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Autor Thema: BGH Urteil vom 30.04.2003/ Anwendungsbereich  (Gelesen 7206 mal)

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Offline RR-E-ft

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BGH Urteil vom 30.04.2003/ Anwendungsbereich
« am: 04. März 2005, 16:47:32 »
[ VIII-ZR-278-02 , VIII-ZR-279-02 30-04-2003 ]

Soweit Versorger die Anwendbarkeit der BGH- Urteile vom 30.04.2003 - VIII ZR 278/02 und 279/02 zum Verhältnis zwischen § 315 BGB und § 30 AVBWasserV auf § 30 AVBGasV/ AVBEltV in Zweifel ziehen, ist nur auf Folgendes zu verweisen:


Der BGH nimmt in der Urteilsbegründung auf seine ständige Rechtsprechung zu § 30 AVBEltV Bezug und dabei auch auf das letzte Urteil vom 05.02.2003 - VIII ZR 111/02.

In dem Urteil vom 05.02.2003 ging es um einen Rückerstattungsanspruch zuviel gezahlter Strompreise gem. §§ 812 i. V. m. 315 BGB für die Zeit bis weit in das Jahr 1999 hinein (bekannt als BEWAG-Fall).

Der BGH weist dabei darauf hin, dass § 315 BGB auf Strompreise nach ständiger Rechtsprechung Anwendung findet, undzwar sowohl bei Tarifkunden (also bei vorliegender behördlicher Tarifgenehmigung) als auch bei Sondervertragskunden.

Denn der BGH nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB zu Stromtarifen (BGH NJW- RR 1992, S. 183; AG Bad Neuenahr- Ahrweiler NJW 1998, S. 2540 f.)  und zu Abwasserentgelten (BGH NJW 1992 S. 172).

Das gilt nicht nur für Sonderabnehmer, sondern auch für Tarifkunden (BGH NJW 1987, S. 1828; OLG Celle, NJW-RR 1993, S. 630).

Es wird also ersichtlich, dass eine zivilrechtliche Billigkeitskontrolle der Strompreise nach § 315 BGB auch dort stattfindet, wo ein behördliches Tarifgenehmigungsverfahren nach § 12 BTOElt durchgeführt wurde.

Andernfalls hätte der BGH in dem Urteil vom 05.02.2003 - VIII ZR 111/02- die Billigkeitskontrolle allein deshalb abgelehnt, weil ein tarifgenehmigungsverfahren nach § 12 BTOElt durchgeführt wurde. Dies hat er jedoch gerade nicht getan, sondern vielmehr sogar vollkommen offen gelassen, ob einer behördlich erteilten Tarifgenehmigung überhaupt eine Indizwirkung für die Billigkeit der geforderten Tarife im Sinne von § 315 BGB zukommt.


Zudem kennt das Tarifgenehmigungsverfahren nach § 12 BTOElt keine strenge Differenzierung. Und es legt auch nur die zulässige Preisobergrenze fest, vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 BTOElt:

"Der genehmigte Preis ist ein Höchstpreis,...."

Dass dies Anwendung des § 315 BGB etwa auf Strompreise aus 1999 nach der Liberalisierung des Strommarktes mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz vom 28.04.1998 ausgeschlossen sei, hat der BGH dabei mit keiner Silbe erwähnt, weil diese Auffassung schon nicht richtig ist.

Hierzu gibt es einen Aufsatz von Joachim Held in VuR (Verbraucher und Recht), Heft 8/2003, S. 296 ff. unter der Überschrift "Strompreise und Verbraucherschutz durch § 315 BGB- Anwendungsbereiche der zivilrechtlichen Preiskontrolle auf dem liberalisierten Strommarkt".

Im Gasbereich gibt es zudem bisher gar keinen funktionierenden liberalisierten Markt für den Kunden.

Hierzu kann auf die Ausführungen im Arbeitspapier des Bundeskartellamtes vom 25.01.2005, abrufbar unter

http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/aktuelles/presse/2005_01_28.shtml

und auf die Ausführungen des Präsidenten des Bundeskartellamts, Dr. Böge, in der Expertenanhörung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages am 15.12.2004 verwiesen werden, vgl. hierzu im Protokoll auf den Seiten 8 und 10:

http://216.239.59.104/search?q=cache:LECPaAEf27oJ:www.bundestag.de/parlament/gremien15/a09/eAnhoerungen/nEnWG2/cprotokoll.pdf+BGW+Bundeskartellamt&hl=de&ie=UTF-8
   

Fragen Sie Ihren Versorger doch einfach mal, wer als Alternative zu diesem überhaupt zur Verfügung stünde, da Ihnen keiner bekannt ist.


