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Energiepreis-Protest => Gerichtsurteile zum Energiepreis-Protest => Thema gestartet von: RR-E-ft am 19. Februar 2009, 18:17:18

Titel: OLG Düdo, Urt. v. 26.11.08 Az. VI- 2 U (Kart) 12/07 Vollständige Rückzahlung unbilliger Tarife
Beitrag von: RR-E-ft am 19. Februar 2009, 18:17:18
OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.11.2008, Az. VI- 2 U (Kart) 12/07 - Rückzahlung unbilliger Tarife (http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2008/VI_2_U__Kart__12_07urteil20081126.html)

Die Entscheidung befasst sich mit den Fragen der Darlegungs- und Beweislast im Rückforderungsprozess im Hinblick auf als unbillig und kartellrechtswidrig angegriffene Entgelte und mit der Frage der Verjährung, insbesondere des Beginns der Verjährung von Rückforderungsansprüchen unter Berücksichtigung subjektiver Erfordernisse.

Nachdem der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte keine Zahlen offen gelegt hatte, wurde das der Billigkeit entsprechende Entgelt vom Gericht auf 0,00 € festgesetzt und die Beklagte verpflichtet,  darauf geleistete (Abschlags-) Zahlungen in Höhe von 78.764,29 € vollständig zurückzuzahlen.
 
Die Entscheidung muss man in Ruhe mehrmals lesen.


Zitat
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung der unstreitig gezahlten 78.764,29 Euro gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Der von der Beklagten ihrer Berechnung zugrunde gelegte Tarif ist nämlich unbillig und damit unwirksam. Das an seiner Stelle gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vom Gericht festzusetzende Entgelt beträgt 0,00 Euro. Des Weiteren ist die Entgeltfestsetzung der Beklagten kartellrechtswidrig.

Zitat
Die Vorschrift des § 315 BGB ist anzuwenden. Die Entgeltforderungen der Beklagten richteten sich gemäß § 2 Abs. 5 des Rahmenvertrages nach den jeweils veröffentlichten Preisblättern der Beklagten. Dass eine bezifferte Preisabrede zustande gekommen ist, trägt auch die Beklagte nicht vor. Im Übrigen ergibt sich das Preisbestimmungsrecht der Beklagten aus § 6 Abs. 1 S. 1 EnWG 1998 (BGH NJW 2008, 2175 Rdnrn. 19 ff.. -Stromnetznutzungsentgelt III).
 
Die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit des von ihr verlangten Entgelts trägt die Beklagte.


Zitat
Die Beklagte hat trotz des Senatsbeschlusses vom 14. Mai 2008, in dem der Senat   auch auf die Darlegungs- und Beweislast hingewiesen hat, keine Zahlen vorgelegt und nicht vorgetragen, inwieweit sich die vom Beklagten verlangten Netznutzungsentgelte aus berücksichtigungsfähigen und nicht zu berücksichtigenden Kostenanteilen zusammensetzen (vgl. BGHZ 115, 311 Tz. 40).

Dass - was einen Rückzahlungsanspruch wegen Unbilligkeit der Entgeltfestsetzung betrifft - nicht nur eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast besteht - wie die Beklagte meint -, ergibt sich eindeutig aus dem Senatsbeschluss.

Mangels jedweden Sachvortrags ist der Senat nicht in der Lage, ein billiges Entgelt oberhalb von \"Null\" festzusetzen oder zu schätzen (vgl. § 287 ZPO). Nach den allgemeinen Regeln über die Darlegungs- und Beweislast geht dies zu Lasten der Beklagten (unklar in dieser Hinsicht BGH NJW 2008, 2175; vgl. für den Fall der fehlenden Abrechnung über Vorschüsse BGH NJW 2005, 1499).

Zitat
Darüber hinaus ist die Festsetzung der Beklagten kartellrechtswidrig (vgl. BGH NJW 2006, 684 Rdnrn. 28/29). Die Beklagte war auf dem Markt der Stromdurchleitung in ihrem Netzbereich marktbeherrschend im Sinne der §§ 19/20 GWB. Abzustellen ist dabei nach dem sogenannten Bedarfsmarktprinzip auf diesen Markt. Die Klägerin war zur Versorgung ihrer in diesem Netz ansässigen Endkunden mangels Alternativen auf die Durchleitung durch das Netz der Beklagten angewiesen.

Ihre Marktmacht hat die Beklagte durch ihre Entgeltbemessung missbraucht. Zwar obliegt insoweit die Darlegungs- und Beweislast nach herrschender Meinung - entsprechend der ausdrücklichen Regelung in Art. 2 S. 1 VO Nr. 1/2003 - in vollem Umfange dem Kläger (vgl. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 33 Rdnrn. 86/87; Rehbinder, in Loewenheim/Meessen/Riesenkmapff, GWB, § 33 Rdnrn. 56/59). Insofern besteht nach Ansicht des Senats jedoch in einer Situation wie der vorliegenden eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten (vgl. BGH NJW 2003, 1449 für den Fall des Rückzahlungsanspruchs bei möglicherweise unbilliger Entgeltfestsetzung). Die marktbeherrschende Stellung der Beklagten steht fest. Ob die Entgeltfestsetzung missbräuchlich war oder nicht, hing allein von der Kostenstruktur der Beklagten ab, die dem Kläger naturgemäß nicht bekannt ist und die dieser daher auch nicht darlegen kann (vgl. für eine andere Fallgestaltung Lübbig, in Münchener Kommentar, GWB, § 33 Rdnr. 108].


