Im Rechtsstreit im Verfahren 1 U 605/11 am OLG Nürnberg zwischen mir und den Stadtwerken Würzburg hatten die Stadtwerke mit Bezug auf die Vorlagebeschlüsse des BGH am 10.8.2011 eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO beantragt. Dabei versuchten die Stadtwerke sogar, das Gericht und mich in die Irre zu führen, als sie bzw. ihr Prozessvertreter in der Berufungserwiderung vom 10.08.2011 die vom BGH gestellte Frage ganz wesentlich veränderten. Die Stadtwerke Würzburg versuchten den Eindruck zu erwecken, als könne die Tatsache, dass ich als Beklagter meine Kündigungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen habe, mein Recht auf eine Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB beeinträchtigen oder gar verwirken. Die Stadtwerke als Klägerin reduzierten die vom BGH gestellte Frage darauf, „
inwieweit es reicht, Preisänderungen mit einer angemessenen Frist im Voraus bekannt zu geben und der Kunde die Möglichkeit hat, den Anbieter zu wechseln.“
Die Frage des BGH in dem Verfahren VIII ZR 211/10 vom 29.06.2011 prüft ihrem Wortlaut nach nur, ob eine bestimmte gesetzliche Regelung über die Änderung von Strompreisen den europarechtlichen „
Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz“ aus der Strom-Richtlinie 2003/54/EG genügt oder nicht. Mit anderen Worten, es geht um die Frage, ob der Stromversorger für Tarifkunden überhaupt eine Berechtigung zur einseitigen Änderung der Preise hat. In juris-Randnummer 9 der Leitsatzentscheidung VIII ZR 211/10 vom 29.06.2011 wird nochmals hervorgehoben, dass die Entscheidung von der Frage abhängt, ob dem Stromlieferanten ein wirksames gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV bzw. § 5 Abs. 2 StromGVV zustand.
Mit Schriftsatz vom 22.8.2011 teilte mein Anwalt das dem OLG Nürnberg mit und darüber hinaus, dass im vorliegenden Fall das einseitige Preisänderungsrecht der Klägerin überhaupt nicht strittig ist. Weder bei der Gas- noch bei Strom- oder Trinkwasserversorgung bezweifelte ich als Beklagter das Recht der Stadtwerke, ihre Preise einseitig zu ändern. Die vom BGH in zwei Leitsatzentscheidungen gefällten Vorlagebeschlüsse zu der Frage, ob überhaupt ein Preisänderungsrecht für Strom- oder Gaspreise besteht, sind für das vorliegende Verfahren 1 U 605/11 überhaupt nicht vorgreiflich. Denn die Existenz eines Rechts zur einseitigen Preisänderung wird bislang weder von den Stadtwerken Würzburg noch von mir als Beklagtem bestritten. Beide Seiten sind sich darüber einig, dass die Stadtwerke Würzburg AG einseitig die Preise für Strom, Gas und Trinkwasser ändern darf. Selbst wenn der Gerichtshof der Europäischen Union die beiden vom BGH gestellten Fragen verneint und ein Preisänderungsrecht ablehnt, so würde ich in meinen individuellen Vertragsverhältnissen mit den Stadtwerken das Recht der Klägerin zur einseitigen Preisänderung anerkennen. Unabhängig davon, wie der Gerichtshof der Europäischen Union die Vereinbarkeit der gesetzlichen Preisänderungsrechte für Strom und Gas mit EU-Richtlinien beurteilt, steht mir als dem Beklagten nach § 315 BGB das Recht auf eine Billigkeitskontrolle der Preise zu.
Vor dem Hintergrund hatte ich mit Bezug auf mein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlangt, den Antrag der Stadtwerke Würzburg auf Aussetzung des Verfahrens abzulehnen. Denn die von den Stadtwerken beantragte Aussetzung nach § 148 ZPO verlängert im vorliegenden Fall völlig unnötig das Verfahren um voraussichtlich mehrere Jahre und verletzt damit meinen Anspruch, den Rechtsstreit möglichst schnell zu meinen Gunsten zu beenden.
