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Autor Thema: Kardinal-Irrtum: § 315 BGB zur Wahrung eines Äquivalenzverhältnisses?  (Gelesen 5190 mal)

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Offline RR-E-ft

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Die gesetzliche Regelung des § 315 BGB hat zum Gegenstand, dass ein Vertragsteil die geschuldete Gegenleistung nach Vertragsabschluss zu bestimmen hat.

Der entsprechend zugleich berechtigte wie verpflichtete Vertragsteil ist verpflichtet, unter Berücksichtigung der - naturgemäß gegenläufigen- objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragsteile und umfassender Würdigung des Vertragszwecks die Gegenleistung und damit erst das Äquivalenzverhältnis selbst  zu bestimmen.

Gesetzlich versorgungspflichtige Energieversorgungsunternehmen haben bei einer Belieferung im Rahmen einer gesetzlichen Versorgungspflicht dabei auch  ihre Verpflichtung aus §§ 2, 1 EnWG zu einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit zu verbraucherfreundlichen Bedingungen zu beachten (vgl. schon BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183, 186).

Voraussetzung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts ist ein besthender Gestaltungsspielraum, wobei die Ausübung des  Ermessens innerhalb dieses bestehenden Gestaltungsspielraums  im Zweifel der Billigkeit zu entsprechen hat.

Geht es hingegen um die Wahrung eines bereits bestehenden Äquivalenzverhältnisses (welches auf erfolgter vertraglicher Einigung über Leistung und Gegenleistung beruht), so ist ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hierfür ungeeignet:

So müssen zur Wahrung eines bestehenden Äquivalenzverhältnisses nachträgliche Kostensenkungen zwingend unverzüglich und vollständig, mithin  ohne ein Ermessen an den Vertragspartner weitergegeben werden, weil sich andernfalls nachträglich der Gewinnanteil am vereinbarten Entgelt erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 78/08 Tz. 35).  

Die Wahrung eines bereits bestehenden, vereinbarten Äquivalenzverhältnisses lässt also gerade kein Ermessen zu.  

Deshalb erscheint ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB ungeeignet für die Wahrung eines bereits bestehenden Äquivalenzverhältnisses.

Wurde ein einseitiges Leistungsbetimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhe bei Vertragsabschluss wirksam vereinbart, unterliegt das Entgelt von Anfang an vollständig der gerichtlichen Billigkeitskontrolle (vgl. BGH Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32 und BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 16).

\"Nicht anders kann es liegen\", wenn einem Vertragsteil das einseitige Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhe durch Gesetz zugewiesen ist (vgl. BGH, Urt. v. 04.03.2008 - KZR 29/06 Tz. 10).

Auch dabei kann aus der gesetzlichen Regelung eine Verpflichtung bestehen, die Entgelte nachträglich unter die bei Vertragsabschluss bestehende (bzw. bekannte) Entgelthöhe abzusenken (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26). Dies steht einem \"vereinbarten Preissockel\" entgegen.

Die künstliche Aufspaltung in einen Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis führt zu willkürlichen Zufallsergebnissen (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 9ff.). Eine Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises ist auch dann geboten, wenn der Leistungserbringer in seinem Leistungsbereich - insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge - eine marktbeherrschende Stellung hat und seine Preise nicht durch wirksamen Wettbewerb kontrolliert werden. Der Billigkeitskontrolle steht es dabei nicht entgegen, wenn der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Preis bekannt war und nicht beanstandet wurde (vgl. BGH, Urt. v. 04.03.2008 - KZR 29/06 Tz. 24 ff.) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Preis im wirksamen Wettbewerb gebildet wurde, liegt beim Versorgungsunternehmen (vgl. BGH, B. v. 14.03.2007 - VIII ZR 36/06).

Offline Black

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Zitat
Original von RR-E-ft
Wurde ein einseitiges Leistungsbetimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhe bei Vertragsabschluss wirksam vereinbart, unterliegt das Entgelt von Anfang an vollständig der gerichtlichen Billigkeitskontrolle (vgl. BGH Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32 und BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 16).

