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Energiepreis-Protest => Gerichtsurteile zum Energiepreis-Protest => Thema gestartet von: RR-E-ft am 23. Juli 2011, 20:20:08
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BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 EuGH- Vorlage: § 4 AVBEltV/ 5 StromGVV und § 4 AVBGasV/ § 5 GasGVV wirksam? (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=57029&pos=6&anz=712)
Der BGH legt nunmehr auch die Frage nach der Wirksamkeit von §§ 4 AVBEltV/ § 5 StromGVV, § 5 StromGVV dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Der Kläger bezieht von der Beklagten, einem kommunalen Versorgungsunternehmen, leitungsgebunden Gas und Strom.
In der letzten vom Kläger ohne Beanstandung und vorbehaltslos bezahlten Abrechnung der Beklagten für das Jahr 2004 setzte die Beklagte als Arbeitspreis für ihre Gaslieferungen 3,521 Cent/kWh und für ihre Stromlieferungen 9,758 Cent/kWh an.
Die Beklagte nahm im streitgegenständlichen Zeitraum 2005 bis 2008 zahlreiche Preiserhöhungen vor, die sie jeweils öffentlich bekannt machte.
Im Einzelnen erhöhte die Beklagte die Strompreise zum 1. Januar 2005, 1. September 2005, 1. Januar 2006 und 1. Januar 2008 sowie die Gaspreise zum 1. Januar 2005, 1. Oktober 2005, 1. Januar 2006, 1. April 2006, 15. Januar 2007, 1. Mai 2007, 1. April 2008 und 1. August 2008.
Am 18. Januar 2006 beanstandete der Kläger die Abrechnung der Beklagten vom 6. Januar 2006 betreffend die Strom- und Gaslieferungen für das Jahr 2005 und erhob den Einwand der Unbilligkeit. Die in den Rechnungen der Beklagten für die Abrechnungsjahre 2005, 2006 und 2007 ausgewiesenen Nachforderungen zahlte der Kläger nur unter Vorbehalt. Seinen wiederholten Aufforderungen, die Billigkeit der geforderten Entgelte nachzuweisen sowie die nach Auffassung des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum 2005 bis 2007 rechtsgrundlos gezahlten Entgelte für Strom- und Gaslieferungen in einer Gesamthöhe von 746,54 € zurückzuzahlen, kam die Beklagte nicht nach.
Mit seiner am 30. Dezember 2008 eingereichten und am 2. Februar 2009 zugestellten Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Rückzahlung von 746,54 € nebst Zinsen in Anspruch. Ferner begehrt er Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, für das Abrechnungsjahr 2008 bei der Berechnung der Arbeitspreise für Gas- und Stromlieferungen die jeweils für das Jahr 2004 geltenden Preise zugrunde zu legen.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.
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BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 Rn. 17, juris:
Ist einem Energieversorger aufgrund Gesetzes oder vertraglicher Vereinbarnung ein Preisanpassungsrecht eingeräumt, so unterliegt eine auf der Grundlage dieses Rechts erfolgte Preiserhöhung als einseitige Leistugsbestimmung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, sofern und soweit es sich nicht um vereinbarte Preise handelt (st. Rspr. des Senats; zuletzt Beschlüsse vom 18. Mai 2011 - VIII ZR 71/10, aaO unter III 2 a; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 162/09, WM 2011, 850 Rn. 18; jeweils mwN)
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Davon ist offenbar auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat darüber hinaus ohne Rechtsfehler angenommen, dass es sich bei den ab 2005 von der Beklagten verlangten Preisen nicht um vereinbarte Preise handelt, da der Kläger die jeweiligen Jahresabrechnungen der Beklagten beanstandet und die (erhöhten) Preise nur noch unter Vorbehalt gezahlt hat. Dem weiteren Strom- und Gasbezug durch den Kläger konnte daher nicht der Erklärungswert zukommen, er sei mit den (erhöhten) Preisen einverstanden.
Der Senat hält vorrangig die Frage für klärungsbedürftig, ob dem Versorger überhaupt wirksam ein Preisanpassungsrecht eingeräumt ist.
In diesem Zusammenhang geht der BGH der Frage nach, ob einebezogene Klauseln oder aber die gesetzlichen Regelungen überhaupt europarechtlich wirksam sind und hat diese Rechtsfrage wiederholt dem EuGH vorgelegt (BGH, B. v. 09.02.11 Az. VIII ZR 162/09, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10).
Kein Zweifel gelassen hat der BGH jedoch daran, dass für den Fall, dass diese Regelungen dem Versorger wirksam ein unbestimmtes einseitiges Preisanpassungsrecht einräumen, eine Billigkeitskontrolle der einseitigen Preisanpassungen zu erfolgen hat, wenn der Kunde diesen bzw. darauf beruhenden Jahresverbrauchsabrechnungen widersprochen hatte, so dass die einseitig abgeänderten Preise nicht als zwischen den Parteien vereinbart angesehen werden können.