Der Kartellsenat des OLG Nürnberg hat mit Beschluss vom 13.9.2011 festgehalten, dass er eine Billigkeitsprüfung des Strompreises nach § 315 BGB ablehnt, da ein Sondervertrag vorliegt und die Preisänderungsklausel unwirksam ist. Weiter äußert der Kartellsenat:
Der Senat hält eine vollständige Aussetzung des Rechtsstreits (§ 148 ZPO) nicht für angebracht, da die Entscheidung hinsichtlich der Strom- und Wasserpreise nicht von der vorgelegten Frage abhängt. Ob das Verfahren wegen der Vorgreiflichkeit dieser Frage hinsichtlich der Nachforderung der Klägerin für den Gasverbrauch des Beklagten nicht weiterbetrieben werden kann, kann erst nach Vervollständigung des Sachvortrags zu 1 b) und c) beurteilt werden.
Daraufhin musste mein Anwalt das Gericht mit Schriftsatz vom 25.10.2011 eindringlich an einige Verfahrensgrundsätze für das deutsche Zivilrecht erinnern, namentlich an die
Dispositionsmaxime und den
Verhandlungsgrundsatz. Das Verfahren, nach dem ein zivilrechtlicher Rechtsstreit vor Gericht ausgetragen wird, und insbesondere die Tatsachen, die das Gericht bei seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, werden ausschließlich durch die Parteien bestimmt. Nach dem Verhandlungsgrundsatz, auch Beibringungsgrundsatz genannt, ermittelt das Gericht nicht von sich aus, was im Einzelnen passiert ist. Vielmehr legt das Gericht nur diejenigen Tatsachen zugrunde, die von den Parteien vorgetragen werden. Das bedeutet namentlich, dass das Gericht seiner Entscheidung in jedem Fall jene Tatsachen zugrunde legen muss, die zwischen den Parteien unstreitig sind. Ihren Niederschlag im Gesetz findet diese Vorgabe in § 138 Abs. 3 ZPO: Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen. Selbst in ihren neuesten Schriftsätzen vom 30.09.2011 und 05.10.2011 bestreitet die Stadtwerke Würzburg AG nicht die Existenz eines ihr zustehenden, einseitigen Leistungsbestimmungsrechts.
Nicht ich habe ein einseitiges Preisänderungsrecht angeboten, sondern die Stadtwerke haben es angeboten und ausgeübt und ich als Beklagter habe es angenommen. Das OLG Nürnberg verdreht die Rolle von Angebot und Annahme des Angebots und vermischt in völlig unzulässiger Weise Voraussetzungen und Folgen von § 315 BGB, als es in seinem Beschluss vom 13.09.2011 festhält „
die Klägerin hat das mehrfach geäußerte Angebot des Beklagten, die Preisänderungen auf Billigkeit überprüfen zu lassen, nicht angenommen.“
Bei mir ist der Eindruck entstanden, dass das Gericht einseitig Partei zu Gunsten der Klägerin ergreift und zu meinen Ungunsten den Prozessstoff verkürzen will, insbesondere eine echte Billigkeitsprüfung im Sinne von § 315 BGB scheut. Denn die Billigkeitsprüfung erfordert wegen meines umfassenden Vortrags eine sehr aufwendige Beweisaufnahme, u. a. zu überhöhten Eigenkapitalrenditen, zu überhöhten Netzkosten, zu gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeiten von E.ON, zu Kommunalrechtsverstößen und zu Kartellrechtsrechtsverstößen wie Preisspaltung. Das Verhalten des Kartellsenats am OLG Nürnberg in der Frage des einseitigen Preisbestimmungsrechts erweckt bei mir den bösen Schein der Voreingenommenheit und der Parteilichkeit.
Über den Fortgang des Verfahrens berichte ich im Thread \"WVV - Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH » Würzburger Energiepreise vor gerichtlicher Billigkeitsprüfung und mehr ...\" unter
http://forum.energienetz.de/thread.php?threadid=12258. Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email:
Lothar.Gutsche@arcor.de