Die künstliche Aufspaltung in einen Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis führt zu willkürlichen Zufallsergebnissen (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 9ff.).

Absolut. Einhellige Meinung aller Gerichte. Keine nennenswerten Gegenansichten (daher auch nicht erwähnt).  Erlebt man nahezu tagtäglich, das Gerichte stets den Gesamtpreis im Rahmen des § 315 BGB kontrollieren und Widersprüchler massenweise Geld sparen.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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@Black

Ich habe diesen Beitrag zur Diskussion gestellt, der meine Meinung darstellt.

Dass die wirksame vertragliche Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 315 Abs. 1 BGB bei Vertragsabschluss die Überprüfbarkeit des Gesamtpreises zur Folge ha, ist unumstritten (vgl. nur BGH, Urt. v. 13.06.2007 Tz. 35 und Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 16). Dabei hat die zur Leistungsbestimmung berechtigte und verpflichtete Partei die Gegenleistung und somit erst das Äquivalenzverhältnis zu bestimmen.

Der VIII. Zivilsenat des BGH meint hingegen bekanntermaßen, das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht gem. § 4 AVBGasV sei (nur) dazu bestimmt, ein vertragliches Äquivalenzverhältnis zu wahren.

Das halte ich aus genannten Gründen für fragwürdig.

Einige mit mir meinen, dass sich aus § 4 AVBGasV ergibt, dass der Versorger das jeweilige Entgelt nach Vertragsabschluss bestimmnen soll. Schließlich ist aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26 deutlich herauszulesen, dass der Allgemeine Gastarif selbst gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden sei.

Schauen Sie selbst:

Zitat
Zwar ergibt sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist,

Das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht enthalte nicht nur ein Tarifänderungsrecht, sondern auch ein Tarifbestimmungsrecht, wobei wir wissen, dass ein Leistungsbestimmungsrecht immer auch zugleich mit einer entsprechenden Verpflichtung zur Leistungsbestimmung verbunden ist (vgl. Palandt, BGB, § 315 Rn. 12)

Nach der aktuellen Entscheidung BGH, Urt. v. 21.04.2009 - 78/08 Tz. 35 soll ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB untauglich sein, ein vereinbartes Äquivalenzverhältnis zu wahren. Die dafür genannte Begründung halte ich für überzeugend.

Gegenstand  der gesetzlichen Regelung des § 315 BGB ist es nicht, ein Äquivalenzverhältnis zu wahren, sondern ein solches erst zu bestimmen.

Offline Black

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Ich denke Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Sie betrachten den § 315 BGB und schlussfolgern, dass er nicht zur Wahrung des Äquivalenzverhältnisses dienen kann.

Mag sein oder auch nicht. Fakt ist aber, dass die Preisanpassungen in Energielieferverträgen selbst diesem Zweck dienen, da aufgrund von Kostenveränderungen und der Langfristigkeit (teilweise für das EVU sogar Unkündbarkeit) der Verträge eine Veränderung der Preise möglich sein muss um die Äquivalenz zu wahren.

Wenn Sie also vertreten, dass § 315 BGB nicht der Wahrung des Äquivalenzinteresses dienen kann, die Preisanpassung nach § 5 GVV diesem Interesse aber sehr wohl dient, dann würde das für die Nichtanwendbarkeit des § 315 BGB sprechen und nicht für die Unzulässigkeit von Anpassungen zur Verhältniswahrung.

Ich halte es daher für verfehlt Inhalte des Preisanpassungsrechts im Energierecht - abgesehen von der Aussage, dass auch diese Anpassungen \"billig\" sein müssen aus § 315 BGB herzuleiten, denn das Energierecht hatte der Gesetzgeber bei Schaffung des § 315 BGB nicht im Sinn.
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Offline RR-E-ft

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@Black

Das (gesetzliche) einseitige Leistungsbestimmungsrecht gegenüber Tarifkunden und grundversorgte Kunden ist unzweifelhaft. Dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 315 BGB auf Grundversorgungsverträge im Sinn hatte, ergibt sich unzweifelhaft aus § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV, wo die Norm explizit genannt wird.

