hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam
auf die mündliche Verhandlung vom 10.11.2010
durch
die Vizepräsidentin des Landgerichts Kosyra,
die Richterin am Landgericht Flinder
und die Richterin am Landgericht Reiter
für R e c h t erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Luckenwalde vom
20.05.2010, Az.: 12 C 807/09, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 854,13 € festgesetzt.
Gründe:
Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem
angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Amtsgericht davon
ausgegangen, dass die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen gegenüber dem
Beklagten unwirksam sind. Die Preisanpassungsklausel des § 4 Abs. 2 AVBGasV (ab
08.11.2006: § 5 GasGW) findet auf das vorliegende Vertragsverhältnis keine Anwendung,
da der Beklagte kein Tarifkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 AVBGasV ist. Das vorliegende
Versorgungsverhältnis ist entgegen der Annahme der Klägerin insbesondere nicht dadurch
zustande gekommen, dass der Beklagte dem Leitungsnetz der Klägerin Gas entnommen und
damit deren Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte angenommen hat. Dies
mag zwar ursprünglich der Fall gewesen sein. Dieses konkludente VertragsVerhältnis bestand
jedoch nur bis zum 10.07.2003. Der Beklagte hatte sich nämlich mit dem Schreiben Anlage
K2 (Bl. 15 d. A.) bei der Klägerin als Erdgaskunde angemeldet und sich dabei ausweislich des
Schreibens der Klägerin vom 10.07.2003 für das Gasprodukt „Erdgas Bestabrechnung\"
entschieden. Damit hat er der Klägerin ein Angebot zum Abschluss eines
Versorgungsvertrages für dieses Gasprodukt gemacht. Dieses Angebot hat die Klägerin mit
Schreiben vom 10.07.2003 angenommen. Das bis dahin bestehende konkludente
Vertragsverhältnis ist durch diesen ausdrücklichen Vertragsschluss mit eigenständigem Inhalt
beendet worden. Wollte man dem nicht folgen, wäre ein etwaiger Tarifkundenvertrag
jedenfalls durch das Schreiben der Klägerin vom 10.07.2003 und dessen stillschweigender
Annahme durch den Beklagten im Wege der jahrelangen unwidersprochenen Praktizierung in
ein Sonderkundenverhältnis umgewandelt worden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom
24.06.2009, Az.: 2 U 14/08 (Kart), zitiert nach juris).
Bei dem Vertrag der Parteien über das Gasprodukt „Erdgas Bestabrechnung\" handelt es sich
um einen Sondervertrag und nicht um einen der damals noch geltenden AVBGasV
unterfallenden Tarifkundenvertrag. Für die Beurteilung, ob es sich um einen Tarif- oder einen
Sondervertrag handelt, kommt es daraufan, ob der Energieversorger die Versorgung aus der
Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen seiner Versorgungspflicht nach § 36
Abs. 1 EnWG 2005 oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit
anbietet (BGH, Urteil vom 15.07.2009,Az.: VIIIZR 225/07, zitiert nach juris).
