Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam  (Gelesen 6805 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline kamaraba

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.017
  • Karma: +0/-0
  • Geschlecht: Männlich
    • http://www.faire-energiepreise.de
Pressemeldung des BGH:
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in einem Rechtsstreit entschieden, in dem etwa 160 private Kläger mit dem beklagten Gasversorgungsunternehmen, das Ostsachsen mit Erdgas beliefert, um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen streiten. Die Kläger sind keine Tarifkunden, sondern Sondervertragskunden der Beklagten. In den Gaslieferungsverträgen heißt es jeweils, dass die Beklagte berechtigt sei, die Gaspreise zu ändern, wenn eine Preisänderung durch den Vorlieferanten der Beklagten erfolge. Die Beklagte erhöhte den Arbeitspreis zum 1. Juni und 1. November 2005 sowie zum 1. Januar und 1. April 2006.

Das Landgericht Dresden hat festgestellt, dass die Preiserhöhungen unwirksam seien. Das Oberlandesgericht Dresden hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Auch die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof sieht in der Preisänderungsklausel des Gaslieferungsvertrags eine nach § 307 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung. Die Klausel stelle eine den Geboten von Treu und Glauben widersprechende unangemessene Benachteiligung der Gaskunden dar. Bei der Prüfung, ob eine mehrdeutige Allgemeine Geschäftsbedingung wirksam sei, müsse von der für den Kunden ungünstigsten Auslegung ausgegangen werden. Danach berechtige die hier in Rede stehende Preisänderungsklausel die Beklagte zwar, verpflichte sie aber nicht, bei einem veränderten Gaseinkaufspreis den Lieferpreis anzupassen. Nach dieser Auslegung sei die Beklagte nicht verpflichtet, eine Preisanpassung nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten unabhängig davon vorzunehmen, in welche Richtung sich der Einstandpreis seit Vertragsschluss oder seit der letzten Preisanpassung entwickelt habe. Damit würden die Folgen von Schwankungen des Einkaufspreises einseitig dem Kunden auferlegt.

Dem Argument der Beklagten, die Preisänderungsklausel sei deshalb wirksam, weil auch die (bis zum 7. November 2006 für Tarifkunden geltende) Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) keine Kriterien für Preisanpassungen formuliere, ist der Bundesgerichtshof nicht gefolgt. Da der Gasversorger, wie der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 13. Juni 2007 (BGHZ 172, 315) entschieden hat, nach der Verordnung den allgemeinen Gastarif nach billigem Ermessen zu bestimmen habe, sei er bereits von Gesetzes wegen verpflichtet, Kostensteigerungen wie Kostensenkungen nach gleichen Maßstäben Rechnung zu tragen. Eine entsprechende Verpflichtung sehe demgegenüber die vertragliche Preisanpassungsklausel gerade nicht vor.

Schließlich hat es der Bundesgerichtshof auch abgelehnt, der Beklagten an Stelle der unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung in ergänzender Vertragsauslegung ein Preisanpassungsrecht einzuräumen. Da beide Vertragsparteien den Vertrag nach zweijähriger Laufzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen könnten, sei es für die Beklagte nicht unzumutbar, wenn sie den Gaspreis innerhalb der Vertragslaufzeit nicht erhöhen könne.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. April 2008 – KZR 2/07 – Gassondervertrag

LG Dresden – 10 O 3613/05 – Urt. v. 30.6.2006 OLG Dresden – U 1426/06 Kart – Urt. v. 11.12.2006, RdE 2007, 58

Karlsruhe, den 29. April 2008

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Quelle
Gruss aus der EnBW-Hauptstadt Karlsruhe
www.Faire-Energiepreise.de

Offline wulfus

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 318
  • Karma: +0/-0
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #1 am: 29. April 2008, 10:21:05 »
Na, super! Die Herren Richter scheinen nun gründlicher nachgedacht zu haben!
Beharrlicher Widerstand lohnt sich also!
Was bedeutet das nun für jeden einzelnen Rebellen von uns?
Können/müssen  wir nun unter Hinweis auf dieses Urteil die Gaspreisreduzierung auf den Anfangswert schriftlich fordern?

Zitat
Schließlich hat es der Bundesgerichtshof auch abgelehnt, der Beklagten an Stelle der unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung in ergänzender Vertragsauslegung ein Preisanpassungsrecht einzuräumen. Da beide Vertragsparteien den Vertrag nach zweijähriger Laufzeit mit einer Frist von drei Monaten kündigen könnten, sei es für die Beklagte nicht unzumutbar, wenn sie den Gaspreis innerhalb der Vertragslaufzeit nicht erhöhen könne.
Was mache ich, wenn mein Versorger den Vertrag nun kündigt und ich habe keinen Alternativversorger?

