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Autor Thema: Expertenbefragung bezgl. Strommarkt  (Gelesen 6874 mal)

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Anonymous

  • Gast
Expertenbefragung bezgl. Strommarkt
« am: 03. Januar 2006, 12:28:52 »
Hallo,

ich bin Student an der Fachhochschule Münster. Zur Zeit untersuchen wir, im Rahmen eines Projektes, den deutschen Strommarkt. Um einige Expertenstimmen einzufangen, würde ich gern an dieser Stelle ein paar Fragen stellen. Sie würden uns sehr damit weiter helfen.

1. Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Strommarkt in Zukunft entwickeln?
2. Wie beurteilen Sie die Machtkonzentration der Anbieter auf dem Markt?
3. Hat die Regulierung/Deregulierung des Netzmarkets wirklich etwas gebracht?
4. Wie beurteilen Sie die Wechselbereitschaft der Privatkunden?
5. Wie würden Sie den deutschen Markt mit den anderen europäischen Strommärkten vergleichen?

Vielen Dank schon einmal im Voraus.

Mit freudnlichen Grüßen.
Mirco Hoffmann

Anonymous

  • Gast
Expertenbefragung bezgl. Strommarkt
« Antwort #1 am: 03. Januar 2006, 16:46:37 »
Hallo Mirco

ich bin ebenfalls Student, allerdings an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Studiengang Energie- und Recylcing Management

Allgemeine Informationen über Energiereserven und -ressourcen sowie Ausblicke bis zum Jahr 2030 lassen sich in einer Prognose der IEA beim BMWA finden:
http://www.bmwi.de/Navigation/Technologie-und-Energie/energiepolitik.html
(link in Browser eingeben)



1. Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Strommarkt in Zukunft entwickeln?
-> Generell ist es schwierig zu sagen in welche Richtung sich der Strommarkt entwickeln wird. Das hängt von vielen Einflussgrößen ab:
(Demografisch, Strukturell, Sozial, Ökologisch, Ökonomisch, Technisch, Politisch).
Auf Deutschland bezogen:
Im Bereich Stromerzeugung ist die Wettbewerbsintensität rückläufig und wird dies aufgrund fehlender neuer Wettbewerber und der hohen Markteintrittsschranken weiterhin auch tun. Allerdings wird bis 2020 40GW neue Kraftwerksleistung benötigt. (KW-Abschaltung, Altersgründe)
Der Stromhandel wird weiterhin eine hohe Wettbewerbsintensität besitzen, das Handelsvolumen an der Strombörse könnte noch zunehmen.
Im Bereich Stromverteilung gibt es aufgrund der hohen Markteintrittsbarrieren und dem natürlichen Monopolcharakter dieses Bereiches des Strommarktes so gut wie keinen Wettbewerb. Die Bundesnetzagentur(BNA) wird hier in Zukunft versuchen müssen überhöhte Netznutzungsgebühren zu untersagen.
Im Bereich Vertrieb hat die Wettbewerbsintensität in den letzten Jahren aufgrund fehlender Wechselbereitschaft von Tarifkunden enorm nachgelassen.


2. Wie beurteilen Sie die Machtkonzentration der Anbieter auf dem Markt?

Die Liberalisierung des Strommarktes kann momentan als \"gescheitert\" angesehen werden. Es hat sich kein dynamischer Wettbewerb eingestellt, hohe Wettbewerbsbeschränkungen bestehen v.a. im Bereich Stromverteilung und die Preise befinden sich momentan über dem Monopol-Niveau. Die 4 EVU\'s besitzen zusammen mehr als 80% Marktanteil auf dem Strommarkt was gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung(GWB) verstößt. Aufgrund dieses Marktanteils können natürlich Größenvorteile ausgenutzt werden (Economies of scale). Aufgrund bspw. des natürlichen Monopolcharakters in der Stromverteilung bestehen enorm hohe Marktzutrittschschranken, die es Marktneulingen unmöglich machen, jemals mit geringeren Stückkosten zu produzieren als die bereits am Markt etablierten Unternehmen.

3. Hat die Regulierung/Deregulierung des Netzmarkets wirklich etwas gebracht?

Wenn sie uns etwas gebracht hat, dann in erster Linie die Erkenntnis, dass dieser Bereich nicht ohne staatliche Regulierung funktionieren kann.

4. Wie beurteilen Sie die Wechselbereitschaft der Privatkunden?

Der Anteil der wechselwilligen Privatkunden zu Beginn der Liberalisierung lag bei einem verschwindend geringen Anteil und kann somit als nicht bestehend angesehen werden. Nähere Auskünfte gibt hier sicherlich das statistische Bundesamt www.destatis.de

5. Wie würden Sie den deutschen Markt mit den anderen europäischen Strommärkten vergleichen?

Das deutsche Stromnetz ist in Europa eines der Besten, was man an der geringen Störanfälligkeit und den niedrigen Ausfallquoten (verglichen mit anderen europäischen Ländern) erkennen kann. Vom Strommix her gesehen befindet sich der deutsche Strommarkt zur Zeit in einem Umbruch während bspw. in anderen Ländern an konservativen Wegen wie der Kernenergie in Frankreich festgehalten wird. Deutschland ist im Gegensatz zu bspw. Frankreich kein Stromexportland sondern fokusiert sein Hauptinteresse auf die nationale Stromversorgung. Ob sich in Zukunft hier etwas ändert liegt zum einen an den EVU\'s und dem Staat.
Da Deutschland aber auch kein Stromimportland ist, entsteht nicht das Risiko eines nationalen Stromkollapses, wie wir es im letzten Jahr in Italien (Stromimport aus Frankreich über Deutschland und die Schweiz)beobachten konnten. Durch die Abkehr von der Kernenergie wird aber möglicherweise eine verstärkte Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen die Folge sein, was möglicherweise in einigen Jahren problematisch werden könnte. Noch existieren mehrjährige Lieferverträge mit Russland und auch der Bau der Ostsee Pipeline wird für Deutschland in Zukunft von großem Vorteil sein, da keine Gasmengen von Transitländern angezapft werden können.
Die Zukunft liegt wohl in einem \"europäischen Gesamtstrommarkt\", was man durchaus auch schon an den Beteiligungen der einzelnen EVU\'s in Europa feststellen kann.

Ich hoffe dir etwas geholfen zu haben!
Dürfte man erfahren welchen Studiengang du studierst?

MfG Sebastian

Anonymous

  • Gast
Expertenbefragung bezgl. Strommarkt
« Antwort #2 am: 04. Januar 2006, 12:38:02 »
Hallo Sebastian,

vielen DANK erst einmal für Deine Meinung!

Dies ist sehr wichtig für uns, da wir gern auch mal Stimmen von Leuten einholen wollen, die sich mit dem Thema genauer auskennen als wir es tun.

Zur Zeit studiere ich Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Münster im Schwerpunkt Marketing. Das Projekt findet im Rahmen eines Marketingmoduls statt.

Vielen dank noch mal und alles Gute.

Gruß.
Mirco

Anonymous

  • Gast
Expertenbefragung bezgl. Strommarkt
« Antwort #3 am: 07. Januar 2006, 17:16:42 »
Für weitere Fragen kannst du mich auch direkt unter sgm-s@web.de erreichen!

Grüße, Sebastian

 

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