Forum des Bundes der Energieverbraucher

Energiepreis-Protest => Grundsatzfragen => Thema gestartet von: courage am 23. September 2012, 17:59:33

Titel: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: courage am 23. September 2012, 17:59:33
Leitsatz:
Das Richterrecht des BGH vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrechte und ist deshalb von den Instanzengerichten nicht anzuwenden.

1. Das vom BGH mit Urteil vom 14.03.2012, VIII ZR 113/11 (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/list.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=e9152ffe4ad43ff7f9c100bfb205ac75) gesetzte Richterrecht hebelt die EU-Verbraucherrechte aus. Dies betrifft die vom BGH vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Preisanpassungsklauseln in standardisierten Energieversorgungsverträgen mit Haushaltssonderkunden.

2. Der BGH hat die Wirkung einer Preisrüge des Kunden zeitlich begrenzt und zwar auf die Preise der in den drei zurückliegenden Jahren zugegangenen Jahresrechnungen. Darüber hinaus soll sich der Kunde nicht mehr auf den anfänglichen Vertragspreis berufen können (Rn. 19). Der Kunde soll vielmehr nur noch Rechte ausschließlich aus unwirksamen Preiserhöhungen (Rn. 21) innerhalb der dreijährigen Rückwirkungsfrist geltend machen können.

3. Als erstes ergibt sich aus dem Urteil folgende zwingende Schlussfolgerung: Sofern der Versorger es unterlassen hat, seine Preise innerhalb des Dreijahreszeitraumes zu senken, selbst wenn er dazu verpflichtet gewesen wäre, kann der Kunde daraus keine Rechte, sprich Rückforderungsansprüche, herleiten. Denn Ansprüche des Kunden können sich laut BGH ausschließlich aus unwirksamen Preiserhöhungen ergeben. Missbräuchlich unterlassene Preissenkungen sind demzufolge nicht angreifbar.

4. Von Seiten der Versorger wird das Richterrecht des BGH zudem so ausgelegt, dass auch ein vertragswidriges Verhalten des Versorgers keine ausgleichenden Rechte des Kunden begründen können. Ein nicht untypisches vertragswidriges Verhalten besteht beispielsweise darin, dass sich der Versorger nicht an seine eigene Preisanpassungsklausel für den Grund- bzw. Arbeitspreis gehalten sondern seine Preise nach Belieben festgelegt hat. Aus Sicht der Kunden ist allerdings zu bezweifeln, dass der BGH sogar ein vertragswidriges Verhalten schützen wollte (siehe Absatz 14).

5. Mit seinem Richterrecht hat der BGH einen Schutzschirm für die Versorger aufgespannt, indem er die berechtigten Ansprüche der Kunden drastisch beschnitten hat. Damit hat der BGH einen Großteil der Risiken, die der Verwendung von missbräuchlichen Klauseln innewohnen, von den Versorgern weggenommen und gleichzeitig auf die betroffenen Kunden verlagert. Die Risikoentlastung der Versorger findet dabei in doppelter Hinsicht statt. Zum einen in zeitlicher Hinsicht, indem das Risiko auf höchsten drei zurückliegende Jahre begrenzt wird. Zum anderen in preislicher Hinsicht, indem nicht mehr auf einen früheren und ggf. niedrigeren Vertragspreis sondern nur noch auf die im dreijährigen Zeitraum erfolgten Preiserhöhungen abgestellt werden darf.

6. Die höchst bedenklichen Konsequenzen dieses BGH-Richterrechts lassen sich durch folgende Überlegung veranschaulichen: Wenn der Versorger innerhalb des rückwirkenden Dreijahreszeitraum keine Preiserhöhungen vorgenommen hat, kann der Kunde keinerlei Ansprüche geltend machen; auch nicht aus einer missbräuchlich unterlassenen Preissenkung. Der Versorger ist darüber hinaus von jeglichem Risiko auch für den Fall befreit, dass er in der Zeit vor dem Dreijahreszeitraum eine missbräuchliche Preisanpassungsklausel verwendet und sich daraus unberechtigte wirtschaftliche Vorteile zu Lasten des Kunden verschafft hat. Denn die bis zum Beginn des Dreijahreszeitraumes erfolgten Preisbestimmungen des Versorgers haben laut BGH selbst dann Bestand, wenn die Verbraucherpreise missbräuchlich überhöht sind.

7. Bis zum Urteil des BGH vom 14.03.2012 ging die überwiegende Rechtsauffassung davon aus, dass die Ansprüche des Kunden im Falle einer unwirksamen Preisanpassungsklausel auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vereinbarten Vertragspreises zu bestimmen sind und zwar ohne dass es auf vom Kunden erhobene Widersprüche gegen nachfolgende Preiserhöhungen ankäme. Es schien bis dahin klar, dass der Verwender einer missbräuchlichen Preisanpassungsklausel das daraus entstehende Risiko selbst zu tragen hat. Diese Rechtsauffassung war auch für einen juristisch nicht vorgebildeten Kunden klar und verständlich.

8. Die vom BGH seit dem 14.03.2012 geschaffene Rechtslage ist dagegen für einen Normalverbraucher nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich einseitig auf die Interessen der Versorger zugeschnitten. Die rechtliche Vorzugsbehandlung der Versorger durch den BGH erscheint auch deswegen nicht sachgerecht, weil diese aufgrund der Verjährungsvorschriften des BGB vor den Folgen der Verwendung einer unwirksamen Preisanpassungsklausel bereits weitgehend geschützt sind.

9. Jedenfalls verkennt der BGH mit seinem Richterrecht vom 14.03.2012, dass die Verbraucherinteressen nicht weniger schutzwürdig sind und dass dies in den EU-Richtlinien 93/13/EWG (Klausel-RL) (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993L0013:DE:HTML)und 2003/55/EG (Gas-RL) (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32003L0055:DE:HTML)sowie 2003/54/EG (Strom-RL) (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32003L0054:DE:HTML) auch verbindlich geregelt ist.

10. Schon die Ansicht des BGH, es käme auf eine Rüge des Kunden an, damit er seiner Rechte nicht verlustig geht (Rn. 21), führt zur Benachteiligung der Kunden und zu einer unzulässigen Verlagerung der Risiken. Kein Verbraucher geht davon aus, dass er seinem Energieversorger bei jeder Preisanpassung und bei jeder Änderung von Geschäftsbedingungen den eigenen Rechtsstandpunkt mitteilen muss, damit er seine Verbraucherrechte nicht verliert.

11. Vielmehr darf sich ein Verbraucher darauf verlassen, dass Art. 6 der EU-Richtlinie 93/13/EWG gilt, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind. Ein Verbraucher darf sich desweiteren darauf verlassen, dass gemäß Art. 7 derselben Richtlinie die Mitgliedstaaten – und hier sind auch die Gerichte des Mitgliedsstaates Deutschland angesprochen - dafür sorgen, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

12. Der BGH hätte sich insbesondere Art. 5 der EU-Richtlinie 93/13/EWG vor Augen führen sollen, wonach bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel die für den Verbraucher günstigste Auslegung gilt, d.h. Unklarheiten von Klauseln zu Lasten des Verwenders gehen. Die EU räumt dem Verbraucherschutz einen hohen Stellenwert ein und die Mitgliedstaaten haben diesen gemäß Art. 3 Abs.3 der Gas-RL 2003/55/EG und der Nachfolge-RL 200973/EG, sowie gemäß Art. 3 Abs. 5 der Strom-RL 2003/54/EG zu gewährleisten. Es kann daher nicht angehen, dass der BGH mit seinem Richterrecht die europäischen Normen konterkariert.

13. So ist auch die vom BGH in die Welt gesetzte Ansicht, wonach sich ein Kunde nicht mehr auf den anfänglichen Vertragspreis berufen können soll, nicht mit Art. 6 Abs. 1 der EU-Richtlinie 93/13/EWG vereinbar. Dort ist nämlich klar geregelt, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Demnach bleibt also der anfängliche Vertragspreis für den Kunden und den Versorger bindend. Diese Regelung korrespondiert mit dem Grundsatz, dass der Verwender von unwirksamen Klauseln auch das Risiko dafür trägt. Die EU-Bestimmungen geben nichts dafür her, dass von diesem Grundsatz zu Lasten der Kunden abgewichen werden kann. Dies wird auch von der Generalanwältin des EuGH so gesehen, siehe Schlussanträge vom 13. September 2012 in der Rechtssache C-92/11 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=126803&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=2756818), wo sie unter Rn. 89 zum Risiko von Kostensteigerungen sagt: „Das ist jedoch ein Risiko, das er aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 93/13 selbst zu tragen hat. Dies erscheint insbesondere deshalb nicht unbillig, weil er diese Konsequenz durch die Verwendung intransparenter Allgemeiner Geschäftsbedingungen selbst verursacht hat.“ Eine Verlagerung des Kostenrisikos auf den Kunden, wie es das Richterrecht des BGH vorsieht, ist danach rechtswidrig. An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Versorger aufgrund der Verjährung der Kundenansprüche bereits geschützt ist (siehe Absatz 8 ).

14. Soweit von Versorgern gern behauptet wird, der BGH habe am 12.03.2012 ein vertragstreues und redliches Verhalten nicht zur Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung gemacht, so dass das BGH-Richterrecht auch in Fällen von vertragswidrigem Verhaltens anzuwenden wäre (siehe Absatz 4), ist ein Blick in die Erwägungsgründe der EU-Richtlinie 93/13/EWG sehr aufschlussreich. Dort wird zu den Kriterien, nach denen die Missbräuchlichkeit von Klauseln unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien zu beurteilen sind, und zum Gebot von Treu und Glauben ausgeführt: "Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand ... Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muss, loyal und billig verhält." Daraus ist zu entnehmen, dass bei einem Versorger, der sich vertragswidrig verhalten und damit gegen die Treuegebote gegenüber den Kunden verstoßen hat, die Vorgaben der EU-Richtlinien wohl erst Recht ohne Abstriche und streng anzuwenden sind. Die vom BGH veranlasste Verwässerung des europarechtlich normierten Kundenschutzes kann nicht zur Anwendung kommen.

15. Das Richterrecht des BGH verstößt auch gegen § 195 BGB. Die vom BGH auf drei Jahre begrenzte Rückwirkungsfrist des Preiswiderspruchs hebelt nämlich die Verjährungsvorschriften des BGB zu Lasten des Kunden aus. Denn Forderungen, die noch nicht verjährt sind, würden durch den BGH entwertet, wenn sie nicht mehr durchsetzbar wären (quasi eine Enteignung). Auch die generelle Aushebelung des ursprünglichen Vertragspreises, also des beiderseitigen Parteiwillens, steht im Gegensatz zur Vertragsfreiheit. Absolut unverständlich wird ein solches Richterrecht zudem dann, wenn es auch noch das vertragswidrige Verhalten des Versorgers nachträglich unter Schutz stellt und damit den vertragstreuen Vertragspartner überrumpelt und als naiven Dummkopf dastehen lässt. Nach meinem Verständnis steht das Gesetz (§ 195 BGB) über dem Richterrecht des BGH.

16. Es ist jetzt höchste Zeit, dass die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte ihrer Verpflichtung gerecht werden, die Verbraucherrechte durch richtlinienkonforme Auslegung des Gemeinschaftsrechts endlich effektiv durchzusetzen. Das kontraproduktive Richterrecht des BGH darf dabei kein Hinderungsgrund sein. Diesbezüglich haben bereits das OLG Oldenburg mit Beschluss vom 14.12.2010, 12 U 49/07 (http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE100076143&st=null&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint) als auch das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 13.06.2012, VI-2 U (Kart) 10/11 (http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2012/VI_2_U__Kart__10_11urteil20120613.html) Maßstäbe gesetzt.
Titel: Re: Eon-Avacon beruft sich auf BGH-Urteil vom 14.03.2012
Beitrag von: Christian Guhl am 27. September 2012, 10:56:45
@courage
Ich habe den Beitrag mit Interesse gelesen. Nur - wie kommt man damit an den EuGH ? Das kann doch nur der BGH selbst veranlassen. Oder ?
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 27. September 2012, 21:53:09
@courage

Um eine Fachdiskussion hierüber ebenso wie eine Berücksichtigung in der Rechtsprechung zu ermöglichen, erscheint es notwendig, diese Auffassung zu publizieren, nicht allein in diesem Forum, sondern in Form einer Urteilsanmerkung oder gar eines Aufsatzes in einer möglichst auflagenstarken anerkannten Fachzeitschrift.   
Titel: Re: Re: Eon-Avacon beruft sich auf BGH-Urteil vom 14.03.2012
Beitrag von: bolli am 28. September 2012, 08:03:28
Unter bestimmten Bedingungen kann dieses auch ein OLG veranlassen, wie es das OLG Oldenburg 2010 ja schon mal gemacht hat ( siehe hier:  OLG Oldenburg, B. v. 14.12.10 Az. 12 U 49/07 EuGH- Vorlage wegen BGH- Auslegung zur Transparenz (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,14848.0.html) )
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: courage am 28. September 2012, 10:21:49
@ Christian Guhl

Zunächst ist im Verfahren vor den Instanzengerichten ein entsprechender Vortrag anzubringen.
Wie es dann weiter geht, hängt davon ab, wie sich das Gericht verhält. Im Idealfall folgt es der Argumentation und urteilt entsprechend. Falls der Idealfall aber nicht eintritt, ist zu entscheidend, wie darauf zu reagieren ist. So muss man sich durch die Instanzen kämpfen. Vielleicht wendet sich ein Gericht, spätestens hoffentlich das Letztentscheidende, mit einer Vorlagefrage an den EuGH. Wie die Prozessführung zu gestalten und welche dienlichen Anträge dazu bei Gericht zu stellen sind, sollte der eigene Anwalt wissen.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: tangocharly am 29. September 2012, 18:54:57
Bei aller (verstehbar) empathischer Vorfreude über die Schlußanträge der GAin wollen wir doch derzeitig nicht aus dem Auge verlieren, dass das Fell des Bären erst verteilt werden kann, wenn er gefangen wurde.

Wenn Ihnen schon Amtsrichter trotz Vorlage der Streitfragen durch den BGH und Aussetzung der Folgeverfahren gem. § 148 ZPO analog, trotzig eine Fallentscheidung liefern und das Verfahren beim dortigen Gericht nicht aussetzen wollen, was glauben Sie, werden dann die salbungsvollen Worte der GAin beim EuGH bei solchen Herrschaften auslösen.

Das letzte Wort hat der EuGH - Punkt.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: courage am 05. November 2012, 10:02:54
Rechtsanwalt Dr. Jörg Schendel, Berlin, kommentiert in EWeRK 4/2012 (http://www.pvs.nomos.de/fileadmin/ewerk/doc/2012/Ewerk_12_04_03.pdf) die BGH-Urteile vom 14.03.2012, VIII ZR 113/11 und VIII ZR 93/11, kritisch:
Zitat
Ebenfalls unbefriedigend ist schließlich die rechtliche Bedeutung, die einer weder vertraglich noch gesetzlich vorgesehenen "Beanstandung" der Preiserhöhung zuerkannt wird, …
siehe dazu auch den Eingangsbeitrag, insbes. unter Abs. 7 und 10. (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg95573.html#msg95573)
Titel: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 nach den Urteilen vom 23.1.2013
Beitrag von: Lothar Gutsche am 13. Februar 2013, 21:25:00
Die Ausführungen von Nutzer "courage" sind in sehr ähnlicher Form inzwischen in Heft 6/2012 der Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) publiziert worden, dort als Kurzbeitrag auf den Seiten 590 - 591.

Wilhelm Zimmerlin: Der Schutz von Energieverbrauchern in der Rechtsprechung des 8. Zivilsenats des BGH und nach EU-Recht, ZNER Heft 6/2012, S. 590 - 591

Diesen Aufsatz fasse ich wie folgt zusammen: Der BGH hat mit dem Urteil VIII ZR 113/11 vom 14.3.2012 die „Preisbeanstandung zu einer neuartigen Obliegenheit der Haushaltskunden von Energieverbrauchern erhoben.“ Von solchen rechtewahrenden Pflichten ist weder in den bisherigen Energieverträgen noch im Gesetz etwas zu finden. Außerdem gilt nach dem Urteil: „Missbräuchlich unterlassene Preissenkungen sind demzufolge nicht angreifbar.

Die Ansicht des BGH, es käme auf eine Beanstandung des Kunden an, damit er seiner Rechte nicht verlustig geht, führt zur Benachteiligung der Kunden und im Sinne des Verbraucherschutzes zu einer europarechtlich unzulässigen Verlagerung der Versorgerrisiken auf die Kunden. Stattdessen sind die Verbraucherrechte durch richtlinienkonforme Auslegung des Gemeinschaftsrechts effektiv durchzusetzen:

Der Nutzer "courage" hatte auch schon auf die Kritik des Rechtsanwaltes Dr. Jörg Schendel von der Berliner Kanzlei EggersMalmendier unter dem Titel in EWeRK 4/2012, Seite 145 – 147, hingewiesen. In diesem Aufsatz charakterisiert Dr. Schendel die BGH-Rechtsprechung VIII ZR 113/11 und VIII ZR 93/11 vom 14.3.2012 unter  http://www.pvs.nomos.de/fileadmin/ewerk/doc/2012/Ewerk_12_04_03.pdf  von Rechtsanwalt Dr. Jörg Schendel : „Es handelt sich um eine reine richterliche Rechtsfortbildung ohne rechte Grundlage in Vertrag oder Gesetz.

