An diversen anderen Stellen wurde im Hinblick auf (ggf. auch hilfsweise erhobene) Billigkeitseinreden aus § 315 BGB mittlerweile herausgearbeitet, dass es tunlich ist, gegenüber dem eigenen Versorger nicht einfach nur die 315-Einrede als solche zu formulieren, sondern den Versorger auch im Hinblick auf die diesem obliegende „sekundäre Darlegungslast“ zur Erteilung weitergehender Auskünfte zur behaupteten Billigkeit einseitiger Preisneubestimmungen aufzufordern.
Der Grund: Weigert sich der Versorger, diese Auskünfte zu erteilen oder trägt er sie nicht vollständig vor, sondern erst mit Klageerhebung, dann ist davon auszugehen, dass der Verbraucher keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat, Diesenfalls steht ihm nach § 93 ZPO die Möglichkeit offen, den geltend gemachten Anspruch des Versorgers auch noch nach Klageerhebung „sofort“ anzuerkennen, mit der Folge, dass der Verbraucher dann zwar die rückständigen Forderungen einschließlich Verzugszinsen nachzuzahlen hätte, sämtliche Verfahrenskosten (Anwälte, Gerichtskosten) allerdings dem Versorger zur Last fielen.
Die wohl meisten Verbraucher haben in der Vergangenheit von ihrem Versorger lediglich pauschal „Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen“ verlangt, worauf dieser meist ebenso pauschal geantwortet hat, dass man zur vollständigen Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen nach der BGH-Rechtssprechung nicht verpflichtet sei und lediglich die Einsichtnahme in beauftragte WP-Testate anbot. Zur Erhöhung des vorprozessualen Substantiierungsdrucks auf den Versorger erscheint es insofern ratsam, nochmals nachzufassen und vom Versorger konkret Auskunft zu den einzelnen, für die Beurteilung der Billigkeit entscheidenden Gesichtspunkten zu verlangen.
In der Frage, zu welchen Themen genau Auskunft verlangt werden sollte, dürften sich die meisten Verbraucher mangels Kenntnis der konkreten Beurteilungskriterien für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Billigkeit von Preisneubestimmungen allerdings schwer tun. Deshalb habe ich bereits an anderer Stelle angeregt, die relevanten Fragestellungen doch einmal zusammenzutragen und daraus einen
Musterbrief zu formulieren. Dies möchte ich hier nochmals anregen und dazu das Thema in diesem Thread separat weiterführen, damit nicht Einzelinformationen aus weit verstreuten Quellen zusammengesucht werden müssen.
Zum Start hier zwei Beiträge von reblaus und mir, die erste Anregungen für die an den Versorger tunlich zu stellenden Fragen geben.
Original von Gas-Rebell:
Ausreichend dürfte sein, den Versorger (ggf. in klarstellendem Nachgang zur ersten Aufforderung, seine Kalkulationsgrundlagen offenzulegen) aufzufordern, vor dem Hintergrund seiner sekundären Behauptungslast jedenfalls über einfache Zusicherungen hinausgehend substantiiert und schlüssig darzulegen, woraus sich im Einzelnen ergeben soll, dass für seine Forderungen im Zeitraum von ... bis .. dergestalt ein Rechtsgrund bestand, dass jede der vorgenommenen Preisneubestimmungen (Preiserhöhungen, -senkungen) auf der Grundlage eines wirksamen einseitigen Leistungsbestimmungsrechts und nach den Grundsätzen der Billigkeit erfolgten, und dabei insbesondere zu jedem Abrechnungszeitraum und jeder Preisänderung in monatlicher Betrachtungsweise (nicht etwa auf der Basis von Jahres- oder gar längeren Durchschnittsberechnungen) konkret nachzuweisen,
– in welcher Höhe, zu welchen Zeitpunkten und aus welchen Lieferantenverhältnissen jeweils Bezugskostenveränderungen weitergegeben wurden
– dass den Bezugskostenveränderungen nicht langfristige Lieferverträge mit überwiegend nur einem Lieferanten zugrunde lagen sowie dass und welche günstigereren Beschaffungsalternativen geprüft wurden
– dass im Verhältnis zu welchen Vorlieferanten nicht Preisanpassungsklauseln und -veränderungen akzeptiert wurden, die über das hinausgingen, was zur Anpassung an den Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich war und dass seine Bezugskosten nicht stärker stärker angestiegen sind als der amtlich festgestellte Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze und die Großhandelspreise für Erdgas in Deutschland nach den amtlichen Feststellungen der Bundesnetzagentur
– dass Sonderzahlungen, Rabatte, Boni und ähnliches zum Zeitpunkt ihres Erhalts und in voller Höhe in die Preisbildung einbezogen wurden
– dass durchweg nur faktisch bezahlte Bezugskosten zugrunde gelegt wurden und nicht etwa abweichende \"kalkulatorische\" Bezugskosten
– dass zwischenzeitliche Bezugskostensenkungen vollständig und ohne Zeitverzögerung weitergegeben wurden, und insoweit dies nicht geschehen sein sollte, aus welchen Gründen nicht
– dass Bezugskostenanstiege nicht durch Kosteneinsparungen (u.a. auch für Personal, Marketing) in der Sparte Gas ausgeglichen werden konnten bzw., dass bei Bezugskostenrückgang die Preissenkungen nicht durch zusätzliche Kosteneinsparungen noch stärker oder frühzeitiger hätten ausfallen können und welche Anstrengungen dazu jeweils mit welchem Ergebnis unternommen wurden
– dass und welche Kostenbestandteile des Preissockels (Netzkostenanteil, Kosten der Messung und Abrechnung, ggf. Konzessionsabgaben, Energiesteuern, etc.) einschl. ihrer zwischenzeitlichen Entwicklung jedenfalls in die Beurteilung der Billigkeit der Preisneubestimmung einbezogen wurden, auch wenn dieser in seiner Gesamtheit einer Billigkeitskontrolle entzogen ist.