Zitat
Der Anspruch ist nicht verjährt.

Ob ein Fristenvergleich zwischen dem vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geltenden und dem seit dem 01. Januar 2002 grundsätzlich geltenden Recht vorzunehmen ist, kann offen bleiben.

Zwar ist grundsätzlich früher geltendes Schuldrecht nicht im Hinblick auf Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB anzuwenden, weil es sich bei Art. 229 § 6 EGBGB um eine \"andere\" Vorschrift im Sinne der erstgenannten Vorschrift handelt. Jedoch wird erwogen, bei vor dem 01.01.2002 begründeten Dauerschuldverhältnissen in gewissem Umfange das bei Begründung geltende Verjährungsrecht anzuwenden (vgl. BGH NJW 2006, 44 Rdnr. 17).

Dies ist für die Entscheidung jedoch unerheblich.

Nach dem früher geltenden Verjährungsrecht wäre eine Verjährung noch nicht eingetreten. Zwar galt für den Rückzahlungsanspruch die Vorschrift des § 197 BGB a.F. (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 197 Rdnr. 4). Der Bundesgerichtshof (NJW-RR 1989, 1013, 1015) hat die Vorschrift auf Rückzahlungsansprüche des Kunden wegen angeblich überhöhter Fernwärmeentgelte angewendet. Dabei hat keine Rolle gespielt, ob die Entgeltvereinbarung anhand des § 315 BGB zu überprüfen war oder nicht. Dass Rückzahlungsansprüche wegen periodisch entrichteter Entgelte § 197 BGB a.F. unterlagen, hat der Bundesgerichtshof auch in seiner späteren Rechtsprechung bestätigt (NJW 2006, 364 Rdnr. 17; NJW 2007, 1584 Rdnr. 17).

Die Verjährungsfrist von vier Jahren, die mit der Zahlung im Jahre 2002 zu laufen begann (s. sogleich unter bb), ist jedoch durch die Einreichung der Klage noch im Jahre 2006 rechtzeitig gehemmt worden. Zwar ist die Klageschrift der Beklagten erst am 23. Februar 2007 zugestellt worden, dies wirkte jedoch nach § 167 ZPO auf den Tag der Einreichung zurück, weil der Kläger alles Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung unternommen hatte.

Auch nach dem seit dem 01. Januar 2002 grundsätzlich geltenden
Verjährungsrecht ist der Anspruch noch nicht verjährt.

(1) Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann zwar - vorbehaltlich der noch zu erörternden subjektiven Erfordernisse - mit dem Ablaufe des Jahres 2002. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Rückzahlungsanspruch bereits mit der Zahlung im Jahre 2002 entstanden. Auch und gerade dann, wenn die Bestimmung des Entgelts durch die Beklagte unbillig war, hat - jedenfalls im Umfange der Unbilligkeit - niemals eine Verpflichtung zur Zahlung bestanden. Die Entgeltbestimmung der Beklagten war dann nicht etwa \"vorläufig\" verbindlich, sondern nach § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich (so auch BGH NJW 2003, 3131; NJW 2005, 2919; Gottwald, a.a.O., § 315 Rdnr. 44; Rieble, a.a.O., Rdnrn. 149 ff.; anders Grüneberg, in Palandt, a.a.O., § 315 Rdnr. 16), so dass die Insolvenzschuldnerin keine Zahlungen zu leisten verpflichtet war (so auch WollschlägerfTelschow, IR 2008, 221, 222). Insoweit unterscheidet sich die Lage des Bereicherungsgläubigers von der umgekehrten Situation; der Entgeltanspruch wird bei unwirksamer Bestimmung erst mit rechtskräftiger Festsetzung durch das Gericht fällig (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 315 Rdnr. 17), so dass der Gläubiger vorher überhaupt keine Zahlung verlangen kann.
 
(2) Jedoch lagen die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. im Jahre 2002 noch nicht vor.

Ein Gläubiger, der einen Bereicherungsanspruch verfolgt, hat Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen, wenn er von der Leistung und vom Fehlen des Rechtsgrundes, das heißt, von den Tatsachen, aus denen dessen Fehlen folgt, weiß (BGH NJW 2008, 1729 Rdnr. 26 m.w.N.); dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden Schlüsse zieht, ist jedoch grundsätzlich unerheblich (BGH NJW 2008, 2427 Rdnr. 12 m.w.N.).

Die Insolvenzschuldnerin hatte im Jahre 2002 in diesem Sinne keine Kenntnis davon, dass das von der Beklagten verlangte Netznutzungsentgelt unbillig war und ihr daher Rückzahlungsansprüche zustanden.

