden. Durch die vollständige Einbeziehung des Wortlauts der AVBGasV wird das in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV geregelte Preisänderungsrecht unverändert in die zwischen den Parteien bestehenden Sonderkundenverträge übernommen.

Hingegen ist die seit dem 1. April 2007 verwendete Preisänderungsbestimmung gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil sie die Kunden unangemessen benachteiligt. Zwar lässt sich der Klausel entnehmen, dass dem Unternehmen eine einseitige Preisanpassungsbefugnis zustehen soll und die Preise jeweils nominal an die entsprechenden Preise der Grundversorgung gekoppelt sein sollen. Es kommt aber ein Verständnis der Klausel in Betracht, nach dem – anders als bei dem gesetzlichen Preisänderungsrecht gemäß § 5 Abs. 2 GasGVV – wegen der festen Koppelung der Preisänderungen an die Änderungen der Grundversorgungspreise kein Ermessensspielraum besteht und deshalb keine Billigkeitskontrolle stattfindet. Die Preisanpassungsregelung entspricht auch im Übrigen inhaltlich nicht voll der Regelung in § 5 Abs. 2 GasGVV. Denn nach der Klausel muss die Bekanntgabe der Preisänderung nicht mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen. Unerwähnt bleiben auch die in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten weiteren Pflichten des Unternehmens (briefliche Mitteilung der beabsichtigten Änderung, Veröffentlichung im Internet).

Ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgungsunternehmens ergibt sich für die Zeit ab 1. April 2007 auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Denn der Wegfall der unwirksamen Preisänderungsklausel führt nicht zu einem Ergebnis, das das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten der Kunden verschiebt und deshalb nicht mehr interessengerecht ist. Der Bundesgerichtshof hat allerdings offen gelassen, ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht. Sind in einem solchen Fall die Gestehungskosten des Gasversorgungsunternehmens erheblich gestiegen und ergibt sich daraus für die betroffenen Zeiträume ein erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, lässt sich die Annahme eines nicht mehr interessengerechten Ergebnisses jedenfalls hinsichtlich der länger zurück liegenden Zeitabschnitte nicht ohne weiteres – wie im entschiedenen Fall – mit der Begründung verneinen, dass eine Kündigungsmöglichkeit bestand.

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit es die Klage von 46 Kunden teilweise abgewiesen hat, weil sie die auf den einseitigen Preiserhöhungen basierenden Jahresabrechnungen ohne Beanstandung in angemessener Zeit akzeptiert hatten. Bei einer einseitigen Preiserhöhung eines Gasversorgungsunternehmens aufgrund einer Preisanpassungsklausel, die unwirksam oder – beispielsweise mangels ordnungsgemäßer Einbeziehung – nicht Vertragsbestandteil ist, kann die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung nicht als stillschweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden. Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält grundsätzlich über seinen Charakter als Erfüllungshandlung hinaus keine Aussage des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen.

Allerdings hält der Bundesgerichtshof an seiner Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle (§ 315 Abs. 3 BGB***) von einseitigen Preiserhöhungen fest. Danach ist das Verhalten des Kunden, der nach Übersendung einer auf einer einseitigen Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden, dahin auszulegen, dass er die Billigkeit der Preiserhöhung nicht in Frage stellt und ihr unter diesem Aspekt zustimmt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007 – VIII ZR 36/06, Pressemitteilung Nr. 70/2007). Dieser bisher nur für Tarifkundenverträge geltende Grundsatz ist auch bei einer unveränderten Übernahme des gesetzlichen Preisanpassungsrechts gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (jetzt: § 5 Abs. 2 GasGVV) in einen Sonderkundenvertrag anzuwenden, soweit der Kunde geltend macht, die umstrittenen Preiserhöhungen seien unbillig im Sinne des § 315 BGB. Eine weiter gehende Auslegung des Kundenverhaltens dahin, dass er nicht nur die Billigkeit der jeweiligen einseitigen Preisänderung, sondern – soweit es darauf ankommt – auch die Berechtigung des Versorgungsunternehmens zur einseitigen Preisänderung an sich akzeptiert, kommt jedoch nicht in Betracht.

Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden, damit die nunmehr noch erforderlichen Feststellungen, unter anderem zur Billigkeit der vor dem 1. April 2007 vorgenommenen Preiserhöhungen, getroffen werden können. Soweit das Oberlandesgericht die Unwirksamkeit der nach dem 1. April 2007 erfolgten Preiserhöhungen festgestellt hat, ist das Berufungsurteil rechtskräftig.

*Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz - Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV)

§ 5 Art der Versorgung  

(1) …

(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

**Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV; gültig bis 7. November 2006)

 § 4 Art der Versorgung  

(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.



***§ 315 BGB: Bestimmung der Leistung durch eine Partei

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

Urteil vom 14. Juli 2010 – VIII ZR 246/08

LG Oldenburg - Urteil vom 22. November 2007 – 9 O 403/06

OLG Oldenburg - Urteil vom 5. September 2008 – 12 U 49/07

(veröffentlicht in RdE 2009, 25)

Karlsruhe, den 14. Juli 2010

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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Die vollständige Urteilsbegründung bleibt abzuwarten.

Das OLG Oldenburg hatte im Urteil vom 05.09.08 Az 12 U 49/07 - aus seiner Sicht konsequent -  die streitige Frage der Einbeziehung der Bedingungen der AVBGasV in die betroffenen Sonderverträge gem. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB iVm. § 305 Abs. 2 BGB ausdrücklich offen gelassen, angedeutet, diese jedoch zu verneinen.

Der BGH als Revisionsgericht kann zu diesen Tatsachenfragen grundsätzlich keine eigenen Feststellungen treffen.

Nicht ganz nachvollziehbar erscheint deshalb folgende Passage in der Pressemitteilung des BGH:

Zitat
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die von dem Versorgungsunternehmen vor dem 1. April 2007 verwendete Preisanpassungsregelung der Inhaltskontrolle standhält und somit wirksam ist. Sie gewährleistet in jeder Hinsicht eine sachliche Gleichbehandlung von Tarifkunden und Sonderkunden. Durch die vollständige Einbeziehung des Wortlauts der AVBGasV wird das in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV geregelte Preisänderungsrecht unverändert in die zwischen den Parteien bestehenden Sonderkundenverträge übernommen.

Dagegen spricht nämlich folgende Passage:

Zitat
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit es die Klage von 46 Kunden teilweise abgewiesen hat, weil sie die auf den einseitigen Preiserhöhungen basierenden Jahresabrechnungen ohne Beanstandung in angemessener Zeit akzeptiert hatten. Bei einer einseitigen Preiserhöhung eines Gasversorgungsunternehmens aufgrund einer Preisanpassungsklausel, die unwirksam oder – beispielsweise mangels ordnungsgemäßer Einbeziehung – nicht Vertragsbestandteil ist, kann die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung nicht als stillschweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden. Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält grundsätzlich über seinen Charakter als Erfüllungshandlung hinaus keine Aussage des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen.  

Allerdings hält der Bundesgerichtshof an seiner Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle (§ 315 Abs. 3 BGB***) von einseitigen Preiserhöhungen fest. Danach ist das Verhalten des Kunden, der nach Übersendung einer auf einer einseitigen Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden, dahin auszulegen, dass er die Billigkeit der Preiserhöhung nicht in Frage stellt und ihr unter diesem Aspekt zustimmt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007 – VIII ZR 36/06, Pressemitteilung Nr. 70/2007). Dieser bisher nur für Tarifkundenverträge geltende Grundsatz ist auch bei einer unveränderten Übernahme des gesetzlichen Preisanpassungsrechts gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (jetzt: § 5 Abs. 2 GasGVV) in einen Sonderkundenvertrag anzuwenden, soweit der Kunde geltend macht, die umstrittenen Preiserhöhungen seien unbillig im Sinne des § 315 BGB. Eine weiter gehende Auslegung des Kundenverhaltens dahin, dass er nicht nur die Billigkeit der jeweiligen einseitigen Preisänderung, sondern – soweit es darauf ankommt – auch die Berechtigung des Versorgungsunternehmens zur einseitigen Preisänderung an sich akzeptiert, kommt jedoch nicht in Betracht.


