Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Lesen: Verhältnis von § 315 BGB zu § 30 AVBV und 19 GWB !  (Gelesen 3690 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Die Abhandlung von Prof. Säcker:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/Aufsatz_Saecker_RdE_2006_65ff.pdf

Lesenswert !

Für uns hier interessant sind insbesondere die Ausführungen auf Seite 67 ff.

Es wird auch dort  die Auffassung vertreten, die Preisänderungsklauseln in den Energielieferungsverträgen seien zumeist schon unwirksam gem. § 307 BGB.


Soweit ausgeführt wird, niemand habe Anspruch auf einen billigeren Preis, denn den wettbewerbsanalogen Preis, mag dies im Grundsatz richtig sein, ist jedoch nicht zielführend:

Der wettbewerbsanaloge Preis ist ein Grenzkostenpreis des effizienten Leistungserbringers.

Diesen kann mithin allenfalls bestimmen, wer die entsprechenden Grenzkosten kennt.

Im Ergebnis führt auch dies dazu, dass zur Feststellung des "billigen" Preises gem. § 315 BGB die Offenlegung der Preiskalkulation erforderlich ist, wobei es nicht auf ineffiziente Kostenansätze ankommen kann.

Deshalb käme es nicht auf die Kostensituation des konkreten Versorgers, sondern eines imaginären effizienten Leistungserbringers an.

Dies könnte zur Folge haben, dass ein Versorger mit den Preisen nicht einmal seine tatsächlich anfallenden, aber wegen Unwirtschaftlichkeit nicht berücksichtigungsfähigen Kosten abdecken darf, so dass ihm auch kein angemessener Gewinn mehr verbleibt (so schon KG Berlin, RdE 1997, 239 - Spreegas).

Grundsätzlich sind Ziel und Grenzen beider Kontrollen unterscheidlich und nicht deckungsgleich. Ein unbilliger Preis muss nicht in jedem Falle kartellrechtswidrig sein. Umgekehrt ist jedoch jeder kartellrechtswidrige Preis evident unbillig.

Unzutreffend sind auch die Ausführungen zum "Preissockel". Verkannt wird dabei der in die Vergangenheit gerichtete Rückforderungsanspruch gem. § 812 BGB. Niemand ist gezwungen, einen solchen Rückforderungsanspruch immer weiter anwachsen zu lassen.

Durch den bestehenden Rückforderungsanspruch auch hinsichtlich vollkommen vorbehaltlos geleisteter Zahlungen (BGH NJW 2003, 1449) ergibt sich zugleich, dass es gar keinen nicht mehr überprüfbaren "Preissockel" geben kann (vgl. auch Fricke, WuM 2005, 547 und Ambrosius).


Zutreffend sind insbesondere die Ausführungen auf Seite 75, re. Sp., wonach für die Prüfung der Billigkeit erhöhter Preise nicht allein auf gestiegene Beschaffungskosten abgestellt werden darf.


Wer sich durch den Aufsatz durchgearbeitet hat, liest hier gleich weiter die Anmerkung von Prof. Markert:

http://www.pontepress.de/pdf/200602U2.pdf

Dabei halte ich angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 315 III BGB lediglich die in Fußnote 25 geäußerte Ansicht für nicht vertretbar:

Im Falle der Unbilligkeit wird nämlich von Anfang an nur ein vom Gericht fetzusetzender Preis geschuldet, der insgesamt erst mit der Rechtskraft des entsprechenden Gestaltungsurteils fällig wird. Daraus folgt, dass bis dahin (Rechtskraft des Gestaltungsurteils) gar nichts fällig ist.

Dies sehen die Kollegen von Clifford Chance ebenso:

http://www.competence-site.de/energie.nsf/3CFBC8F794D6718AC12571540032DC3D/$File/0602unbilligkeit%20von%20gaspreisen.pdf

Zitat

"Selbst im Falle von oft jahrelangen Rechtsstreitigkeiten über die Billigkeit kann sich der Versorger nicht auf eine Art "vorläufige" Fälligkeit des billigen Anteils an seiner Forderung berufen."


So ist es.


