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Autor Thema: BVerfG, B. v. 18.05.2009, 1 BvR 1731/05: Kommunal beherrschte EVU nicht grundrechtsfähig  (Gelesen 4027 mal)

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Offline RR-E-ft

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BVerfG B .v. 18.05.2009 - 1 BvR 1731/05: Kommunal beherrschte EVU nicht grundrechtsfähig

Zitat
1. Der Beschwerdeführerin zu 1) fehlt es an der erforderlichen Beschwerdebefugnis, denn sie ist im Hinblick auf die von ihr geltend gemachten Grundrechte gem. Art. 19 Abs. 3 GG nicht grundrechtsfähig.

16Die Grundrechte dienen vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt. Juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der „Durchgriff“ auf die hinter ihnen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt (vgl. BVerfGE 21, 362 <369>; 61, 82 <101>; 68, 193 <205 f.>). Das ist jedenfalls insoweit nicht der Fall, als die juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Aufgaben wahrnimmt (vgl. BVerfGE 21, 362 <369 f.>; 26, 228 <244>; 35, 263 <271>; 39, 302 <312 f.>; 45, 63 <78>; 61, 82 <101>; 68, 193 <206>; 70, 1 <15>). Dieser zunächst für juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgesprochene Grundsatz beansprucht seiner Begründung nach gleichfalls für der Form nach juristische Personen des Privatrechts Geltung, wenn diese sich überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand befinden; auch diese können sich daher nicht auf den Schutz der materiellen Grundrechte berufen, soweit sie bestimmungsgemäß öffentliche Aufgaben wahrnehmen und in dieser Funktion von dem angegriffenen Hoheitsakt betroffen sind (vgl. BVerfGE 45, 63 <79 f.>; 68, 193 <212 f.>; 70, 1 <15>).

17Das Bundesverfassungsgericht hat hiervon ausgehend die Frage, ob sich ein mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliches Stromversorgungsunternehmen auf materielle Grundrechte berufen kann, bereits ausdrücklich verneint (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 16. Mai 1989 – 1 BvR 705/88 –, NJW 1990, S. 1783). Anlass, von dieser Judikatur abzuweichen, besteht jedenfalls im vorliegenden Fall nicht. Denn die Beschwerdeführerin zu 1) wird von einer vollständig im Besitz der Beschwerdeführerin zu 2), einer Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts, stehenden Gesellschaft mit qualifizierter Mehrheit von über 75 % des Grundkapitals (vgl. § 179 Abs. 2 AktG) beherrscht und unterliegt daher in noch höherem Maße als die seinerzeitige Beschwerdeführerin dem bestimmenden Einfluss eines Hoheitsträgers (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BVerfGE 115, 205 <227 f.>). Die Beschwerdeführerin zu 1) trägt auch keine besonderen Umstände vor, die ihre Beherrschung durch die Beschwerdeführerin zu 2) trotz deren qualifizierter Mehrheit vorliegend in Frage stellen könnten, sondern sie bezieht sich zur Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde auf ein Rechtsgutachten, welches ausdrücklich von einem „faktisch beherrschenden Einfluss“ der Beschwerdeführerin zu 2) ausgeht. Infolgedessen trifft auch auf sie die für Eigengesellschaften der öffentlichen Hand geltende Erwägung zu, dass ein Hoheitsträger nicht durch die Gründung einer juristischen Person des Privatrechts die eigene Grundrechtsbindung abstreifen und mittelbar eine eigene Grundrechtsfähigkeit erwerben darf (vgl. BVerfGE 45, 63 <80>). Die Kammer hält zudem daran fest, dass die von der Beschwerdeführerin zu 1) wahrgenommene Energieversorgung als öffentliche Aufgabe zu qualifizieren ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2008 - 1 BvR 1914/02 -, Rn. 12 m.w.N. - JURIS). Darauf, ob sie unter heutigen Bedingungen zugleich die Voraussetzungen der überkommenen Kategorie der Daseinsvorsorge erfüllt, kommt es demgegenüber nicht entscheidend an.


Kommunal beherrschte Energieversorgungsunternehmen  können sich m.E.  folglich auch nicht unter Berufung auf Art. 12 GG auf einen Schutz von Betriebs- Geschäftsgeheimnissen berufen.

Siehe auch hier.

Offline uwes

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Zitat
Original von RR-E-ft
Kommunal beherrschte Energieversorgungsunternehmen  können sich m.E.  folglich auch nicht unter Berufung auf Art. 12 GG auf einen Schutz von Betriebs- Geschäftsgeheimnissen berufen.

Das haben auch die Hamburger Electricitätswerke AG feststellen müssen.
siehe ganz konservativ: BVerfG NJW 1990, 1783 ff

Uwes
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von RR-E-ft

Kommunal beherrschte Energieversorgungsunternehmen  können sich m.E.  folglich auch nicht unter Berufung auf Art. 12 GG auf einen Schutz von Betriebs- Geschäftsgeheimnissen berufen.

Bleibt zutreffend.

Nun haben wir BGH VIII ZR 314/07 gelesen.

Zitat
Es ist offen, ob die von der Beklagten angebotene Beweisführung ausreichen wird, um die Überzeugung des Tatrichters von einer Bezugskostensteigerung in dem von der Beklagten behaupteten Umfang zu begründen (§ 286 ZPO). Sollte es im weiteren Verlauf des Rechtsstreits - beispielsweise aufgrund eines von der Beklagten angebotenen Sachverständigenbeweises - darauf ankommen, macht die Revision allerdings ohne Erfolg geltend, die Beklagte müs-se im Rechtsstreit uneingeschränkt ihre gesamte Kalkulation offen legen. Das hängt vielmehr davon ab, bezüglich welcher Daten im Einzelnen ein geschütztes Interesse der Beklagten an der Geheimhaltung gegenüber dem Gericht, einem Sachverständigen, den Klägern oder der Öffentlichkeit besteht und inwiefern für die Beweisführung - auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der beantragten Zeugenvernehmung - gerade solche geschützten Daten einem Sachverständigen zugänglich gemacht werden müssten. Dafür bedarf es gegebenenfalls weiteren substantiierten Sachvortrags der Beklagten, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten hätte.

Unterstellt, die Beklagte müsste im Rahmen der Beweiserhebung Daten offen legen, an denen sie ein geschütztes Geheimhaltungsinteresse hat, bedürfte es sodann einer Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die auf einen weitestgehenden Ausgleich gerichtet sein muss. Dabei ist zunächst eine Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten des Ausschlusses der Öffentlichkeit und der - strafbewehrten (§ 353d Nr. 2 StGB) - Verpflichtung der Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung nach § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 47 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich dem nicht entgegenhalten, die Beklagte sei nicht grundrechtsfähig, weil sie zu 100 Prozent der Stadt D. gehöre. Selbst wenn die Beklagte sich nicht auf die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG berufen könnte (vgl. dazu BVerfG, NJW 1990, 1783 m.w.N.), bedeutete das nicht, dass ihr Interesse an der Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Sinne des § 172 Nr. 2 GVG von vornherein außer Betracht zu bleiben hätte. Denn das vorstehend dargestellte Gebot der Abwägung und des Ausgleichs zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Geheimnisschutz erfasst das rechtliche Interesse am Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unabhängig davon, ob dieses auch verfassungsrechtlich abgesichert ist (vgl. BVerwGE 90, 96, 101 zur Berücksichtigung der Belange einer Gemeinde als Grundstückseigentümerin in der abfallrechtlichen Planfeststellung).

 

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