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Autor Thema: LG Wiesbaden, Urt. v. 22.01.09 Az.13 O 159/07 Abgrenzung Tarifkunde  (Gelesen 3553 mal)

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Offline RR-E-ft

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Das Urteil des LG Wiesbaden vom 22.01.2009, Az. 13 O 159/07 ist hier veröffentlicht.

Zitat

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass die letzte und aktuellen Erhöhungen keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB mehr unterliege, da zum Zeitpunkt dieser Erhöhungen für den Kläger bereits die Möglichkeit bestanden habe, für die Abnahmestelle bei einem anderen Anbieter Gas zu beziehen und es daher an einer Monopolstellung der Beklagten fehle, führt auch dies hinsichtlich der Preiserhöhung zum 01.10.2007 zu keinem anderen Ergebnis. Aus den von der Beklagten diesbe züglich benannten Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 28.03.2007 (BGH Z 171, 374 ff.),des Oberlandesgerichts Celle vom 10.01.2008 (OLG R Celle 2008, 212 bis 214) und des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 19.02.2008 (11 U 12/07) ergibt sich dies nicht. Zwar geht die Rechtsprechung in diesen Entscheidungen und auch in ei ner weiteren Entscheidung des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 13.06.2007 davon aus, dass ein einseitig bestimmter Tarif eines Unternehmens aus  dem Bereich der Daseinsvorsorge im Zusammenhang mit der Lieferung von Gas bzw. Strom dann nicht der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt, wenn der Kunde hinsichtlich der Strom- oder Gasversorgung keinem Anschluss- oder Benut zerzwang unterliegt. Insbesondere dann, wenn der Kunde nicht auf die Belieferung von Gas oder Strom durch das betroffene Unternehmen angewiesen ist, sondern er die Möglichkeit hat, Strom oder Gas von einem anderen Anbieter seiner Wahl zu be ziehen. Nach der Rechtsprechung ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass es an einer Monopolstellung des Versorgers als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB fehlt (BGHZ 171, 374 ff.; BGH NJW 2007, 2540). Die Rechtsprechung ist vorliegend jedoch nicht einschlägig, da sie sich ausschließlich auf die Frage der Überprüfbarkeit des anfänglich vereinbarten Strom- bzw. Gastarifes bei Abschluss eines Versorgungsvertrages, nicht aber auf eine nachträgliche ein seitige Tariferhöhung bei Bestehen des Versorgungsvertrages bezieht. Die Frage der Anwendbarkeit des § 315 BGB bei Fehlen einer Monopolstellung des Versorgers wird jeweils im Zusammenhang der Überprüfbarkeit des Anfangstarifs bzw. eines nicht angegriffenen Sockelbetrages diskutiert, da bisher zum Teil die Auffassung vertreten wurde, dass bei Annahme einer Monopolstellung eines Versorgers auch bei Abschluss des Vertrages der anfänglich vereinbarte Strompreis bzw. ein nicht angegriffener Sockeltarif aufgrund der Monopolstellung des Anbieters nach § 315 BGB überprüft werden könne und diese Möglichkeit nun aufgrund der Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes weggefallen sei. Aus den von der Beklagten benannten Urteilen ergibt sich dagegen nicht, dass auch bei einem bestehenden Vertragsverhält nis bei der gesetzlich gegebenen oder vertraglich vereinbarten Möglichkeit einer ein seitigen Tarifanpassung das Überprüfungsrecht nach § 315 BGB entfällt. Hiervon kann auch nicht ausgegangen werden.Die Berufung war hinsichtlich der Beklagten wegen der Bedeutung der Sache und der offenen Rechtsfrage hinsichtlich der zukünftigen Anwendbarkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle auf einseitige Tariferhöhungen der Gasversorger bei einem Wegfall der Monopolstellung durch Öffnung des Gasmarktes zuzulassen.

Diese Frage, deretwegen die Berufung zugelassen wurde, ist durch den BGH bereits geklärt. Schließlich betraf schon BGH Urt. v. 13.06.2007 VIII ZR 36/06 einen Fall, wo der Senat von der fehenden  Monopolstellung des Gasversorgers ausging, § 315 BGB auf einseitige Preisänderungen unmittelbar anwendete.


Kartellsenat des BGH bereits im April 2008:


Zitat
BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26

Die Vorschrift [§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV] bestimmt, dass das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Zwar ergibt sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist

Nunmehr VIII.Zivilsenat des BGH Mitte Juli 2009:

Zitat
BGH, Urt. v. 15.07.2009 - VIII ZR 225/07 Tz. 28

Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, wie oben bereits ausgeführt, weiter, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. April 2009, aaO, Tz. 25).

