Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: LG Potsdam , Urt. v. 22.12.10 Az. 7 S 67/10 Bestpreisabrechnung als Sondervertrag  (Gelesen 5965 mal)

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hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam

auf die mündliche Verhandlung vom 10.11.2010

durch

die Vizepräsidentin des Landgerichts Kosyra,

die Richterin am Landgericht Flinder

und die Richterin am Landgericht Reiter

 

für R e c h t erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Luckenwalde vom

20.05.2010, Az.: 12 C 807/09, wird zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 854,13 € festgesetzt.

 

Gründe:

 

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem

angefochtenen Urteil Bezug genommen.

 

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Amtsgericht davon

ausgegangen, dass die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen gegenüber dem

Beklagten unwirksam sind. Die Preisanpassungsklausel des § 4 Abs. 2 AVBGasV (ab

08.11.2006: § 5 GasGW) findet auf das vorliegende Vertragsverhältnis keine Anwendung,

da der Beklagte kein Tarifkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 AVBGasV ist. Das vorliegende

Versorgungsverhältnis ist entgegen der Annahme der Klägerin insbesondere nicht dadurch

zustande gekommen, dass der Beklagte dem Leitungsnetz der Klägerin Gas entnommen und

damit deren Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte angenommen hat. Dies

mag zwar ursprünglich der Fall gewesen sein. Dieses konkludente VertragsVerhältnis bestand

jedoch nur bis zum 10.07.2003. Der Beklagte hatte sich nämlich mit dem Schreiben Anlage

K2 (Bl. 15 d. A.) bei der Klägerin als Erdgaskunde angemeldet und sich dabei ausweislich des

Schreibens der Klägerin vom 10.07.2003 für das Gasprodukt „Erdgas Bestabrechnung\"

entschieden. Damit hat er der Klägerin ein Angebot zum Abschluss eines

Versorgungsvertrages für dieses Gasprodukt gemacht. Dieses Angebot hat die Klägerin mit

Schreiben vom 10.07.2003 angenommen. Das bis dahin bestehende konkludente

 

Vertragsverhältnis ist durch diesen ausdrücklichen Vertragsschluss mit eigenständigem Inhalt

beendet worden. Wollte man dem nicht folgen, wäre ein etwaiger Tarifkundenvertrag

jedenfalls durch das Schreiben der Klägerin vom 10.07.2003 und dessen stillschweigender

Annahme durch den Beklagten im Wege der jahrelangen unwidersprochenen Praktizierung in

ein Sonderkundenverhältnis umgewandelt worden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom

24.06.2009, Az.: 2 U 14/08 (Kart), zitiert nach juris).

Bei dem Vertrag der Parteien über das Gasprodukt „Erdgas Bestabrechnung\" handelt es sich

um einen Sondervertrag und nicht um einen der damals noch geltenden AVBGasV

unterfallenden Tarifkundenvertrag. Für die Beurteilung, ob es sich um einen Tarif- oder einen

Sondervertrag handelt, kommt es daraufan, ob der Energieversorger die Versorgung aus der

Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen seiner Versorgungspflicht nach § 36

Abs. 1 EnWG 2005 oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit

anbietet (BGH, Urteil vom 15.07.2009,Az.: VIIIZR 225/07, zitiert nach juris).

Die Grundversorgung beschränkt sich nach Einführung des Wettbewerbs in der

leitungsgebundenen Energieversorgung mehr und mehr aufeine Interimsversorgung (Hempel,

in: Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Kommentar zum Deutschen

und Europäischen Energierecht, Bd. 1, Stand April 2006, Rn. 7 zu § 36 EnWG). Hat der

Haushaltskunde beim Einzug in seine Wohnung oder seine beruflich oder gewerblich

genutzten Räume noch keinen Vertrag mit einem anderen Lieferanten abgeschlossen, kann er

sich auf die Grundversorgung berufen und die Belieferung von dem Unternehmen der

Grundversorgung beanspruchen, ohne für längere Zeit an das Vertragsverhältnis mit dem