Und nun meldet sich am 23.01.2013 der VIII. Zivilsenat des BGH mit einer ganzen Reihe von Urteilen, in denen er sich mit unwirksamen Preisänderungsklauseln in Sonderverträgen zur Gasversorgung Euskirchen beschäftigt. Unter den vielen Fällen mit den Aktenzeichen VIII ZR 100/12, VIII ZR 23/12, VIII ZR 24/12, VIII ZR 345/11, VIII ZR 59/12, VIII ZR 60/12, VIII ZR 61/12, VIII ZR 79/12, VIII ZR 80/12 und VIII ZR 99/12 befindet sich auch ein Leitsatzurteil (VIII ZR 80/12) mit den drei folgenden Leitsätzen:

a) Auch in Ansehung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG kann eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisänderungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend geschlossen werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (Fortführung der Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865, Rn. 19 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ 192, 372 bestimmt, und VIII ZR 93/11, ZNER 2012, 265, Rn. 24 ff.).
b) Ist die in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden formularmäßig vereinbarte Preisänderungsklausel nach § 307 BGB unwirksam, verbleiben das Kalkulations- und damit auch das Kostensteigerungsrisiko grundsätzlich bei dem Energieversorgungsunternehmen (Fortführung des Senatsurteils vom 25. Oktober 1989 - VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 145). Dessen Verpflichtung zur Herausgabe der von dem Kunden rechtsgrundlos gezahlten Erhöhungsbeträge ist daher nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
c) Die Verjährung von Rückzahlungsansprüchen wegen Gaspreisüberzahlungen beginnt nicht bereits mit den jeweils geleisteten Abschlagszahlungen, sondern erst mit der anschließenden Erteilung der Jahresabrechnung zu laufen (Bestätigung des Senatsurteils vom 23. Mai 2012 - VIII ZR 210/11, NJW 2012, 2647 Rn. 9 ff.).


Der 1. Leitsatz und die zugehörige Begründung in den juris-Randnummern 24 - 37 erwecken den Eindruck, als habe der VIII. Zivilsenat unter dem Vorsitz des Richters Wofgang Ball den Verbraucherschutz aus den EU-Richtlinien umfassend  berücksichtigt, wenn er den Energieversorgungstrag einer ergänzenden Vertragsauslegung unterzieht. Es bleiben die offensichtlichen Widersprüche zu den Ansichten von Wilhelm Zimmerlin und Dr. Jörg Schendel. Hoffentlich vertiefen oder korrigieren beide Autoren ihre Kritik im Licht der neuen BGH-Urteile, damit die juristischen Laien und untere Gerichtsinstanzen eine ordentliche Basis haben, um im Falle unwirksamer Preisanpassungsklauseln die Rückforderungsansprüche richtig beziffern zu können.

Im Sinne des Preisgünstigkeitsgebotes von § 1 EnWG scheint mir die Lösung sachgerechter, die der VIII. Zivilsenat des BGH in juris-Randnummer 37 des Urteils VIII ZR 80/12 vom 23.1.2013 selbst skizziert:

Ohne die vom Senat vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung in derartig gelagerten Fällen könnte sich der Energieversorger - auch in Ansehung seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit (vgl. BVerfG, aaO) - darauf berufen, dass die Versorgung des Kunden zu dem Ausgangspreis für ihn eine unzumutbare Härte darstelle, wenn der bei dem lange Zeit zurückliegenden Vertragsabschluss vereinbarte Preis seit vielen Jahren nicht mehr kostendeckend ist. Dies hätte gemäß § 306 Abs. 3 BGB die Unwirksamkeit des Liefervertrages zur Folge, so dass das Vertragsverhältnis für die Vergangenheit nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln wäre. Hierbei wäre die materielle Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen indes nicht in dem gleichen Maße sichergestellt wie bei der ergänzenden Vertragsauslegung. 

Der Vertrag zur Energielieferung wäre unwirksam und müsste für die Vergangenheit nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden. Bei dieser Rückabwicklung würde die Forderung nach "möglichst preisgünstiger" Lieferung aus § 1 EnWG die Ansprüche des Energieversorgers begrenzen und den Verbraucher nicht völlig von der Kostenentwicklung abkoppeln. An dem gesetzlichen Maßstab der Preisgünstigkeit wäre eine "Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen" zu erreichen. Die Beschränkung der Rückforderungsansprüche auf drei Jahre erscheint mir dagegen gerade nicht "ausgewogen".

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 nach den Urteilen vom 23.1.2013
Beitrag von: bolli am 14. Februar 2013, 07:51:30
Der Vertrag zur Energielieferung wäre unwirksam und müsste für die Vergangenheit nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden. Bei dieser Rückabwicklung würde die Forderung nach "möglichst preisgünstiger" Lieferung aus § 1 EnWG die Ansprüche des Energieversorgers begrenzen und den Verbraucher nicht völlig von der Kostenentwicklung abkoppeln. An dem gesetzlichen Maßstab der Preisgünstigkeit wäre eine "Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen" zu erreichen. [/i]".
Wenn man bedenkt, wie hoch schon in den wenigen Fällen, in denen in der Grundversorgung Sachverständigengutachten erstellt wurden, der Aufwand war, wage ich mir gar nicht vorzustellen, wie dieser in Fällen von 30 Jahre zurückliegenden Preisen liegt. Mal ganz davon abgesehen, dass fraglich ist, ob man überhaupt noch alle dafür notwendigen Unterlagen zusammen bekommt, da die Aufbewahrungsfristen für solche Unterlagen bei lange zurückliegenden Verträgen (Lieferverträge) bereits lange abgelaufen sind. Da dürften einige Unmöglichkeiten drin stecken.
Gleichwohl finde ich (natürlich) die 3-Jahresregelung des BGH auch sehr willkührlich und deutlich eher zugunsten der Versorger.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 14. Februar 2013, 10:06:52
Der BGH hatte in seinen Entscheidungen vom 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11 und VIII ZR 113/11 eine Möglichkeit entwickelt, wie die durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Klausel im Vertragsgefüge entstehende Lücke geschlossen werden können soll.

Zunächst bedarf es jedoch im konkreten Einzelfall der Feststellung der Voraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung, nämlich dass die weitere Vertragsdurchführung für den Versorger eine unzumutbare Härte darstellt.

Zitat
BGH, B. v. 24.04.12 Az. VIII ZR 278/11, juris Rn. 6

Die vom Senat für den Fall der Unwirksamkeit einer vertraglich vereinbarten Preisanpassungsklausel entwickelte Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, unter II 3, und VIII ZR 93/11, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 4) kommt vorliegend nicht in Betracht, weil es hierzu an einem ausreichenden Vortrag in den Tatsacheninstanzen fehlt.

Die Klägerin hat  trotz eines entsprechenden Hinweises des Berufungsgerichts - weder den vertraglich vereinbarten Ausgangspreis vorgetragen, noch hat sie dargelegt, dass sich aus den Zahlungen des Beklagten ergibt, dass dieser auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 52; vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO und VIII ZR 93/11, aaO).


In seiner Leitsatzentscheidung vom 23.01.13 Az. VIII ZR 80/12 scheint der Senat diese entwickelte Möglichkeit zum Dogma erheben zu wollen.

Zitat
BGH, Urt. v. 23.01.13 Az. VIII ZR 80/12, juris Rn. 23:

Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden hat, ist diese Lücke im Vertrag im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht in-nerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresab-rechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 21 ff., und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 26 ff.; jeweils mwN).

Dass dabei die Voraussetzungen einer solchen ergänzenden Vertragsauslegung im konkreten Einzelfall geprüft wurden (wie bei BGH, B. v. 24.04.12 Az. VIII ZR 278/11, juris Rn. 6) ist nicht ersichtlich.

An dieser notwendigen Voraussetzung kann es insbesondere dann fehlen, wenn die Kosten, die dem Versorger durch die Belieferung entstehen zwischenzeitlich wieder auf das Niveau abgesunken sind, welches bereits bei der Kalkulation für das Angebot des Ausgangspreises zu Vertragsbeginn zu Grunde gelegt wurde.
Es wäre deshalb zunächst zu prüfen, wie sich die abzudeckenden Kosten zwischenzeitlich tatsählich entwickelt haben.

Allein auf erfolgte einseitige Preisänderungen und den Zeitablauf abzustellen, dürfte deshalb kein hinreichendes Kriterium darstellen.
Im Extremfall ist denkbar, dass alle vorgenommenen einseitigen Preisänderungen ohne entsprechenden Kostenanstieg allein zur Erhöhung des Gewinnanteils vorgenommen wurden.   
Titel: EuGH erklärt hohen Verbraucherschutz
Beitrag von: courage am 22. Februar 2013, 11:25:25
Was man im Hinblick auf missbräuchliche Klauseln unter einem hohen Verbraucherschutz gemäß der EU-RL 93/13 zu verstehen hat, ist im Urteil des EuGH vom 14.06.2012, C-618/10 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=123843&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1634811) unter den Rz 39,40, 58-73 sehr anschaulich dargelegt. Die Lektüre wird von mir unbedingt empfohlen.

Der BGH nimmt in seinem Leitsatzurteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12 (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=63150&pos=27&anz=598) unter den Rz 24-34 darauf Bezug.

Allerdings reibt man sich verwundert die Augen, wie der BGH die eindeutigen Regelungen der EU-RL so missinterpretiert, dass im Ergebnis seiner äußerst fragwürdigen ergänzenden Vertragsauslegung nicht ein hoher Verbraucherschutz sondern ein hoher Versorgerschutz herauskommt, wie bereits in meinem Eingangsbeitrag (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg95573.html#msg95573) nachzulesen ist.
Titel: Re: EuGH erklärt hohen Verbraucherschutz
Beitrag von: bolli am 22. Februar 2013, 13:50:37
Allerdings reibt man sich verwundert die Augen, wie der BGH die eindeutigen Regelungen der EU-RL so missinterpretiert, dass im Ergebnis seiner äußerst fragwürdigen ergänzenden Vertragsauslegung nicht ein hoher Verbraucherschutz sondern ein hoher Versorgerschutz herauskommt, wie bereits in meinem Eingangsbeitrag (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg95573.html#msg95573) nachzulesen ist.
Das ist halt die eigentliche Kunst in der Juristerei. Das am Ende, egal was zwischendurch gesagt und geschrieben wurde, dass rauskommt, was ich schon immer wollte. Und nur wenn man besonders befähigt in diesem Bereich ist, bekommt man die Möglichkeit, an einem der hohen deutschen Gerichte SEIN Recht sprechen zu dürfen, auch die Formel lautet: "Im Namen des Volkes."  ;D
Titel: EuGH erklärt hohen Verbraucherschutz
Beitrag von: courage am 22. Februar 2013, 18:33:35
Äußerst aufschlussreich sind auch die Ausführungen der Generalanwältin des EuGH in ihren Schlussanträgen vom 14.02.2012, Rechtssache C-618/10 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=119441&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1816109) , Rn 2, 29 – 30, 79 – 89, im Hinblick auf die Frage:

Was passiert mit einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden (z.B. einem Energieversorger), wenn in diesem Vertrag eine unwirksame Klausel (z.B. eine Preisanpassungsklausel) festgestellt wird?

Antwort gemäß Art. 6 Abs.1 der EU-RL 93/13:
Der Vertrag bleibt für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

Zitat
"Rn 84 … Stattdessen beschränkt sich Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie darauf, die Rechtsfolge der „Unverbindlichkeit“ solcher Klauseln für den Verbraucher vorzuschreiben (101). Entsprechendes ergibt sich auch aus dem 21. Erwägungsgrund. Diese Vorgabe ist, soweit sie reicht, für die Mitgliedstaaten zwingend, so dass keine Abweichungen gestattet sind."

Zitat
"Rn 85 Des Weiteren ist festzustellen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorschreibt, dass der Vertrag nach Feststellung der Nichtverbindlichkeit einer missbräuchlichen Klausel für beide Parteien „auf derselben Grundlage bindend bleiben muss“, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Der 21. Erwägungsgrund besagt insoweit, dass „die verbleibenden Klauseln weiterhin gelten müssen und der Vertrag im Übrigen auf der Grundlage dieser Klauseln für beide Teile verbindlich sein muss“. Die Regelung in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie ist somit dahin zu verstehen, dass der Vertrag nach Beseitigung der missbräuchlichen Klauseln in unveränderter Form mit den verbleibenden Klauseln fortbestehen muss, sofern dies rechtlich möglich ist, was bereits begrifflich jegliche Ersetzung von Klauseln bzw. Anpassung des Vertrags ausschließt."

Der Vertrag bleibt also im Übrigen verbindlich, was auch für den vertraglich vereinbarten Anfangspreis zu gelten hat.

Und entscheidend:
Art. 6 Abs. 1 der EU-RL 93/13 schließt bereits begrifflich jegliche Ersetzung von Klauseln bzw. Anpassung des Vertrags aus.

Zitat
"Rn 87 Um festzustellen, ob eine Anpassung des Vertrags im Wege einer Ersetzung der betreffenden missbräuchlichen Klausel durch eine andere, wie im Ausgangsverfahren vorgenommen, im Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie 93/13 steht, muss daher untersucht werden, ob diese Anpassung geeignet ist, den Abschreckungseffekt, den eine Prüfung der Missbräuchlichkeit entfaltet, nachhaltig zu beeinträchtigen. Dies würde nämlich bedeuten, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht mehr sichergestellt wäre, was dem unionsrechtlichen Verbot, die Ziele einer Richtlinie durch mitgliedsstaatliche Umsetzungsakte zu vereiteln, zuwiderlaufen würde."

Zitat
"Rn 88 Eine solche Anpassung des Vertrags führt dazu, dass die Risiken eines Gewerbetreibenden aus der Verwendung von missbräuchlichen Klauseln im Geschäftsverkehr erheblich gemindert werden. …

Diese Beispiele zeigen, dass die Möglichkeit einer nachträglichen Anpassung des Vertrags durch den Richter die Abschreckungswirkung, die von Art. 6 der Richtlinie ausgeht, nicht nur entschärfen, sondern sogar den umgekehrten Effekt bewirken würde. Vereitelt würden damit die Ziele der Richtlinie 93/13."

Zitat
"Rn 89 … Dem nationalen Gericht obliegt es, diese nationale Regelung richtlinienkonform auszulegen und anzuwenden. Bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts muss das nationale Gericht das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieser Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 EG nachzukommen(106)."

Damit besteht keinerlei Spielraum für eine ergänzende Vertragsauslegung, jedenfalls nicht in der Weise wie sie der BGH vorgenommen hat, die faktisch einer geltungserhaltenden Reduktion gleichkommt und damit eine verbotswidrige Anpassung des Vertrages bedeutet.
Titel: BGH benötigt Navigationshilfe vom EuGH
Beitrag von: courage am 24. Februar 2013, 18:21:52
BGH benötigt Navigationshilfe vom EuGH

Leitsatz:
Der VIII Senat des BGH hat sich mit seiner ergänzenden Vertragsauslegung argumentativ in eine Sackgasse manövriert, aus der er nur mit der Navigationshilfe des EuGH wieder herausfinden kann.

Mit seinen Leitsatzentscheidungen vom 23.01.2013, BGH, VIII ZR 80/12 (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=63150&pos=27&anz=598) und  BGH, VIII ZR 52/12 (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=63186&pos=15&anz=605) sowie mit einer Reihe weiterer Urteile vom gleichen Tag setzt der VIII Zivilsenat seine Linie vom 14.03.2012, BGH, VIII ZR 113/11 (http://www.energieverbraucher.de/files_db/1340434856_1669__12.pdf) zur ergänzenden Vertragsauslegung bei unwirksamen Preisanpassungsklauseln in standardisierten Energieversorgungsverträgen mit Haushaltssonderkunden fort.

In meinem Eingangsbeitrag (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg95573.html#msg95573) habe ich aufgezeigt, warum die Entscheidung des BGH vom 14.03.2012 die EU-Verbraucherrechte untergräbt. Keiner der dort ausgeführten Kritikpunkte, wie beispielsweise die nachträgliche und außervertragliche Einführung der Preisbeanstandung als rechtewahrende Obliegenheit für den Verbraucher oder die Entlastung der Versorger von wirtschaftlichen Risiken sogar bei der Abrechnung von missbräuchlich überhöhten Verbraucherpreisen, wurde bislang durch den BGH entkräftet.