Deshalb steht zu erwarten, dass das OLG Oldenburg nach Zurückverweisung hierzu erst Tatsachenfeststellungen treffen muss.

Der Abschluss eines Hausanschlussvertrages ist etwas anderes als der Abschluss eines Energielieferungevertrages.

Ein bestehender bzw. hergestellter Hausanschluss ist Voraussetzung dafür, dass durch Energieentnahme über einen solchen Anschluss konkludent ein Tarifkundenvertrag bzw. Grundversorgungsvertrag abgeschlossen werden kann, für welchen die gesetzlichen Bestimmungen automatisch gelten würden.

Solche Verträge, bei denen die Verordnungen kraft Gesetzes automatisch gelten, wurden im Streitfall jedoch nicht abgeschlossen.

Ob für den (zeitlich nach dem Vertrag über die Herstellung des Hausanschlusses liegenden)  Abschluss der Erdgas- Sonderabkommen gem.  Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB iVm. § 305 Abs. 2 BGB die Voraussetzungen für die Einbeziehung jeweils vorlagen, ist nicht ersichtlich.

Sollte das OLG Oldenburg die wirksame Einbeziehung dabei nicht feststellen können, käme es auf die Frage der Billigkeit jedenfalls wiederum nicht an. Es käme in diesem Fall nach der PM Nr. 145/2010 des BGH  noch nicht einmal darauf an, ob den einzelnen Preisänderungen/ Jahresverbrauchsabrechnungen  widersprochen worden war oder Zahlungen unter Vorbehalt erfolgten.

Sollten hingegen die Bedingungen der AVBGasV vollständig und mit ihnen auch § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV unverändert  in die Vertragsverhältnisse einbezogen worden sein, so regeln die Vertragsklauseln eigentlich nur die Änderung der Allgemeinen Tarife, verhalten sich jedoch weder tatbestandlich noch rechtsfolgenseitig zur Änderung eines - von den Allgemeinen Tarifen zu unterscheidenden - Sondertarifs, was eigentlich gem. § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders solcher AGB gehen sollte.

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Stellungnahme des Lobbyverbandes BDEW

Zitat
Aus der PM des BGH

Hingegen ist die seit dem 1. April 2007 verwendete Preisänderungsbestimmung gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil sie die Kunden unangemessen benachteiligt. Zwar lässt sich der Klausel entnehmen, dass dem Unternehmen eine einseitige Preisanpassungsbefugnis zustehen soll und die Preise jeweils nominal an die entsprechenden Preise der Grundversorgung gekoppelt sein sollen. Es kommt aber ein Verständnis der Klausel in Betracht, nach dem – anders als bei dem gesetzlichen Preisänderungsrecht gemäß § 5 Abs. 2 GasGVV – wegen der festen Koppelung der Preisänderungen an die Änderungen der Grundversorgungspreise kein Ermessensspielraum besteht und deshalb keine Billigkeitskontrolle stattfindet. Die Preisanpassungsregelung entspricht auch im Übrigen inhaltlich nicht voll der Regelung in § 5 Abs. 2 GasGVV. Denn nach der Klausel muss die Bekanntgabe der Preisänderung nicht mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen. Unerwähnt bleiben auch die in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten weiteren Pflichten des Unternehmens (briefliche Mitteilung der beabsichtigten Änderung, Veröffentlichung im Internet).  Ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgungsunternehmens ergibt sich für die Zeit ab 1. April 2007 auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Denn der Wegfall der unwirksamen Preisänderungsklausel führt nicht zu einem Ergebnis, das das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten der Kunden verschiebt und deshalb nicht mehr interessengerecht ist.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings offen gelassen, ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht. Sind in einem solchen Fall die Gestehungskosten des Gasversorgungsunternehmens erheblich gestiegen und ergibt sich daraus für die betroffenen Zeiträume ein erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, lässt sich die Annahme eines nicht mehr interessengerechten Ergebnisses jedenfalls hinsichtlich der länger zurück liegenden Zeitabschnitte nicht ohne weiteres – wie im entschiedenen Fall – mit der Begründung verneinen, dass eine Kündigungsmöglichkeit bestand.