Grundversorger gebunden zu sein (Hempel, a.a.O.). Er hätte die Möglichkeit, nach kurzer Zeit

vom Grundversorger zu einem anderen Lieferanten zu wechseln und einen

Energieliefervertrag außerhalb der Grundversorgung nach § 41 EnWG abzuschließen

(Hempel, a.a.O). Entsprechendes gilt für den Einzug in eine Wohnung oder in gewerblich

oder beruflich genutzte Räume ohne Anmeldung und ausdrücklichen Abschluss eines

Versorgungsvertrags mit dem Grundversorger (Hempel, a.a.O.). In diesem Fall kommt

regelmäßig ein Vertragsverhältnis mit dem Grundversorger durch schlüssiges Verhalten

zustande, dass ebenfalls kurzfristig beendet werden kann, obwohl der Grundversorger

gehalten ist, die Leitung bereitzustellen und jeden Haushaltskunden zu beliefern, sobald ein

entsprechender Bedarf entsteht (Hempel, a.a.O.) Die Grundversorgung wird in einem

wettbewerbsorientierten Markt immer mehr zueiner kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten

7 S 67/10 -4-

Ersatzversorgung (Hempel, a.a.O.) Sie beschränkt sich auf eine Sicherungsfunktion in den

Fällen, in denen der Haushaltskunde keine Möglichkeit des Lieferantenwechsels hat, etwa

weil es sich um einen Kleinverbraucher mit schlechten oder unwirtschaftlichen

Abnahmeverhältnissen oder mit hohen Ausfallsrisiken handelt (Hempel, a.a.O.) Diese

Kunden können sich auf die Pflicht zur Grundversorgung berufen, solange die Versorgung für

das Unternehmen nicht wirtschaftlich unzumutbar ist (Hempel, a. a. O.).

Von diesen Maßstäben ausgehend handelt es sich vorliegend um einen Sondervertrag. Die

Versorgung des Beklagten mit Gas hat weder eine Sicherungsfunktion in dem Sinne, dass

dass der Beklagte nicht valide wäre und ohne einen Kontrahierungszwang ohne

Gasversorgung dastünde. Es handelt sich auch nicht um eine Interimsversorgung, weil sich

der Beklagte ausdrücklich angemeldet hat und das Versorgungsverhältnis auf unbestimmte

Dauer angelegt ist. Der Beklagte hat sich - als Ausdruck der allgemeinen Vertragsfreiheit

auch auf dem Gasmarkt - für ein bestimmtes Produkt der Klägerin entschieden. Schließlich

sprechen auchdievomBeklagten bezogenen Gasmengen gegen eine bloße Grundversorgung.

Der Beklagte hat sich mit einem Jahresverbrauch von 16.500 kWh angemeldet. Wie das

Tarifsystem der Klägerin zeigt, liegt er damit bereits in einem Abnahmebereich an der Grenze

zum Sonderpreis Sl (Beginn bei 17.043 kWh). Der tatsächliche Verbrauch des Beklagten in

den streitgegenständlichen Jahren lag sogar weit im Bereich des Sonderpreises Sl. Von einer

bloßen Grundversorgung kann nach alledem keineRede sein.

Soweit sich die Klägerin aufdie Urteile des Landgerichts Augsburg vom 27.01.2009 und des

Landgerichts Wiesbaden vom 22.01.2009 bezieht, rechtfertigt dies keine andere

Entscheidung. Zwar hat das LG Augsburg entschieden, dass allein die Tatsache einer

Bestpreisabrechnung durch das Gasversorgungsunternehmen und die Bezeichnung eines

Preises als Sonderpreis noch nicht zur Annahme eines Sondervertrages führt (Urteil vom

27.01.2009, Az.: 2HKO 1154/08, zitiert nach juris). Das LG Wiesbaden hat entschieden, dass

eine Unterscheidung zwischen einem Tarifkunden im Sinne von § 1 Abs. 2 AVBGasV zu

einem Sondervertragskunden insbesondere dadurch bestimmt werde, dass der Tarifkunde

ohne weitere Verhandlungen, Anträge und Zugeständnisse als Gaskunde aufgrund objektiver