Fraglich ist nur, ob es tatsächlich anders liegen kann, je nachdem, ob das Leistungsbetimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB vertraglich vereinbart oder sich aus einem Gesetz ergibt, wie es der VIII.Zivilsenat des BGH meint, der das eine gegen das andere abzugrenzen sucht (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32 und Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 137/06 Tz. 16).

Die Regelung des § 4 AVBGasV war gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBGasV schließlich Vertragsbestandteil, so dass sich auch vertren lässt, dass bei Vertragsabschluss kein feststehender Preis vereinbart wurde, sondern die Zahlung des jeweiligen (vom Versorger einseitig zu bestimmenden) Allgemeinen Tarifpreises. Auch § 5 GVV ist gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Vertragsbestandteil des Grundversorgungsvertrages, das Leistungsbestimmungsrecht mithin zugleich vertragsgegenständlich.  

Dafür spricht m.E. auch BGH, Urt. v. 03.04.2008 - KZR 29/06 Tz. 20:

Zitat
Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jedermann geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und gegebenenfalls der durch Rechtsverordnung konkretisierten Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden.

Dafür spricht m.E. auch BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 10 f.

Zitat
Das Recht des Netzbetreibers, künftige Netznutzungsentgelte ohne Mitwirkung des Netznutzers festzusetzen, kann nicht anders behandelt werden. Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die \"jeweils geltende Anlage 3\" verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Netzbetreiber auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Netznutzer nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.

Zufolge des ihr eingeräumten Leistungsbestimmungsrechts ist die Beklagte verpflichtet, die Entgeltbestimmung nach billigem Ermessen zu treffen. Zwar tritt diese Rechtsfolge nach § 315 Abs. 1 BGB nur im Zweifel ein. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich jedoch nichts dafür, dass die Parteien etwas anderes gewollt hätten.

Offline jroettges

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Zitat
Black schrieb: ..... die Preisanpassung nach § 5 GVV diesem Interesse aber sehr wohl dient

In § 5 (2) GVV steht lediglich, dass Preisanpassungen 6 Wochen vorher angekündigt sein müssen, damit sie gültig sind. Nicht mehr und nicht weniger.

Ein Recht zur Preisanpassung ist an dieser Stelle nicht begründet, sondern ergibt sich aus anderen Zusammenhängen.

Ich bin mir klar darüber, dass Sie da anderer Meinung sind und auf Passagen in BGH-Urteilen verweisen, die das begründen sollen.

Für den unwahrscheinlichen Fall aber, dass der BGH in kommenden Urteilen den EVU ein einseitiges Preisanpassungsrecht auf dem Weg der Einbeziehung der AVBGasV und der GVV in Sonderverträge doch zugestehen sollte, wird man an diesem Punkt wieder streiten müssen.

Offline Black

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Original von jroettges
Ein Recht zur Preisanpassung ist an dieser Stelle nicht begründet, sondern ergibt sich aus anderen Zusammenhängen.

Auch wenn Sie dieses Recht aus anderen Quellen begründet sehen, dient es doch der Wahrung des Äquivalenzverhältnisses.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Im Anschluss an BGH, Urt. v. 03.04.2008 - KZR 29/06 Tz. 20 und BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26 ergibt sich das einseitige Preisbestimmungsrecht des Grundersorgers gegenüber grundversorgten Kunden m. E. bereits aus § 36 Abs. 1 EnWG, wonach Grundversorger Allgemeine Preise zu bilden und zu diesen Allgemeinen Preisen Haushaltskunden zu beliefern haben, wie schon zuvor § 10 Abs. 1 EnWG 1998. Ich glaube, daran dass die Allgemeinen Preise entsprechend der Kostensituation des Versorgungsunternehmens unter Beachtung energiewirtschaftsrechtlicher Bestimmungen zu bilden sind, bestehen nun auch keine ernsthaften Zweifel mehr.

