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Autor Thema: Billigkeitsprüfung des Anfangspreises bei SONDERTARIF-Kunden  (Gelesen 3337 mal)

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Offline ESG-Rebell

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Zitat
Herr Fricke schrieb verschiedentlich:
Anders ist es bei Sonderverträgen, also außerhalb der Grundversorgung:

Preisanpassungen oder -änderungen setzen zunächst überhaupt eine Einigung auf einen Anfangspreis voraus, der später ggf. abgeändert werden kann.

Wenn sich in einem Sondervertrag nun einmal kein wirksam vereinbartes, einseitiges Preisänderungsrecht finden lässt, dann verbleibt es eben beim Anfangspreis. Jedenfalls kann der Preis nicht einseitig abgeändert werden.

Hinsichtlich einseitiger Preiserhöhungen gibt es keine Unterschiede, aber der "Sockelbetrag" wird irgendwann einmal Teil einer Einigung gewesen sein, so dass dieser nicht einseitig bestimmt war und ungeprüft bleibt.

Dieser Preis lässt sich dann grundsätzlich nicht als unbillig rügen, es sei denn in analoger Anwendung des § 315 BGB, weil der Anbieter eine Monopolstellung hat und den Anfangspreis faktisch einseitig bestimmt hat, auch wenn formal eine Einigung vorliegt.

Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2006, 684 ff) sind bei Allgemeinen Tarifen die Anfangspreise nicht weniger einseitig bestimmt als die Folgepreise.

Nur bei Sonderverträgen Strom ist der Anfangspreis nicht kontrollierbar.

Bei Sonderverträgen Gas unterfällt der gesamte Preis der Billigkeitskontrolle (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.06.2006).

Man kann also die Preise von Anfang an als unbillig rügen.

Ich stehe weiter auf dem Standpunkt, dass in jedem Falle bereits der Anfangspreis einseitig bestimmt wurde und auch dieser vom GVU bestimmte Preis sich jederzeit anhand §§ 1, 2 EnWG messen lassen muss.


@Fricke
Diese Darstellungen erscheinen mir teilweise widersprüchlich (Ja - ich habe Zitate aus verschiedenen Äußerungen zusammengestellt).

Ich bin ein Sondertarifkunde, bei dem die ESG schreibt "Die AVBGasV sind Bestandteil dieses Vertrags. Diese können Sie telefonisch anfordern oder auf unserer Webseite runterladen". Der Vertrag oder die AGB der ESG enthalten ansonsten keinerlei Preisanpassungs- oder -gleitklauseln.
Nach dem derzeitigen Stand der Diskussion dürfte der ESG die Grundlage zu einseitigen Preisfestsetzungen fehlen. Sofern sie diese dennoch vornimmt (wie mehrfach geschehen), ist §315 anwendbar.

Mir ist aber noch nicht klar, ob und in welchem Umfang der Anfangspreis gelten soll und warum er niemals überprüfbar sein soll. Mehrere Gründe sprechen dagegen:

Der Anfangspreis ist der Sondertarif zum jeweiligen Vertragsbeginn. Dieser gilt fortdauernd wenn das GVU seine Preise nicht ändert, also auch für die Folgejahre.
Aber die Kalkulationsgrundlagen des GVU ändern sich fortlaufend; nachweislich beispielsweise durch die Angaben in den Geschäftsberichten der EnBW AG. So kann es sein, dass das GVU nach dem Kostendeckungsprinzip eigentlich seine Preise hätte senken müssen, u.U. sogar unter das Niveau des Anfangspreises, dies aber unterlassen hat (Mitnahmeeffekte).
Ein durch ein Gericht festgesetzter angemessener Preis kann also leicht unterhalb des Anfangspreises liegen, insbesondere für Neukunden aus den Jahren 2004 und 2005.

