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Autor Thema: Stromanbieter wechseln oder Unbilligkeitseinwand (und weitere Fragen...)  (Gelesen 2387 mal)

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Offline Kokolores

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Hallo,

ich habe ein paar grundsätzliche Fragen zum Thema \"Strompreise\".

Inzwischen ist es ja recht einfach den Stromanbieter zu wechseln. Kann ich mich denn dann überhaupt auf BGB 315 berufen? Immerhin könnte ich doch einfach zur (billigeren) Konkurenz wechseln?

Mein Anbieter (SW Kassel) hat die letzte Erhöhung (aus Nov.) mit erhöhten \"Netzentgelten\" und dem \"EEG-Satz\" begründet, auf die er keinen Einfluss habe. Ist dem tatsächlich so? Oder sollte man trotzdem einfach Widerspruch einlegen?

Welcher Strompreis ist denn derzeit angemessen? Sollte man grundsätzlich auf seinen altem Preis bestehen, oder dem Versorger sozusagen bis zu einem gewissen Grad entgegenkommen? Bei allem Protest, kann man sich doch nicht ewig auf Preise von vor 10 Jahren berufen...!?

Gruß,
Kokolores

Offline Cremer

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Stromanbieter wechseln oder Unbilligkeitseinwand (und weitere Fragen...)
« Antwort #1 am: 05. Dezember 2009, 08:33:57 »
@Kokolores,

in der Grundversorgung kann man den Einwand § 315 BGB erheben.

Hierzu gibt es im Forum genügend Informationsbeiträge.

Vermutlich ist es aber einfacher, sich einen neuen Versorger der günstiger ist zu suchen.
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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Offline Lothar Gutsche

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Stromanbieter wechseln oder Unbilligkeitseinwand (und weitere Fragen...)
« Antwort #2 am: 24. Januar 2010, 14:02:57 »
@ Kokolores

Im Thread http://forum.energienetz.de/thread.php?postid=68149#post68149 zum Thema \"LG Frankenthal, Urt. v. 10.09.09, Az. 2 HK O 90/09 \'Unbilligkeitseinrede rechtsmissbräuchlich\'\" weist der Nutzer \"tangocharly\" am 23.1.2010 einleitend auf Folgendes hin:

Zitat
Die neuesten richterlichen Erfindungen hierzu sind, gestützt auf die Entscheidung des BGH vom 28.03.2007 (VIII ZR 144/06), dass dem Kunden die Billigkeitsprüfung gem. § 315 BGB im Fall der Existenz von genügend Anbietern entfallen soll.

Ich muss \"tangocharly\" beipflichten. Auch nach meiner Auffassung handelt es sich um eine richterliche Erfindung. Denn die Anzahl Anbieter, deren vergleichsweise günstiges Preisniveau und die Möglichkeit für Verbraucher, jederzeit zu einem dieser Anbieter zu wechseln, ist schon irrelevant für die kartellrechtliche Frage, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt oder nicht.

Das zeigt eindrucksvoll das Beispiel des Telekommunikationsmarktes, in dem mit der Liberalisierung ab 1.1.1998 zahlreiche Wettbewerber bundesweit auftraten und im sogenannten Call-by-Call-Verfahren wie auch durch Preselection deutlich preisgünstigere Verbindungen als die Deutsche Telekom anboten. Call-by-Call bezeichnet die Möglichkeit, Telefongespräche oder Internetverbindungen über einen anderen Anbieter als den Telefonanschluss-Anbieter zu führen, indem man vor jedem Gespräch eine spezielle Sparvorwahl wählt. Mit Preselection oder Betreibervorauswahl bezeichnet man in der Telekommunikation die Voreinstellung eines Telefonanschlusses auf eine bevorzugte Telefongesellschaft für den Aufbau von abgehenden Telefongesprächen. Speziell bei Auslandsverbindungen verzeichnete die Deutsche Telekom drastische Marktanteilsverluste.

   Marktanteil der Wettbewerber an den Umsätzen mit Verbindungsentgelten mit Auslandsverbindungen
1998   16 %   
1999   27 %   
2000   39 %   
2001   37 %   
2002   43 %   
2003   53 %   
2004   60 %   
2005   63 %   

Marktanteil der Wettbewerber an den Minuten mit Auslandsverbindungen
1998   20 %
1999   48 %
2000   56 %
2001   46 %
2002   54 %
2003   59 %
2004   66 %
2005   67 %

Quelle: Tätigkeitsbericht 2004/2005 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post, Eisenbahnen von Dezember 2005, Seite 28 – 30 und Seite 364 – 370, http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/4515.pdf

Auf den zehn wichtigsten Auslandsstrecken sind seit der Liberalisierung Anfang 1998 die Tarife zur Hauptzeit bis 2005 bis über 97 Prozent billiger geworden. Die Preise pro Minute Telefonie ins Ausland der Deutschen Telekom AG lagen teils deutlich über denen der neuen Anbieter. Trotz der eindeutigen Marktentwicklung und trotz der Vielzahl an Wettbewerbern wollte die Bundesnetzagentur erst Ende 2005 anerkennen, dass die Deutsche Telekom auf dem Markt für Auslandsgespräche nicht mehr marktbeherrschend ist, vgl. die Pressemitteilung der Bundesnetzagentur vom 22.11.2005 unter http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/4143.pdf.

Fazit:
Wenn also schon die Preisregulierung und die Frage der Kartellrechtswidrigkeit eines Preises nicht von der Möglichkeit eines Anbieterwechsels beeinflusst wird, umso weniger ist das bei einer Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB möglich. Denn die Billigkontrolle ist noch feinfühliger als die etwas gröbere Kartellrechtskontrolle, schließlich folgt aus der Kartellrechtswidrigkeit eines Preises unmittelbar dessen Unbilligkeit, aber nicht umgekehrt. Zu dem Verhältnis von § 315 BGB und dem Kartellrecht wird von mir in etwa zwei Wochen ein neuer Aufsatz erscheinen, der an das skandalöse BGH-Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 anknüpft.

Viele Grüße
Lothar Gutsche

 

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