Auf Kunden, die außerhalb der gesetzlichen Versorgungspflicht beliefert werden, findet ein solches  Preisbestimmungs- und -änderungsrecht weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung, vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 29.

Markant finde ich dabei den Hinweis, dass das einseitige Tarifbestimmungs- und änderungsrecht auf vereinbarte Preise keine Anwendung findet.

Zitat
kein Preisänderungsrecht entsprechend § 4 AVBGasV. Die Verordnung gibt dem Versorger kein allgemeines Preisanpassungsrecht, sondern das Recht zur Bestimmung (und Änderung) derjenigen allgemeinen Tarife und Bedingungen, zu denen der Versorger nach § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes [1998] jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen hat (§ 1 Abs. 1 AVBGasV). Die Kläger sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch keine Tarif-, sondern Sondervertragskunden. Der Preis, den sie zu zahlen haben, ergibt sich nicht aus dem allgemeinen, für jedermann geltenden Tarif der Beklagten, sondern aus der vertraglichen Vereinbarung in § 2 Abs. 1 des Gasbezugsvertrages. Auf einen solchen vereinbarten Preis findet das Tarifbestimmungsrecht des Versorgers weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung.

Daran, dass es § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (1935) bzw. § 10 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes [1998] heißen müsste, wollen wir uns nicht weiter stören.

Da wird jedenfalls deutlich ein Unterschied zwischen einem allgemeinen Tarif, der dem einseitigen Tarifbestimmungsrecht des Versorgers unterliegt, und einem mit dem Gasversorger vertraglich vereinbarten Preis aufgezeigt, woraus ich im Umkehrschluss hergeleitet hätte, dass der dem einseitigen Tarifbestimmungsrecht unterliegende allgemeine Tarifpreis bei Vertragsabschluss nicht vertraglich vereinbart wird (a.A. BGH, Urt. v. 13.07.2006 - VIII ZR 36/06 und BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07).

Auch dabei legte der Kartellsenat des BGH nochmals eine Betonung auf das Recht zur Bestimmung (und Änderung) derjenigen allgemeinen Tarife und Bedingungen...  Es handelt sich eben nicht nur um ein Tarifänderungsrecht, sondern auch um ein Tarifbestimmungsrecht, schließt also zugleich das Recht und die Pflicht ein, den allgemeinen Tarif der Billigkeit entsprechend zu bestimmen und zu ändern.

Wer nur von einem Recht, den Allgemeinen Tarif bzw. Allgemeinen Preis zu ändern, die Rede führt, verkennt m.E. die gesetzliche Regelung, die daneben auch ein Recht zur Bestimmung des Allgemeinen Tarifs bzw. Allgemeinen Preises mit umfasst

Mag ein einzelnes Recht zur Tarifänderung noch der Wahrung eines Äquivalenzverhältnisses dienen können, so dient ein davon zu unterscheidendes Tarifbestimmungsrecht doch auch dazu, ein Äquivalzenverhältnis erst nachträglich noch der Billigkeit entsprechend zu begründen bzw. anzupassen.

Die gesetzliche Regelung umfasst aber nicht nur ein Recht zur Änderung, sondern auch ein Recht (und die Pflicht!) zur Bestimmung der allgemeinen Tarife/ allgemeinen Preise, undzwar unter Beachtung von §§ 2, 1 EnWG (vgl. BGH, Urt. v.18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 13).

Es wäre wohl auch zu komisch, wenn Grundversorger,  die noch  kartellrechtswidrig missbräuchlich überhöhte Preise fordern (von deren Existenz der Gesetzgeber wohl bei Schaffung des § 29 GWB irgendwie ausging) verpflichtet wären, das Äquivalenzverhältnis zu wahren und überhöhte Gewinnanteile beizubehalten anstatt durch Preisreduzierungen abzuschmelzen. Eine stattliche Preissenkung war bei den Stadtwerken Uelzen im zeitlichen Zusammenhang mit der Entscheidung des BGH vom 10.12.2008 - KVR 2/08 schließlich doch zu beobachten. Offensichtlich bestand ein Spielraum bei der Preisgestaltung, der zugunsten der Kunden bis dahin noch nicht ausgeschöpft worden war.