In dem BGH- Urteil vom 05.02.2003 stellt der BGH am Ende zudem fest, dass die Grenzen des allgemeinen kartellrechtlichen Missbrauchs- und Diskriminierungsverbots nicht mit den Grenzen der Billigkeitsentscheidung nach § 315 BGB zusammenfallen, so schon der BGH im Urteil vom 02.10.1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991,S. 2065 = NJW-RR 1992, S. 183.

Nach der höchstricherlichen Rechtsprechung fallen kartellrechtliche Missbrauchskontrolle und die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB eindeutig auseinander und bestehen deshalb eigenständig nebeneinander.

Deshalb ist es auch falsch, wenn die Gasversorger darauf verweisen, sie seien von keinem kartellrechtlichen Verfahren betroffen und allein daraus folge die Billigkeit im Sinne des § 315 BGB.


Die Entscheidungen des BGH seit 2000 können abgerufen werden unter www.bundesgerichtshof.de  (Entscheidungen).

Ich empfehle die Lektüre der genannten Urteile vom 30.04.2003 und vom 05.02.2003.

In letzterem Urteil hat der BGH unter II. 1 d) zudem vollkommen offen gelassen, ob einer behördlichen Tarifgenehmigung Indizwirkung für die Billigkeit der geforderten Tarife im Sinne von § 315 BGB zukommt.

Ob einer behördlichen Stromtarifgenehmigung eine solche  "Indizwirkung" zukommt, hat der BGH also bisher gar nicht entschieden.

Es ist aber klar, dass der Stromversorger seine Tarifgenehmigung nachweisen und alle Tarifgenehmigungsunterlagen einschließlich der Kostenträgerrechnung vorlegen muss, damit der Kunde prüfen kann, ob diese Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Tarifgenehmigungsverfahrens gebieren, und somit überhaupt in die Lage versetzt wird, gegen eine solche  Indizwirkung seinerseits etwas vorzutragen und darzulegen.


Dass und wie bei den Strom- Tarifgenehmigungsverfahren durch die Versorger getrickst wird und in den Preisen deshalb noch viel Luft ist, hat der zuständige Mitarbeiter der Strompreisaufsicht NRW im "Stern" ausgeführt:

http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/index.html?id=536353&nv=ct_cb

Wenn das aber nach einer Stimme aus berufenem Munde bereits für den der staatlichen Preisaufsicht unterliegenden Strompreis gilt, was steht dann erst für den seit 1998  keiner Preisaufsicht unterliegenden Gaspreis zu erwarten?

Mitarbeiter von Stadtwerken hatten in dem o. g. Beitrag im "stern" ausgeführt, dass der Energiebereich der "Goldesel" für die Kommunen sind, die aus den Gewinnen viel anderes finanzieren.

Ein hoher Gewinn steht dabei aber schon im Widerspruch zur Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen gem. § 1 Energiewirtschaftsgesetz, die Versorgung mit leitungsgebundener Energie (Elektrizität und Erdgas) preiswürdig zu erbringen.

"Preiswürdigkeit" im vorgenannten Sinne meint nach der bestehenden Kommentarliteratur die Leistungserbringung so billig wie möglich, d. h. kostendeckende Preise und nur geringer Gewinn.

Geringe Gewinne im vorgenannten Sinne ermöglichen aber schon keine Quersubventionierungen defizitärer Bereiche der Kommunen und die Verpflichtung zur Preiswürdigkeit der Energieversorgung verbietet solche.

Nach Untersuchungen der Energieexperten der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. soll jeder Stromhaushaltskunde durchnittlich zwischen 2 und 3 Ct/ kWh zuviel zahlen:

http://www.swr.de/report/archiv/sendungen/050228/02/frames.html


Die Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 30.04.2003 gilt zudem für alle Vertragsbestimmungen in Sonderverträgen, die den gleichen Wortlaut haben wie § 30 AVBV.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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