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Autor Thema: Gesamtpreis oder nur Preiserhöhung unbillig?  (Gelesen 5368 mal)

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Offline Schwalmtaler

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Gesamtpreis oder nur Preiserhöhung unbillig?
« am: 22. Februar 2005, 09:42:07 »
Hallo zusammen,

mir stellt sich gerade folgende Frage:

Wenn es nun nach Einspruch gem § 315 zu einer gerichtlichen Preisüberprüfung kommen sollte und sich herausstellt, das selbst der zugebillgte alte Preis überhöht ist, kann dann der Versorger diesen trotzdem einfordern (da wir ja nur der Preiserhöhung widersprochen haben)? Wenn ja, sollte man dann nicht besser den ganzen Preis für unbillig erklären?

Offline RR-E-ft

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Gesamtpreis oder nur Preiserhöhung unbillig?
« Antwort #1 am: 22. Februar 2005, 12:07:38 »
@Schwalmtaler

Es spricht sehr viel dafür, dass die Preise bisher schon zu hoch waren.

Haben Sie die Preise jedoch in einem Sondervertrag individuell vereinbart, scheidet ein Unbilligkeitseinwand nach § 315 BGB aus.


In allen anderen Fällen , insbesondere Allgemeine Tarife, findet nach der Rechtsprechung des BGH § 315 BGB \"entsprechende\" Anwendung.

Leisten Sie entsprechende Zahlungen also nur noch unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle und einer Rückforderung zuviel geleisteter Beträge.

Wenn Sie sich trauen, können Sie auch bereits jetzt unter Berufung auf das Urteil des BGH vom 30.04.2003 entsprechende Rechnungsbeträge kürzen. Sie sollten sich hierzu eine Datenbasis schaffen, vgl. unten.

Bei den genehmigten Stromtarifen können Sie Ihren Versorger auffordern, alle Tarifgenehmigungen der letzten Jahre nachzuweisen und Ihnen alle Tarifgenehmigungsunterlagen einschließlich der Kostenträgerrechnungen zu eröffenen, damit Sie prüfen können, ob diese Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Tarifgegenehmigungsverfahrens, an dem Sie ja nicht beteiligt waren, gebieren.

Nach der Rechtsprechung des BGH hat eine behördliche Tarifgenehmigung allenfalls im Rückforderungsprozess des Kunden nach zunächst vollkommen vorbehaltloser Zahlung Indizwirkung für die Billigkeit der geforderten Entgelte.

Auch dabei müssen die Tarifgenehmigungsunterlagen im oben genannten Umfange eröffnet werden.

Im Gasbereich gibt es schon keine Tarifgenehmigungen, weshalb das vorgegannte erst recht gilt.


Viele Stromversorger verschleiern die Preisentwicklung, indem sowohl der Grundpreis, als auch die Arbeitspreise verändert werden. Vergleichbar macht man dies durch den Effektivpreis/ kWh.

Beispiel.

Abnahmefall 3.000 kWh
Effektivpreis = (Grundpreis + 3000 kWh * Arbeitspreis)/ 3000 kWh.

Auf die Entwicklung des Effektivpreises in verschiedenen Abnahmefällen 2000 kWh, 3000 kWh .... kommt es deshalb an.

Wenn Sie einen entsprechenden Ehrgeiz haben, können Sie auch selbst versuchen, den Gewinnanteil Ihres Versorgers am Strompreis nachzuvollziehen. Es ist gar nicht so kompliziert.

Sie benötigen hierzu nur die Netznutzungsentgelte, die ein anderer Stromhändler an Ihren Versorger als  Netzbetreiber zu zahlen hätte.

Die enetsprechenden Netznutzungs- Tarife sind oft im Internet veröffentlicht.

Da Ihr Versorger einem anderen Stromhändler sein Netz gem. § 6 EnWG  diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen muss, müsste er sich selbst die entsprechenden kalkulatorischen Kosten \"in Rechnung stellen\".

Ihr Stromversorger hätte also folgende Kosten:
Der Einfachheit halber Nettopreise verwenden (=Bruttopreis/ 1,16)

Netznutzung

Grundpreis + Messpreis als fixe Kosten pro Jahr.