Soweit zu den Hausaufgaben. :wink:

Wer sich dieser Mühen unterzogen hat, dem möge der daraus folgende Erkenntnisgewinn nutzen.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Lesen: Verhältnis von § 315 BGB zu § 30 AVBV und 19 GWB !
« Antwort #1 am: 23. November 2006, 21:19:21 »
Nicht jede unbillige Bestimmung ist indes auch ein Kartellrechtsverstoß und somit nicht nur unverbindlich gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB, sondern sogar auch insgesamt für alle Zeit nichtig und unwirksam gem. § 134 BGB (vgl. Fricke, WuM 2005, 547, 549, m.w.N.).

Eine unbillige Bestimmung lässt sich ggf. noch gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ersetzen, was bei einer gem. § 134 BGB nichtigen Bestimmung gerade überhaupt nicht mehr möglich ist.


Siehe auch hier OLG Düsseldorf:

http://www.bslaw.de/OLG_DusseldorfUKart20-02.pdf

Bei § 1, 19, 20 GWB iVm. § 134 BGB entfällt also der vertragliche Zahlungsanspruch infolge der Nichtigkeit vollends für alle Zeit, so dass allenfalls noch bereicherungsrechtliche Ansprüche bestehen können.

Bei der Unbilligkeit gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB besteht derzeit kein fälliger vertraglicher Zahlungsanspruch, ein solcher kann allenfalls   durch ersetzende Bestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB später erst noch entstehen:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_050705_XZR60-04.pdf (BGH NJW 2005, 2919)

Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch scheidet im Falle der Unverbindlichkeit gem. § 315 Abs. 3 Sat 1 BGB deshalb aus.

Eine vertragliche Zahlungspflicht besteht gem. §§ 1,19, 20 GWB iVm 134 BGB in Folge Nichtigkeit endgültig oder gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB infolge Unverbindlichkeit derzeit nicht.  


Der Milchgeldkürzungsfall des BGH BGHZ 41, 271, [278/279] beinhaltet gerade zu diesem Nebeneinander Ausführungen, die gern verkürzt wiedergegeben werden:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_640402_KZR10-62.pdf



Vgl. hiernach vollkommen eindeutig:


http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_911002_VIIIZR240-90.pdf (BGH NJW-RR 1992, 183, 186) unter III 2 d)

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_030205_VIIIZR111-02.pdf (BGH NJW 2003, 1449, 1450) unter II 2)

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_030430_VIIIZR278-02.pdf (BGH NJW 2003, 3131) GWB kein Thema

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_051018_KZR36-04.pdf (BGH NJW 2006, 684)

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_060207_KZR8-05.pdf (BGH NJW-RR 2006, 915)


Insoweit wirkt auch Säcker womöglich etwas unaufgeräumt:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/Aufsatz_Saecker_RdE_2006_65ff.pdf


Was macht man dann aber mit einem Leistungsbestimmungsberechtigten gem. § 315 BGB, der gar keine Monopolstellung inne hat?

Solche gibt es zweifellos. Es ist nicht so, dass es bei diesen denknotwendig keine unbilligen Bestimmungen geben könnte:

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_060215_VIIIZR138-05.pdf (BGH NJW 2006, 1667, 1670 Tz. 28 ff.)


Eine unbillige Bestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB, die zugleich auch einen Kartellrechtsverstoß darstellt und nach § 134 BGB nichtig ist, wird man konsequenterweise überhaupt nicht mehr nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ersetzen dürfen.

Nun wird aber niemand behaupten können, dass hierdurch § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB insoweit vollends seiner Bedeutung beraubt wäre.

Es muss eben doch Fälle der Unverbindlichkeit gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB geben, wo die Schwelle des § 134 BGB noch nicht überschritten ist und deshalb überhaupt noch eine ersetzende Bestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB  in Betracht kommt.

Man könnte gar die Frage stellen, ob derjenige, der wusste, dass der Vertrag infolge seiner eigenen kartellrechtswidrigen Bestimmung nichtig ist, nicht ebenso Kenntnis davon hatte, dass ihn deshalb keine vertragliche Leistungspflicht trifft und deshalb gem.  § 814 Alt. 1 BGB auch mit einem bereicherungsrechtlichen Anspruch ausgeschlossen ist.

Das wäre eine interessante Frage etwa für alle gem. §§ 1 GWB, 134 BGB  nichtigen Vorlieferantenverträge.

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz