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BGH, Urt. v. 19.11.2008, VIII ZR 138/07 - Erdgas- Tarifkunde
RR-E-ft:
@tangocharly
Entsprechende Beschlüsse werden nicht in die Entscheidungssammlung unter http://www.bundesgerichtshof.de aufgenommen.
RR-E-ft:
Was wir hier schon länger wissen.
RR-E-ft:
Pressemitteilung des BGH Nr. 211/2008
Tariferhöhungen eines gesetzlich versorgungspflichtigen Versorgungsunternehmens unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB.
Der Versorger trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit.
Es bedarf dazu zunächst eines schlüssigen Vortrages und im Falle, dass dieser Vortrag bestritten wird, enstprechender Beweise.
Der Versorger kann sich aller nach der ZPO zulässigen Beweismittel bedienen, so dass der Zeugenbeweis nicht ausgeschlossen ist.
Nichts Neues.
Es kommt für die Billigkeit der Gastarife eines Stadtwerks nur auf die Kosten der Gassparte an und nicht auf die Kosten der Wasser- und Stromsparte eines Stadtwerks. Auch klar. Die Kosten der Wassersperte sind für die Billigkeit der Wassertarife maßgeblich, die Kosten der Stromsparte für die Billigkeit der Stromtarife.
Interessant, dass der BGH wohl nur solche Kostenerhöhungen gelten lässt, denen der Versorger selbst nicht rechtlich/ tatsächlich begegnen konnte und die er auch bei wirksamen Wettbewerb nur hätte weiterwälzen können, also nicht sämtliche (beliebige) eingetretene Kostensteigerungen.
--- Zitat ---Ferner kann für die Unbilligkeit einer Tariferhöhung von Bedeutung sein, ob der Versorger im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und Preissteigerungen akzeptiert hat, die er - auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums - ohne die Möglichkeit einer Weitergabe durch Tariferhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Dafür, dass dies bei der von der Beklagten angeführten Ölpreisbindung der Fall gewesen wäre, gab es jedoch nach dem Parteivortrag keine Anhaltspunkte.
--- Ende Zitat ---
Der Streit, ob die Zahlungsklage des Versorgers im konkreten Fall begründet ist, ist noch nicht entschieden. Die Sache wurde an das LG Duisburg als Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Berufung zugrunde lag ein Urteil des Amtsgerichts Dinslaken, mit dem der Verbraucher zur Zahlung nachträglich erhöhter Gaspreise verurteilt wurde. Hierüber ist noch nicht abeschließend entschieden.
Der Beklagte hatte die Gesamtpreise als unbillig gerügt. Das Berufungsgericht hatte zudem eine Monopolstellung des Gasversorgers festgestellt.
Dass der 8. Senat wiederum von einem vereinbarten Preissockel ausgeht, der keiner Billigkeitskontrolle unterliege, steht im Widerspruch zur Entscheidung des Kartellsenats vom 29.04.2008 (KZR 2/07) Rdn. 23, 26, wonach Gastarife in direkter Anwendung des § 315 BGB dem Maßstab der Billigkeit unterliegen und der Versorger deshalb bei rückläufigen Kosten auch zu Preissenkungen verpflichtet ist.
--- Zitat ---Hiernach kommt § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV Leitbildfunktion für die streitige Preisänderungsklausel nicht zu. Die Vorschrift bestimmt, dass das Gasver-sorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Zwar ergibt sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist
--- Ende Zitat ---
Die Annahme eines vereinbarten Preises und eines zugleich bestehenden einseitigen Preisbestimmungsrechts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB, welches eine Verpflichtung beinhaltet, die Preise nach Vertragsabschluss der Billigkeit entsprechend festzusetzen, verstößt gegen Denkgesetze, vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 (KZR 24/04).
Abwegig erscheint der Schluss, dass auch bei einer festgestellten Monopolstellung eine analoge Anwendung des § 315 BGB ausscheide, weil der Gesetzgeber keine staatliche Preiskontrolle im Gasbereich vorgesehen habe.
--- Zitat ---Vertragspreise können zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einer gerichtlichen Kontrolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB unterliegen, wenn der Anbieter, wie die Beklagte, eine Monopolstellung innehat. Die Analogie zu § 315 BGB würde jedoch bei den allgemeinen Tarifen für Gas der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der – anders als für die Strompreise – eine staatliche Prüfung und Genehmigung dieser Tarife wiederholt abgelehnt hat.
--- Ende Zitat ---
Dies steht bereits im Widerspruch zu den Urteilen des BGH vom 05.07.2005 (X ZR 60/04), wonach die Straßenreinigungsgebühren der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegen, obschon eine staatliche Preisaufsicht über Straßenreinigungsgebühren nicht besteht, noch nie bestand.
Nicht anders verhält es sich mit den Krankenhaustarifen und den Gasnetzanschlusskosten, zu denen auch eine Billigkeitskontrolle erfolgt und die keiner staatlichen Preiskontrolle unterlagen. Man könnte meinen, gerade wo keine staatliche Preisaufsicht besteht, sei die gerichtliche Billigkeitskontrolle von Monopolanbietern besonders wichtig und selbst da, wo eine staatliche preisaufsicht erfolgt, schließt sie eine gerichtliche Billigkeitskontrolle nicht aus.
Nach dem Urteil des 8. Zivilsenats vom 30.04.2003 (VIII ZR 279/02) unterliegen die Trinkwassertarife der gerichtlichen Billigkeitskontrolle, obschon eine staatliche Preisaufsicht über die Trinkwassertarife nicht besteht, m.E. noch nie bestand.
Schließlich betreffen die Urteile vom 18.10.2005 (KZR 36/04) vom 09.02.2006 (KZR 9/05) und vom 04.03.2008 (KZR 29/06) Stromnetzentgelte in einer Zeit, als für diese gerade keine staatliche Preiskontrolle vorgesehen war. Der Kartellsenat hat darin ausgeführt, dass die gerichtliche Billigkeitskontrolle nicht daran scheitert, dass eine staatliche Preiskontrolle nicht vorgesehen ist.
Trinkwassertarife unterliegen der kartellrechtlichen Preismissbrauchsaufsicht, Gastarife auch, sogar in verschärfter Form, worauf BDEW/ VKU anlässlich der aktuellen Entscheidung des OLG Frankfurt/ M. zu einer Verfügung der hessischen Landeskartellbehörde zur Wasserentgeltsenkung hinweisen.
Zudem sieht § 29 GWB eine kartellrechtliche Preismissbrauchskontrolle der Gaspreise vor, auch eine Form der staatlichen Preisaufsicht.
Die Argumentation des Senats kann deshalb an dieser Stelle nicht überzeugen. Sie steht ganz offensichtlich im Widerspruch zur Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH, zur Rechtsprechung des 10.Zivilsenats und zur früheren Rechtsprechung des 8. Zivilsenats.
Meines Erachtens kommt es auf eine analaoge Anwendung des § 315 BGB schon nicht an, weil der Gastarifpreis insgesamt dem Maßstab der Billigkeit in direkter Anwendung des § 315 ABGB unterliegt, vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 (KZR 2/07) Rdn. 23, 26.
Der Senat hat meines Erachtens juristisch getrickst, um verbraucherfeindlich eine Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises auch dann nicht zu ermöglichen, wenn der Gasversorger eine Monopolstellung einnimmt.
Das ist allerdings skandalös:
Der Trick im Urteil vom 13.06.2007 (VIII ZR 36/06) lag noch darin, eine Monopolstellung des Gasversorgers durch einen angeblich bestehenden Substitutionswettbewerb auf einem einheitlichen Wärmemarkt zu verneinen. Nachdem sich dies nach der Entscheidung des Kartellsenats des BGH vom 29.04.2008 (KZR 2/07) nicht mehr halten ließ, erklärte er in seiner Entscheidung vom 19.11.2008 (VIII ZR 138/07) trickreich einfach die Billigkeistkontrolle des Gesamtpreises auch im Falle einer bestehenden Monopolstellung des Gasversorgers kurzerhand für unzulässig, weil eine solche angeblich einer bestehenden Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufe.
Damit wird mit der übrigen Rechtsprechung des BGH gebrochen, die der Senat noch in seiner Entscheidung vom 13.06.2007 wie folgt zitiert hatte:
--- Zitat ---Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind (vgl. BGHZ 73, 114, 116 zu Krankenhauspflegesätzen; BGHZ 115, 311, 316 zu tariflichen Abwasserentgelten; BGH, Urteil vom 5. Juli 2005, aaO, unter II 1 a; Urteil vom 21. September 2005 - VIII ZR 7/05, aaO, unter II 1 zu Baukostenzuschüssen zur Wasserversorgung). Dies ist zum Teil aus der Monopolstellung des Versorgungsunternehmens hergeleitet worden, gilt aber auch für den Fall des Anschluss- und Benutzungszwangs (Senatsurteil vom 21. September 2005, aaO).
Diese Rechtsprechung ist hier indessen nicht einschlägig. Einem Anschluss- oder Benutzungszwang unterlag der Kläger hinsichtlich der Gasversorgung nicht. Es fehlt auch an einer Monopolstellung der Beklagten als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB (Kunth/Tüngler, NJW 2005, 1313, 1314 f.; Schulz-Gardyan, N&R 2005, 97, 100, 102 f.; Ehricke, aaO, 604 f.; Salje, ET 2005, 278, 284; aA OLG Karlsruhe NJOZ 2006, 2833, 2834; Fricke, aaO, 549; Hanau, aaO, 1285).
--- Ende Zitat ---
Dies steht im Widerspruch zur Entscheidung des Kartellsenats vom 04.03.2008 (KZR 29/06) Rdn. 22 f.
--- Zitat ---Der damit eröffneten Nachprüfung der Billigkeit des Netznutzungsentgelts, das die Zedenten zu zahlen haben, steht auch nicht entgegen, dass in dem Netznutzungsvertrag durch die Bezugnahme auf das Preisblatt die Höhe des Erstentgelts betragsmäßig bestimmt worden ist und das Berufungsgericht nicht festgestellt hat, dass das streitige, seit dem 1. November 2001 zu zahlende Entgelt aufgrund der vertraglich vorgesehenen jährlichen Überprüfung erhöht worden ist.
Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ist allerdings auch bei einem gesetzlichen Preisbestimmungsrecht eine etwaige Unbilligkeit eines bei Vertragschluss vereinbarten (oder durch vorbehaltlose Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zum vereinbarten Preis gewordenen) Preises nicht zu prüfen und selbst bei der Nachprüfung eines erhöhten Preises nicht zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 29, 36). Diese Rechtsprechung beansprucht jedoch ausdrücklich keine Geltung für den Fall, dass bei Leistungen der Daseinsvorsorge wegen einer Monopolstellung des Versorgers oder wegen eines Anschluss- und Benutzungszwanges eine Überprüfung der Billigkeit des Preises in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB geboten ist (aaO Tz. 33-36).[/B] Sie ist auch bei einem Netznutzungsvertrag nicht anzuwenden, bei welchem dem Netzbetreiber das Recht zusteht, das Netznutzungsentgelt nach billigem Ermessen festzusetzen. Denn auch in dieser Konstellation tragen das Leistungsbestimmungsrecht und die damit verbundene Nachprüfungsmöglichkeit gerade dem Umstand Rechnung, dass der Netzbetreiber typischerweise ein Monopol innehat und seine Preisbildung daher, anders als es der VIII. Zivilsenat für den von ihm zu beurteilenden Sachverhalt angenommen hat, nicht durch den Wettbewerb kontrolliert wird.
--- Ende Zitat ---
Dass der Gesetzgeber in § 17 Abs. 1 Satz 3 GasGVV die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB ausdrücklich erwähnt, spricht jedoch dafür, dass eine solche in seiner Intention lag.
tangocharly:
@ RR-E-ft
--- Zitat ---Trinkwassertarife unterliegen der kartellrechtlichen Preismissbrauchsaufsicht, Gastarife auch, sogar in verschärfter Form, worauf der BDEW anlässlich der aktuellen Entscheidung des OLG Frankfurt/ M. zur kartellrechtlichen Verfügung einer Wasserentgeltsenkung hinweist.
--- Ende Zitat ---
Eine interessante Entscheidung, von der ich annahm, dass das OLG FFm den zu erwartenden Entscheidungen des VIII. Senats nur vorgreifen wollte. Ist das Urteil des OLG FFm schon irgendwo veröffentlicht ?
Die Frankfurter Richter hatten argumentiert (so im Pressebericht), dass der Versorger einen höheren Preis als andernorts verlangt habe, ohne diesen höheren Preis durch Besonderheiten im eigenen Verhältnis begründen zu können. Das wäre dem argumentum \"Vergleichsmarkt-Preis\" angelehnt.
Und noch etwas; wer hätte das gedacht, dass ein Versorger - nur um seine Preise halten zu können - darauf zielt, sich der Kartellaufsicht entziehen zu müssen:
--- Zitat ---Enwag geht in Revision
Während die Verbraucherzentrale Hessen das OLG-Urteil als \"Etappensieg für den Verbraucherschutz\" bewertete und künftig angemessene Wasserpreise erwartet, kündigte enwag bereits Revision beim Bundesgerichtshof an. Zudem wolle man die Wasserversorgung wieder zurück in kommunale Hände geben, die nicht unter die Kontrolle der Kartellbehörde fallen, erklärte Geschäftsführer Wolfgang Schuch.
Rhiel forderte bereits, auch dieser Möglichkeit einen Riegel vorzuschieben. So dürften auch die 256 hessischen Versorger, die keine Preise, sondern von den Kommunalparlamenten beschlossene Gebühren verlangten, nicht außen vor bleiben. Hier einen Weg zu effektiven Kontrollen zu finden, sei Sache der Kommunalaufsicht im Innenministerium, so der Minister.
--- Ende Zitat ---
RR-E-ft:
@tangocharly
Das erwähnte Urteil des OLG Frankfurt diskutieren wir ggf. an anderer Stelle.
Gerichtliche Billigkeitskontrolle und kartellrechtliche Preismissbrauchskontrolle unterliegen unterschiedlichen Grenzen und folgen anderen Regeln.
Dieser Thread möge sich weiter mit der Entscheidung des BGH vom 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 befassen, in welcher der Senat eine trickreiche Pirouette drehte. Im Juni 2007 hatte er noch gesagt, dass der Gastarif dann insgesamt der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegt, wenn der Anbieter eine Monopolstellung einnimmt.Das soll nun nicht mehr gelten, begründet mit einem so schwachen Argument, wie man es selten bei einem Bundesgericht findet. Diese Rechtsprechung hat er geändert. Auch dann nicht, mit der möglichen Folge, dass sogar ein kartellrechtswidrig überhöhter Preis vom ordentlichen Gericht als billig hinzunehmen sei.
Mal sehen, wann es die nächsten Festvorträge der Branche mit promintenen Referenten aus der gehobenen Justiz gibt....
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