Komisch, wenn der Senat die Frage offen gelassen haben will, sich dann aber doch irgendwie dazu äußert. Wohl die Fortsetzung der bereits kritisierten obiter dicta Tour des Senats.

Zu lesen in der \"Märkischen Allgemeinen Zeitung\"

Zitat
Zwar gilt die Entscheidung direkt nur für die klagenden EWE- Kunden. Bundesweit ist sie aber für alle Sonderkunden von Bedeutung. \"Die Gerichte werden sich in allen anderen Fällen dem BGH anschließen\", sagte der BGH-Sprecher.

Siehe auch: BGH VIII ZR 160/09

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Weiterer Bericht in der MAZ

Zitat
Die BGH-Entscheidung ist kein Rückzahlungsurteil. Das heißt, EWE-Kunden müssen ihre Ansprüche selbst bei dem Energieversorger geltend machen und eventuell juristisch durchfechten. Laut BGH kommt es dabei nicht darauf an, ob zuvor Widerspruch gegen eine Preiserhöhung erhoben wurde. Reshöft rät Kunden, die Preissteigerungen in den Gasrechnungen seit April 2007 zu addieren und von EWE zurückzufordern.  EWE sei „nicht zur Rückzahlung an Kunden verurteilt worden“, betont Vertriebsleiter Christian Haferkamp. Bei der richterlichen Entscheidung müsse noch geprüft werden, „was das für unsere Kunden und uns bedeutet“.

Weiterer Bericht in der NWZ

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Urteilstext VIII ZR 246/08 veröffentlicht

Daraus ergibt sich m.E. unter (vielem) anderen Folgendes:

I.

Auch bei einer automatischen verbrauchsabhängigen Tarifeinstufung der Kunden nach einer sog. Bestpreisabrechnung durch den Gasversorger ändert nichts daran, dass es sich um Sonderverträge außerhalb der Grundversorgung handelt (Rn. 27).  Voraussetzung für das Vorliegen von Sonderverträgen ist folglich kein schriftlicher Vertragsabschluss zu einem Sondervertrag. Auch die automatische Einstufung in einen Sondertarif führt zum Abschluss eines Sondervertrages.

II.

Auch wenn Auftragsformulare für die Herstellung neuer Gasanschlüsse verwendet wurden, in denen es auszugsweise heißt:

\"Es wird die Versorgung mit Erdgas zum Sondertarif beantragt.... Der Auftrag erfolgt aufgrund der \"Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts- und Gasversorgung von Tarifkunden (AVBEltV/ AVBGasV) vom 21.Juli 1979 einschließlich der \"Ergänzenden Bestimmungen der EWE AG\" in jeweils geltender Fassung\"

oder der Gasversorger Vertragsbestätigungen verwendet, in denen die AVBGasV als Grundlage des Vertragsverhältnisses bezeichnet wird, kann eine Einbeziehung der Bestimmungen der AVBGasV als Allgemeine Geschäftsbedingungen in die Vertragsverhältnisse gem. Art. 229 § 5 satz 2 EGBGB iVm. § 305 II BGB ohne weiteres nicht festgestellte werden (Rn. 1, 64).

 

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