Da nach alldem die Wirksamkeit des Preisanpassungsrechts des Versorgers jedenfalls zweifelhaft erscheint, sollte man Preisanpassungen und darauf beruhenden Jahresverbrauchsabrechnungen jedenfalls zeitnah widersprechen. Dabei sollte man sowohl das Preisanpassungsrecht als solches als auch die Billigkeit der einzelnen Preisanpassungen bestreiten und vorsorglich gem. § 315 abs. 3 BGB einen Billigkeitsnachweis darüber verlangen, dass die Preisanpassung der gesetzlichen Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.08 Az. VIII ZR 138/07 Rn. 39, 43; BGH, Urt. v. 13.01.10 Az. VIII ZR 81/08 Rn. 18; B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 Rn. 11).
Mit diesem Einwand kommt eine Rechnungskürzung auf die bisher vereinbarten Preise in Betracht, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 3 StromGVV/ GasGVV.
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Das was von der Versorgungswirtschaft als \"Billigkeitsnachweis\" freiwillig vorgelegt wird, sind durch die Bank Bescheinigungen, welche man, weil\'s besser klingt, als \"Testate\" bezeichnet.
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Wenn eine solche Bescheigung für den Kunden nachvollziehbar und prüffähig Aufschluss darüber erbringt, aus welchen konkreten Kostenfaktoren sich der Preissockel des konkreten Vertragspreises konkret zusammensetzt und wie sich diese konkreten Kostenbestandteile zwischenzeitlich konkret entwickelt haben und dabei jedenfalls immer auch nur Kosten Berücksichtigung fanden, soweit diese einer möglichst preisgünstigen, effizienten Versorgung entsprechen (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.08 Az. VIII ZR 238/07 Rn. 39,43) wäre dies immerhin schon einmal ein Anfang.
Einen Beweiswert hat eine solche Bescheinigung auch in einem Gerichtsprozess allerdings bekanntlich nicht (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 327/07 Rn. 20).
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ZNER 15/4/2011, S. 435 mit Anmerkung Markert (http://www.ponte-press.de/pdf/u4_201104.pdf)
Prof. Markert befasst sich in seiner Anmerkung umfassend auch mit der Frage, ob entsprechende Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH auszusetzen sind.
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Der VIII Zivilsenat hat den Verkündungstermin in dieser Sache auf den 6.4.2016 anberaumt. Zeitgleich mit der Rechtssache VIII ZR 71/10
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Die Leitsatzentscheidung BGH, Urt. v. 6.4.16 Az. VIII ZR 211/10 ist veröffentlicht:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=74545&pos=17&anz=605
BGB §§ 133 B, 157 D, 433 Abs. 2; AVBEltV § 4 Abs. 1, 2; StromGVV (2006) § 5 Abs.2; StromRL 2003/54 Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Anhang A
a)
§ 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV und § 5 Abs. 2 StromGVV sind mit den Transparenzanforderungen der Strom
- Richtlinie 2003/54/EG nicht vereinbar (Anschluss an EuGH, Urteil vom 23.Oktober 2014 -Rechtssachen C
- 359/11 und C-400/11, NJW 2015, 849 -Schulz und Egbringhoff).
b)
§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV und § 5 Abs. 2 StromGVV (in der bis zum 29.Oktober 2014 geltenden Fassung [BGBl. I S. 2391], im Folgenden: StromGVV aF) kann daher ein gesetzliches Recht des Stromversorgungsunternehmens, gegenüber Tarifkunden die Preise einseitig nach billigem Ermessen zu ändern, nicht (mehr) entnommen werden (insoweit Aufgabe der Senatsrechtsprechung; Urteil vom
28.März 2007 -VIII ZR 144/06, BGHZ 171, 374, 378; Beschluss vom 29.Juni 2011 -VIII ZR 211/10, ZNER 2011, 435 Rn. 17).
c)
Ein den Transparenzanforderungen der Strom-Richtlinie 2003/54/EG entsprechendes Preisänderungsrecht kann nicht aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV beziehungsweise des § 5 Abs. 2 StromGVV aF oder der die Grundversorgung betreffenden Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes hergeleitet werden, da eine solche Auslegung über den erken
nbaren Willen des nationalen Gesetz- und Verordnungsgebers hinausginge.
d)
Die hierdurch im Tarifkundenvertrag eingetretene Regelungslücke ist im Wege einer gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§157, 133 BGB) dahingehend zu schließen, dass das Stromversorgungsunternehmen berechtigt ist, Kostensteigerungen seiner eigenen (Bezugs
-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Tarifkunden weiterzugeben, und das Stromversorgungsunternehmen verpflichtet ist, bei einer
Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der nach dieser Maßgabe berechtigterweise erhöhte Preis wird zum vereinbarten Preis. Für eine zusätzliche Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB ist deshalb kein Raum.
BGH, Urteil vom 6. April 2016 - VIII ZR 211/10 -
LG Münster
AG Ahaus