Heutige Sondertarif-Neukunden würden auf den heute hohen Tarif festgezurrt werden, auch wenn die Ölpreise wieder stark fallen sollten und die GVU sich flucks von der Ölpreisbindungsklausel lösen oder aus anderen Gründen keine Preissenkungen vornehmen.

Ich sehe eine Analogie zu Jahresverträgen bei Versicherungen. Der anfängliche Preis gilt dort erstmal für ein Jahr. Erhöht der Anbieter seinen Preis oder bietet ein Mitbewerber zum neuen Vertragsjahr einen günstigeren Preis an, dann kann ich ordentlich kündigen und wechseln. Andernfalls verlängert sich mein Vertrag stillschweigend um ein Jahr.

Kündigen und auf Gaslieferungen der ESG verzichten kann ich natürlich nicht, weil ich dann meine Heizung teuer umrüsten müsste. Als Ausgleich für diesen Nachteil sehe ich nur die Möglichkeit, den Anfangspreis jedenfalls für die auf das erste Jahr (2003) folgenden Abrechnungsperioden auch in der ursprünglich vereinbarten Höhe auf Billigkeit überprüfen zu lassen.

Ich würde sogar soweit gehen, von der ESG jährlich, insbesondere auch bei ausbleibenden Preisanpassungen, einen Nachweis zu verlangen, dass der von ihnen verlangte Preis noch immer angemessen ist. Das halte ich keinesfalls für überzogen, denn wenn die ESG einmal einen Preis als angemessen nachgewiesen hat, dann reicht für die kommenden Jahre ein einfacher Nachweis, dass die Kalkulationsgrundlagen sich nicht zugunsten der ESG verändert haben.

Vor diesem Hintergrund habe ich auch das Problem festzustellen, in welcher Höhe ein angemessener Preis überhaupt liegen kann und wie hoch die mindestens zu zahlenden Abschläge sein müssen.

Offline RR-E-ft

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Billigkeitsprüfung des Anfangspreises bei SONDERTARIF-Kunden
« Antwort #1 am: 04. Oktober 2006, 11:04:40 »
@ESG- Rebell

Wenn man den Vertrag vor 09/04 abgeschlossen hatte, sollte man in jedem Falle mit der Empfehlung, nur die Preise 08/04 weiter unter Vorbehalt zu zahlen, richtig liegen.

Umstritten kann dann nur sein, wie es sich bei Sondervertragskunden verhält, die den Vertrag erst nach 09/04 abgeschlossen haben.

Gibt es keinen weiteren Anbieter und wurde der Preis auch nicht zum Gegenstand von individuellen Preisverhandlungen gemacht, die zu einer Einigung führten, wird auch dabei selbst im Falle einer Einigung der Anfangspreis faktisch einseitig bestimmt sein, wofür man dann jedoch wohl § 315 BGB nicht direkt, sondern analog heranzuziehen hätte.

Soweit es um einseitige Preisänderungen nach Vertragsabschluss geht, so findet auf solche, wenn sie gem. § 307 BGB überhaupt zulässig sind, § 315 BGB direkt Anwendung.

Aus der AVBGasV selbst ergibt sich kein Recht zu einseitigen Preisänderungen in einem Sondervertrag gem. § 41 EnWG.

Die AVBGasV gilt ausschließlich für die Grundversorgung (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AVBGasV). Dort sind nur die Allgemeinen Tarife der Grundversorgung geregelt.

Leider gibt es dazu ersichtlich noch keine Überlegungen von anderen Kollegen etwa in der Literatur. Die BGW- Kollegen wollten sich ja bisher um § 315 BGB vollständig  drücken.

In Energiedepesche Sonderheft hatte ich es ebenso ausgeführt.

Was die Verpflichtung zu nachträglichen Preissenkungen betrifft, so könnte sich eine solche ggf. aus dem kartellrechtlichen Diskrimnierungsverbot ergeben, ohne dass ich diese Frage hier vertiefen wollte.

