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Autor Thema: LG Frankenthal, Urt. v. 10.09.09, Az. 2 HK O 90/09 \"Unbilligkeitseinrede rechtsmissbräuchlich\"  (Gelesen 7161 mal)

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Offline RR-E-ft

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LG Frankenthal, Urt. v. 10.09.09, Az. 2 HK O 90/09

Der beklagte Gaskunde der Pfalzgas hatte den einseitigen Preiserhöhungen in 2008 widersprochen und die Verbrauchsabrechnung auf die bisher geltenden Preise gekürzt. Der Versorger klagte die Differenz aus der Verbrauchsabrechnung (147,26 EUR) ein. Das Landgericht gab der Klage mit nicht überzeugender Begründung statt.

Das Gericht ist unzutreffend der Auffassung, es könne dahinstehen, ob der Beklagte grundversorgter Kunde oder Sondervertragskunde sei, weil in beiden Fällen mangels anderweitiger Vertragsabrede die Bestimmungen der GasGVV gelten würden.

Der BGH hat wiederholt klargestellt, dass die Bestimmungen der AVBGasV und der GasGVV für Sondervertragskunden nicht unmittelbar gelten (vgl. BGH KZR 2/07, VIII ZR 274/06, VIII ZR 225/07). Dies ergibt sich bereits aus den gesetzlichen Regelungen selbst, vgl. § 1 AVBGasV/ GasGVV.

Die Bestimmungen der GasGVV können folglich in einem Sondervertrag allenfalls dann Geltung beanspruchen, wenn sie als AGB gem. § 305 II BGB wirksam in den Vertrag einbezogen wurden.

Das Gericht ist weiter der Auffassung, eine Billigkeitskontrolle sei nicht gegeben, wenn der Kunde die Möglichkeit habe, den Vertrag vor Wirksamwerden der Preisänderung durch Kündigung zu beenden und den Lieferanten zu wechseln. Eine Unbilligkeitseinrede gegenüber einer einseitigen Leistungsbestimmung des Versorgers sei dann rechtsmissbräuchlich.

Diese Auffassung ist rechtsfehlerhaft.

Der BGH hat in seinen Entscheidungen vom 15.07.09 (VIII ZR 225/07 und VIII ZR 56/08] indes festgestellt, dass es ein grundversorgter Kunde im Falle einer einseitigen Preisänderung in Ausübung des gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 5 GasGVV entweder den Grundversorgungsvertrag durch Kündigung beenden oder sich gem. § 315 BGB, § 17 Abs. 1 Satz 3 GasGVV auf die Unbilligkeit berufen und es auf eine gerichtliche Billigkeitskontrolle ankommen lassen kann. Eine solche Möglichkeit (Alternative) solle auch für einen Sondervertragskunden bestehen, wenn in den Vertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen einbezogen seien, die das für grundversorgte Kunden geltende gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht unverändert übernehmen. Auch dann solle dem Kunden die Möglichkeit einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB eröffnet sein. Wenn dies aber der Fall sei, so stünde der Sondevertragskunde nach Auffassung des VIII. Zivilsenats des BGH nicht schlechter als ein grundversorgter Kunde.

Die Entscheidung des Landgerichts verkennt, dass das Gasversorgungsunternehmen überhaupt nur dann zur einseitigen Preisänderung im laufenden Vertragsverhältnis berechtigt ist, wenn diesem - entweder gesetzlich oder vertraglich - ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt ist, in diesem Fall auch eine gesetzliche Verpflichtung zu einer der Billigkeit entsprechenden Leistungsbestimmung gegenüber dem Kunden besteht (vgl. BGH KZR 2/07, VIII ZR 274/06, VIII ZR 225/07, VIII ZR 56/08].  

§ 315 BGB findet dann unmittelbare Anwendung. Die Möglichkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle ist die unmittelbare Folge der unmittelbaren Geltung des § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Ob die einseitige Leistungsbestimmungen der Pfalzgas in Form der widersprochenen Preisänderungen gegenüber dem beklagten Gaskunden verbindlich waren, bedurfte deshalb der Feststellungen, ob der Pfalzgas im konkreten Vertragsverhältnis überhaupt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt war und
ob ggf. die einseitigen Leistungsbestimmungen gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB jeweils der Billigkeit entsprachen.

Waren die einseitigen Leistungsbestimmungen dem Grunde nach unzulässig oder entsprachen sie nicht der Billigkeit, können sie keine verbindlichen Kaufpreisforderungen begründen.

Die Möglichkeit der Unbilligkeitseinrede folgt bei grundversorgten Kunden aus der gesetzlichen Regelung § 17 Abs. 1 Satz 3 GasGVV, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB. Ist in Sonderverträgen ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers gem. § 315 BGB vertraglich vereinbart, ist § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB darauf unmittelbar anwendbar.

Die Ausübung vertraglicher/ gesetzlicher Rechte durch den Kunden kann selbst nicht rechtsmissbräuchlich sein.

Gegenüber Tarifkunden besteht eine gesetzliche Versorgungspflicht und  sind die Allgemeinen Tarife gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden (vgl. BGH KZR 2/07).

Offline tangocharly

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Die neuesten richterlichen Erfindungen hierzu sind, gestützt auf die Entscheidung des BGH vom 28.03.2007 (VIII ZR 144/06), dass dem Kunden die Billigkeitsprüfung gem. § 315 BGB im Fall der Existenz von genügend Anbietern entfallen soll.

Lassen wir mal die Differenzierung nach Strommarkt und Gasmarkt weg. Und lassen wir weiter mal die Ausleuchtung dieser Problematik durch den BGH mittels Entscheidung vom 15.07.2009 weg (Az.: VIII ZR 56/08 )  – (der dort sowieso das Gegenteil sagt).

Ausgangspunkt ist der -vermeintlich- vereinbarte Preis (bis zum Widerspruch durch den Kunden). Am 28.03.2007 war es dazu gekommen, dass der „Sockelpreis“ für den Kunden nicht angreifbar wurde (noch hatte man sich dabei Gedanken gemacht, ob dies dann anders sei, wenn eine Monopolstellung des Versorgers besteht).

Also, wenn der Sockel-Preis vereinbart worden sei, dann ist dieser deshalb nicht nach § 315 BGB zu überprüfen, weil dieser Preis nicht einseitig festgesetzt wurde. Soll der Preis aber einseitig geändert werden, dann bedarf es hierzu einer Rechtsgrundlage. Und wenn ein Sondervertragsverhältnis nicht existiert, dann haben die Parteien auch zur einseitigen Preisänderung durch den Versorger nichts vereinbart. Es bleibt also nur die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit hierzu. Somit kommt man auf diesem Weg zu den Verordnungen des Wirtschaftsministerium (AVBGasV/GasGVV und AVBEltV/StromGVV).

Ist man an diesem Punkt angelangt, dann steht man auch vor § 4 Abs. 1 u. 2 AVBGasV und bei § 5 Abs. 2 GasGVV (für Strom eben bei § 4 Abs. 1 u. 2 AVBEltV, § 5 Abs. 2 StromGVV).

Es gibt nun aber eine Fülle von Entscheidungen (insbes. auch vom VIII. BGH-Senat), die genau  zum Ausdruck bringen, dass das Pendent zu dem einseitigen Preisänderungsrecht des Versorgers (in diesem Falle auf der Grundlage der gesetzlichen Versorgungsbedingungen) eben die Billigkeitskontrolle auf dem Wege gem. § 315 BGB ist (so also schon der BGH am 13.06.2007, Az.: VIII 36/06, Tz. 36).

Abgesehen davon, dass es eine Billigkeitsprüfung des einvernehmlich vereinbarten Preises nicht geben soll, wie will man dann den Wegfall der Billigkeitsprüfung nun im anderen Fall, d.h. im Fall der einseitigen Preisänderung, begründen. Mit dem Argument: Rechtsmissbrauch, weil Wechselmöglichkeiten bestünden ?

Das stellt ein interessantes Verständnis des Äquivalenzverhältnisses dar.

Während der Versorger das Äquivalenzverhältnis mit seiner einseitigen Preisänderung wahren können soll, soll der Verbraucher ohne Billigkeitsprüfung aus dem ursprünglich vereinbarten Äquivalenzverhältnis hinaus gedrängt werden können ?

Denn nichts anderes bedeutet die Auffassung, dass der Kunde (Wechselmöglichkeiten unterstellt) in diesem Fall - trotz einseitiger Preisänderungen - kein Recht zur Billigkeitsprüfung mehr haben soll. Also kurzum: Existiert Wettbewerb, dann darf der Preis (einseitg) geändert werden (auch in Richtung Mond ?)  und eine Billigkeitsprüfung findet nicht statt, weil ja gekündigt (gewechselt) werden könne.

Dass der Gesetzgeber mit seinen Verordnungen ein solches beabsichtigt haben mag, ist abwegig. Dagegen stehen die Bestimmungen gem. § 17 Abs. 1 Satz 3 GasGVV (u. § 17 StromGVV). Denn dann hätte sich der Gesetzgeber dort den ausdrücklichen Hinweis auf § 315 BGB ersparen können.

Und der BGH würde am 15.07.2009, Az.: VIII ZR 56/08, Tz. 36, - also mehr als 2 Jahre nach der Entscheidung vom 28.03.2007 – eben nicht mehr wörtlich ausführen:

Zitat
Tz 36

Im Gesamtzusammenhang gewährleisten die Vorschriften damit, dass dem Grundversorgungskunden im Falle einer Preisänderung zwei Alternativen offen stehen. Er kann entweder am Vertrag festhalten und die Preisänderung gemäß § 315 BGB auf ihre Billigkeit hin überprüfen lassen. Oder er kann sich spätestens gleichzeitig mit dem Wirksamwerden der Preisänderung vom Vertrag lösen und den Anbieter wechseln. Daraus folgt, dass den Haushaltssonderkunden im Zusammenhang mit einer entsprechend den Regelungen der Gasgrundversorgungsverordnung gestalteten Preisanpassungsregelung ein § 20 Abs. 1 Satz 1 GasGVV entsprechendes Kündigungsrecht eingeräumt werden muss, um eine sachliche Gleichbehandlung von Grundversorgungskunden und Haushaltssonderkunden in jeder Hinsicht zu gewährleisten. Das ist Voraussetzung dafür, dass eine derartige Preisanpassungsregelung in einem Haushaltssonderkundenvertrag einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB standhält. Dann kann das Kündigungsrecht aber nicht zugleich als Kompensation für eine unangemessene Benachteiligung der Haushaltssonderkunden dienen, die sich daraus ergibt, dass die Preisanpassungsregelung als solche zum Nachteil des Kunden von den Regelungen der Gasgrundversorgungsverordnung abweicht.

Also Frankenthal ist nicht nur eine \"Eintagsfliege\" und die \"Wechselmöglichkeit\" wird zum \"Stock, mit dem der Hund (die  Billigkeitskontrolle) geprügelt\" werden soll.
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Offline RR-E-ft

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BGH, B. v. 27.10.09 VIII ZR 204/08 beantwortet die Frage wohl in Bezug auch auf Stromlieferungsverträge.

Die Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3  BGB ist die Kehrseite eines vertraglich oder gesetzlich eingeräumten einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 315 Abs. 1 BGB. In diesen Fällen wird § 315 BGB unmittelbar angewendet, ohne dass es auf eine Monopolstellung des Versorgers ankommt (ausdrücklich BGH VIII ZR 36/06).  

Man könnte den Gerichten wohl gedanklich auf die Sprünge helfen, wenn man im Passivprozess zunächst ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Verorgers gem. § 315 Abs. 1 BGB  und hilfsweise die Billigkeit einseitig nach Vertragsabschluss  festgesetzter Entgelte gem. § 315 Abs. 3 BGB bestreitet.

Offline tangocharly

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Zitat
Original von RR-E-ft
BGH, B. v. 27.10.09 VIII ZR 204/08 beantwortet die Frage wohl in Bezug auch auf Stromlieferungsverträge.

Die Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3  BGB ist die Kehrseite eines vertraglich oder gesetzlich eingeräumten einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 315 Abs. 1 BGB. In diesen Fällen wird § 315 BGB unmittelbar angewendet, ohne dass es auf eine Monopolstellung des Versorgers ankommt (ausdrücklich BGH VIII ZR 36/06).  

Man könnte den Gerichten wohl gedanklich auf die Sprünge helfen, wenn man im Passivprozess zunächst ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Verorgers gem. § 315 Abs. 1 BGB  und hilfsweise die Billigkeit einseitig nach Vertragsabschluss  festgesetzter Entgelte gem. § 315 Abs. 3 BGB bestreitet.

Noch besser:
Dem Richter begreiflich machen, dass dann, wenn keine Billigkeitsprüfung nach 315 stattfindet, auch kein Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung (Preisänderung) existiert. Also entweder Billigkeitsprüfung, dann Sockel und Delta. Oder keine Billigkeitsprüfung, dann nur Sockel und nix Delta   ;)
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Offline RR-E-ft

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Kommt ja wohl auf´s selbe heraus.

Wenn man jedoch das einseitige Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB bestreitet, dann muss sich das Gericht mit dieser Frage beschäftigen und wenn es ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB bestätigt, landet es zwangsläufig automatisch bei § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Und es ist nun einmal nichts überzeugender als eine (vom Gericht) selbst gewonnene Erkenntnis. Deshalb sollte man dem Gericht die Chance einer eigenen Erkenntnis geben, statt es gleich mit seitenlangen Traktaten zu überzeugen suchen. ;)

Offline tangocharly

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Wie wahr, wie wahr.

Wenn man nach Lektüre von 50 Seiten noch weiß, was auf Seite 10 ausgeführt wurde, dann muß man über einen Kopf wie ein Mammut und über die Geduld wie ein Lamm verfügen.

Aber, finden Sie nicht auch, dass die Kenntnis des, im BGB überhaupt nicht versteckten 315, zum Allgemeingut des Richters zählt. Und wenn er sich dann noch der Mühe unterziehen sollte, quasi nach Weglegen der 50-sten Seite, den Wortlaut des 315 Abs.1 BGB durchzulesen, dann zeigt ihm die knappe und bündige Formulierung den Weg. Denn erst wird er die ermessensgebundene Einseitigkeit finden. Und wenn er dann vielleicht noch bis zu 315 Abs. 3 gelangt, dann findet er die Billigkeit.

Also, so schwer ist BGB, Zweites Buch, Abschnitt Drei, Titel Eins, Untertitel Vier, in diesem Fall auch wieder nicht (allenfalls die Neutralisierung der eventuell eintretenden Verbildung durch Kommentatoren, die sich darüber Gedanken machen, wie man die Billigkeit totschlägt).
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