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Autor Thema: BGH Urt.v. 05.02.03, VIII ZR 111/02 - Darlegungs- und Beweislast im Rückforderungsprozess  (Gelesen 6411 mal)

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Offline tangocharly

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Mit dieser älteren BGH-Entscheidung soll noch einmal kurz vor Augen geführt werden, was der VIII. Senat als für ein substantiiertes Bestreiten (des Versorgers) notwendig erachtete (es ging hierbei um die Rückforderung als unbillig gerügter Strompreise):

Zitat
d) Auch bei Berücksichtigung dieser Grundsätze zugunsten des darlegungs- und beweispflichtigen Klägers ist die Beklagte ihrer Obliegenheit zu einem substantiierten Bestreiten nachgekommen. Die Beklagte hat alle Genehmigungsunterlagen aus dem Jahre 1972 bis 1998/1999 vorgelegt, von dem Antrag für das Jahr 1987 an einschließlich mit Kostenträgerrechnungen; sie hat ferner ihre Preiskalkulation erläutert und dargelegt, in welcher Weise ihre Kosten- und Ertragslage im Rahmen des behördlichen Genehmigungsverfahrens überprüft wird. Es kann offenbleiben, ob die nach § 12 BTOElt erteilte Tarifgenehmigung, die den Nachweis voraussetzt, daß \"entsprechende Preise in Anbetracht der gesamten Kosten- und Ertragslage bei elektrizitätswirtschaftlich rationeller Betriebsführung erforderlich sind\" (§ 12 Abs. 2 Satz 2 BTOElt), ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit des genehmigten Stromtarifs darstellt, wie das Berufungsgericht annimmt (siehe auch Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke aaO; Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, Bd. 2, § 12 BTOElt Rdnr. 337). Der Kläger hatte im Rückforderungsprozeß die von ihm behauptete Unbilligkeit der jeweiligen Tarife zu beweisen; ihm oblag es deshalb, die von der Beklagten dargelegten Kalkulationsansätze substantiiert und unter Beweisantritt zu beanstanden. Daß der Kläger dieser Verpflichtung nachgekommen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Der Kläger hat sich vielmehr darauf beschränkt, auf günstigere Preise anderer Stromanbieter seit Öffnung des Strommarktes zu verweisen. Insoweit haben die Vorinstanzen jedoch zu Recht ausgeführt, daß dies schon mit Rücksicht auf die besondere Situation Berlins nach der Wiedervereinigung Deutschlands, als die Stromversorgung in Berlin an das europäische Verbundnetz angebunden und das Ostberliner Netz integriert werden mußte, kein ausreichendes Indiz für überhöhte Tarife darstellt (vgl. auch OLG Celle aaO).

Zunächst lag die Beweislast beim Kunden. Auf dessen Bestreiten, dem abgenommen wurde, dass der Versorgerseite zugemutet werden könne sich wegen der im Gegenlager befindlichen Sachnähe und Zugangs zu den Fakten konkret auf sein Bestreiten zu äußern, oblag es nun der Versorgerseite, den Vortrag des Kunden substantiiert zu bestreiten.

Dazwischen, was der VIII. BGH-Senat in der zitierten Entscheidung fordert und das was der VIII. BGH-Senat heute angeblich durchgehen lassen will, liegen Welten.
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Offline RR-E-ft

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Der Fall VIII ZR 111/02 betrifft die Darlegungs- und Beweislast im Rückforderungsprozess, wo der klagende Verbraucher grundsätzlich die Darlgeungs- und Beweislast für die Unbilligkeit der Preisbestimmung dann trifft, wenn er - wie im entschiedenen Fall -  zuvor ohne Widerspruch und vorbehaltlos auf die Verbrauchsabrechnungen des Versorgers Zahlungen geleistet hatte.

Den Versorger traf in diesem Fall eine sog. sekundäre Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich seiner Kostenentwicklung, welcher er nach Auffassung des BGH genügt haben soll.

In seiner jüngeren Rechtsprechung nimmt der Senat an, dass der Anfangspreis infolge fehlender Monopolstellung als vertraglich vereinbart gelte, deshalb keiner Billigkeitskontrolle unterliege (BGH VIII ZR 144/06) und die vorbehaltlose Zahlung auf Verbrauchsabrechnungen, die einseitig geänderte Preise ausweisen, zu einer Preisneuvereinbarung führe, die dann ebenfalls eine Billigkeitskontrolle ausschließe (BGH VIII ZR 36/06, VIII ZR 314/07, VIII ZR 138/07) und deshalb auch Rückforderunegn. Folglich würde es eine Fallkonstellation, welche der Entscheidung VIII ZR 111/02 zu Grunde lag (Rückforderung nach vorbehaltsloser Zahlung), gar nicht mehr geben können.

Grundsätzlich kritisch hierzu Fricke, ZNER 15/2/2011 S. 130 ff. . Unberücksichtigt bliebe dabei nämlich die gesetzliche Verpflichtung des Versorgers gegenüber Tarifkunden zur nachträglichen Preisabsenkung (BGH KZR 2/07 Rn. 26, VIII ZR 81/08 Rn. 18]. Der Autor verweist darauf, dass eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Versorgers Preisvereinbarungen mit grundversorgten Tarifkunden, welche die Preisbestimmungspflicht des Versorgers und die  Billigkeitskontrolle deren Ausübung aufhebt, von Anfang an ausschließt.  Er unternimmt den Versuch, anhand der gesetzlichen Vorschriften nachzuweisen, dass gegenüber grundversorgten Tarifkunden die Preisbestimmungspflicht des Versorgers gerade die vertragliche Preishauptabrede ausmacht, so dass das zur Abrechnung stellen mit Rücksicht auf §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG zu hoch kalkulierter Tarife auch dazu führt, dass die Verbrauchsabrechnungen schon nicht ordnungsgemäß sind (vgl. auch BGH 5 StR 394/08]. Zugleich weist der Autor darauf hin, dass bei Verträgen, die im Rahmen der Vertragsfreiheit von Versorgern angeboten werden, es regelmäßig schon an der wirksamen Vereinbarung einer Preisbestimmungspflicht des Versorgers hinsichtlich des vom Kunden zu zahlenden Preises fehlt, die einer Billigkeitskontrolle unterliegen könnte.  

Anders gestaltet sich die Darlegungs- und Beweislast jedenfalls  im Zahlungsprozess des Versorgers, wo dieser die vollständige  Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit seiner getroffenen Preisbestimmung trifft, ebenso wie im Rückforderungsprozess, wenn den Preisbestimmungen widersprochen wurde und Zahlungen nur unter Rückforderungsvorbehalt geleistet wurden. Dann nämlich genügt ein Bestreiten des Verbrauchers mit Nichtwissen, ohne dass es seinerseits einer Substanttierung bedarf (BGH VIII ZR 6/08 Rn. 20).

Offline tangocharly

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Wenn man bedenkt, dass die Strom- und Gasrichtlinien erst rund 4,5 Monate später auf der Bildfläche erschienen, und der BGH im Jahr 2003 noch derart klare Vorstellungen hatte, welche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zu stellen sind, dann wirft sich erst recht die Frage auf, welcher Teufel den Gas-Ball reiten durfte, um aus einem pflichtgemäß bestimmten Tarifpreis einen „vereinbarten Anfangs-/Sockelpreis“ zu kreieren.

Dass sich aus den eur. Richtlinien gerade nicht ergeben könnte, in der Bundesrepublik müsse man Anfangs-/Sockelpreise bilden die dann auch keiner Kontrolle mehr unterzogen werden dürften, liegt auf der Hand.

Die EU rudert vor, der Gas-Ball rudert zurück.

Aus den eur. Richtlinien kann er dies nicht entnommen haben. Und an der Entscheidung vom 05.02.2003 hatte Gas-Ball auch nicht mitgewirkt.

Also, wo liegt die gestalterische Legitimation des heutigen VIII. Senats für den vielzitierten Anfangs-/Sockelpreis, der keiner Kontrolle mehr unterzogen werden soll, wie diese in der Begründung des VIII. Senats zur Darlegungs- und Beweislast detailliert beschrieben wurde.

Da der Anfangs-/Sockelpreis auch keine Grundlage in den GVV\'s findet, wäre der EuGH jedenfalls nicht gehindert, diese Interpretation wie sie durch den BGH erfolgt zu überprüfen. Denn dann geht es um die europakonforme Anwendung nationalen Rechts.

Der heutige VIII.Senat hat sich zur verbraucherfeindlichsten Interpretation der Vorgaben entschlossen, welche der Gesetzgeber im Rahmen seiner Umsetzungspflicht in § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 EnWG niederlegte.

Und (– so das OLG Brandenburg und mit ihm eine Anzahl weiterer OLG\'s -) wenn damit nur irgend ein gesetzgeberisches Larifari aufgestellt worden sein soll, das man programmatisch neben allen weiteren Überlegungen mitberücksichtigen müsse, dann wurde in der Umsetzung von Seiten der Bundesrepublik völlig daneben gegriffen.

Entweder muß legislativ klar und deutlich nachgebessert werden, was der Gesetzgeber mit den genannten Bestimmungen wirklich wollte oder man muß dem BGH mit seiner Auffassung zum Anfangs-/Sockelpreise auf die „europäisch ungeschnürten Füße treten“.
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Offline RR-E-ft

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Launig sinieren lässt sich wohl alleweil.
Es ist bloß nicht eben zielführend.

Es kommt vornehmlich  darauf an, die sachlichen Argumente in geeigneter Weise fundiert in die laufende Diskussion der Fachöffentlichkeit einzubringen und zwar möglichst allgemeinverständlich und zitierfähig, um letztlich auch Richtern der Instanzgerichte etwas an die Hand zu geben.

Offline tangocharly

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Zitat
Original von RR-E-ft
[...]  Richtern der Instanzgerichte etwas an die Hand zu geben.

Richtern der Instanzgerichte gibt man nicht etwas an (in) die Hand, sondern in die Akten vor ihnen, auf dem Tisch.

Oder wollten Sie zum Ausdruck bringen, dass weil ja justizia blind ist, Aktenlesen somit nicht drin ist, wenigstens an deren Fingerspitzengefühl appelliert werden sollte.

Grüßle nach Lichtstadt
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Offline RR-E-ft

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Ich dachte eher daran, dass solchen Beiträgen wie etwa Fricke, ZNER 15/2/2011, S. 130 ff. möglichst viele weitere und vertiefende Beiträge von engagierten Kollegen folgen sollten. Mit solchen Beiträgen lässt sich durch deren Einführung in die Verfahren immerhin ersparen, dass der gesamte energiewirtschaftsrechtlich- theoretische Überbau in jedem Verfahren im Umfange von mindestens zehn A4- Seiten einzeln vorgetragen werden muss, um Richter wieder zu eigenständigem Denken anzuhalten.

Um den  Satz IUDEX NOVIT CURIA ist es ersichtlich hinsichtlich der energiewirtschaftsrechtlichen Bestimmungen, also der in den Gesetzen niedergelegten  materiellen Rechtslage nicht eben bestens bestellt.
Der VIII. Zivilsenat des BGH scheint diesbezüglich  aus sich selbst zu schöpfen, mit in sich widersprüchlichen Wertungen.  
Jeder ist herzlich eingeladen, mehr Licht in die Welt zu tragen. ;)

Offline tangocharly

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Nicht dass ich Ihnen nicht beipflichten wollte.

Auch dies bringt aber nur bedingt mehr Sonnenlicht ins energiewirtschaftsrechtliche Geschehen; es bedeutet letztlich doch nur - noch mehr lesen müssen.

Aber der VIII.Senat hat es ja mit seinen Entscheidungen seit 2007 abolut verstanden, seinen Instanzen-Slaves daneben, weil sie ja ohnedies Blind sind, noch eine Taucherbirne aufzusetzen.

Und so tauchen sie in ihrem Grundwissen über zivilrechtliche Grundzusammenhänge, die sich aus §§ 433 Abs. 2 u. 315 BGB ergeben, in der Regel vergeblich nach den das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschenden Grundsätzen einer kostenorientierten Tarifkalkulation.

Jedes Bonbon, das von der Versorgungswirtschaft angeboten wird um die Fälle abzuwürgen, wird dankbar aufgegriffen, sofern man darüber irgendwann schon mal was gelesen hat (ergänzende Vertragsauslegung, Ermessensspielraum, das widersprüchliche Verhalten des Widerspruchs, etc.).

Nein, wenn der Gesetzgeber schon so eine schwierige Rechtsmaterie regeln will, dann sollte er diese doch gleich zur persona non grata küren dürfen, unantastbar durch Bürger,  Gerichte, Presse, Petitionsausschüsse und Schlichtungsstellen.

Das Land hätte seinen Frieden und die Versorgung wäre sichergestellt.

Rechtsfreie Räume; ein Segen für Gutmenschen, die ständig zu wiederholen gezwungen sind (weil Richter selbiges lesen wollen), dass sie bei der Weitergabe der Energiepreise immer nur Verluste einstecken müssten, während sie in der Öffentlichkeit deren gutgehende Geschäfte präsentieren dürfen.
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