Die Grundversorgung beschränkt sich nach Einführung des Wettbewerbs in der
leitungsgebundenen Energieversorgung mehr und mehr aufeine Interimsversorgung (Hempel,
in: Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Kommentar zum Deutschen
und Europäischen Energierecht, Bd. 1, Stand April 2006, Rn. 7 zu § 36 EnWG). Hat der
Haushaltskunde beim Einzug in seine Wohnung oder seine beruflich oder gewerblich
genutzten Räume noch keinen Vertrag mit einem anderen Lieferanten abgeschlossen, kann er
sich auf die Grundversorgung berufen und die Belieferung von dem Unternehmen der
Grundversorgung beanspruchen, ohne für längere Zeit an das Vertragsverhältnis mit dem
Grundversorger gebunden zu sein (Hempel, a.a.O.). Er hätte die Möglichkeit, nach kurzer Zeit
vom Grundversorger zu einem anderen Lieferanten zu wechseln und einen
Energieliefervertrag außerhalb der Grundversorgung nach § 41 EnWG abzuschließen
(Hempel, a.a.O). Entsprechendes gilt für den Einzug in eine Wohnung oder in gewerblich
oder beruflich genutzte Räume ohne Anmeldung und ausdrücklichen Abschluss eines
Versorgungsvertrags mit dem Grundversorger (Hempel, a.a.O.). In diesem Fall kommt
regelmäßig ein Vertragsverhältnis mit dem Grundversorger durch schlüssiges Verhalten
zustande, dass ebenfalls kurzfristig beendet werden kann, obwohl der Grundversorger
gehalten ist, die Leitung bereitzustellen und jeden Haushaltskunden zu beliefern, sobald ein
entsprechender Bedarf entsteht (Hempel, a.a.O.) Die Grundversorgung wird in einem
wettbewerbsorientierten Markt immer mehr zueiner kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten
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Ersatzversorgung (Hempel, a.a.O.) Sie beschränkt sich auf eine Sicherungsfunktion in den
Fällen, in denen der Haushaltskunde keine Möglichkeit des Lieferantenwechsels hat, etwa
weil es sich um einen Kleinverbraucher mit schlechten oder unwirtschaftlichen
Abnahmeverhältnissen oder mit hohen Ausfallsrisiken handelt (Hempel, a.a.O.) Diese
Kunden können sich auf die Pflicht zur Grundversorgung berufen, solange die Versorgung für
das Unternehmen nicht wirtschaftlich unzumutbar ist (Hempel, a. a. O.).
Von diesen Maßstäben ausgehend handelt es sich vorliegend um einen Sondervertrag. Die
Versorgung des Beklagten mit Gas hat weder eine Sicherungsfunktion in dem Sinne, dass
dass der Beklagte nicht valide wäre und ohne einen Kontrahierungszwang ohne
Gasversorgung dastünde. Es handelt sich auch nicht um eine Interimsversorgung, weil sich
der Beklagte ausdrücklich angemeldet hat und das Versorgungsverhältnis auf unbestimmte
Dauer angelegt ist. Der Beklagte hat sich - als Ausdruck der allgemeinen Vertragsfreiheit
auch auf dem Gasmarkt - für ein bestimmtes Produkt der Klägerin entschieden. Schließlich
sprechen auchdievomBeklagten bezogenen Gasmengen gegen eine bloße Grundversorgung.
Der Beklagte hat sich mit einem Jahresverbrauch von 16.500 kWh angemeldet. Wie das
Tarifsystem der Klägerin zeigt, liegt er damit bereits in einem Abnahmebereich an der Grenze
zum Sonderpreis Sl (Beginn bei 17.043 kWh). Der tatsächliche Verbrauch des Beklagten in
den streitgegenständlichen Jahren lag sogar weit im Bereich des Sonderpreises Sl. Von einer
bloßen Grundversorgung kann nach alledem keineRede sein.
Soweit sich die Klägerin aufdie Urteile des Landgerichts Augsburg vom 27.01.2009 und des
Landgerichts Wiesbaden vom 22.01.2009 bezieht, rechtfertigt dies keine andere
Entscheidung. Zwar hat das LG Augsburg entschieden, dass allein die Tatsache einer
Bestpreisabrechnung durch das Gasversorgungsunternehmen und die Bezeichnung eines
Preises als Sonderpreis noch nicht zur Annahme eines Sondervertrages führt (Urteil vom
27.01.2009, Az.: 2HKO 1154/08, zitiert nach juris). Das LG Wiesbaden hat entschieden, dass
eine Unterscheidung zwischen einem Tarifkunden im Sinne von § 1 Abs. 2 AVBGasV zu
einem Sondervertragskunden insbesondere dadurch bestimmt werde, dass der Tarifkunde
ohne weitere Verhandlungen, Anträge und Zugeständnisse als Gaskunde aufgrund objektiver
Bedingungen hinsichtlich der Gasabnahme einem bestimmten Tarif zugeordnet werde (Urteil
vom 22.01.2009, Az.: 13 O159/07, zitiert nach juris). Diese beiden Urteile stehen jedoch der
Entscheidung des BGH vom 15.07.2009 entgegen, wonach es auf diese Beurteilungskriterien
nicht ankommt, sondern allein darauf, ob der Energieversorger die Versorgung aus der Sicht
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eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen seiner Versorgungspflicht nach § 36 Abs. 1
EnWG oder im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet. Die Entscheidung des
BGH erging zeitlich nach den Entscheidungen der Landgerichte Augsburg und Wiesbaden.