Im Messpreis sind oft die Kosten des Zählers, der jährlichen Ablesung und der Rechnungslegung bereits enthalten.

Die Stadtwerke Jena verlangen für einen Haushaltskunden = Lastprofilkunde mit Eintarifzähler ohne 1/4 - h- Leistungsmessung einen Messpreis von 25 EUR netto / Jahr.

Der Betrag erscheint mir schon zu hoch:

Die Zähler stammen zumeist aus osteuropäischer Produktion (\"ISKRA\") und werden über den Konzerneinkauf besonders günstig bezogen. Der Zähler muss geeicht werden und hängt dann bis zu 16 Jahre beim Kunden. Die sich daraus ergebende Zählermiete und die einmal jährliche Ablesung des Zählers und die Rechnungslegung sollen dabei Kosten von 50 DM/ Jahr verursachen ?! Alle kalkulatorische Kosten, denen keine tatsächlichen Kosten gegenüber stehen, generieren einen zusätzlichen Gewinn.

Zu den o. g. Fixkosten treten die variablen Kosten der Netznutzung hinzu:

Arbeitspreis Netznutzung
Konzessionsabgabe
KWKG- Umlage

Hinzu treten die variablen Kosten des Vertriebsbereiches:

Strombeschaffungskosten ( ca. 3,0 Ct/ kWh)
EEG- Umlage
Stromsteuer

So ermitteln Sie Kosten für verschiedene Abnahmefälle (2.000 kWh, 3.000 kWh, 4.0000 kWh...) immer nach dem Schema

Kosten= fixe Ksten+ variable Kosten * Strommenge.

Die Erlöse kennen Sie auch:

Erlöse = Grundpreis netto + Arbeitspreis netto * Strommenge.

Bitte beachten, ob EEG- und KWKG- Umlage sowie Konzessionsabgabe und Stromsteuer auf der Rechnung direkt, also getrennt ausgewiesen werden.

Dann müßten diese natürlich an dieser Stelle in den Arbeitspreis eingerechnet werden oder man läßt sie auch schon oben bei der Berechnung der Kosten weg. Es handelt sich dabei um einen \"durchlaufenden Posten\"

Die Differenz aus Erlöse - Kosten pro Abnahmefall ergeben den Gewinnanteil am Strompreis, die sog. Marge.

Diese darf sich über die Zeit nicht verändert haben.
Jedenfalls darf sie nicht gestiegen sein.
Das wäre ja gerade unbillig.

Sie können auch erkennen, wie sich die Strombeschaffungskosten Ihres Versorgers über die Zeit geändert haben müßten, damit die Margen konstant bleiben.

Ob diese notwendige Entwicklung der Strombeschaffungskosten aufgrund langfristiger Strombezugsverträge plausibel ist, können Sie dann sehen. Nicht orientieren dürfen Sie sich an der Preisentwicklung der EEX.

Sie können auch sehen, ob der Gewinn mit den Netznutzungsentgelten oder dem Vertriebsanteil erwirtschaftet wurde:

Stammen die Gewinne aus den Netznutzungsentgelten (Nettoverkaufspreis - Netzkosten < Strombeschaffungspreis + Marge) deutet dies nach der Differenzmethode darauf hin, dass die Netznutzungsentgelte zu hoch sind, mithin dabei \"Scheinkosten\" zusätzlichen Gewinn generieren.    

Dann hält Sie Ihr Versorger zugleich durch den bewirkten Effekt einer \"Abschottung\" gegen Wettbewerber bei sich und seinen hohen Preisen \"gefangen\".

Auch können Sie die Entwicklung des sog. \"Staatsanteils\" am Strompreis nachvollziehen= KWKG- Umlage+ EEG- Umlage + Konzessionsabgabe + Stromsteuer + Mehrwertsteuer.

Der gestiegene \"Staatsanteil\" am Strompreis muss oft zur Begründung von Preiserhöhungen herhalten.

Tatsächlich ist dieser Anteil in den letzten zwei Jahren nicht gestiegen, sondern eher gesunken.

Für die vergangenen Jahre können Sie übrigends vereinfachend die derzeitigen Netzkosten nehmen, da sich an den Netzen und deren Kosten in den letzten Jahren nichts dramatisch geändert haben kann.