Inzwischen hat der BGH die EU-Richtlinie 93/13/EWG (Klausel-RL) (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993L0013:DE:HTML) zur Kenntnis genommen. In seinen Urteilen vom 23.01.2013 postuliert er nunmehr, dass "auch in Ansehung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG" eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisänderungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend geschlossen werden kann, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtig worden ist, beanstandet hat (Fortführung der Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, …).

Dass diese vom BGH entworfene Möglichkeit der Lückenfüllung eine EU-rechtlich zulässige Option darstellt, ist allerdings in Ansehung der Auslegung des Art. 6 der EU-RL 93/13 durch den EuGH in dessen Urteil vom 14.06.2012, C-618/10 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=123843&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1634811) höchst zweifelhaft. Selbst wenn man der Ansicht des BGH folgen wollte, dass der genannte Art. 6 Abs. 1 einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht grundsätzlich entgegen steht, so darf diese keinesfalls dazu führen, den von der EU intendierten hohen Verbraucherschutz auszuhöhlen. Doch genau das ist die Folge der BGH-Rechtsprechung.

Der BGH irrt aber schon im Ansatz, denn er behauptet in seinem Urteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12 unter Rn 27, dass gegen eine ergänzende Vertragsauslegung keine europarechtlichen Bedenken bestünden, da in der Richtlinie 93/13/EWG nicht geregelt sei, unter welchen Voraussetzungen der Vertrag ohne die unwirksame Klausel fortgelte.

Die vom BGH vermisste Regelung findet sich in Art. 6 Abs.1, zweiter Teilsatz der besagten Richtlinie in einer unmissverständlichen Klarheit, wo es heißt: "… sie (die Mitgliedstaaten) sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“ Dies ist eine der zentralen europarechtlichen Bestimmungen zur Durchsetzung eines hohen Verbraucherschutzes und sie ist dahin zu verstehen, dass der Vertrag nach Beseitigung der missbräuchlichen Klauseln in unveränderter Form mit den verbleibenden Klauseln fortbestehen muss, sofern dies rechtlich möglich ist, was bereits begrifflich jegliche Ersetzung von Klauseln bzw. Anpassung des Vertrags ausschließt, siehe Schlussantrag der Generalanwältin, Rn 85.

In keinem seiner bisherigen Urteile hat der BGH überzeugende Argumente dafür vorgetragen, warum er diese EU-Regelung im Hinblick auf die Vertragsbeziehungen von Energieversorgern mit Normsonderkunden faktisch außer Kraft gesetzt hat. Seine diesbezüglichen Begründungen sind vielmehr, wie nachfolgend aufgezeigt wird, einseitig interessenorientiert und unschlüssig.

Wortgetreue Auslegung des Art. 6 durch den EuGH

Was man im Hinblick auf missbräuchliche Klauseln unter einem hohen Verbraucherschutz gemäß der EU-RL 93/13 zu verstehen hat, ist im EuGH-Urteil unter den Rz 39,40, 58-73 sehr anschaulich dargelegt. Danach würde die Möglichkeit einer nachträglichen Anpassung des Vertrags durch den Richter die beabsichtigte hohe Abschreckungswirkung, die von Art. 6 der Richtlinie ausgeht, nicht nur entschärfen, sondern sogar den umgekehrten Effekt bewirken.

Der EuGH ist damit den Schlussanträgen seiner Generalanwältin vom 14.02.2012  (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=119441&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1816109), siehe Rn 2, 29 – 30, 79 – 89, gefolgt, die durch eine nachträgliche Anpassung des Vertrags die praktische Wirksamkeit der EU-Richtlinie nicht mehr sichergestellt sieht. Dies würde dem unionsrechtlichen Verbot, die Ziele einer Richtlinie durch mitgliedsstaatliche Umsetzungsakte zu vereiteln, zuwiderlaufen. Bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts muss das nationale Gericht deshalb das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieser Richtlinie auslegen, um die volle Wirksamkeit von Art. 6 Abs. 1 der EU-RL 93/13 zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht. Von diesen klaren Vorgaben darf gemäß Art. 8 der EU-RL 93/13 nur insoweit abgewichen werden als dadurch ein noch höheres Schutzniveau für die Verbraucher gewährleistet wird. Art. 8 impliziert, dass eine Absenkung des Schutzniveaus von den Mitgliedstaaten und deren Organe auszuschließen ist.

Mit seiner prägnanten Auslegung des Art. 6 der EU-RL 93/13 lässt der EuGH keinen Raum für irgendwelche eigenwilligen ergänzenden Vertragsauslegungen bei missbräuchlichen Klauseln in Verträgen mit Verbrauchern. Die ergänzende Vertragsauslegung, wie sie der BGH zu Lasten der Energieverbraucher vorgenommen hat, kommt einer geltungserhaltenden Reduktion sehr nahe und bedeutet damit eine verbotswidrige Anpassung des Vertrags, die den Zweck des Art. 6 der EU-RL 93/13 konterkariert.

Problem: BGH gewährt hohen Versorgerschutz anstatt hohen Verbraucherschutz

Der BGH nimmt in seinem Leitsatzurteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12 unter den Rz 24-34 Bezug auf das EuGH-Urteil. Allerdings wundert man sich, wie der BGH die eindeutigen Regelungen der EU-RL missinterpretiert, so dass im Ergebnis seiner fragwürdigen ergänzenden Vertragsauslegung nicht ein hoher Verbraucherschutz sondern ein hoher Versorgerschutz herauskommt, wie bereits in meinem Eingangsbeitrag (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg95573.html#msg95573) nachzulesen ist.

Der BGH behauptet in seinem Leitsatzurteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12 unter Rn 32, dass die vom Senat vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung der Zielsetzung der Richtlinie 93/13/EWG entspreche. Diese Behauptung entpuppt sich als unzutreffend. Der BGH hat nämlich nicht verinnerlicht, dass die EU-Richtlinie in erster Linie die Verbraucher schützen will, weil sie sich gegenüber dem Energieversorger in einer unterlegenen Position befinden. Er hat ferner übersehen, dass die EU-Richtlinie, insbesondere Art. 6, eine hohe Abschreckungskraft entfalten soll, damit Energieversorger wirksam davon abgehalten werden, die schwache Position der Verbraucher missbräuchlich auszunutzen.

Am offensichtlichsten wird die Unhaltbarkeit der BGH-Argumentation daran, dass er den zwischen Energieversorger und Verbraucher vereinbarten Vertragspreis nicht mehr gelten lassen will. Damit stellt sich der BGH diametral gegen den europarechtlichen Grundsatz, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Eine der entscheidenden Vertragsgrundlagen, die bindend bleiben, ist somit der vereinbarte Preis. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Vertrag mit dem vereinbarten Preis und ohne die missbräuchliche Klausel nicht bestehen bleiben kann.

Die vom BGH vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung führt dazu, dass die vom Energieversorger im Zeitraum vor der dreijährigen Beanstandungsfrist abgerechneten Preise trotz unwirksamer Preisanpassungsklausel Bestand haben. Für den BGH ist es dabei unbeachtlich, ob diese Preise missbräuchlich überhöht sind oder nicht. Missbräuchliche Preise können auf zwei Wegen entstehen, zum einen durch überzogene Preiserhöhungen und zum anderen durch unterlassene Preissenkungen. Da der Verbraucher keinen Zugang zu den internen Kalkulationen seines Versorgers hat, kann er nicht beurteilen, ob die abgerechneten Preise berechtigt sind. Der BGH sieht trotzdem keine Veranlassung, eine Überprüfung der Preise vorzunehmen, die vom vereinbarten Anfangspreis abweichen.

Und auch innerhalb der vom BGH erfundenen dreijährigen Beanstandungsfrist wirkt die Bestandsgarantie des BGH selbst für überhöhte Preise fort. Der Verbraucher soll nämlich ausschließlich Preiserhöhungen, nicht aber missbräuchlich unterlassene Preissenkungen, rügen können. Das ist geradezu eine Einladung für die Versorger, ein einmal erreichtes hohes Preisniveau nicht oder nicht so stark wie eigentlich von der Kostenseite her geboten abzusenken, um so das vertragliche Gleichgewicht zum Nachteil des Verbrauchers zu verschieben. Durch seine Rechtsprechung hat der BGH den Verbrauchern den Weg versperrt, sich gegen solche missbräuchlichen Praktiken von Versorgern wirksam zu wehren.

Im Ergebnis schützt der BGH also nicht die Interessen der Verbraucher sondern die der Versorger. Er befreit sie von einem Großteil der selbst verschuldeten Risiken, die der Verwendung von missbräuchlichen Klauseln innewohnen. Dies hält der BGH selbst dann für angebracht, wenn die Preise missbräuchlich gestaltet sind. Man kann somit feststellen, dass sich die Gefahren der Verwendung von missbräuchlichen Preisanpassungsklauseln dank der ergänzenden Vertragsauslegung des BGH für die Versorger in engen Grenzen halten. Und das gilt sogar für solche Versorger, die sich bewusst über ihre eigenen Preisanpassungsklauseln hinweg gesetzt und stattdessen ihre Preise nach Belieben bestimmt haben.

Lösung: Wortgetreue Anwendung des Art. 6 Abs.1 der EU-RL 93/13

Es liegt auf der Hand, dass diese Art eines privilegierten Versorgerschutzes wenig Anlass bietet, auf die Verwendung missbräuchlicher Klauseln zu verzichten. Im Gegenteil, der BGH setzt sogar einen Anreiz für die Versorger, die geschaffene Rechtslage zu Lasten der Verbraucher auszunutzen. Der BGH hat damit die von der EU beabsichtigte hohe Abschreckungswirkung des Art. 6 Abs. 1 zweiter Teilsatz der EU-RL 93/13 weitestgehend relativiert.

Die vom EuGH in seinem Urteil vom 14.06.2012 unter Rn 72 genannte Pflicht des nationalen Gerichtes, nämlich „alles zu tun, was in seiner Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht …“, hat der BGH erkennbar nicht erfüllt. Anstatt eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen, hätte der BGH die vorrangige Norm des Art. 6 Abs. 1 der EU-RL 93/13 wortgetreu anwenden müssen.

Die Begründungen des BGH für die ergänzende Vertragsauslegung sind unschlüssig

Die vom BGH vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung verstößt nicht nur gegen europäisches Recht, sie leidet auch daran, dass die dafür vorgetragenen Begründungen in sich unschlüssig sind. Der BGH stellt darauf ab, „was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war.“ Selbst wenn man diesem vom BGH entworfene Maßstab folgen wollte, so führt er gewiss nicht zu den Schlussfolgerungen wie sie der BGH gezogen hat.

Warum sollte sich ein Verbraucher beispielsweise einer Preisbeanstandungspflicht unterwerfen, die seine verbrieften und unabdingbaren EU-Verbraucherrechte einschränken würde? Da er die Redlichkeit seines Versorgers und die Angemessenheit der abgerechneten Preise mangels Verfügbarkeit der dazu notwendigen Informationen nicht selbst nachprüfen kann, wäre der Verbraucher genötigt, stets prophylaktisch die Preisänderungen zu rügen. Ansonsten liefe er Gefahr, seine Rechte nicht mehr durchsetzen zu können. Die vom BGH erfundene Preisbeanstandungspflicht, beschert dem Verbraucher lediglich Nachteile. Anders verhält es sich bei den Versorgern. Denn falls ein im Verbraucherecht weniger informierter Durchschnittsverbraucher seine Preisbeanstandungspflicht nicht beachtet, nützt das dem Versorger, denn seine abgerechneten Preise werden dann sukzessive, selbst wenn sie missbräuchlich festgesetzt waren, unangreifbar.

Der BGH hat die Preisbeanstandungspflicht erstmals mit Urteil vom 14.03.2012, VIII ZR 113/11 (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=e5445fa7756ea0217169bd3df56ef3b5&nr=60155&pos=10&anz=19) zu einer neuen Obliegenheit für Verbraucher erhoben und dies nicht nur für die Zukunft sondern sogar rückwirkend. Es muss schon befremden, wenn der BGH in der Vergangenheit begründete Verbraucheransprüche von der Erfüllung bestimmter Pflichten abhängig macht, die es bis dato weder vertraglich noch gesetzlich gegeben hat, von denen der Verbraucher folglich keine Kenntnis haben und sie deshalb nicht befolgen konnte.

Die vom BGH erfundene Preisbeanstandung muss auch fristgemäß innerhalb von drei Jahren erfolgen, um zugunsten des Verbrauchers zu wirken. Nach Ablauf der Frist soll eine wirksame Rüge ausgeschlossen und folglich der juristische Weg für eine Durchsetzung von Verbraucheransprüchen selbst dann versperrt sein, wenn die Ansprüche ansonsten berechtigt wären. Die vom BGH getroffene Annahme, dies sei eine lebensnahe Regelung gemäß Treu und Glauben und würde die beiderseitigen Parteiinteressen angemessen berücksichtigen, ist unhaltbar. Warum sollte ein Verbraucher seinem Versorger einen solchen Freibrief ausstellen und sich ohne Not seiner Rechte begeben?

Zumindest aber hätte der Verbraucher mit seinem Versorger vereinbart, dass der Rügeausschluss keinesfalls für überhöhte Preisforderungen und für missbräuchlich unterlassene Preissenkungen gelten kann und zwar ohne zeitliches Limit. Ein Verbraucher würde seinem Versorger wohl kaum freiwillig unredliche Praktiken, wie beispielsweise die vielfach übliche Einpreisung zweckfremder Kosten zur Querfinanzierung defizitärer Geschäftsfelder, zugestehen und sich selbst seiner Abwehrmöglichkeiten berauben, zumal sich ein missbräuchliches Verhalten regelmäßig erst nach Jahren - wenn überhaupt - herausstellt.

Der BGH argumentiert desweiteren, dass es für die Versorger eine unzumutbare Härte bedeuten würde, wenn sie an den vertraglichen Anfangspreis gebunden blieben. Das Vertragsgefüge würde sich völlig einseitig zugunsten des Verbrauchers verschieben. Dies ist allerdings lediglich eine Vermutung des BGH, für die er eine stichhaltige Begründung schuldig bleibt. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Versorger aufgrund der Verjährung der Kundenansprüche bereits weitgehend geschützt sind. Sie müssen die verjährten Kundenansprüche, die sich gegebenenfalls über viele Jahre aufsummieren selbst dann nicht auskehren, wenn sich der Versorger missbräuchlich bereichert hat. Eine Rückzahlungspflicht trifft den Versorger also nur für maximal drei zurückliegende Jahre und auch nur dann, wenn er das selbstverschuldete Risiko eingegangen ist, eine missbräuchliche Klausel anzuwenden.

Hat es der Versorger in den vergangenen drei Jahren unterlassen, seine Preise zu senken, so bestehen für ihn nach der Logik des BGH keinerlei Rückzahlungsrisiken, und zwar selbst dann nicht, wenn wie oben erläutert, die unterlassene Preissenkung missbräuchlich war und im bereits verjährten Zeitraum überhöhte Preise abgerechnet wurden. Aus alledem lässt sich schlussfolgern, dass die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer unzumutbaren Härte auf Seiten des Versorgers ziemlich gering ist. Trotzdem hält es der BGH für nicht angebracht, einen Nachweis über das Vorliegen einer unzumutbaren Härte zu verlangen. Stattdessen gewährt der BGH den Versorgern einen zusätzlichen Schutz dahingehend, dass er sie vom vertraglichen Anfangspreis entbindet. Daraus erwächst eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich das Vertragsgefüge, entgegen der Ansicht des BGH, völlig einseitig zu Gunsten des Versorgers verschiebt.

Die ergänzende Vertragsauslegung mutiert zur Regelanwendung

Laut BGH, Urteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12, Rn 35, findet die ergänzende Vertragsauslegung nicht in jedem Fall einer unwirksamen Preisanpassungsklausel in einem Energielieferungsvertrag, sondern nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen Anwendung. Diese Aussage wäre eigentlich zu begrüßen, sie kollidiert aber leider mit der Wirklichkeit. Viele Instanzengerichte machen sich inzwischen gar nicht mehr die Mühe zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung vorliegen, sondern berufen sich pauschal auf den BGH mit dem Hinweis, dieser habe die von ihm aufgezeigte ergänzende Vertragsauslegung für generell anwendbar erklärt. Tatsächlich ist die vom BGH behauptete Begrenzung auf eng umgrenzte Ausnahmefälle nicht nachvollziehbar, wenn man sich die von ihm definierten Ausnahmefälle näher betrachtet.

Gemäß seiner Ausführungen habe der BGH die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung in einer Reihe von Fällen verneint, die dadurch gekennzeichnet waren, dass das Energieversorgungsunternehmen es selbst in der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszahlung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen. Dieser verklausulierten Erklärung bedeutet, dass in den Fällen, in denen ein Verbraucher keine Preisbeanstandung abgegeben hat, die ergänzende Vertragsauslegung im Sinne des BGH zur Anwendung kommen kann. Damit hat der BGH die Ausnahme zur Regel gemacht. Denn nur ein sehr geringer Anteil der Verbraucher hat in der Vergangenheit gegen die Energiepreise Einspruch erhoben. Die Masse der Verbraucher hat dies nicht getan, denn die Preisbeanstandung war bis zum Urteil des BGH vom 14.03.2012 keine zu beachtende Obliegenheit.