Bedingungen hinsichtlich der Gasabnahme einem bestimmten Tarif zugeordnet werde (Urteil

vom 22.01.2009, Az.: 13 O159/07, zitiert nach juris). Diese beiden Urteile stehen jedoch der

Entscheidung des BGH vom 15.07.2009 entgegen, wonach es auf diese Beurteilungskriterien

nicht ankommt, sondern allein darauf, ob der Energieversorger die Versorgung aus der Sicht

7 S 67/10 - 5 -

eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen seiner Versorgungspflicht nach § 36 Abs. 1

EnWG oder im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet. Die Entscheidung des

BGH erging zeitlich nach den Entscheidungen der Landgerichte Augsburg und Wiesbaden.

Nach alledem finden die AVBGasV und die ihr nachfolgende GasGW auf das

Vertragsverhältnis der Parteien keine unmittelbare Anwendung.

Die AVBGasV ist auch nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Vertrages

geworden. Gemäß § 305 Abs. 2 BGB werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann

Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender die andere Partei bei Vertragsschluss

ausdrücklich auf die AGB hinweist und der anderen Vertragspartei die Möglichkeit

verschafft, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Diese

Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insoweit nimmt die Kammer auf die zutreffenden

Ausführungen in dem angegriffenen Urteil Bezug, denen sie sich anschließt. Die von der

Klägerin nunmehr in Bezug genommene Entscheidung des Landgerichts Aurich vom

18.12.2009, Az.: 6 O 435/09, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der vom Landgericht

Aurich vertretenen Auffassung, für die wirksame Einbeziehung einer Ministerialverordnung

in einen Vertrag genüge der sprachlich ordnungsgemäße Verweis aufdas Gesetz oder diese

untergesetzliche Norm, vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Diese Auffassung steht

nicht in Übereinstimmung mit dem eindeutigen Wortlaut des § 305 Abs. 2 BGB, wonach es

neben des ausdrücklichen Hinweises auf dieAGB eben auchder zusätzlichen Möglichkeit der

Kenntnisverschaffung bedarf. Dabei ist es anerkannt, dass bei Weiterverweisungen auf

Klauselwerke die Obliegenheiten des § 305 Abs. 2 Ziff. 2 BGB auch hinsichtlich dieser

Klauselwerke erfüllt sein müssen (Palandt/Grüneberg, Kommentar zum BGB, 68. Auflage,

Rz. 36 zu § 305 m.w.N.). Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist danach

grundsätzlich gehalten, seinem Vertragspartner die Kenntnisnahme von allen Bedingungen zu

ermöglichen, die er dem Vertrag zu Grunde legen will (BGH NJW 2005, 1183ff). Ein bloßer

Verweis auf weitere, in dem verfügbaren Text nicht mit abgedruckte Bestimmungen reicht

nur dann aus, wenn der Verwender mit Sicherheit erwarten darf, dass der Vertragspartner die

in Rede stehenden Geschäftsbedingungen/Klauselwerke bereits kennt, etwa weil sie sich in

seinem Geschäftszweig als Vertragsmuster durchgesetzt haben und niemand in der Branche

ohne Kenntnis dieser Bedingungen tätig sein kann (BGH, a.a.O.). Davon kann im Falle der

AVBGasV jedoch keine Rede sein. Soweit das Landgericht Aurich demgegenüber meint,

seine Auffassung zur Einbeziehung von Rechtsverordnungen sei in der Rechtsprechung

7 S 67/10 - 6 -

anerkannt, lässt es entsprechende Nachweise vermissen. Es verweist lediglich auf eine

Entscheidung des OLG Hamm vom 22.08.1997 (abgedruckt in NJW-RR 1998, 1090 f.).