Schließlich haben Grundversorger mit der Aufstellung und Bildung iherer Allgemeinen Preise zugleich auch ihre gesetzliche Verpflichtung aus §§ 2, 1 EnWG zu erfüllen.

In diesem Zusammenhang erscheint BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 25 fast wie ein Fauxpas

Zitat
Die Billigkeitskontrolle einer Preiserhöhung darf nicht dazu benutzt werden, in das bisher bestehende Preisgefüge einzugreifen und einen ursprünglich für den Lieferanten besonders vorteilhaften Vertrag in einen Vertrag mit einem anderen Interessenausgleich zu verwandeln (Dreher, ZNER 2007, 103, 107).

Die gesetzliche Versorgungspflicht mit Energie - um die es bei Tarifkunden und grundversorgten Kunden immer geht -  kennt keine freie Preisbildung, sondern es sind vielmehr immanente Preisbildungsschranken zu beachten.

BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 13:

Zitat
Zum anderen muss sich die Preisbildung daran orientieren, dass die Bedingungen guter fachlicher Praxis nach § 6 Abs. 1 Satz 4 EnWG a.F. einer möglichst sicheren, preisgünstigen und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas im Interesse der Allgemeinheit (§ 1 EnWG a.F.) und darüber hinaus der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs dienen sollen.

Bereits BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 S. 10 f.  UA:

Zitat
Die möglichst sichere und preiswürdige Lieferung elektrischer Energie ist demnach Zweck auch des zwischen den Prozeßparteien herrschenden Interimsverhältnisses und entspricht dem rechtlich anerkannten Interesse der Beklagten. Dieser Gesichtspunkt muß in die Ermessensentscheidung der Klägerin eingehen. Er bedeutet in materiell-rechtlicher Hinsicht, daß sich. der von ihr geforderte Strompreis an den Kosten der Belieferung mit elektrischer Energie ausrichtet. Über die Deckung der Kosten für die Erzeugung und Leitung der elektrischen Energie sowie der Vorhaltung der dazu notwendigen Anlagen hinaus steht der Klägerin allerdings auch ein Gewinn zu, aus dem sie die erforderlichen Rücklagen bilden und Investitionen tätigen kann. Weiterhin ist ihr eine angemessene Verzinsung zuzugestehen, ohne die sie Fremdkapital nicht aufnehmen und Anlagekapital nicht gewinnen kann (Büdenbender aa0 Rdnr. 72 ff; Lukes aaO; Köhler aaO). Auf diesem Weg wird auch den Belangen der Klägerin Rechnung getragen.


@Black

Mich würde persönlich mal Ihre Meinung dazu interessieren, wie anders als hier ausgeführt Energieversorgungsunternehmen ihre gesetzliche Verpflichtung aus §§ 2, 1 EnWG erfüllen sollen. Die gesetzliche Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen Versorgung lässt sich nun schließlich nicht auch noch wegdiskutieren.

Offline tangocharly

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Halten wir doch einfach mal fest, dass der VIII. Senat bei der Anwendung des § 315 BGB eine Schranke beim Sockel gezogen hat, weil das Äquivalenzprinzip zwei Dinge will, nämlich die Verhinderung der Veränderung der Preisvereinbarung und die Kontinuität der Geschäftsgrundlage.

Halten wir weiter fest, dass der VIII. Senat bei der Anwendung des § 29 GWB eine Schranke bei der Rechtsgeltung sieht, weil die Mißbrauchskontrolle nicht von den Bürgern in einer Prozeßflut, sondern von den Kartellämtern ausgetragen werden soll.

Halten wir ferner fest, dass sich nach der Auffassung des VIII. Senats die Anwendungsbereiche des § 315 BGB und des § 29 GWB überschneiden, weil der § 315 BGB nicht in den Sockel, der § 29 GWB dafür aber in den gesamten Preis eingreift.