Darüber hinaus nimmt der BGH bei langjährigen Gasversorgungsverträgen im Regelfall eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges an, wenn der Verbraucher, ohne zuvor die Preise beanstandet zu haben, Rückzahlungsansprüche geltend macht. Dass diese Annahme unzutreffend ist, wurde oben dargelegt. Laut BGH sei aber auch für diese Fälle die ergänzende Vertragsauslegung anzuwenden. Da für die Verbraucher bis vor kurzem keine ausreichenden Wechselmöglichkeiten bestanden und sie daher an ihren Versorger gebunden waren, liegen in der Regel längerfristige Vertragsbeziehungen vor. Der BGH hat also dafür gesorgt, dass seine fragwürdige ergänzende Vertragsauslegung landauf landab regelmäßig und nicht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zur Anwendung kommt und auf diese Weise die Missachtung der europäischen Verbraucherschutznormen in deutschen Gerichtssälen zum Alltag zu werden droht.

Die EU-Richtlinie 93/13/EWG existiert seit 1993

Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen existiert seit nunmehr 20 Jahren. Sie datiert vom 5. April 1993 und wurde im Amtsblatt L 95 vom 21. April 1993, S. 29 veröffentlicht.

Gemäß Art. 10 Abs.1 der Richtlinie waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dieser Richtlinie spätestens am 31. Dezember 1994 nachzukommen.

Diese Vorschriften gelten für alle Verträge, die nach dem 31. Dezember 1994 abgeschlossen werden.

Seit 20 Jahren kennen die Energieversorger die Verbraucherschutzbestimmungen der EU und wissen, oder müssten wissen, welches die Rechtsfolgen der Verwendung missbräuchlicher Klauseln sind. Es bestand deshalb nicht der geringste Anlass für den BGH, sich mit seinem fragwürdigen Konstrukt einer ergänzenden Vertragsauslegung schützend vor die Energieversorger zu stellen. Es hätte dem BGH besser angestanden, den Rechtsbestimmungen der EU-RL 93/13 unmissverständlich und nachdrücklich Geltung zu verschaffen.

Schlussbemerkung

Warum sich der VIII. Senat am höchsten deutschen Zivilgericht so vehement um den Schutz der Energieversorger und so wenig um den Schutz der Energieverbraucher bemüht, ist schwer zu begreifen.

Bleibt im Sinne der deutschen Energieverbraucher zu hoffen, dass sich bald ein Richter findet, der die vom BGH erfundene ergänzende Vertragsauslegung von sich aus verwirft oder sie wenigstens dem EuGH zur Überprüfung vorlegt.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: tangocharly am 02. März 2013, 15:43:31
@ courage

Dem Beitrag ist jedenfalls in dem Punkt beizupflichten, was mit der Richterlichen Rechtsfortbildung des VIII. Energiesenats geschehen muß, d.h. wohin der Senat sich diese packen darf, nämlich auf die Müllhalde.

Der EuGH wird sich vermutlich nicht lange überlegen müssen, weshalb er - ausgerechnet für die Versorgerindustrie - die bisherige Linie seiner explizit vom starken Verbraucherschutz geprägte  Rechtsprechung mit Urteil vom 14.06.2012 verlassen sollte. Dass der EuGH diese Linie weiter folgen wird (wovon ich stark ausgehe), kann man den Ausführungen ab RNr. 69 der Entscheidung vom 14.06.2012 - ohne den Entscheidungsgründen Zwang anzutun - ablesen. Liest man sodann noch die Ausführungen der Generalanwältin mit Votum vom 12.09.2012 hinzu, ist kaum damit zurechnen, dass der EuGH alle Löwengruben, Fallstricke, Versorgersünden absegnen und sich hinter den BGH stellen wird.

Und noch etwas hierzu:

Das Bundesverfassungsgericht hat dem BGH bereits am 25.01.2011 wegen seiner kontemplativen "Sich-Selbst-Überhebung" eine deutliche und laut vernehmbare Watschen versetzt.

Mit dieser seiner Entscheidung zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB (vgl. BVerfGE 1 BvR 918/10, Beschluss des Ersten Senats vom  25. Januar 2011) hat das Bundesverfassungsgericht klar herausgearbeitet, dass der BGH die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung hierbei in unzulässiger und nicht hinnehmbarer Weise überschritten hatte. Hintergrund der Entscheidung des BGH zu § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB war der gewesen, dass der BGH einen "System-Wechsel" geschaffen hatte, welcher nicht zu seinen Kompetenzen zählt.

Richterliche Rechtsfortbildung durchbricht die Gewaltenteilung, kann diese aber auch verhindern.
Gerade wenn dabei ein Systemwandel exerziert wird (so wie dies dem XII. Familiensenat unterlaufen ist, für den ich sogar Verständnis habe), dann frägt sich der Bürger doch nicht ohne Grund, warum solch ein Wandel von Fünfen (den Bundesrichtern) besser, richtiger oder sozialverträglicher beurteilt werden kann, als auf  dem Weg in dem dafür vorgesehenen Verfahren.

Bislang jedenfalls ist es derzeit noch Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, dem Gesetzgeber die nötigen Schuhe anzuziehen, damit ein als sozialunverträglich erkannter Zustand beseitigt und sein Wandel zum Gehen gebracht werden kann.

Der VIII. Energiesenat haut den Verbrauchern das BGB mit vollständig neuen Regeln um die Ohren und fühlt sich dabei noch als Retter der Daseinsvorsorge.
Titel: EuGH, 14.03.2013, Az.: C-415/11 (RechtSache Mohamed Aziz / Catalunyacaixa)
Beitrag von: tangocharly am 15. März 2013, 11:35:27
Der EuGH hat am 14.03.2013 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=135024&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1254725) zu einer -nicht energierechtlichen- Klauselfrage entschieden (lt. Pressemitteilung):

Zitat
[...] Bei der Prüfung des Begriffs der missbräuchlichen Klausel weist der Gerichtshof sodann darauf hin, dass das durch eine solche Klausel verursachte „erhebliche und ungerechtfertigte Missverhältnis“ unter Berücksichtigung derjenigen Vorschriften zu beurteilen ist, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in diesem Punkt keine Vereinbarung getroffen haben. Hierbei ist außerdem von Bedeutung, dass die Rechtslage des Verbrauchers vor dem Hintergrund der Mittel untersucht wird, die ihm das nationale Recht zur Verfügung stellt, um der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen. Bei der Frage, ob das Missverhältnis „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben“ verursacht wird, ist zu prüfen, ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt.

Im Urteil findet man die entsprechenden Passagen bei Tz. 65 ff. [76];
Nur mal so als Vorgeschmack darauf, was am 21.03.2013 zu erwarten sein dürfte.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 20. März 2013, 09:10:30
Beitrag im BBH- Energieblog:

http://www.derenergieblog.de/alle-themen/energie/gvv-preisanpassungsklauseln-in-sondervertragen-vor-dem-aus-wie-wird-der-eugh-entscheiden/#more-9863

Titel: Re: EuGH, 14.03.2013, Az.: C-415/11 (RechtSache Mohamed Aziz / Catalunyacaixa)
Beitrag von: PLUS am 21. März 2013, 12:09:18
Nur mal so als Vorgeschmack darauf, was am 21.03.2013 zu erwarten sein dürfte.
Riecht gut! ;) Sieht nach einem Erfolg aus. Geld bedeutet das ja noch nicht, aber immerhin. Die Experten werden Ratschläge dazu geben.

Das Urteil (http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIndex=0&part=1&mode=req&docid=135405&occ=first&dir=&cid=396375)

Jetzt stellt sich die Frage, wann und wie es mit den zurückgelegten Tarifkundenfällen weitergeht. Viele Verfahren liegen ja bei den Amtsgerichten bis dahin auf Eis. 
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: bolli am 21. März 2013, 12:58:12
Vor allem das hier
Zitat
Die deutsche Regierung hat den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen für den Fall, dass nach dem zu ergehenden Urteil eine Klausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht den Anforderungen des Unionsrechts genügen sollte, ersucht, die Wirkungen seines Urteils zeitlich so zu begrenzen, dass die in diesem Urteil zugrunde gelegte Auslegung nicht auf vor der Urteilsverkündung eingetretene Tarifänderungen anwendbar ist. Nach Ansicht von RWE, die in ihren schriftlichen Erklärungen ebenfalls einen Antrag in diesem Sinne gestellt hat, sollten die Urteilswirkungen um 20 Monate aufgeschoben werden, um den betroffenen Unternehmen und dem nationalen Gesetzgeber eine Anpassung an die Folgen des Urteils zu ermöglichen.
...
Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.

Da das zweite oben in Randnr. 59 genannte Kriterium nicht erfüllt ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Kriterium der Gutgläubigkeit der Betroffenen erfüllt ist.

Demnach besteht kein Anlass, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.
Eben in den Medien wurde nämlich schon anderes berichtet.

Edit: Gerade in den Nachrichten wurde es nun richtig berichtet.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: DieAdmin am 21. März 2013, 14:16:18
Pressemeldung der Verbraucherzentrale NRW von heut:

Zitat
Europäischer Gerichtshof stärkt Gaskunden: Verbraucherzentrale NRW im Verfahren gegen RWE bestätigt
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seinem heutigen Urteil die Rechte von Gaskunden gestärkt. In der Rechtssache C-92/11 haben die Richter entschieden, dass Energieversorger ihre Preiserhöhungen für Sonderkunden besser begründen müssen.

Sie können sich hierbei nicht allein auf Vorschriften berufen, die nur in der Grundversorgung gelten. Preiserhöhungsklauseln müssen Änderungen so transparent darstellen, dass Verbraucher die Gründe und das Verfahren bei etwaigen Preisänderungen schon bei Vertragsschluss deutlich erkennen können. Weiterhin müssen Kunden bei Preisänderungen die Möglichkeit haben, Verträge zu kündigen.

Damit folgt der EuGH der Ansicht der Verbraucherzentrale NRW. Diese vertritt 25 Gaskunden des Energiekonzerns RWE in einer Sammelklage. In dem seit 2006 laufenden Verfahren fordern die Verbraucherschützer von RWE unrechtmäßige Preiserhöhungen für die Jahre 2003 bis 2006 zurück. Sowohl das Landgericht Dortmund als auch das Oberlandesgericht Hamm hatten die Auffassung der Verbraucherzentrale NRW bestätigt. RWE ging in Revision und der Bundesgerichtshof (BGH) legte dem EuGH daraufhin die Sache zur Klärung einiger Rechtsfragen vor.

"Der EuGH hat uns heute voll und ganz bestätigt und damit die Rechte der Energiekunden erheblich gestärkt". Das sagt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. Den Anträgen der Bundesregierung sowie von RWE, die finanziellen Folgen des Urteils zu begrenzen und es nur auf künftige Preiserhöhungen zu beschränken, hat der EuGH dagegen eine klare Absage erteilt. Die Entscheidung betrifft deshalb auch Altverträge von Sonderkunden. Sonderkunde ist, wer beim Grundversorger einen besonderen Tarif vereinbart oder zu einem anderen Anbieter gewechselt hat. Ein Indiz dafür ist es, wenn im Vertrag Begriffe wie "Sonder-Vertrag, -Preis oder -Tarif" auftauchen.

Nun muss der BGH das Urteil des EuGH umsetzen. Trotzdem hat es schon jetzt Bedeutung auch für nicht an der Klage beteiligte RWE-Kunden sowie für Kunden anderer Unternehmen. Betroffen sind Haushalte, die Gas als Sonderkunden beziehen und nach deren Verträgen Preisanpassungen möglich sind, ohne dass diese begründet werden und die damit intransparent sind. Um mögliche Ansprüche zu wahren, sollten solche Kunden ihrer Jahresrechnung widersprechen. Dies muss allerdings binnen einer Frist von drei Jahren nach Erhalt geschehen. Damit ist ein Widerspruch derzeit nur noch gegen Rechnungen möglich, die Gaskunden ab April 2010 bekommen haben. Die Verbraucherzentrale NRW informiert über Details auf ihrer Internetseite www.vz-nrw.de und stellt einen Musterbrief zum Widerspruch gegen Jahresrechnungen zur Verfügung.

Die Verbraucherzentrale NRW bietet RWE an, in Verhandlungen über die Rückzahlung unberechtigter Preiserhöhungen für alle relevanten Kunden einzutreten.

http://www.vz-nrw.de/europaeischer-gerichtshof-staerkt-gaskunden--verbraucherzentrale-nrw-im-verfahren-gegen-rwe-bestaetigt

und die Meldung:

EuGH stärkt Rechte der Gaskunden

In einem Verfahren der Verbraucherzentrale NRW gegen die RWE Vertrieb AG hat der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil vom 21.03.2013 (AZ: C-92/11) die Rechte von Gassonderkunden gestärkt.

http://www.vz-nrw.de/widerspruch-gaspreiserhoehung
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: DieAdmin am 21. März 2013, 18:33:32
Auch der Bund der Energieverbraucher e.V. hat eine Pressemitteilung veröffentlicht:


EuGH entscheidet: Klauseln müssen klar und verständlich sein. Gaspreiserhöhungen unterliegen strengem EU-Verbraucherrecht

http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/News__1700/ContentDetail__13300/
Titel: ...
Beitrag von: PLUS am 22. März 2013, 00:05:21
... und die Interpretation der Stadtwerkevertretung dazu: Verband kommunaler Unternehmen e.V. (http://www.presseportal.de/pm/6556/2437938/vku-zur-eugh-entscheidung-ueber-eine-deutsche-gaspreisaenderungsklausel-bundesgerichtshof-muss-nun)
Titel: nach dem EuGH-Urteil vom 21.3.2013: Stunde des BGH schlägt.
Beitrag von: Lothar Gutsche am 22. März 2013, 08:28:42
@ bolli

Nach meiner Einschätzung haben Sie da ein paar Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und damit leider die Kernaussage zur zeitlichen Begrenzung und zur möglichen Verjährungsfrist verfälscht.

Im vorliegenden Urteil unter Aktenzeichen C-92/11 vom 21.3.2013 muss sich der EuGH nicht damit befassen, ob die Wirkungen des Urteils irgendwie zeitlich zu begrenzen sind. Denn laut Entscheidung zur 2. vorgelegten Frage des BGH aus dem Verfahren VIII ZR 162/09 gilt:
Zitat
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Beurteilung anhand aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, einschließlich aller Klauseln in den allgemeinen Bedingungen der Verbraucherverträge, die die streitige Klausel enthalten.
Damit obliegt es dem BGH im Verfahren VIII ZR 162/09 zu entscheiden, ob in Erdgaslieferungsverträgen mit Sonderkunden die Preisänderungsklauseln, die nur auf § 4 AVBGasV verweisen, "den Anforderungen an eine klare und verständliche Abfassung und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz genügen, wenn in ihnen Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen."

Auch bezüglich der Kündigungsmöglichkeit des Kunden spielt der EuGH dem BGH die Befugnis zur Entscheidung zu. In der Randnummer 54 des Urteils betont der EuGH: Es ist
Zitat
von wesentlicher Bedeutung, dass die Kündigungsmöglichkeit dem Verbraucher nicht nur formal eingeräumt wird, sondern auch tatsächlich wahrgenommen werden kann.

Immerhin erläutert der EuGH das noch und nennt in Randnummer 54 mehrere konkrete Kriterien zur tatsächlichen Kündigungsmöglichkeit:

Unter dem Strich lässt sich festhalten, was der VKU in seiner Stellungnahme unter http://www.presseportal.de/pm/6556/2437938/vku-zur-eugh-entscheidung-ueber-eine-deutsche-gaspreisaenderungsklausel-bundesgerichtshof-muss-nun richtig erkannt hat: Das EuGH-Urteil vom 21.3.2013 lässt dem BGH noch extrem viel Spielraum. Insbesondere ist mit dem EuGH-Urteil noch nichts zu Gunsten der Verbraucher entschieden. Natürlich spielt auch die zeitliche Befristung der Rückforderungsansprüche auf maximal drei Jahre den Versorgern in die Karten und reduziert die möglichen Zahlungen an die Verbraucher beträchtlich. Und mit dieser Frage nach dem Zeitraum landen wir wieder bei dem BGH-Urteil vom 14.3.2012, das Gegenstand dieses Threads ist.

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: khh am 22. März 2013, 09:47:07
@Lothar Gutsche,

Ihre Einschätzung kann ich eher nicht nochvollziehen [den "Versuch der Abwiegelung" durch den VKU schon ;)]. 

Klar ist, dass es dem BGH obliegt, den vorliegenden Einzelfall zu beurteilen und zu entscheiden. Aber die Vorgaben des EuGH sind doch eindeutig, wo lässt das Urteil dem BGH noch extrem viel Spielraum?  :-\

Und der EuGH hat sich durchaus mit dem Ersuchen der deutschen Regierung und von RWE befasst und zweifelsfrei entschieden, dass kein Anlass besteht, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.