Nach alledem finden die AVBGasV und die ihr nachfolgende GasGW auf das
Vertragsverhältnis der Parteien keine unmittelbare Anwendung.
Die AVBGasV ist auch nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Vertrages
geworden. Gemäß § 305 Abs. 2 BGB werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann
Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender die andere Partei bei Vertragsschluss
ausdrücklich auf die AGB hinweist und der anderen Vertragspartei die Möglichkeit
verschafft, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Diese
Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insoweit nimmt die Kammer auf die zutreffenden
Ausführungen in dem angegriffenen Urteil Bezug, denen sie sich anschließt. Die von der
Klägerin nunmehr in Bezug genommene Entscheidung des Landgerichts Aurich vom
18.12.2009, Az.: 6 O 435/09, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der vom Landgericht
Aurich vertretenen Auffassung, für die wirksame Einbeziehung einer Ministerialverordnung
in einen Vertrag genüge der sprachlich ordnungsgemäße Verweis aufdas Gesetz oder diese
untergesetzliche Norm, vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Diese Auffassung steht
nicht in Übereinstimmung mit dem eindeutigen Wortlaut des § 305 Abs. 2 BGB, wonach es
neben des ausdrücklichen Hinweises auf dieAGB eben auchder zusätzlichen Möglichkeit der
Kenntnisverschaffung bedarf. Dabei ist es anerkannt, dass bei Weiterverweisungen auf
Klauselwerke die Obliegenheiten des § 305 Abs. 2 Ziff. 2 BGB auch hinsichtlich dieser
Klauselwerke erfüllt sein müssen (Palandt/Grüneberg, Kommentar zum BGB, 68. Auflage,
Rz. 36 zu § 305 m.w.N.). Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist danach
grundsätzlich gehalten, seinem Vertragspartner die Kenntnisnahme von allen Bedingungen zu
ermöglichen, die er dem Vertrag zu Grunde legen will (BGH NJW 2005, 1183ff). Ein bloßer
Verweis auf weitere, in dem verfügbaren Text nicht mit abgedruckte Bestimmungen reicht
nur dann aus, wenn der Verwender mit Sicherheit erwarten darf, dass der Vertragspartner die
in Rede stehenden Geschäftsbedingungen/Klauselwerke bereits kennt, etwa weil sie sich in
seinem Geschäftszweig als Vertragsmuster durchgesetzt haben und niemand in der Branche
ohne Kenntnis dieser Bedingungen tätig sein kann (BGH, a.a.O.). Davon kann im Falle der
AVBGasV jedoch keine Rede sein. Soweit das Landgericht Aurich demgegenüber meint,
seine Auffassung zur Einbeziehung von Rechtsverordnungen sei in der Rechtsprechung
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anerkannt, lässt es entsprechende Nachweise vermissen. Es verweist lediglich auf eine
Entscheidung des OLG Hamm vom 22.08.1997 (abgedruckt in NJW-RR 1998, 1090 f.).