Zitat
BGH, Urt. v. 15.07.2009 - VIII ZR 55/08 Tz. 20

Daraus hat der Senat hergeleitet, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV den Gasversorgungsunternehmen im Bereich der Versorgung von Tarifkunden ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewährt (BGHZ 172, 315, Tz. 16 f.; 178, 362, Tz. 26). Die Vorschriften sind durch § 5 Abs. 2 GasGVV ersetzt worden, ohne dass sich dadurch in der Sache etwas ändern sollte (vgl. BR-Drs. 306/06, S. 25 f., 43). Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GasGVV ist der Grundversorger auch weiterhin nur verpflichtet, dem Kunden zu den jeweiligen Allgemeinen Preisen und Bedingungen Gas zur Verfügung zu stellen. Entsprechend geht § 17 Abs. 1 Satz 3 GasGVV davon aus, dass Allgemeine Preise für Gas auf einer einseitigen Leistungsbestimmung durch den Versorger beruhen können, die der Kunde nach § 315 BGB auf ihre Billigkeit hin überprüfen lassen kann.

Die gesetzlichen Regelungen sind hinsichtlich Strom und Gas identisch.

Offline tangocharly

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LG Wiesbaden, Urt. v. 22.01.09 Az.13 O 159/07 Abgrenzung Tarifkunde
« Antwort #1 am: 03. September 2009, 09:30:28 »
Zitat
[...] und jedem Kunden, der diese Voraussetzungen erfüllt, diesen Tarif
wählen kann, der mit Ausnahme der Gasabnahmemenge keine
weiteren Voraussetzungen erfordert.
(amtlicher Leitsatz)
LG Wiesbaden, U. v. 22.01.2009 - 13 O 159/07

Und womit will man diese Differenzierung rechtfertigen ?

Das ist reine Willkür. Gerade die Gasabnahmemenge qualifiziert den Kunden zum \"Vollversorgten\", dessen Kostenaufwand nicht zusätzlich durch die überteuerten Grundversorgungskosten aufgebläht werden darf.

Wenn dieser Kunde (wegen seiner Gasabnahmemengen) kein Normsondervertragskunde ist, wer denn dann ?
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RA Lanters

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LG Wiesbaden, Urt. v. 22.01.09 Az.13 O 159/07 Abgrenzung Tarifkunde
« Antwort #2 am: 03. September 2009, 21:26:58 »
das urteil ist totaler unsinn, um mal deutliche worte zu gebrauchen. den richter interessiert weder, dass der versorger  den vertrag selbst als sondervertrag bezeichnete, der vertrag an eine gewisse abnahmemenge gebunden war und eine reduzierte sondervertragskonzessionsabgabe gezahlt wurde.

auch bedenklich:
Zitat
Die angebotenen Beweismittel in Form der
Vernehmung der Mitarbeiter der eingeschalteten Wirtschaftsprüfungsgellschaft
und der Mitarbeiter der Beklagten stellt geeignete
Beweismittel zum Nachweis
der behaupteten Bezugskostensteigerungen
und der entsprechenden Entwicklung
der Umsatzahlen/
Gewinnerlöse der Beklagten dar.

Zitat
Die Beklagte hat durch Vorlage des Testats der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
die einzelnen Bezugskostensteigerungen
im Verhältnis zur Umsatzentwicklung substantiiert dargelegt
und die entsprechenden
Behauptungen durch Benennung der
Zeugen geeignet unter Beweis gestellt.

Zitat
Nach der Aussage
des Zeugen 1 ist davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen
Zeitraum bis zum 31.07.2007 die Gasbezugskosten der Beklagten
absolut gesehen
stärker gestiegen sind als die Verkaufserlöse. Auch
konnte der Zeuge 1 bestätigen,
dass ihm auf entsprechende Aufforderungen
von der Beklagten alle von ihm für erforderlich gehaltenen
Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden. Nach der Aussage
des Zeugen 1 kann davon ausgegangen werden, dass im Zeitraum
vom 01.01.2004 bis zum 31.07.2007 sich die Verkaufspreise der
Beklagten in Cent je Kilowattstunde
geringer erhöht haben, als die
Bezugspreise der Beklagten für Gas in Cent je Kilowattstunde angestiegen
sind.
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