Die Welt ist voller Juristen, die ihr Hirnschmalz darauf verwenden könnten.

Siehe auch hier:

BGW- Energierechtsexperten: Schnell zurück zum § 315 BGB!



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Offline RR-E-ft

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Billigkeitsprüfung des Anfangspreises bei SONDERTARIF-Kunden
« Antwort #2 am: 05. Oktober 2006, 20:25:33 »
@ESG-Rebell


Nachtrag:

Unterliegt der Lieferant einem gesetzlichen Kontrahierungszwang (Versorgungspflicht) oder hat er eine Monopolstellung inne und unterfällt er deshalb einem Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot, so wird auch der Anfangspreis schon einseitig bestimmt und deshalb über § 315 BGB kontrollierbar sein.

Unterliegt der Lieferant keinem solchen Kontrahierungszwang, so wird man sich auf den Anfangspreis geeinigt haben und nur die nachträglichen einseitigen Preisänderungen zu Lasten des Kunden lassen sich dann noch auf ihre Billigkeit überprüfen.


Das gilt bei Strom und Gas gleichermaßen.

Es kommt also darauf an, ob ein Kontrahierungszwang und/ oder eine Monopolstellung im Leistungsbereich besteht.


Das ist eine griffige Formel, die sich wohl überall anwenden lässt, auch außerhalb der Energieversorgung.

Sie findet in der Rechtsprechung des BGH seit langen Jahren dauernd ihre Bestätigung.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline uwes

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Billigkeitsprüfung des Anfangspreises bei SONDERTARIF-Kunden
« Antwort #3 am: 05. Oktober 2006, 22:20:57 »
Zitat von: \"RR-E-ft\"
Unterliegt der Lieferant einem gesetzlichen Kontrahierungszwang (Versorgungspflicht) oder hat er eine Monopolstellung inne und unterfällt er deshalb einem Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot...


Eine Monopolstellung ist für die Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbotes des § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB nicht erforderlich. Es reicht eine "marktbeherrschende" Stellung. Das kann schon bei einem Marktanteil von 1/3 der Fall sein. (§ 19 Abs. 3 GWB)
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Billigkeitsprüfung des Anfangspreises bei SONDERTARIF-Kunden
« Antwort #4 am: 06. Oktober 2006, 10:16:16 »
@uwes

Ich war auf der Suche nach einer griffigen Formel und denke, diese gefunden zu haben.


Die BGH- Rechtsprechung stellt, soweit ich diese meine, auf eine Monopolstellung ab.

Richtig ist, dass eine marktbeherrschende Stellung, die ein kartellrechtliches Diskrimnierungsverbot begründet, weit unterhalb eines 50 %igen Marktanteils auf dem relevanten Markt beginnt.

Das kartellrechtliche Diskrimnierungsverbot allein untersagt nur sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen, lässt aber Differenzierungen zu, so dass sich keine Verpflichtung zur Gleichpreisigkeit daraus ergibt.

Sonst dürften auch mit Großkunden wohl schon keine Preisverhandlungen geführt werden, weil die Preise bei gleicher Abnahmemenge und gleichem Lastverlauf zwingend gleich sein müssten.

Aus dem kartellrechtlichen Diskriminierungsverbot ergibt sich also nur eine Bandbreite....

Anders verhält es sich bei einem gesetzlich  angeordneten Kontrahierungszwang und dem dem energierechtlichen Diskriminierungsverbot, die zwingend "Tarife" im Sinne von BGH NJW 2006, 684 und BGH NJW-RR 2006, 915 gebieten.

Bei einer Monopolstellung im Leistungsbereich- zumal im Bereich der Daseinsvorsorge- geparrt mit der Verpflichtung aus §§ 1, 2 Abs. 1 EnWG wird sich nichts anderes ergeben, als dass die Anfangspreise nach Art eines Tarifs  nur einseitig bestimmt sein können.


Freundliche kollegiale Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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