Original von reblaus:
Fragen die im Rahmen einer Unbilligkeitseinrede an den Versorger zu stellen wären.
a. Kann der Versorger ausschließen, dass er mit seinem Vorlieferanten einen kartellrechtswidrigen Gasbezugsvertrag abgeschlossen hat. Dies wäre dann gegeben, wenn er positive Kenntnis davon hat, dass sein vor dem 30.09.2007 gültiger Gasbezugsvertrag mindestens eines der folgenden Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt.
Der Vertrag läuft mindestens zwei Jahre und beinhaltet eine Abnahmeverpflichtung von mindestens 80% der gesamten vom Versorger bezogenen Gasmenge oder die Laufzeit beträgt mindestens vier Jahre bei einer Abnahmeverpflichtung von mindestens 50% der insgesamt bezogenen Gasmenge.
Die gesamte nach den vorgenannten Vertragsbedingungen vertriebenen Gasmengen des Vorlieferanten betragen mindestens 30% des gesamten Gasabsatzes im Marktgebiet zur Belieferung von Regional- und Ortsgasversorgern.
b. Hat der Vorlieferant die Preisgestaltung des gesamten Gasbezug des Versorgers mittels Anlegbarkeitsprinzip geregelt, so dass im gesamten streitigen Zeitraum auch die an Industriekunden oder Kraftwerke bzw. Wärmekraftwerke bestimmten Gasmengen mit Preisen abgerechnet wurden, die an die Preisentwicklung der jeweils maßgeblichen Energieträger wie leichtes oder schweres Heizöl oder Stein- bzw. Braunkohle gebunden waren?
c. Hat der Gasversorger die Preise für Gewerbe-, Industrie- und Kraftwerkskunden und die internen Verrechnungspreise für selbst betriebene Wärmekraftwerke im streitgegenständlichen Zeitraum in dem Umfang verändert, wie dies bei auf Grundlage des Anlegbarkeitsprinzips gestiegenen Gasbezugskosten angemessen gewesen wäre? Wenn Gestehungskostenerhöhungen nicht in vollem Umfang weitergegeben wurden, geschah dies in einer günstigeren Weise als bei den Lieferverträgen für Privatkunden?
d. Wurden bei der Ermittlung der Bezugskostensteigerungen berücksichtigt, dass vereinbarte Boni, Rabatte, Marketingzuschüsse und andere vom Vorlieferanten gewährte geldwerte Vergünstigungen, die nominalen Preissteigerungen vermindern?
e. Handelt es sich bei den Preissteigerungen für den Gasbezug um Preissteigerungen, die den gesamten Gasbezug des Versorgers umfassen, oder um Preissteigerungen für den zur Belieferung von Privatkunden bestimmten Teil des Gesamtbezuges?
f. Nach welcher Methode wurde die Billigkeit der Preiserhöhung berechnet? Nach welchen Kriterien wird der Zeitpunkt bestimmt, zu dem eine Kostenänderung auf die Preise umgelegt wird?
g. Welche Maßnahmen wurden getroffen, um die Kosten zu senken? Welche Anstrengungen wurden unternommen, um einen günstigeren Vorlieferanten zu gewinnen?
h. Wurde die Methode zur Feststellung der billigen Preiserhöhung anhand der Zahlen aus der GuV daraufhin überprüft, ob die dadurch tatsächlich erzielten Mehreinnahmen die spezifischen tatsächlichen Kostensteigerungen nicht überschreiten?
Die Auflistung ist unvollständig und muss den individuellen Gegebenheiten angepasst werden. Gibt der Versorger Informationen z. B. mittels eines WP-Testats sind dort beantwortete Fragen nicht mehr zu stellen. Hingegen kann ein WP-Testat weitere Verständnisfragen hervorrufen.