Der hiesige Regionalversorger hatte übrigends 2002 gegenüber dem Bundeskartellamt angegeben, die Strombeschaffungskosten lägen bei 2,48 Ct/ kWh. (Nachzulesen unter www.bundeskartellamt.de -> Entscheidungen -> Archiv -> 2003 -> sonstige Kartellentscheidungen, Fall TEAG).

Ein ähnliches Verfahren gab es wegen der Höhe der Netznutzungsentgelte gegen die Stadtwerke Mainz.

Aus den e´net- Veröffentlichungen www.netznutzungsentgelte.de Newsletter Nr. 24 (1/2005) ist bekannt, dass der Vorlieferant Vattenfall Europe Sales (85 % des Strombezuges der TEAG entsprechend den Angaben unter www.teag.de ) seine Preise zum 01.01.2005 um 6 % erhöht hat. Das klingt halbwegs dramatisch.

Unterstellt, die Strombeschaffungskosten hätten sich seit 2002 nicht geändert (langfristiger Vertrag, Preisänderungen nur bei erheblichen Kostenänderungen), ergibt sich daraus eine Erhöhung der Strombeschaffungskosten zum 01.01.2005 um 2,48 Ct/ kWh * 0,06 = 0,1488 Ct/ kWh.

Man darf versichert sein, dass die Strompreise dieses Versorgers in absoluten Beträgen viel drastischer gestiegen sind. Also müssen wohl auch die Margen gestiegen sein.

Viel Spaß beim Rechnen!

Das entsprechende Excel- Sheet können Sie dann an Ihren Versorger mailen und ggf. um Korrektur bitten, falls Ihnen dabei Fehler unterlaufen sein sollten.

Dort wird man Ihren Eifer gern zur Kenntnis nehmen.
Zugleich wird ein Rechtfertigungsdruck erzeugt.

Wegen der Problematik Unbilligkeit nur der Preiserhöhung lesen Sie die \"Energiedepesche\", Heft März 2005, welche Sie als Mitglied des Bundes der Energieverbraucher erhalten oder gesondert abbonieren können.

Ich kenne Fälle, in denen Kunden ihre Rechnung auf \"0\" gekürzt haben und seit sechs Monaten gar keine Abschläge mehr zahlen, um den Versorger ganz bewußt zur Offenlegung der Kalkulation zu zwingen.

Alle Sperrandrohungen wurden unverzüglich zurückgenommen.
Verklagt wurde bisher keiner, wohl weil man die Kalkulation nicht offen legen will.

Das ist jedoch riskant und dem Normalkunden deshalb nicht unbedingt zu empfehlen. Dafür bedarf es schon sehr großer Erfahrung und vor allem Nervenstärke.

Ein Bericht über die Energiepreise voraussichtlich am Montag, 28.02.2005, um 21.05 Uhr in der ARD  \"Report\" aus Mainz vom SWR- Fernsehen.  


Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Schwalmtaler

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Gesamtpreis oder nur Preiserhöhung unbillig?
« Antwort #2 am: 22. Februar 2005, 17:29:19 »
Danke für die ausführliche Antwort, Herr Fricke!

Habe leider nach diversem gerichtlichen Stress bzgl. meines Hausbaues schon genug durchgemacht und keinen Nerv für die Totalkonfrontation (wäre aber die deutlichste Reaktion). Ich werde zwar nicht ganz die Abschlagszahlungen aussetzen, aber die kommenden Abschläge aufgrund geringeren Verbrauches und nach alten Preisen neu berechnen und diesen dem Versorger unter Vorbehalt überweisen. somit wird er auf jeden fall eine Nachforderung haben, die er dann einklagen müsste.
Ist doch richtig, das ich auf Änderung des Abschlages wegen plausiblem Rückgang der zuerwartenen Abnahmemenge bestehen kann, oder?

Offline RR-E-ft

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Gesamtpreis oder nur Preiserhöhung unbillig?
« Antwort #3 am: 22. Februar 2005, 19:29:49 »
@Schwalmtaler

Ja, vgl. § 25 AVBV.


Freundliche Grüße
aus Jena


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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