Nach ihrer unwiderlegten Darstellung im Schriftsatz vom 21. April 2008 wusste sie lediglich, dass die Netznutzungsentgelte von den Kartellbehörden \"in Frage gestellt\" wurden. Die Kostenstruktur der Beklagten kannte sie nicht. Dementsprechend hat sie den Vorbehalt im Schreiben vom 23. Juli 2001 nur ganz allgemein motiviert (\"Netznutzungsentgelte, deren Höhe gerichtlich oder kartellrechtlich überprüft wird\"). Eine derart allgemeine Vermutung, dass die Höhe der verlangten Netznutzungsentgelte möglicherweise überhöht ist, reicht für eine Kenntnis nicht aus (weitergehend möglicherweise WollschlägerfTelschow, IR 2008, 221, 223). Die Bemerkung des Klägers in der Klageschrift, auf die das Landgericht abgestellt hat, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Sie ließ nicht erkennen, auf welcher Grundlage die dort angesprochene Annahme einer Unbilligkeit der Netznutzungsentgelte beruhte.

Dass die Insolvenzschuldnerin infolge grober Fahrlässigkeit in Unkenntnis der die Unbilligkeit begründenden Tatsachen geblieben ist, ist nicht erkennbar. Die dafür notwendigen Zahlen zur Kostenstruktur der Beklagen waren für sie nicht ermittelbar.

Auf die Frage, ob ausnahmsweise eine frühere Klage auch deshalb unzumutbar war, weil die mit einer Rückforderung verbundenen Rechtsfragen verwickelt waren (dagegen WollschlägerfTelschow, a.a.O.) und deswegen die Verjährung erst mit Klärung dieser Rechtsfragen begann, kommt es danach nicht an.

cc) Hinzuweisen ist lediglich darauf, ohne dass es noch darauf ankäme, dass auch Ansprüche der Insolvenzschuldnerin aus unerlaubter Handlung - gerichtet auf Herausgabe der Bereicherung - nicht verjährt sind. Zu Recht weist der Kläger insoweit auf § 852 BGB hin; die Verjährungsfrist des § 852 S. 2 BGB ist noch nicht abgelaufen. Diese Vorschrift ist auch auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche anzuwenden (vgl. BGH NJW 1995, 2788, 2790 zu Ansprüchen aus unlauterem Wettbewerb; vgl. allgemein zum Anwendungsbereich des § 852 BGB: Vieweg, in Staudinger, BGB, 13. Bearbeitung, § 852 Rdnr. 7; Wagner, in Münchener Kommentar, a.a.O., § 852 Rdnr. 4).

Die Entscheidung ist mit Fragezeichen zu versehen.

Dafür, dass das Gericht selbst ein der Billigkeit entsprechendes Entgelt festsetzt, hätte die Unbilligkeit positiv feststehen müssen, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB. Vorliegend hatte der Netzbetreiber jedoch keine Zahlen zu seinen Kosten genannt, so dass das Gericht eigentlich gerade nicht feststellen konnte, ob die Entgelte gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit entsprechen oder aber nicht.

So konnte das Gericht nur feststellen, dass der Netzbetreiber aus diesem Grunde gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB im Zeitpunkt der Zahlungen keinen fälligen Zahlungsanspruch hatte (so ausdrücklich BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183, 186 für den Fall der Zahlungsklage des Versorgers)  und deshalb die Zahlungen vollständig vollkommen rechtsgrundlos erfolgten und einen Rückforderungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 BGB begründen.

Am Ergebnis ändert sich dadurch freilich nichts

Der Zwischenschritt über die Festsetzung eines \"billigen\" Entgelts bei 0,00 € ist somit fraglich. Der Hintergrund dafür dürfte in der prozessrechtlichen  Situation der konkreten Antragstellung zu suchen sein.

Fraglich ist auch, ob festgestellt werden konnte, dass die geforderten Entgelte kartellrechstwidrig missbräuchlich überhöht waren, nachdem der Kläger dafür grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Besonderheiten des Falles liegen darin, dass möglicherweise ein Vorbehalt erklärt war, Zahlungen aufgrund einer Einzugsermächtigung abgebucht wurden, es sich bei den Zahlungen nur um Abschläge als Vorauszahlungen auf eine künftige Abrechnung handelte.

Der Kläger wird wohl selbst über seinen Erfolg überrascht gewesen sein.
Titel: OLG Düdo, Urt. v. 26.11.08 Az. VI- 2 U (Kart) 12/07 Vollständige Rückzahlung unbilliger Tarife
Beitrag von: RR-E-ft am 05. Mai 2009, 22:23:19
Aus einer Anmerkung zu dieser Entscheidung in ZNER 1/2009 (http://www.zner.org/pdf/U10_200901.pdf) geht hervor, dass die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt habe, über welche dieser nun zu entscheiden hat.
Titel: OLG Düdo, Urt. v. 26.11.08 Az. VI- 2 U (Kart) 12/07 Vollständige Rückzahlung unbilliger Tarife
Beitrag von: RR-E-ft am 26. August 2009, 17:06:06
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 23.07.2009, Az. EnZR 2/09 die Nichtzulassungsbeschwerde auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Damit ist das Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.11.2008 rechtskräftig.