Nun schwebt zwischen - vielleicht wäre besser \"über\" – diesen Normen der Verpflichtungsrahmen gem. § 1 Abs.1 und § 2 Abs. 1 EnWG (2005). Im Falle des § 315 BGB als Konkretisierung des Ermessens und im Falle des § 29 GWB als Kriterium des Missbrauchs.

Wenn man die Entwicklung der energiewirtschaftsrechtlichen Rechtsprechung zu § 315 BGB beobachtet, und zwar ausgehend von der Rechtsprechung des Reichsgerichts vom 29.09.1925, Az.: VI 182/25, über BGH, 02.10.1991, Az.: VIII 240/90, bis zu den Entscheidungen der Jahre 2007/2008, war zunächst nur maßgeblich, dass die „festgesetzten Preise nicht übermäßig hoch sind“, dann, dass die „das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschenden Grundsätze (der Preisgünstigkeit, etc.)“ beachtet sind, bis jetzt und heute, wo die Bestimmungen gem. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 EnWG 2005 zu beachten sind, dann wird deutlich, dass der Gesetzgeber preisrechtliche Grenzen setzte, die den Rechtsanwender binden sollen.

Als bundesrechtliche Normen stehen § 315 BGB und die Bestimmungen gem. §§ 2 u. 1 EnWG gleichrangig nebeneinander. D.h. mit § 315 BGB kann der Wirkungsgrad der EnWG-Bestimmungen nicht ausgeschaltet werden. Andererseits können auch die EnWG-Bestimmungen den Wirkungsgrad des § 315 BGB nicht ausschalten.

Dies zwingt aber nicht dazu, weil § 315 BGB von der Wirksamkeit von Vertragserklärungen handelt, jede erdenkliche Reaktion des Vertragspartners mit der Keule der stillschweigenden Akzeptanz (d.h. einer Fiktion bzw. Unterstellung) zu erschlagen und daraus eine Vereinbarung zu zaubern. Genau genommen stellt dieses eine Unverfrorenheit dem Bürger gegenüber dar, wenn der gleiche BGH-Senat jenem mit seiner Entscheidung vom 19.11.2008 noch zusätzlich ins Panier schreibt „ den § 29 GWB darfst du dir getrost abschminken“. Konsequent ist das alles vor dem Hintergrund der EnWG-Bestimmungen nicht; eher konsequent kontraproduktiv.

Vor dem Hintergrund der EnWG-Bestimmungen konsequent ist die Schule von der „Infizierung“ des (neu zu bildenden) Preises mittels eines unbilligen (früheren) Preises bzw. Preisfaktors, wie dies nun verstärkt von Obergerichten schon gesehen wird und wozu der BGH sich noch äußern muss, will dem europäischen und Bundesgesetzgeber Rechnung getragen sein.

Mir ist nur ein Fall bekannt, worin sich ein Endversorger gegen einen seiner Vorlieferanten wegen dessen unbilliger Preispolitik zur Wehr gesetzt hat. Ansonsten bleibt es bei dem alten Grundsatz, wonach „den Letzten die Hunde beißen“. Und insoweit ist die Frage von RR-E-ft absolut berechtigt, wo die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen des EnWG bleibt, wenn an den Gewinnen der „großen Vier“ nicht gekratzt wird.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline nomos

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Original von tangocharly
Vor dem Hintergrund der EnWG-Bestimmungen konsequent ist die Schule von der „Infizierung“ des (neu zu bildenden) Preises mittels eines unbilligen (früheren) Preises bzw. Preisfaktors, wie dies nun verstärkt von Obergerichten schon gesehen wird und wozu der BGH sich noch äußern muss, will dem europäischen und Bundesgesetzgeber Rechnung getragen sein.

........
 Und insoweit ist die Frage von RR-E-ft absolut berechtigt, wo die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen des EnWG bleibt, wenn an den Gewinnen der „großen Vier“ nicht gekratzt wird.
    Zitat
    Die Bindung des Richters an das Gesetz ist ein tragender Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit und des Demokratieprinzips.
          Quelle[/list]

     

    Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz