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Autor Thema: BGH, Urt. v. 04.03.2008 - KZR 29/06 - gesetzliches Leistungsbetimmungsrecht/ Kontrolle Gesamtentgelt  (Gelesen 5554 mal)

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Offline RR-E-ft

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Urteil des BGH vom 04.03.2008 - KZR 29/06

Der Kartellsenat bestätigt, dass sich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eines Energieversorgungsunternehmens auch aus einem Gesetz ergeben kann [Textziffer 18] und ein solches die vollständige Billigkeitskontrolle des Entgelts erfordern kann, auch wenn das Erstentgelt (Anfangspreis) im Vertrag genannt wurde oder ein zuvor einseitig erhöhter Preis unbeanstandet blieb.

Weil es dem Kartellsenat gelingt, die von ihm zu entscheidende Sachverhaltskonstellation von den Sachverhaltskonstellationen abzugrenzen, die der VIII. Zivilsenat entschieden hatte, kam es nicht auf die Frage an, ob der Kartellsenat die Beurteilung durch den VIII. Zivilsenat in den von diesem entschiedenen Sachverhaltskonstellationen teilt oder nicht. Deshalb war auch wieder nicht die Anrufung des großen Senats des BGH erforderlich.

Es lässt sich daraus m. E. nicht ableiten, wie der Kartellsenat des BGH in einem Fall entscheiden würde, in welchem dem Energieversorger hinsichtlich der Allgemeinen Tarife/ Preise gesetzlich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB eingräumt ist, und es um die Frage geht, ob dessen Ausübung unter Beachtung der energiewirtschaftsrechtlichen Bestimmungen der §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG (ggf. § 12 BTOElt) der Billigkeit entspricht.

Beruft sich ein Tarifkunde/ grundversorgter Kunde darauf, dass der Versorger sein gesetzlich eingeräumtes (mithin bestehendes) einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB  entgegen den energiewirtschaftsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere entgegen der gesetzlichen Verpflichtung gem. §§ 2 Abs. 1 , 1 Abs. 1 EnWG zu einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung ausgeübt habe, so ist für die Entscheidung über eine entsprechende zivilrechtliche Streitigkeit in der Revision der Kartellsenat des BGH gem. §§ 102, 107, 108 EnWG ausschließlich zuständig.


Der Kartellsenat des BGH führt aus:

Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jederman geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und ggf. der durch Rechtsverordnung konkretisierenden Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden (Tz. 20).

Die energiewirtschaftlichen Kriterien für das zulässige Netznutzungsentgelt stehen damit einem Verständnis der Preisbestimmung des billigen Entgelts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Der Maßstab der Billigkeit und Angemessenheit ist lediglich kein individueller, sondern muss der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden. (Tz. 21)

Der damit eröffneten Nachprüfung der Billigkeit der Netznutzungsentgelte, das die Zedenten zu zahlen haben, steht auch nicht entgegen, dass in dem Netznutzungsvertrag durch die Bezugnahme auf das Preisblatt die Höhe des Erstentgelts bestragsmäßig bestimmt worden ist und das Berufungsgericht nicht festgestellt hat, dass das streitige, seit dem 01.November 2001 zu zahlende Entgelt aufgrund der vertraglich vorgesehenen jährlichen Überprüfung erhöht worden ist. (Tz. 22)

Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes  ist allerdings auch bei einem gesetzlichen Preisbestimmungsrecht eine etwaige Unbilligkeit eines bei Vertragsabschluss vereinbarten (oder durch vorbehaltlose Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zum vereinbarten Preis gewordenen Preises) nicht zu prüfen und selbet bei der Nachprüfung eines erhöhten Preises nicht zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 29, 36). Diese Rechtsprechung beansprucht jedoch ausdrücklich keine Geltung für den Fall, dass bei Leistungen der Daseinsvorsorge wegen einer Monopolstellung des Versorgers oder eines Anschluss- und Benutzungszwangs eine Überprüfung der Billigkeit des Preises in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB geboten ist (aaO. Tz. 33- 36). Sie ist auch bei einem Netznutzungsvertrag nicht anzuwenden, bei welchem dem Netzbetreiber das Recht zusteht, das Netznutzungsentgelt nach billigem Ermessen festzusetzen (Tz. 23).

Denn auch in dieser Konstellation tragen das Leistungsbestimmungsrecht und die damit verbundene Nachprüfungsmöglichkeit gerade dem Umstand Rechnung, dass der Netzbetreiber typischerweise ein Monopol innehat und seine Preisbildung daher, anders als es der VIII. Zivilsenat für den von ihm zu beurteilenden Sachverhalt angenommen hat, nicht durch den Wettbewerb kontrolliert wird. Auf die Nutzung des Netzes ist der Nutzer nicht weniger angewiesen, als dies bei Leistungen der Daseinsvorsorge typischerweise der Fall ist; zudem dient sie letztlich der Stromversorgung und damit mittelbar der Daseinsvorsorge. Es besteht mithin bei einem Netznutzungsvertrag kein Anlass, von der durch ein - vertraglich vereinbartes oder gesetzliches - Leistungsbestimmungsrecht eröffneten Überprüfung der Billigkeit deshalb abzusehen, weil der Netznutzer das Entgelt bei Vertragsabschluss nicht beanstandet hat. (Tz. 24)

Bei einem Netznutzungsvertrag muss es mithin auch dann bei der vollen Nachprüfung des Entgelts am Maßstab des § 315 BGB verbleiben, wenn dessen Betrag im Vertrag genannt oder ein früherer erhöhter Preis von dem Netznutzer nicht beanstandet worden ist. (Tz. 25)

Der Kartellsenat hatte deshalb bisher keine Veranlassung, die zitierte Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zu hinterfragen:

Zitat
Nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes ist allerdings auch bei einem gesetzlichen Preisbestimmungsrecht eine etwaige Unbilligkeit eines bei Vertragsabschluss vereinbarten (oder durch vorbehaltlose Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zum vereinbarten Preis gewordenen Preises) nicht zu prüfen und selbet bei der Nachprüfung eines erhöhten Preises nicht zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 29, 36).

Es bleibt das Grundproblem, dass eine Willenserklärung gem. § 315 Abs. 2 BGB, mit welcher ein (bestehendes !!!) einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB ausgeübt wird, nicht zugleich ein auf Annahme gerichtetes Angebot gem. § 145 BGB sein kann, welches seine vertragliche Geltung aus einer Annahme, also einer Einigung der Parteien herleitet.

Die Geltung einer vorgenommenen einseitigen Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 1 BGB soll gerade nicht von der Annahme oder aber Ablehnung des anderen Vertragsteils abhängen, sondern ausschließlich davon, ob sie gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit entspricht.

Einseitiges Leistungsbestimmungsrecht einerseits und Einigung andererseits schließen einander also im Grunde im Sinne eines \"entweder oder\" denknotwendig aus (zutreffend insoweit Büdenbender NJW 2007, 2945 [2949] li.Sp.). Die Fiktion der Einigung hätte zudem zur Folge, dass gerade auch die der Billigkeit entsprechende spätere Verpflichtung zur Absenkung der Preise bei Kostensenkungen entfiele (insoweit zutreffend Börner, Versorgungswirtschaft 9/ 2007, 209, [210] re.Sp.).

Auch die Nichtabsenkung der Entgelte stellt demnach eine Ermessensausübung des zur einseitigen Leistungsbestimmung Berechtigten dar, die sich gem. § 315 Abs. 3 BGB als unbillig erweisen kann.

Das jeweils aktuelle Preisniveau kann deshalb keinen \"zementierten\" Sockel darstellen, auf den nur immer weiter Schicht für Schicht neuer Estrich aufzutragen sei.

Weder die Vertragspartner noch der Gesetzgeber gehen bei Einräumung eines einseitigen Leistunsgbestimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhen davon aus, dass die Entgelte in Ausübung des bestehenden Rechts nur angehoben werden können, wenn es die Kosten- und Erlöslage erfordert,  aber nicht ebenso auch abgesenkt werden müssen, wenn es die Kosten- und Erlöslage zulässt.

Schließlich besteht das gesetzlich einegräumte einseitige Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers zu jeder Zeit nach Vertragsabschluss, was zur Folge hat, dass die Höhe des vertraglichen Entgelts jederzeit ausschließlich von der Ausübung dieses einseitigen Leistungsbestimmungsrechts durch den Versorger abhängt, dem das einseitige Leistungsbestimmungsrecht gesetzlich eingeräumt ist.

Schließlich soll das jeweils einseitig festgesetzte Entgelt unter Beachtung der energiewirtschaftsrechtlichen Kriterien (§§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG) jederzeit der Billigkeit entsprechen.

Allgemeine Tarife und Allgemeine Preise der Grundversorgung waren und sind per se keine feststehenden Entgelte , sondern - nach dem Willen der Vertragspartner - abhängig von den veränderlichen allgemeinen und besonderen Kosten der Belieferung variabel, nach oben und nach unten.

Ausschließlich die zur einseitigen Leistungsbestimmung berufenen Versorger verfügen  allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse hinsichtlich der maßgeblichen Kosten und deren Entwicklung. Die Kunden haben über diese internen Kalkulationsgrößen regelmäßig keine Kenntnis und können diese auch nicht in Erfahrung bringen.

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