Dieser Entscheidung lässt sich jedoch keineswegs entnehmen, dass Rechtsverordnungen
generell durch bloßen Verweis als Allgemeine Geschäftsbedingungen in einen Vertrag
einbezogen werden können. Das OLG Hamm hat sich lediglich mit der Einbeziehung einer
einzelnen Klausel und nicht mit der Einbeziehung einer kompletten Rechtsverordnung
befasst. Es hat entschieden, dass Anlage 3 zu § 27 der II. BV durch bloße Bezugnahme in
Formularverträge wirksam einbezogen werden kann, weil die Begriffe Betriebskosten und
Nebenkosten inzwischen zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören und weil davon
auszugehen sei, dass der durchschnittliche Mieter eine Vorstellung über die wesentlichen
umlegbaren Nebenkosten besitzt. Die Verweisung auf Anlage 3 zu § 27 der II. BV beziehe
sich auch nur auf den Katalog der umzulegenden Betriebskosten und nicht etwa auf eine
Rechtsregel, deren Inhalt der Klausel selbst nicht zu entnehmen sei und von denen der
juristische Laie keine Vorstellung habe. Vorliegend soll jedoch nicht lediglich eine einzelne
Norm in den Vertrag einbezogen werden; vielmehr soll die komplette AVBGasV durch
bloßen Verweis maßgeblicher Vertragsinhalt sein, von deren Inhalt derjuristische Laie keine
Vorstellung hat. Insoweit gibt die Entscheidung des OLG Hamm für den vorliegenden
Sachverhalt nichts her.
Die von der Klägerin begehrte Preiserhöhung kann schließlich auch nicht aufeine ergänzende
Vertragsauslegung gestützt werden. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur dann in
Betracht, wenn sich die mitdem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht
durch dispositives Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, dass den
beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das
Vertragsgefüge völlig einseitig zu Gunsten des Kunden verschiebt (BGH, Urteil vom
14.07.2010, Az: VIII ZR 246/08, zitiert nach juris). Es kann dahinstehen, ob der Vertrag der
Parteien überhaupt eine Regelungslücke enthält oder ob er - wie vom Amtsgericht
angenommen - bereits deshalb nicht lückenhaft ist, weil er jederzeit kündbar ist. Jedenfalls
liegt bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin kein auffälliges Missverhältnis von
Leistung und Gegenleistung vor. Die Klägerin macht offene Forderungen für den
Lieferzeitraum vom 10.11.2005 bis zum 31.12.2007 geltend. In diesem Zeitraum will sie den
Beklagten mit Gas im Wert von insgesamt 4.350,19 € beliefert haben, wobei noch eine
Forderung in Höhe von 854,13 € offen ist. Dies entspricht gerade einmal 19,64 %der
Gesamtforderung. Bei dieser Sachlage kann von einem auffälligen Missverhältnis von
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Leistung und Gegenleistung, welches zu einer völlig einseitigen Verschiebung des
Vertragsverhältnisses zu Gunsten des Beklagten führt, noch keine Rede sein. Von einem
auffälligem Missverhältnis ist regelmäßig erst dann die Rede, wenn der Wert der Leistung den
Wert der Gegenleistung um 100%übersteigt (Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rz. 34a zu § 138].
Nach alledem war die Berufung der Klägerin als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht
vorliegen. Der BGH hat die Frage, nach welchen Kriterien die Abgrenzung eines
Normkundenvertrages von einem Sonderkundenvertrag vorzunehmen ist, bereits entschieden
(Urteil vom 15.07.2009), so dass es der Zulassung der Revision nicht bedarf. Bezüglich der
ergänzenden Vertragsauslegung waren tatsächliche Fragen cntschcidungserheblich, weshalb
auch diesbezüglich die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Das Gleiche
gilt für die Frage der Einbeziehung der AGB gemäß § 305 Abs. 2 BGB. Angesichts der
gefestigten Rechtsprechung zu § 305 Abs. 2 BGB erfordert das Urteil des Landgerichts
Aurich nicht die Zulassung der Revision.