Dass die vom BGH im letzten Jahr entschiedene zeitliche Begrenzung für erstmalig geltend gemachte Rückforderungsansprüche womöglich greift, ist ein anderes Thema.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: khh am 22. März 2013, 09:48:31
versehentlicher Doppelpost gelöscht
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 22. März 2013, 14:12:10
In seinem Urteil vom 21.03.13 Az. C -92/11 stellt der EuGH m.E.zum einen klar, dassAGB-  Preisänderungsklauseln in Gaslieferungsverträgen uneingeschränkt der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB unterliegen, und stellt ferner  für die Wirksamkeit einer solchen Preisänderungsklausel mit Rücksicht auf das Transparenzgebot auf die gleichen Kriterien ab, auf die der BGH sonst gem. § 307 BGB in seiner ständigen Rechtsprechung auch abstellt (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.07 Az. III ZR 247/06, juris Rn. 10 ff.).

Zitat
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene sogenannte Kostenelementeklauseln, die wie die
hier in Rede stehende Bestimmung eine Preisanpassung wegen und auf der Grundlage sich verändernder Kosten vorsehen, sind insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Sie sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (Senatsurteil vom 11. Oktober
2007 - III ZR 63/07 - Rn. 19; BGH, Urteile vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05 - NJW-RR 2005, 1717 unter II. 2.; vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06 - NJW 2007, 1054, 1055 Rn. 20; jeweils m.w.N.).

Die Schranke des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wird allerdings nicht eingehalten, wenn die Preisanpassungsklausel es dem Verwender ermöglicht, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 aaO; BGH, Urteile vom 21. September 2005 aaO und vom 13. Dezember 2006 aaO Rn. 21; jeweils m.w.N.).

Dementsprechend sind Preisanpassungsklauseln nur zulässig, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des
Gesamtpreises offen gelegt werden, so dass der andere Vertragsteil bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden Preissteigerungen einschätzen kann (Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 aaO; vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 1980 - VIII ZR 174/79 - NJW 1980, 2518, 2519 unter II 2. c); vom 19. November 2002 - X ZR 253/01 - NJW 2003, 746, 747 unter III. 2. a) m.w.N.; vom 21. September
2005 aaO S. 1717 f unter II. 3.b) und vom 13. Dezember 2006 aaO Rn. 23 ff).

b) Diesen Anforderungen wird die beanstandete Preisanpassungsklausel nicht gerecht. Sie verstößt zum einen
gegen das aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Transparenzgebot. Sie ist deshalb zu unbestimmt, weil sie ganz allgemein an eine Erhöhung der nicht näher umschriebenen Bereitstellungskosten anknüpft und weder die Voraussetzungen noch den Umfang einer Preiserhöhung näher regelt. Insbesondere werden die Kostenelemente und deren Gewichtung im Hinblick auf ihre Bedeutung
für die Kalkulation des Abonnementpreises nicht offen gelegt. Für den Abonnenten ist deshalb weder vorhersehbar, in welchen Bereichen Kostenänderungen auftreten können, noch hat er eine realistische Möglichkeit, etwaige Preiserhöhungen anhand der Klausel auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen.

Zum anderen führt die Klausel auch nach ihrem Inhalt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Abonnenten, weil sie Preiserhöhungen nicht auf den Umfang der Kostensteigerung begrenzt und sogar dann gestattet, wenn der Anstieg eines Kostenfaktors durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird. Somit ermöglicht die Bestimmung der Beklagten, die Abonnementpreise ohne jede Begrenzung zu erhöhen und nicht nur insgesamt gestiegene Kosten an ihre Kunden weiter
zugeben, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Gerade eine solche Verschiebung des vertraglichen
Gleichgewichts durch einen praktisch unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum will § 307 BGB verhindern.


Der EuGH hat entschieden, dass sein Urteil nicht - wie von der Bundesrepublik Deutschland und RWE beantragt-  erst Monate nach Verkündung Wirkung entfaltet und die Rechtsprechung des EuGH somit erst auf zukünftige Preisänderungen anwendbar wäre,
sondern das diese Rechtsprechung zeitlich uneingeschränkt gilt, weil sie auf das materielle Recht gründet, welches seit Inkrafttreten der entsprechenden EU- Richtlinien (bzw. nach Ablauf der Umsetzungsfrist) ohnehin unmittelbar gilt. Das Urteil schafft also kein neues, nicht schon bestehendes und in Geltung befindliches Recht.

Dies ändert freilich nichts daran, dass mögliche Rückforderungsansprüche der Kunden infolge unwirksamer Preisänderungsklauseln und somit unwirksamer einseitiger Preisänderungen der regelmäßigen Verjährung unterliegen.

Über die Frage, ob die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zur zeitlichen Beschränkung der Berufungsmöglichkeit des Kunden auf die Unwirksamkeit einzelner einseitiger Preisänderungen mit der Rechtsprechung des EuGH in Übereinklang steht (also dem eigentlichen Gegenstand dieses Threads), hatte der EuGH in seinem Urteil vom 21.03.13 nicht zu befinden.
Der EuGH entscheidet nur über die Rechtsfragen, die ihm - wie vorliegend vom BGH- vorgelegt werden.     
Titel: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: courage am 03. Mai 2013, 15:03:16
Die Instanzgerichte sind gefordert. Prof. Dr. Markert hält Klärung durch den EuGH für unabdingbar.

Prof. Dr. Kurt Markert bringt es in seinen  Anmerkungen zum BGH-Urteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12, ZNER 2013, 152 ff (http://www.pontepress.de/pdf/u2_201302.pdf) noch einmal präzise auf den juristischen Punkt, warum die eigenwillige ergänzende Vertragsauslegung des BGH und seine "Fristenlösung" wohl kaum mit EU-Verbraucherrecht nach der RL 93/13 in Einklang steht; so ich könnte, würde ich dies allen Instanzgerichten zur Pflichtlektüre auferlegen.

Die Anmerkungen von Prof. Markert decken sich mit meinen Ausführungen in diesem Forum: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg95573.html#msg95573) sowie BGH benötigt Navigationshilfe vom EuGH (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17512.msg98416.html#msg98416).
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: PLUS am 09. Mai 2013, 10:51:12
BEZUG:
 ( http://forum.energienetz.de/index.php/topic,14551.msg100389.html#msg100389 )
Zitat
Beim enreg- Workshop am 06.05.13 in Berlin war zu erfahren, dass der Senat beabsichtige, im Verfahren Az. VIII ZR 162/09 eine Verhandlung noch vor den "Gerichtsferien" anzuberaumen, mithin noch vor August.
Im Zusammenhang mit der Versorgung von Tarifkunden hat der Senat dem EuGH bereits im Mai 2011 die Frage vorgelegt, ob die Regelungen des § 4 AVBGasV bzw. § 5 GasGVV mit dem Transparenzgebot der Erdgasbinnenmarktrichtlinie vereinbar sind (Az. C-359/11).

http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17423.msg95100.html#msg95100

@RR-E-ft, viele Verfahren liegen bei den Gerichten bis zu dieser Entscheidung auf Eis. Gab es da zum Fortgang Informationen?
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 09. Mai 2013, 20:26:19
Auch in dem Verfahren vor dem EuGH Rs. C- 359/11 soll alsbald terminiert werden. Bekanntlich dauert es jedoch einige Monate von einer mündlichen Verhandlung über die Stellungsnahme des Generalanwalts bis zur Verkündung einer Entscheidung.
Titel: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: courage am 02. Januar 2014, 15:16:11
EuGH bestätigt erneut hohen Verbraucherschutz

Was deutsche Zivilgerichte bis hin zum BGH bisher nicht zu leisten imstande sind, nämlich den hohen europarechtlich verankerten Verbraucherschutz zu gewährleisten, gelingt dem EuGH in seinem lesenswerten Urteil vom 19.12.2013, C-209/12 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=145909&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=118654) erneut mit einer glasklaren Argumentation; so z.B. unter Rn 30:
Zitat
„Demnach kann sich der Versicherer … nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit … nicht nachgekommen ist …“

Das Urteil betrifft zwar Klauseln in einem Lebensversicherungsvertrag, seine Grundaussagen lassen sich jedoch ohne weiteres auf Energieversorgungsverträge mit Endverbrauchern übertragen.

Der EuGH ist den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 11.07.2013 (http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=139427&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=118654) gefolgt, die den Sachverhalt unter Rn 49 präzise auf den Punkt bringt:
Zitat
„Obwohl der Versicherer seine gesetzliche Verpflichtung zur Belehrung des Versicherungsnehmers nicht erfüllt hat, ist bei einer solchen Regelung die Rücktrittsfrist abgelaufen, weil der Versicherungsnehmer (durch Zahlung der fälligen Prämie) seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat. Dieses Ergebnis wäre abwegig.“

Bezogen auf die fragwürdige ergänzende Vertragsauslegung des BGH mit seiner für Energieverbraucher nachteilige Fristenlösung (Erfordernis einer weder gesetzlich noch vertraglich begründeten Beanstandung der Jahresabrechnung als rechtewahrende Obliegenheit und Begrenzung der Beanstandung auf eine maximal dreijährige Rückwirkung mit der Folge, dass der vertragliche Anfangspreis entgegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG nicht mehr gelten soll) würde die Generalanwältin wohl folgendermaßen formulieren:

Obwohl der Energieversorger seine gesetzliche Verpflichtung zur Verwendung transparenter und fairer Preisanpassungsklauseln nicht erfüllt hat, sind bei einer solchen Regelung berechtigte Rückforderungsansprüche weitgehend ausgeschlossen, weil der Endverbraucher seine vertraglichen Pflichten erfüllt hat. Dieses Ergebnis wäre abwegig.

Warum tun sich deutsche Zivilrichter/innen eigentlich so schwer mit der Anwendung des europäischen Verbraucherrechts? Haben sie das denn nicht gelernt?

Fazit:
Die Interessen von Unternehmen sind nicht schutzwürdig, wenn sie gegen europarechtliche Obliegenheiten verstoßen haben. Zu diesen Obliegenheiten gehört insbesondere die Anwendung transparenter und fairer Klauseln in Verträgen mit Endverbrauchern.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: Wolfgang_AW am 02. Januar 2014, 19:50:57
EuGH bestätigt erneut hohen Verbraucherschutz

Fazit:
Die Interessen von Unternehmen sind nicht schutzwürdig, wenn sie gegen europarechtliche Obliegenheiten verstoßen haben. Zu diesen Obliegenheiten gehört insbesondere die Anwendung transparenter und fairer Klauseln in Verträgen mit Endverbrauchern.

Der Bund der Versicherten schreibt dazu:

Historisches Urteil (https://www.bundderversicherten.de/Pressemitteilungen/Historisches-Urteil-gegen-Versicherungswirtschaft)

Zitat
Der BdV fühlt sich daher nun bestärkt im Kampf für mehr Verbraucherrechte. Er warnt davor, dem Jammern der Versicherer zu viel Gehör zu schenken: „Die Versicherer beginnen, sich als Opfer darzustellen, die Milliarden zu zahlen hätten“, so Kleinlein. Tatsächlich sind aber die Verbraucher die Geschädigten. Es wäre besser, wenn sich die Branche jetzt nüchtern der Diskussion um die Folgen des Gerichtsurteils stellen würde.

Hier kann man die Worte "Die Versicherer" streichen und durch "Die Energieversorger" ersetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang_AW

Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: berghaus am 08. Mai 2014, 23:41:18
Was schreibt  W. Zimmerlin in der  Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2014 S. 158 ff. zu diesem Thema?

Wo finde ich den Beitrag im Internet?

berghaus 08.05.2014
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 09. Mai 2014, 10:31:49
In ZNER 2014, S. 158 findet sich der Beitrag "Preissockelrechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) unvereinbar mit EU- Verbraucherrecht" von Wilhelm Zimmerlin, siehe http://www.pontepress.de/pdf/inhalt_201402.pdf.

Nach dem Urteil des BGH vom 31.07.13 Az. VIII ZR 162/09 tritt die Preissockelproblematik wohl nur noch in der Grundversorgung auf.

Die Entscheidungen des BGH vom 14.03.12 betreffen hingegen  Sonderverträge, in welche AGB- Preisänderungsklauseln einbezogen wurden, welche der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB nicht standhalten (siehe auch BGH, Urt. v. 15.01.14 Az. VIII ZR 80/13).
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: berghaus am 09. Mai 2014, 13:52:33
@RR-E-ft

unter dem Link finde ich nur ein dreiseitiges Inhaltsverzeichnis der ZNEV.

Kann man den Aufsatz von W.Zimmerlein im Internet finden?

berghaus 09.05.14
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 09. Mai 2014, 14:15:22
Den Aufsatz ist soweit ersichtlich nicht im Internet veröffentlicht.
Er knüpft inhaltlich an folgenden Beitrag im Forum an: http://forum.energienetz.de/index.php?topic=17518.0
Es geht dabei also nicht um das Thema des hiesigen Threads "BGH- Richterrecht vom 14.03.2012...."
Titel: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: berghaus am 24. November 2014, 01:46:58
Auf  Grund der Kritik im Thread http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19356.0/topicseen.html
stelle ich meine dortigen Fragen in Antwort #4 hier noch mal neu, weil sie m.E. die obige Diskussion fortsetzen können:

Zitat
Zitat
von Uwes in Antwort #24 am 05. November 2014
http://forum.energienetz.de/index.php/topic,18993.15.html in
Re: EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 Preisänderung Grundversorgung 

"Ich verstehe das Urteil im Hinblick auf die (vom EuGH abgelehnte) Begrenzung der Rückwirkung dahingehend, dass auch der BGH in den Verfahren, in denen die Vorlagebeschlüsse ergangen sind, an diese Entscheidung gebunden ist.
Da sowohl die 3-Jahresfrist (Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 und BGH, Urteil vom 24. September 2014 - VIII ZR 350/13 - LG Lübeck) als auch letztlich die Sockelpreistheorie eine Begrenzung der Rückwirkung herbeiführen sollen, darf diese Rechtsprechung nicht mehr angewandt werden."
(Hervorhebung von mir)

Ich nehme mal an, dass nur relativ wenige Sonderkunden mit Verträgen mit unwirksamer  Preisanpassungsklausel  (von wirksamen habe ich noch nie was gehört!) gibt, die Rückforderungen auf der Basis der 3-Jahresfrist oder des Vertragspreises eingeklagt haben.

Ebenso gibt es im Verhältnis zu der Gesamtkundenzahl wohl auch nur wenige, die kräftig gekürzt haben und dementsprechend von ihrem Versorger verklagt worden sind.

Bisher haben sich die unteren Gerichte um die Argumente von Prof. Markert oder von W.Zimmerlin (s.o.) wenig gekümmert und die 3-Jahresfrist gerne angewendet.

Wenn man der Aussage von Uwes folgt, dass die Begrenzung der Rückwirkung auch bei Sonderkundenverträgen mit EU-Recht nicht vereinbar ist, müsste es doch bald Gerichte geben, die dem BGH nicht folgen. Dementsprechend müsste es auch sinnvoll sein, Rückforderungen auf der Basis des Vertragspreises (u.U. noch aus dem vorigen Jahrhundert) zu stellen, soweit sie nicht verjährt sind.

Es ist klar, dass es wohl nur noch wenige ältere Verträge gibt, die nicht schon vor Jahren gekündigt worden sind, von wem auch immer.

Soweit jemand (kräftig) gekürzt hat und verklagt worden ist, bietet sich ja auch die Möglichkeit,  die  Verjährung durch Aufrechnung nach § 215 BGB um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Da ergeben sich bei einem niedrigen Vertragspreis viel höhere Beträge als bei einem Preis drei Jahre vor dem ersten Widerspruch.

Nun aber meine Frage:

Bietet die (frische) Entscheidung des Eu-GH, im Tarifkundenbereich die ‚Begrenzung der Rückwirkung‘ nicht zuzulassen, auch für Sonderkunden den Ansatz, dass auch hier die 10-jährige Verjährungsfrist gelten wird, wenn es gelingt, die Fristenlösung vor den Eu-GH zu bringen?

Wenn dem so ist, meine ich, brauchen wir auch für Sonderkunden noch einen Musterbrief.

berghaus 24.11.14
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: uwes am 24. November 2014, 12:01:46
@Berghaus

Die Frage stellen Sie zu Recht.
Leider ist sie nicht so einfach zu beantworten.

Im Verfahren C-92/11 hat die Bundesregierung beantragt, die Rückwirkung des Urteils zu beschränken.
Der EuGH hat das abgelehnt, wie später auch in dem Verfahren C-359/11 und C-400/11.

Er führte hierzu aus:

Zitat
Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.
(Rd-Nr. 62)

Der Gerichtshof sagt aber auch:

Zitat
Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 44, und Invitel, Randnr. 22).
m Rd-Nr. 60

Meiner  Meinung nach kann die Fristenlösung nicht starr und wie bisher angewendet werden. Wenn der Gerichtshof die Begrenzung der zeitlichen Rückwirkung deswegen nicht für erforderlich erachtet, weil schwerwiegende Störungen im Vertragsgefüge nicht als erwiesen angesehen werden konnten, so kann der VIII. Zivilsenat jetzt nicht kommen und ohne jegliche Beweisführung durch den jeweiligen Versorger eine solche schwerwiegende Störung an- und zum Anlass für einen Vertragsanpassung nehmen.

Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 24. November 2014, 12:13:26
Der BGH nimmt auch in seinem Urteil vom 14.01.14 Az. VIII ZR 80/13 für Rückforderungsansprüche von Sondervertragskunden, bei denen eine einbezogene Preisänderungsklausel und deshalb darauf gestützte einseitige Preisänderungen unwirksam waren, eine dreijährige Verjährungsfrist für Rückforderungsansprüche der Kunden an. Schließlich gäbe es bereits seit langem umfangreiche Rechtsprechung des BGH zur Unwirksamkeit von Preisänderungsklauseln gem. § 9 AGBG bzw. § 307 BGB.

Der BGH verweist auch dabei auf die von ihm gefundene Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Preisänderungsklausel eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge aufgerissen wird.

Es ist nochmals daran zu erinnern, dass eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung dabei aber weiter zur Voraussetzung hat, dass dem Lieferanten durch die so entstandene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entstehen muss, deren Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu prüfen sind, so dass sich jede schematische Anwendung verbieten sollte. Einzelheiten hatte ich bereits oben genannt. 

Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: khh am 24. November 2014, 12:39:18
... Der BGH verweist auch dabei auf die von ihm gefundene Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Preisänderungsklausel eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge aufgerissen wird.
Es ist nochmals daran zu erinnern, dass eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung dabei aber weiter zur Voraussetzung hat, dass dem Lieferanten durch die so entstandene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entstehen muss, deren Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu prüfen sind, so dass sich jede schematische Anwendung verbieten sollte. ...

Für die Praxis bedeutet das dann wohl: Zumindest der Sondervertragskunde ist so klug wie zuvor, wenn er Rückforderungsansprüche aufgrund der unwirksamen sogen. "GVV-Klausel" in einer Sondervertrags-AGB geltend machen will. Der Versorger wird sich (von anderen gemachten Einwänden mal ganz abgesehen) zumindest auf die 3-jährige Rückwirkungsfrist des erstmaligen Widerspruchs berufen. Und welcher Verbraucher will schon den jeweiligen "Einzelfall" womöglich bis zum BGH auf den Prüfstand bringen. :( 
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 24. November 2014, 13:06:06
@khh

Bitte zuerst das von mir genannte Urteil des BGH vom 14.01.14 Az. VIII ZR 80/13 lesen.
Darin nennt der BGH eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung im Falle der Unwirksamkeit einer wirksam einbezogenen Preisänderungsklausel.

Diese ergänzende Vertragsauslegung führt zu keinem Preisänderungsrecht des Versorgers, jedoch zu einer zeitlichen Beschränkung des Kunden,
sich auf die Unwirksamkeit einer einseitigen Preisänderung aus der Vergangenheit zu berufen und deshalb Rückforderungsansprüche zu erheben, zB. auf der Grundlage eines bei Vertragsabschluss 1981 vereinbarten Sonderpreises. Diese ergänzende Vertragsauslegung ist umstritten.

Unabhhängig davon, dass diese ergänzende Vertragsauslegung umstritten ist, hat sie m. E. - wie jede ergänzende Vertragsauslegung - zur weiteren Voraussetzung,  dass dem Versorger durch die in den Vertrag gerissene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entsteht, was in jedem Einzelfall zu prüfen ist, so dass sich eine Schematisierung verbieten sollte.

Wenn dem Versorger an einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung gelegen ist, die das Berufen des Kunden auf die Unwirksamkeit einseitiger Preisänderungen aus der Vergangenheit zeitlich beschränken soll, so muss der Versorger m. E. im Prozess  die  Umstände darlegen und ggf. beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass ihm ohne eine solche zeitliche  Beschränkung eine unzumutbare Härte erwächst.

Eine solche unzumutbare  Härte kann zB. überhaupt nicht erwachsen, wenn alle einseitigen Preiserhöhungen  ausschließlich immer nur der Erhöhung des Gewinnanteils am Preis dienten, weil es jeweils gar keine zu deckende Kostenerhöhung gab.

Wer als Kunde und Gläubiger eines Rückforderungsanspruchss eine solche unzumutbare Härte als weitere Voraussetzung einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung von sich aus zubilligt, ohne dass entsprechende Umstände vom Versorger im Prozess überhaupt vorgetragen und unter Beweis gestellt wurden  oder bewiesen sind, der vergibt sich doch etwas. 

Warum man sich selbst nach Schema F bestehender Rückzahlungsansprüche begeben sollte, leuchtet nicht wirklich ein.   
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: uwes am 24. November 2014, 13:24:29
Nun ist die Fristenlösung für Sondervertragskunden genauso auf dem Prüfstand wie die Sockelpreisrechtsprechung bei Tarifkunden.
Beides bewirkt eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen der Rechtsprechung des EuGH.
Nun ist es schlechterdings nicht vorstellbar, dass die Gerichte Tarif- und Normsonderkunden in diesem Punkt unterschiedlich behandeln könnten.

Wir brauchen also entweder eine klare Absage zu fragwürdigen und juristisch nicht ausreichend begründbaren Theorien zu Begrenzungswirkungen oder aber eine klare Regelung für beide gleichermaßen, die jedoch nicht schematisch angewandt werden darf.

Seit 2013 können die EVUen die gesetzliche "Preisbestimmungspflicht" in den Normsonderkundenverträgen nicht mehr anwenden.
Ab Oktober 2014 geht das auch nicht mehr in Tarifkundenverträgen.

Erstere sind kündbar - auch durch den Versorger.
Letztere nicht.

Eine durchaus schwierige Aufgabe, die es zu lösen gilt.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 24. November 2014, 14:38:34
Nun ist die Frsietnlösung für Sondervertragskunden genauso auf dem Prüfstand wie die Sockelpreisrechtsprechung bei Tarifkunden.

Wo ist denn die umstrittene Fristenlösung auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Urt. v. 14.01.14 VIII ZR 80/13)?
Gab es etwa eine Vorlage an den EuGH, die umstrittene Fristenlösung auf ihre Vereinbarkeit mit EU- Recht zu kontrollieren?

Nicht nur Gerichte müssen sauber unterscheiden:

Der Sondervertrag unterfällt der Vertragsfreiheit, welche etwa durch das AGB- Recht Einschränkungen erfährt.
In den Sondervertrag kann eine Preisänderungsklausel wirksam einbezogen sein.
Ist keine Preisänderungsklausel einbezogen, besteht von Anfang an kein Recht zu einseitigen Preisänderungen.
Der Versorger entscheidet, ob er in seine AGB eine Preisänderungsklausel aufnimmt und wie er diese ausgestaltet,
so dass sie ihm nicht zum Vorteil gereicht und nicht die Möglichkeit eröffnet, den Gewinnanteil am Preis durch eine
Preisänderung nachträglich zu erhöhen.

Wenn eine Preisänderungsklausel als AGB wirksam einbezogen wurde, ist ein Preisänderungsrecht nur dann wirksam eingeräumt,
wenn die Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhält.
Ist das nicht der Fall, hat man eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge.
Ein Preisänderungsrecht kann allenfalls dann im Wege ergänzender Vertragsauslegung eingeräumt werden,
wenn dem Versorger durch die Regelungslücke eine unzumutbare Härte entsteht.
Dies ist regelmäßig dann nicht der Fall, wenn sich der Versorger binnen einer überschaubaren Frist bis zu zwei Jahren
durch ordnungsgemäße Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.

Einer Einräumung eines Preisänderungsrechts steht dabei jedoch auch das Verbot geltungserhaltender Reduktion entgegen.

Erst im Anschluss stellte sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn der Versorger erstmals mit lange zurückliegenden unwirksamen Preisänderungen konfrontiert wird,
denen der Kunde bis dahin nicht widersprochen hatte und wo der Versorger einen Widerspruch gegen die früheren Preisänderungen nicht mehr zur Veranlassung für eine ordentliche Kündigung nehmen kann. Für diese Situation wollte der VIII.ZS die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung aufzeigen.


Der Grundversorgungsvertrag unterfällt nicht der Vertragfreiheit, sondern von Anfang an dem Kontrahierungszwang des Versorgers, der mit einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht und einem Preisspaltungsverbot des Versorgers einhergeht, weshalb ein Preis nicht vertraglich vereinbart wird, sondern vom Versorger für alle vergleichbaren Kunden gem. § 315 BGB jeweils zu bestimmen ist (vgl. auch Markert, FS Säcker 2011 S. 848 ff.).

Der Kontrahierungszwang, das Preisspaltungsverbot und die gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Versorgers entfallen gewiss nicht,
wenn sich die bisherigen Bestimmungen der § 4 AVBV/ § 5 GVV als gegen EU- Recht verstoßend und deshalb unwirksam erweisen.
Die gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Versorgers ergibt sich schließlich schon nicht aus diesen Normen.


Selbst wenn man eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht nicht erkennen und diesen Normen ein Preisänderungsrecht entnehmen wollte,
so ließe sich eine ergänzende Vertragsauslegung, die gleichwohl zu einem Preisänderungsbefugnis führt, nicht wie bei Sonderverträgen mit dem Argument ausschließen,
eine unzumutbare Härte könne nicht angenommen werden, weil sich der Versorger im Falle eines Widerspruchs durch ordentliche Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.
Das kann er nämlich aufgrund des gesetzlichen Kontrahierungszwangs nicht, ausdrücklich § 20 Abs. 1 Satz 3 GVV.
Ein Verbot geltungserhaltender Reduktion besteht bei Gesetzesnormen nicht.

Bereits hier sieht man wohl, dass eine ergänzende Vertragsauslegung in der Grundversorgung vollkommen anders ausfallen müsste, als bei einem Sondervertrag.
Die Problemlage ist eine vollkommen andere.

Man hätte wohl die Bestimmungen über die Durchführung einer Preisänderung gem. § 4 AVBV und des bisherigen § 5 GVV eruoparechtskonform auszulegen, wobei die Erwägungen des EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C- 359/11 und C-400/11 in Rn. 46 f. voll zum Tragen kommen müssen.

Zitat
46       Den Kunden müsste neben ihrem in Anhang A Buchst. b beider Richtlinien verankerten Recht, sich vom Liefervertrag zu lösen, auch die Befugnis erteilt werden, gegen Änderungen der Lieferpreise vorzugehen.

47      Unter den in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils angeführten Bedingungen müssten die Kunden, um diese Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen und in voller Sachkenntnis eine Entscheidung über eine mögliche Lösung vom Vertrag oder ein Vorgehen gegen die Änderung des Lieferpreises treffen zu können, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.

So hätte man wohl zu jeder betroffenen Preisänderung zu fragen, ob der Kunde jeweils mit angemessener Frist  im Vornherein über die beabsichtigte Änderung des Lieferpreises, sein Sonderkündigungsrecht, daneben über sein Recht, gegen die Preisänderung vorzugehen informiert, und ihm volle Sachkenntnis darüber verschafft wurde, warum der Lieferpreis gerade zu diesem Zeitpunkt und  in diese Richtung und gerade um diesen Betrag geändert werden soll, um seine Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen zu können.

Wenn Versorger bei den Preisänderungen diesen Erfordernissen nach EU- Recht voll Rechnung getragen hatten, kann man ihnen wohl eine Preisänderungsbefugnis dem Grunde nach nicht absprechen.

Für die stümperhafte Umsetzung der Richtlinien durch den Gesetzgeber kann man sie nicht verantwortlich machen.

Wenn sich Versorger also an die Vorgaben des EU- Rechts gehalten haben, ohne dass jenes Recht den deutschen Verordnungen klar zu entnehmen war,
dann sollte ihnen daraus kein Nachteil erwachsen.

Die einzelnen Preisneufestsetzungen unterliegen dabei - wie bei korrekter Umsetzung durch den Gesetzgeber und Befolgung durch die Versorger -
der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB.

Der Anspruch auf Billigkeitskontrolle des neu festgesetzten Preises, über welches der Versorger den Kunden bereits vor der Preisneufestsetzung informiert hatte,
unterliegt der Verwirkung, wobei eine solche vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist von Rückforderungsansprüchen nur noch unter besonderen Umständen angenommen werden kann.

BGH, Urt. v. 23.01.14 Az. VII ZR 177/13 = NJW 2014, 1230:

Zitat
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, RdE 2013, 369 Rn. 13; Urteil vom 20. Juli 2010 - EnZR 23/09, NJW 2011, 212 Rn. 20 - Stromnetznutzungsentgelt IV, jew. m.w.N.). Allein der Ablauf einer gewissen Zeit nach Entstehung des Anspruchs vermag das notwendige Umstandsmoment nicht zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - VII ZR 213/07, BauR 2010, 618 Rn. 25 = NZBau 2010, 236 = ZfBR 2010, 353). Unterliegt ein Rückforderungsanspruch der (kurzen) regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), kann eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, aaO Rn. 13; Urteil vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11, BauR 2013, 117 Rn. 20 = NZBau 2012, 783 = ZfBR 2013, 39, jew. m.w.N.). Denn dem Gläubiger soll die Regelverjährung grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch rechtlich geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, aaO Rn. 13).

Bleiben noch die (wenigen?) Fälle, wo die Versorger bei Preisänderungen die -  europrechtskonform ausgelegten - Normen des § 4 AVBV bzw. § 5 GVV a.F. nicht beachtet haben.

Bei denen stellt sich die Frage, ob sich das Recht der Kunden, sich auf die Unwirksamkeit zurückliegender einseitigen Preisneufestsetzungen bis in das Jahr 2004 zurück zu berufen, im Wege ergänzender Vertragsauslegung zeitlich beschränken lässt, wenn hierfür eine Notwendigkeit besteht.

Aber auch dabei wäre m. E. Voraussetzung, dass der Versorger im Einzelfall darlegt und ggf. beweist, dass ihm ohne entsprechende zeitliche Befristung eine unzumutbare Härte erwächst.

 
   


 



 
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: uwes am 24. November 2014, 16:37:03
Der Anspruch auf Billigkeitskontrolle des neu festgesetzten Preises, über welches der Versorger den Kunden bereits vor der Preisneufestsetzung informiert hatte, unterliegt der Verwirkung, wobei eine solche vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist von Rückforderungsansprüchen nur noch unter besonderen Umständen angenommen werden kann.
Dieser Anspruch auf Billigkeitskontrolle setzt voraus, dass einer Vertragspartei das wirksam eingeräumte  Recht (oder meinetwegen auch die Pflicht) zu einer Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen zusteht.

Auch wenn man Ihnen folgend durchaus auch die Bestimmung des Anfangspreises dazu rechnet, so bestehen keinerlei weitere Rechte oder Pflichten des Versorgers zu Preisänderungen im Rahmen der Grundversorgung und zwar zumindest in der Zeit bis zum 30.10.2014 nicht.

Die Fristenlösung gehört meines Erachtens ebenso auf den Prüfstand, auch wenn Sie nicht ganz zu Unrecht auf die diesjährige Entscheidung des BGH hinweisen. Lese ich mir diese durch, sehe ich jedoch keinerlei Bezugnahme auf die vom EuGH abgelehnte Begrenzung der Urteilswirkungen.
Defacto hat der Senat ausschließlich darauf abgestellt, dass ein Widerspruch des Kunden vorgelegenhaben müsse und im Streitfall einen solchen erkannt, weshalb die Fristenlösung nicht zum Tragen kam. Damit kommt dem Schweigen des Kunden der gleiche Erklärungswert zu, wie einem Widerspruch, wenn auch mit verschiedenen Rechtsfolgen.
Damit bricht der VIII. Senat mit dem Grundsatz, dass Schweigen des Verbrauchers eben keinerlei Erklärungswert hat.
Nicht einmal dann,  wenn er (der Verbraucher) eine Rechnung mit z.B. dem Ansatz höhrerer Preise bezahlt, ist dieser Zahlung nicht der "Erklärungswert" zu entnehmen, dass sich der Kunde mit den geänderten Preisen einverstanden erklärt, sondern allenfalls nur, dass er mit der Zahlung eine Rechnung also eine Zahlunsgpflicht erfüllen wollte.

Sehr schön sieht das das OLG Celle Urt. vom 19.5.2011 Az.: 13 U 6/10 kart, in dem es ausführt:
Zitat
Auch gilt in Sondervertragsverhältnissen - wie hier - der Grundsatz, dass einem Schweigen sowie der
widerspruchslosen Hinnahme oder sogar Begleichung von Rechnungen kein darüber hinausgehender
Erklärungswille zu entnehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2010, a. a. O.. auch OLG Hamm, a. a. O.,
Rn. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 11.01.2007, VII ZR 165/05, zitiert n.
juris, Rn. 9. vgl. auch Senatsurteil vom 27.01.2011, 13 U 100/10, Ziffer II Nr. 3).
Sähe man dies anders, würde dies zu einer faktischen Wirksamkeit unwirksamer AGB zu Gunsten des Verwenders
und damit zu einem wenig interessengerechten Ergebnis führen.
Titel: Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: RR-E-ft am 24. November 2014, 20:02:10
Auch wenn man Ihnen folgend durchaus auch die Bestimmung des Anfangspreises dazu rechnet, so bestehen keinerlei weitere Rechte oder Pflichten des Versorgers zu Preisänderungen im Rahmen der Grundversorgung und zwar zumindest in der Zeit bis zum 30.10.2014 nicht.