Dieser Entscheidung lässt sich jedoch keineswegs entnehmen, dass Rechtsverordnungen

generell durch bloßen Verweis als Allgemeine Geschäftsbedingungen in einen Vertrag

einbezogen werden können. Das OLG Hamm hat sich lediglich mit der Einbeziehung einer

einzelnen Klausel und nicht mit der Einbeziehung einer kompletten Rechtsverordnung

befasst. Es hat entschieden, dass Anlage 3 zu § 27 der II. BV durch bloße Bezugnahme in

Formularverträge wirksam einbezogen werden kann, weil die Begriffe Betriebskosten und

Nebenkosten inzwischen zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören und weil davon

auszugehen sei, dass der durchschnittliche Mieter eine Vorstellung über die wesentlichen

umlegbaren Nebenkosten besitzt. Die Verweisung auf Anlage 3 zu § 27 der II. BV beziehe

sich auch nur auf den Katalog der umzulegenden Betriebskosten und nicht etwa auf eine

Rechtsregel, deren Inhalt der Klausel selbst nicht zu entnehmen sei und von denen der

juristische Laie keine Vorstellung habe. Vorliegend soll jedoch nicht lediglich eine einzelne

Norm in den Vertrag einbezogen werden; vielmehr soll die komplette AVBGasV durch

bloßen Verweis maßgeblicher Vertragsinhalt sein, von deren Inhalt derjuristische Laie keine

Vorstellung hat. Insoweit gibt die Entscheidung des OLG Hamm für den vorliegenden

Sachverhalt nichts her.

Die von der Klägerin begehrte Preiserhöhung kann schließlich auch nicht aufeine ergänzende

Vertragsauslegung gestützt werden. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur dann in

Betracht, wenn sich die mitdem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht

durch dispositives Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, dass den

beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das

Vertragsgefüge völlig einseitig zu Gunsten des Kunden verschiebt (BGH, Urteil vom

14.07.2010, Az: VIII ZR 246/08, zitiert nach juris). Es kann dahinstehen, ob der Vertrag der

Parteien überhaupt eine Regelungslücke enthält oder ob er - wie vom Amtsgericht

angenommen - bereits deshalb nicht lückenhaft ist, weil er jederzeit kündbar ist. Jedenfalls

liegt bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin kein auffälliges Missverhältnis von

Leistung und Gegenleistung vor. Die Klägerin macht offene Forderungen für den

Lieferzeitraum vom 10.11.2005 bis zum 31.12.2007 geltend. In diesem Zeitraum will sie den

Beklagten mit Gas im Wert von insgesamt 4.350,19 € beliefert haben, wobei noch eine

Forderung in Höhe von 854,13 € offen ist. Dies entspricht gerade einmal 19,64 %der

Gesamtforderung. Bei dieser Sachlage kann von einem auffälligen Missverhältnis von

7 S 67/10 -7-

Leistung und Gegenleistung, welches zu einer völlig einseitigen Verschiebung des

Vertragsverhältnisses zu Gunsten des Beklagten führt, noch keine Rede sein. Von einem

auffälligem Missverhältnis ist regelmäßig erst dann die Rede, wenn der Wert der Leistung den

Wert der Gegenleistung um 100%übersteigt (Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rz. 34a zu § 138].

Nach alledem war die Berufung der Klägerin als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713

ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht

vorliegen. Der BGH hat die Frage, nach welchen Kriterien die Abgrenzung eines

Normkundenvertrages von einem Sonderkundenvertrag vorzunehmen ist, bereits entschieden

(Urteil vom 15.07.2009), so dass es der Zulassung der Revision nicht bedarf. Bezüglich der

ergänzenden Vertragsauslegung waren tatsächliche Fragen cntschcidungserheblich, weshalb

auch diesbezüglich die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Das Gleiche

gilt für die Frage der Einbeziehung der AGB gemäß § 305 Abs. 2 BGB. Angesichts der

gefestigten Rechtsprechung zu § 305 Abs. 2 BGB erfordert das Urteil des Landgerichts

Aurich nicht die Zulassung der Revision.

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Wichtig wäre, dass die genannten Entscheidungen bald auch in der Entscheidungssammlung des Vereins zu finden sind.

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