@uwes

Hier liegen wir halt in einem zentralen Punkt auseinander.
Für mich besteht unzweifelhaft eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers in Bezug auf die jeweiligen Allgemeinen Preise aus § 36 Abs. 1 iVm. §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG, auf welche § 315 BGB unmittelbare Anwendung findet.

Ihre Auffassung ist wohl  schwerlich mit dem Urteil des EuGH vom 23.10.14 Rs. C-459/11 u. C- 400/11 Rn. 42. vereinbar, wonach aus dem Wortlaut dieser Vorschriften hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden ergreifen und insbesondere dafür Sorge tragen, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht. Ihr Blick richtet sich womöglich irgendwie kurzsichtig wohl nur auf die grundversorgten Kunden, die bereits seit Juni 2004 ununterbrochen in laufenden Grundversorgungsverhältnissen stecken.

Dabei darf man das große Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Für die schutzbedürftigen Haushaltskunden besteht nur dann ein angemessener Schutz, wenn sie einen gesetzlichen Anspruch auf Grundversorgung zu angemessenen Allgemeinen Preisen haben. Wenn ein Grundversorger zu hoch kalkulierte Allgemeine Preise veröffentlicht hat und ein schutzbedürftiger Haushaltskunde würde hiernach einen Grundversorgungsvertrag allein durch Energieentnahme aus dem Netz eingehen, so würde der Schutz ersichtlich versagen/ wäre nicht gewährleistet, wenn der Grundversorger nicht zu der ihm möglichen  Preissenkung verpflichtet wäre.

Wie sähe es denn  mit den Kunden in seit 2003 ununterbrochen bestehenden Grundversorgungsverhältnissen aus, hätte im Juni 2004 bereits  ein exzessiv hohes Preisniveau bestanden, die Großhandelspreise wären von da an nur drastisch gefallen und die Versorger hätten keinerlei Preissenkungen vorgenommen, weil sie ja schon  keine entsprechende Verpflichtung trifft.

So hätte der Film schließlich auch ablaufen können. Die Rechtslage muss aber zu jedem erdenklichen Szenario passen und den schutzbedürftigen Haushaltskunden den angemessenen Schutz gewährleisten.

Ich bin mit Prof. Markert (FS Säcker S. 848 ff.) der Auffassung, dass sich die Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ebenso wie die Preisbestimmungspflicht des Netzbetreibers aus dem EnWG selbst ergibt, als gesetzliche Preisbestimmungspflicht unmittelbar der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt und dabei der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt ist wie der Folgepreis, was ssich daraus ergibt, dass mit dem Vertragsabschluss kein Preis vereinbart wird, sondern die vertragliche Preishauptabrede sich vielmehr in der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht hinsichtlich der jeweiligen Allgemeinen Preise, zu denen der Kunden beliefert werden muss,  erschöpft.

Zutreffend verweist etwa auch OLG Oldenburg, Urt. v. 5.9.08 Az. 12 U 49/07 darauf, dass sich aus § 4 AVBGasV kein Preisanpassungsrecht ergibt, was bereits mit der Entstehungsgeschichte begründet wird.

Zitat
Überschrift und unmittelbarer Wortlaut der Vorschrift offenbaren nicht, dass der Verordnungsgeber in § 4 AVBGasV ein Preisanpassungsrecht schaffen wollte. Die Vorschrift trägt die Überschrift "Art der Versorgung". Die Art der Versorgung und die Anpassung von Tarifen sind gänzlich verschiedene Regelungsbereiche. Die Überschrift legt es daher für den unbefangenen Betrachter nicht nahe, dass es in dieser Vorschrift inhaltlich um tarifrechtliche Regelungen gehen soll. Dasselbe gilt für den Wortlaut. Nach §4 Abs. 1 S. 1 AVBGasV stellt das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Hiermit wird eine Pflicht (und nicht ein Recht) begründet, jedermann zu allgemeinen Tarifen zu versorgen. § 4 Abs. 2 AVBGasV macht die Änderung von Tarifen davon abhängig, dass zuvor eine öffentliche Bekanntmachung stattfindet. Auch hierdurch wird nicht ein Recht, sondern eine Verpflichtung geschaffen, nämlich die zur Veröffentlichung von Tarifänderungen als Wirksamkeitsvoraussetzung. Zwar gibt die Regelung in Abs. 2 nur dann einen Sinn, wenn der Versorger tatsächlich das Recht hat, Tarife nicht nur festzusetzen, sondern sie auch während eines bestehenden Vertrages zu ändern. Hieraus folgt aber keinesfalls der Rückschluss, dass der Verordnungsgeber damit dieses Recht zugleich schaffen wollte (so allerdings Ludwig, Recht der Energieversorgung, AVBEltV Rdn. 3 zur gleichlautenden Regelung in der AVBEltV; s.a. Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, § 4 AVBEltV/AVBGasV Rz. 4, 10, 11). Die Vorschrift hat durchaus auch dann einen Sinn, wenn sie lediglich an ein bereits bestehendes Tarifanpassungsrecht anknüpfen und dieses Recht mit der formellen Pflicht zur Veröffentlichung verknüpfen will. Zudem wäre es "gesetzestechnisch" mehr als ungewöhnlich, eine derart bedeutsame Regelung, die einen gewichtigen Eingriff in die beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten darstellt, so zu formulieren, dass sich ihre Bedeutung für das hier in Rede stehende Tarifanpassungsrecht nur über einen Rückschluss erschließt, der zudem noch nicht einmal zu einem eindeutigen Ergebnis führt.

Auch die Entstehungsgeschichte und der Regelungszusammenhang, in dem die Bestimmung steht, rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dass der Verordnungsgeber hiermit mittelbar ein Preisanpassungsrecht begründen wollte.

Ermächtigungsgrundlage für die am 1. April 1980 in Kraft getretene AVBGasV war § 7 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 13. Dezember 1935 (RGBl I 1451; BGBl III 752) in der durch § 26 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976 (BGBl I 3317) geänderten Fassung. In § 7 Energiewirtschaftsgesetz 1935 war der damalige Reichswirtschaftsminister ermächtigt worden, "durch allgemeine Vorschriften und Einzelanordnungen die allgemeinen Bedingungen und allgemeinen Tarifpreise der Energieversorgungsunternehmen (§ 6 Abs. 1) …wirtschaftlich (zu) gestalten". Hiermit sollte auf einheitliche vertragliche Regelungen in den Verträgen zwischen Energieversorgern und den Abnehmern hingewirkt werden, die seinerzeit nur in Form von Musterbedingungen existierten, deren Verwendung durch die einzelnen Versorger nicht zwingend war. Ziel der Ermächtigung war es, die Abnehmer durch die Vorgabe von allgemeinen Bedingungen vor einem Missbrauch der Monopolstellung des Versorgers zu schützen. In der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift (Darge/Melchinger/Rumpf, Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft, 1936, S. 26,27) heißt es u.a.:

"Der Gesetzgeber kann sich aber nicht damit begnügen, die allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht nur formal festzusetzen. Er muss vielmehr auch materiell auf die Versorgungsbedingungen Einfluß nehmen können, um dafür Sorge zu tragen, daß der Gedanke der Versorgungspflicht durch abnehmerorientierte Fassung der Bedingungen auch verwirklicht wird. Diejenigen Abnehmergruppen, die auf die allgemeinen Versorgungsbedingungen angewiesen sind, stehen zum weitaus größten Teil einem Versorgungsmonopol gegenüber. Sie sind vor Mißbrauch der wirtschaftlichen Machtstellung des Unternehmers zu schützen. Die Erfahrungen der Praxis haben gezeigt, daß auf diesem Gebiet noch erhebliche Mängel bestehen. Daher muß dem Reichswirtschaftsminister eine Eingriffsmöglichkeit gegeben werden (§ 7)".

Die Ermächtigungsgrundlage unterschied zwei getrennte Bereiche. Zum einen betraf sie den Erlass von Vorschriften über die allgemeinen Bedingungen, nach denen ein Versorgungsunternehmen jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen hatte. Zum anderen schaffte sie die Befugnis zum Erlass von Regelungen über die allgemeinen Tarifpreise. Die hier in Rede stehende Änderung von Preisen ist zweifelsohne dem zweiten Teil der Ermächtigung, und zwar den Regelungen über die „allgemeinen Tarifpreise“ zuzuordnen. Diese Unterscheidung ist mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes durch das Gesetz vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I 3317) verdeutlicht worden. In Absatz 1 sind die Worte "allgemeine Bedingungen" entfallen, so dass sich die dortige Ermächtigung fortan auf den Erlass von Vorschriften über die allgemeinen Tarifpreise beschränkte. Die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung für die allgemeinen Bedingungen der Energieversorgungsunternehmen ist in Absatz 2 aufgenommen worden.

Zu einer Verordnung über die allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Gas kam es zunächst nicht. Der Generalinspektor für Wasser und Energie erklärte lediglich mit einer Anordnung vom 27. Januar 1942 die Allgemeinen Bedingungen der Gasversorgungsunternehmen (BGBl. III 752-1-7) für allgemeinverbindlich. Im zweiten - hier interessierenden - Bereich der Ermächtigung, also in dem zum Erlass von Regelungen über die Tarifpreise entsprach es bei Erlass des Energiewirtschaftsgesetzes 1935 allgemeiner Auffassung, dass ein Energieversorger auch ohne ausdrückliche Vorgabe des Gesetz- oder Verordnungsgebers ein faktisches Bestimmungsrecht habe und die Tarife nach den jeweiligen Gegebenheiten ändern könne. Der seinerzeit maßgebliche Kommentar von Darge/Melchinger/Rumpf, Energiewirtschaftsgesetz, 1936, führt hierzu in § 6 Ziff. 5e aus:

"Die allgemeinen Tarife gelten als Bestandteile der allgemeinen Versorgungsbedingungen, die den Vertragsinhalt bestimmen, und es besteht daher für sie wie für alle anderen Bedingungen die Möglichkeit der jederzeitigen Abänderung durch das Energieversorgungsunternehmen. Der Grund hierfür liegt in dem dauernden Fortschreiten der technischen Entwicklung, die auch fortlaufend Änderungen der Selbstkosten der Energieversorgungsunternehmen mit sich bringt. Die Änderungsbefugnis wirkt sich fast ausschließlich zugunsten der Abnehmer aus, indem Ersparnisse durch Betriebsverbesserungen in Form von Tarifermäßigungen weitergeben werden. Selbstverständlich sind aber auch Fälle denkbar, in denen die Entwicklung umgekehrt gehen kann, wie es z.B. bei der fortschreitenden Geldentwertung in den ersten Jahren nach dem Kriege der Fall war".

Das Preisanpassungsrecht des Versorgers wurde demgemäß als eine sich aus der Natur der Sache ergebende Befugnis angesehen. Denn wenn der Versorger verpflichtet war, jedermann zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen, ergab sich hieraus zwingend, dass er befugt war, seine Preise bei wirtschaftlichen Veränderungen anzupassen. Dies machte eine ausdrückliche Regelung zur Begründung eines solchen Rechts entbehrlich. Ein Nachteil zu Lasten des Abnehmers wurde hierin nicht gesehen. Zum einen standen seinerzeit in Anbetracht der fortschreitenden technischen Entwicklungen Preisermäßigungen und nicht die hier in Rede stehenden Erhöhungen im Vordergrund. Zum anderen - und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt - geschah die Anpassung der Preise zunächst unter der Kontrolle der Behörden. Während des zweiten Weltkriegs kam es beim Gas zu einer Zwangsbewirtschaftung durch den Reichskommissar für die Preisbildung (Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, Präambel BTOGas III C S. 8].

Regelungen zum Preisrecht wurden nach dem Krieg erstmals 1959 in der Verordnung über allgemeine Tarife für die Versorgung mit Gas (Bundestarifordnung Gas, BGBl. I 1959, 46) getroffen. Hierin wurden die Gasversorgungsunternehmen verpflichtet, bis zum 31.3.1960 nach bestimmten Vorgaben allgemeine Tarife zu bilden. Über die Veränderung dieser Tarife bzw. ein Recht des Versorgers, während des laufenden Vertrages die Tarife anzupassen, enthielt diese Verordnung keine Bestimmungen. Zwar wurde im Zusammenhang der BTOGas die Frage problematisiert, unter welchen Voraussetzungen ein Gasversorger seine Preise ändern dürfe, ob es hierfür einer ausdrücklichen Regelung in den Verträgen bedürfe und wie sie inhaltlich ausgestaltet werden müsse. Wegen der hiermit verbundenen Schwierigkeiten wurde aber empfohlen, gegenüber Teuerungszuschlägen und Preisänderungsklauseln in allgemeinen Tarifen Zurückhaltung zu üben (vgl. Tegethoff/Büdenbender/Klinger a.a.O S. 19 - 21). Das grundsätzlich bestehende Recht, die allgemeinen Tarife zu ändern, wurde dagegen nicht in Zweifel gezogen.

Mit der 1979 erlassenen AVBGasV wollte der Gesetzgeber lediglich von der Ermächtigung in § 7 Abs. 2 Energiewirtschaftsgesetzes in der Fassung vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I, 3317) Gebrauch machen. Geregelt werden sollten nur die allgemeinen Bedingungen für die Belieferung, nicht aber die Tarifgestaltung. Zwar wird in der Eingangsformel nicht zwischen den beiden Absätzen der Ermächtigungsgrundlage unterschieden. Der Regelungsbereich der Verordnung wird aber in § 1 Abs. 1 AVBGasV eingegrenzt. Hiernach betrifft sie die allgemeinen Bedingungen, zu denen Gasversorgungsunternehmen nach § 6 des Energiewirtschaftsgesetzes jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen haben. Inhalt der Verordnung sollte damit der Anschluss und die Versorgung der Kunden sein, nicht aber die Preisgestaltung bzw. die Anpassung der Preise. Zwar ist in §1 Abs. 1 AVBGasV von "allgemeinen Tarifpreisen" die Rede. Dabei geht es aber ersichtlich nicht um die Bildung dieser Preise, sondern nur die Versorgung der Kunden zu diesen Preisen. Auch in den weiteren Vorschriften der Verordnung finden sich keine Bestimmungen über die Ausgestaltung von Tarifen und ihre spätere Veränderung.

Die Feststellung, dass es bei der AVBGasV nicht um Tarifrecht ging, ergibt sich auch unmittelbar aus der Fassung von §4 Abs. 1 AVBGasV. Vorbild und Grundlage für diese Vorschrift war Ziff. II Nr. 1 der bis dahin maßgeblichen Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung von Gas (BGBl. 752-1-7). Dort hieß es:

„Das Gaswerk stellt im Rahmen des § 6 EnerG zu den Preisen seiner allgemeinen Tarife, die Bestandteil dieser Bedingungen sind, zur Verfügung: Stadtgas …“.

In § 4 Abs. 1 AVBGasV heißt es hingegen:

„Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung“.

§ 4 AVBGasV macht daher im Gegensatz zur früheren Regelung die allgemeinen Tarife nicht zum Bestandteil der Verordnung. Bestimmungen hierzu waren vielmehr - wenn auch nur in Grundzügen - bereits an anderer Stelle getroffen worden, und zwar in der Bundestarifordnung Gas.

Im Übrigen wurde es bis 1980 keinesfalls als Mangel oder als eine Lücke angesehen, dass es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über ein einseitiges Preisanpassungsrecht für Gasversorger bei laufenden Verträgen gab. Das grundsätzliche Recht zur Preisanpassung wurde für den Bereich der Grundversorgung vielmehr allgemein vorausgesetzt, und zwar folgend aus der Natur der Sache. Demgemäß bestand für den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber bei Erlass der AVBGasV nicht einmal Handlungsbedarf. Letztlich hätte die Neubegründung eines solchen Rechts auch zu der zwangsläufigen Feststellung führen müssen, dass sämtliche vor 1980 vorgenommene Tarifänderungen ohne Rechtsgrundlage erfolgt waren.

55Vor diesem Hintergrund spricht daher nichts dafür, dass der Verordnungsgeber mit dem Verweis auf die „allgemeinen Tarife“ in § 4 AVBGasV ein Tarifanpassungsrecht begründen wollte. Er hat es vielmehr stillschweigend als bereits vorhanden vorausgesetzt bzw. es den Versorgern überlassen, dieses Recht jeweils in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen im Einzelnen auszugestalten.

Belegt wird dies schließlich durch die amtliche Begründung (Bundesratsdrucksache 77/79). Zu § 4 AVBGasV heißt es u.a.:

"Nach Absatz 1 sind die GVU verpflichtet, die Kunden zu den "jeweiligen" allgemeinen Tarifen und Bedingungen, wozu auch diejenigen Regelungen gehören, die sie in Ausfüllung der vorliegenden Verordnung vorsehen, zu versorgen. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß sich z.B. Tarifänderungen ohne entsprechende Kündigungen der laufenden Verträge nach öffentlicher Bekanntgabe (Absatz 2) vollziehen können. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich um Massenschuldverhältnisse mit langfristiger Vertragsbindung handelt. Die GVU müssen die Möglichkeiten haben, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit in den Preisen an die Kunden weiterzugeben. Entsprechende Vertragskündigungen, verbunden mit dem Neuabschluss von Verträgen, würden hier vor allem zu praktischen Schwierigkeiten führen, zumal Fiktionen bei Willenserklärungen und ihrem Zugang der Zielsetzung des § 10 Nr. 5 und 6 AGBGB widersprechen".

Regelungshintergrund war demgemäß (nur) die vor Erlass der Verordnung in der Literatur diskutierte Streitfrage, ob eine Tarifänderung ohne Kündigung des Vertrages durchgesetzt werden könne, nicht aber die Frage, ob eine Tarifänderung überhaupt möglich sei. Sinn der Vorschrift war es, sicherzustellen, dass Tarifänderungen ohne Kündigung der laufenden Verträge durchführbar waren (vgl. Schmidt-Salzer/Kommentar zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen, 1981, § 4 AVBEltV Rdn. 63- zu der insoweit gleichlautenden Regelung in der AVBEltV). Dagegen ging es nicht um die Tarifgestaltung bzw. um eine Regelung dazu, ob und wie die Tarife zu ändern waren. Es sollte lediglich eine Vorgabe dazu geschaffen werden, wie sich eine Tarifänderung auf den laufenden Vertrag auswirkt. Wäre es dagegen tatsächlich beabsichtigt gewesen, mit dieser Vorschrift auch ein Tarifänderungsrecht zu schaffen, so hätte es sich aufgedrängt, dies in der amtlichen Begründung ausdrücklich klarzustellen. Zum einen wäre dies deswegen geboten gewesen, weil sich ein entsprechender Wille weder aus der Überschrift noch aus dem Wortlaut der Vorschrift mit der für eine gesetzliche Regelung nötigen Klarheit erschließt. Hierzu kann auf die oben genannten Gründe Bezug genommen werden. Zum anderen hätte sich eine klarstellende Kommentierung deswegen aufgedrängt, weil es sich in diesem Fall um eine einschneidende Neuerung gehandelt hätte. Denn geht man davon aus, dass erst mit § 4 AVBGasV ein Preisänderungsrecht für die Gasversorger im Rahmen der Grundversorgung geschaffen worden ist, so zwingt dies zu der Feststellung, dass vor 1980 vorgenommene Preisanpassungen keine ausreichende Rechtsgrundlage hatten. Die Absicht, mit der Regelung eine bis dahin bestehende Lücke zu schließen oder auch nur eine Unklarheit zu beseitigen, wäre einer Erwähnung in der amtlichen Begründung wert gewesen.

Das Preisbestimmungsrecht bzw. die Preisbestimmungspflicht des kontrahierungspflichtigen Energieversorgers ergab sich von jeher zunächst aus der Natur der Sache, später unmittelbar aus dem EnWG (§ 6 Abs. 1 EnWG 1935, § 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 36 Abs. 1 EnWG), denn schon immer musste der Versorger die jeweiligen Allgemeinen Tarife zunächst festlegen, um sie dann öffentlich bekannt geben zu können  und hiernach jedermann bzw. jeden Haushaltskunden, der dies wollte, zu diesen jeweiligen Allgemeinen Tarifen bzw. Allgemeinen Preisen zu versorgen, undzwar noch bevor es überhaupt die entsprechenden Verordnungen gab.
Daran hat sich über nunmehr fast 80 Jahre nie etwas geändert.

Folgende Gedanken habe ich mir bisher allein gemacht:

Findet man in der Grundversorgung deshalb schon keinen vereinbarten Preis, sondern nur ein unmittelbar aus dem EnWG sich ergebendes Preisbestimmungsrecht (bei dem es sich bei genauer Betrachtung um eine Bestimmungspflicht iSd. § 315 Abs. 1 BGB  in Bezug auf die jeweiligen Allgemeinen Preise handelt), so kommt es überhaupt nicht auf ein Preisänderungsrecht aus § 4 AVBGasV oder § 5 GasGVV an.

§ 4 Abs. 2 AVBV wollte ja kein Preisbestimmungsrecht begründen, sondern sicherstellen, dass die Ausübung der andernorts - nämlich im EnWG bestehenden - Preisbestimmungsrechts (Preisbestimmungspflicht!) als einseitige Willenserklärung für ihre Wirksamkeit nicht auf den Zugang beim einzelnen Bestimmungsgegner ankommt, sondern in Abweichung von  § 130 BGB  vielmehr die öffentliche Bekanntgabe des Versorgers die notwendige wie hinreichende Bedingung darstellt.

Durch eine Unwirksamkeit des § 4 Abs. 2 AVBGasV entfällt deshalb nicht das sich von Anfang an aus dem EnWG ergebende Preisbestimmungspflicht (Preisbestimmungsrecht)  in Bezug bauf die jeweiligen Allgemeinen Tarife/ Preise.

Der Versorger hätte vielmehr dasjenige Bestimmungsrecht, welches aus seiner Bestimmungspflicht in Bezug auf die jeweiligen Allgemeinen Tarife/ Preise  folgt, nur nicht wirksam ausgeübt, jedenfalls dann nicht, wenn man § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV EU- richtlinienkonform auslegt und vom Versorger bei einer Erhöhung des Lieferpreises all jene Informationen nicht mit angemessener Frist im Vornherein den Kunden brieflich zur Verfügung gestellt wurden, auf welche es gem. EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C- 359/11 und Rs. C- 400/11 Rn. 46 f. ankommt. In diesem Fall kommt es weder auf Billigkeit noch Verwirkung des Anspruchs auf Billigkeitskontrolle an.

Hätte der Versorger hingegen die Informationspflichten, die sich aus dem EuGH- Urteil vom 23.10.14 Rn. 46 f. ergeben, bei einer einseitigen Tarifneubestimmung vollständig Genüge getan, so hätte er damit sein Bestimmungsrecht wirksam ausgeübt, und der hiergegen bestehende  Anspruch des Kunden auf auf Billigkeitskontrolle der einzelnen einseitigen Preisneufestsetzung (über den der Versorger bereits mit der Änderungsmitteilung vorab brieflich informieren musste!) konnte verwirken (vgl. BGH, Urt. v. 23.01.14 Az. VII ZR 177/13, juris Rn. 13, mwN).

Wenn der jeweilige Allgemeine Preis insgesamt der Billigkeitskontrolle unterliegt, der Anspruch des Kunden auf Billigkeitskontrolle nach den neuen Rechtsprechung des BGH (vgl. Urt. v. 24.01.14 Az. VII ZR 177/13 Rn. 13 mwN) nicht früher verwirkt als der mögliche Rückforderungsanspruch des betroffenen Kunden wegen Unbilligkeit verjährt, so gibt es wohl auch kein Problem.

Sonst  kann man sich noch akademisch darüber streiten, ob die Unwirksamkeit  nur bereits laufende Vertragsverhältnisse betrifft oder auch außnstehende Kunden, deren Vertrag erst später durch Energieentnahme zustande kam. Schließlich müssen alle entsprechenden Kunden zum gleichen jeweiligen Allgemeinen Tarif/ Preis versorgt werden und wenn die Preisänderungen gegenüber den allermeisten Bestandskunden unwirksam waren, wird man den neu hinzugekommenen Neukunden wohl keine höheren Allgemeinen Preise abverlangen können.     

 
Titel: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
Beitrag von: courage am 27. Dezember 2015, 09:56:44
Das vom BGH mit Urteil vom 15.11.2015 (VIII ZR 360/14)  -hier im Forum besprochen- (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19900.msg115823.html#msg115823) als wirksam beurteilte Klauselwerk im fraglichen Stromsondervertrag ist lückenhaft und leidet deshalb an einem entscheidenden Mangel:

Das Klauselwerk enthält nämlich keine Verpflichtung des Versorgers, seinen Kunden mitzuteilen, ob, wann und in welchem Umfang die vertragsrelevanten Beschaffungskosten gesunken sind.
Durch diese Lücke wird das Klauselwerk unvollständig; dadurch verstößt es gegen das Transparenzgebot.


Mag im Übrigen das Klauselwerk auch noch so transparent erscheinen. Der Kern des Problems ist: wenn dem Kunden, im Gegensatz zu den betragsmäßig veröffentlichten Preisbestandteilen wie Stromsteuer, EEG-, KWKG-Umlage oder Netzentgelt der Zugang zum Herrschaftswissen des Versorgers, nämlich zu den Informationen über die Entwicklung der vertragsrelevanten Beschaffungskosten verwehrt ist, fehlen ihm jegliche Anhaltspunkte darüber, ob der Versorger seiner Verpflichtung genüge getan hat, seine Preise in billiger Weise zu senken. Verschweigt der Versorger eine Senkung seiner Beschaffungskosten und belässt er seine Verbraucherpreise auf der bisherigen Höhe, verschiebt sich das vertragliche Gleichgewicht zu seinen Gunsten, ohne dass er dies dem Kunden offenbaren muss und ohne dass der Kunde dies erkennen kann. Gemäß Klauselwerk ist der Versorger nämlich nur verpflichtet, Preisänderungen mitzuteilen. Die Möglichkeit der Billigkeitskontrolle von konstanten Preisen trotz gesunkener Beschaffungskosten läuft dadurch ins Leere (BGH, Urt. v. 21.04.09 XI ZR 55/08, juris Tz. 38); s. hier im Forum (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19900.msg115604.html#msg115604).

Der 8. Zivilsenat des BGH ist bislang eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie ein Verbraucher unterlassene, jedoch billigerweise gebotene Preissenkungen erkennen und überprüfen kann.

Vielmehr leistet der BGH mit seiner Rechtsprechung Vorschub dafür, dass die Versorger ihre Praxis der unbillig unterlassenen Preissenkungen risikolos fortsetzen können. Unbillig unterlassene Preissenkungen wirken sich auf das vertragliche Gleichgewicht zwischen Verbraucher und Versorger in derselben Weise aus wie unbillige Preiserhöhungen. Der BGH sieht allerdings keine Notwendigkeit, dass Verbraucher über sinkende Beschaffungskosten informiert werden müssen. Dadurch beraubt er sie der Möglichkeit, in voller Sachkenntnis gegen die sie benachteiligende Änderungen im Vertragsverhältnis vorgehen zu können. Damit verstößt der BGH gegen seinen im EU-Verbraucherrecht begründeten Auftrag, einen hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten.

Es passt ins Bild, dass der BGH, obwohl er in seinem Urteil vom 15.11.2015 (VIII ZR 360/14) seine eigene Rechtsprechung wie folgt zitiert, Rn 17,
Zitat
Zwar verstößt eine Allgemeine Geschäftsbedingung gegen das Transparenzgebot, wenn der Vertragspartner durch die unklare, mehrdeutige oder unvollständige Fassung einer Klausel davon abgehalten wird, seine berechtigten Ansprüche oder Gegenrechte dem Verwender gegenüber geltend zu machen, oder wenn eine irreführende Darstellung der Rechtslage es dem Verwender ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren (BGH, Urteile vom 20. Juli 2005 - VIII ZR 121/04, BGHZ 164, 11, 24 f.; vom 9. Juni 2011 - III ZR 157/10, WM 2011, 1678 Rn. 44; vom 8. November 2012 - VII ZR 191/12, WM 2014, 132  Rn. 19, 23).

derselbe BGH die Lückenhaftigkeit des Klauselwerkes nicht erkennen will, nämlich die fehlende Offenbarungspflicht des Versorgers bei sinkenden Beschaffungskosten, wodurch Verbraucher abgehalten werden, ihre berechtigten Ansprüche geltend zu machen.

und weiter unter Rn 35:
Zitat
(1) Wie vorstehend unter II 3 b ausgeführt, folgt aus dem mit dem Transparenzgebot verfolgten Zweck die Verpflichtung der Beklagten, den Anlass und den Modus der die Entgeltänderung prägenden Umstände so transparent darzustellen, dass die Kunden die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen können. Dies verlangt der Beklagten eine so genaue Beschreibung der tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ab, dass für sie keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Dazu gehört ferner, dass ihre Preisanpassungsregelungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies - bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses - nach den Umständen, insbesondere auch nach den Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Kunden, gefordert werden kann (Senatsurteile vom 9. April 2014 - VIII ZR 404/12, aaO; vom 28. Mai 2014 - VIII ZR 179/13, aaO; jeweils mwN). Denn nur dann wird der Kunde in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte zu erkennen sowie eine geltend gemachte Preisanpassung nachzuvollziehen und zumindest auf Plausibilität zu überprüfen (vgl. BGH, Urteile vom 26. September 2007 - VIII ZR 143/06, NJW 2007, 3632 Rn. 31; vom 15. Mai 2013 - IV ZR 33/11, VersR 2013, 888 Rn. 45).

Eine der Fehlleistungen des 8. ZS - BGH besteht darin, dass er unter Rn 35 zwar seine eigene Rechtsprechung zitiert, diese jedoch ignoriert und keine Konsequenzen daraus zieht. Denn ohne eine Offenbarungspflicht für gesunkene Beschaffungskosten entstehen genau die ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume, die der Versorger zu seinem einseitigen Vorteil ausnutzen kann. Die Übervorteilung des Verbrauchers durch unterlassene Preissenkungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile kann dieser mangels transparenter Informationen (Rn 35: „Entgeltänderung prägende Umstände“) sowie mangels „klarer und verständlicher Kriterien“ (Rn 35) nicht erkennen. Er wird nicht in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe seine Rechte zu erkennen und die (unterlassene) Preisanpassung - eine unbillig unterlassene Preissenkung wirkt im Ergebnis (ungerechtfertigte Erhöhung der Gewinnspanne des Versorgers) wie eine unbillige Preiserhöhung - zumindest auf Plausibilität zu überprüfen.

Stattdessen verliert sich der 8. ZS - BGH unter den Rn 36 - 45 seines Urteils vom 15.11.2015 in einer weitschweifigen, jedoch am Kern des Problems (unterlassene Preissenkungen) vorbei gehenden Scheinargumentation über das Mögliche, Zumutbare und Verständliche bei der Abfassung von Preisänderungsklauseln. Wie das Beispiel der Thüringer Energie (TEAG) (http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19311.msg111677.html#msg111677) zeigt, ist für Versorger entgegen der Ansicht des BGH bereits ein beachtliches Maß an Preistransparenz sehr wohl umsetzbar ohne dabei angebliche Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu verraten.

Nachtrag:
Urteil BGH vom 21.09.2005, VIII ZR 38/05 (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=99fee4dbc320aff95be032490c5fca40&client=12&nr=34088&pos=0&anz=1), unter II 3:
Zitat
3. Diesen Anforderungen an den Inhalt einer zulässigen Kostenelementeklausel hält die von der Beklagten verwendete Preisänderungsklausel nicht stand. Die Klausel koppelt die Preisänderung an die Entwicklung bestimmter Betriebskosten, die die Kunden der Beklagten nicht kennen und nicht in Erfahrung bringen können (a). Ferner fehlt es an einer Gewichtung der einzelnen Kostenelemente im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Kalkulation des Gaspreises (b). …

a) … Denn wie das Berufungsgericht weiter mit Recht ausführt, benachteiligt die Kopplung der Preisänderungsbefugnis an die Entwicklung der im Unternehmen der Beklagten entstehenden Kosten die Vertragspartner der Beklagten vor allem deswegen unangemessen, weil es sich dabei - anders als bei Marktpreisen oder Tariflöhnen - um betriebsinterne Berechnungsgrößen handelt, die die Kunden der Beklagten weder kennen noch mit zumutbaren Mitteln in Erfahrung bringen können. Das gilt für die Gestehungspreise (Einkaufspreise) der Beklagten ebenso wie für die bei ihr anfallenden Material-, Lohn-, Transport- und Lagerkosten. Ob, wann, wodurch und in welchem Maße bei diesen Kosten Änderungen eintreten, bleibt den Kunden der Beklagten verborgen. Da es infolge dessen an einer realistischen Möglichkeit der Kunden fehlt, Preiserhöhungen der Beklagten auf ihre Berechtigung zu überprüfen, gibt die Klausel der Beklagten einen praktisch unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum zur Erzielung zusätzlicher Gewinne zu Lasten ihrer Vertragspartner.

Mehr Infos dazu: siehe hier (http://www.energieverbraucher.de/de/site/Hilfe/Container-Urteilssammlung/site__2125/).