Offline egn

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 836
  • Karma: +0/-0
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #2 am: 29. April 2008, 10:59:22 »
Zitat
Original von wulfusWas mache ich, wenn mein Versorger den Vertrag nun kündigt und ich habe keinen Alternativversorger?

Landest Du dann nicht automatisch in der Grundversorgung?

Offline ESG-Rebell

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 615
  • Karma: +2/-0
  • Geschlecht: Männlich
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #3 am: 29. April 2008, 11:19:07 »
Zitat
Original von egn
Zitat
Original von wulfusWas mache ich, wenn mein Versorger den Vertrag nun kündigt und ich habe keinen Alternativversorger?
Landest Du dann nicht automatisch in der Grundversorgung?
Ja, genau das passiert dann.

Natürlich sollte jeder so Zurückgestufte sofort gegen den nun neu für ihn geltenden Grundtarif umgehend Unbilligkeitseinwand erheben. Dies sollte schon dadurch unproblematisch sein, da der Grundtarif in aller Regel ja teurer ist als der bisherige Sondertarif.

Tut er dies nicht, so kann ihm dies nach Lesart des BGH (Zivil-Senat) später als konkludente Vereinbarung des Anfangspreises ausgelegt werden.

Der Grundversorger muss dennoch - auch bei umgehendem Widerspruch - die Gasversorgung fortsetzen!

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline jroettges

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 511
  • Karma: +0/-0
  • Geschlecht: Männlich
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #4 am: 29. April 2008, 12:05:57 »
Diese Zwangsversetzung in die Grundversorgung haben viele erlebt, die neuen Verträgen widersprochen haben.
Das sind in der Mehrzahl diejenigen, die ohnehin auf Preisstände 2004/2005 kürzen und folglich nicht mehr zahlen als zuvor.
Ich schwebe in diesem Zustand nun seit einem Jahr und fühle mich ganz wohl dabei.
Auf den Widerspruch gegen die Zwangsversetzung vergesse ich allerdings im Schreibekrieg mit dem Versorger nie hinzuweisen.

Offline taxman

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 592
  • Karma: +0/-0
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #5 am: 29. April 2008, 15:24:04 »
Zitat
Original von kamarabaDer Bundesgerichtshof sieht in der Preisänderungsklausel des Gaslieferungsvertrags eine nach § 307 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung.

Was eine gute Nachricht !!!  :D
pin.energiepreise@yahoo.de

Dort treffen sich Kunden der Stadtwerke Walldorf, Heidelberg, Hockenheim, Weinheim, Neckargemünd, MVV und Erdgas Südwest!

Offline AKW NEE

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 913
  • Karma: +0/-0
    • http://www.villa-13.de
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #6 am: 29. April 2008, 16:01:54 »
An anderer Stelle hat Ra Fricke dazu geschrieben:
Zitat
Im Falle einer unwirksamen Klausel erfolgt keine ergänzende Vertragsauslegung, wenn sich der Gasversorger innerhalb von zwei Jaren durch Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.

Kann mir dies jemand erklären?

Offline tangocharly

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.139
  • Karma: +5/-0
BGH-Preiserhöhungsklausel in Erdgassondervertrag unwirksam
« Antwort #7 am: 29. April 2008, 17:06:15 »
(1) Wenn die Klausel unwirksam ist, dann bleibt der Versorger zunächst auf dem Vertragsstatus zum Zeitpunkt des Vertragsschluß stehen.

(2) Da der Versorger aber nicht für alle Zeit Energie zu den Preisen von \"annodunnemal\" leisten will (und kann), muß nun eine Lösung gefunden werden, wie das Vertragsverhältnis nun (neu) gestaltet werden soll.

(3) Da der § 315 BGB aber nur gilt, wenn \"einer Seite ein einseitiges Leistungsanpassungsrecht eingeräumt\" wurde (wenn auch durch Gesetz - § 36 EnWG, GasGVV), kommt diese Norm nicht in Betracht. Denn die Möglichkeit zur einseitigen Anpassung ist ja gerade kassiert worden (über § 307 BGB).

(4) Eine andere Möglichkeit ist die Anpassung nach § 313 BGB. Dort kann von dem Vertragsteil, dem das Festhalten an der bisherigen Vertragsgestaltung nicht mehr zugemutet werden kann, eine Anpassung \"verlangt\" werden. In dem Wörtchen \"verlangt\" steckt ein zweiseitiges Geschehen. D.h. die Parteien sind veranlaßt, in Vertragsverhandlungen über eine mögliche Anpassung einzutreten.

Fazit: Somit kann der Versorger auch nicht einfach qua diction eine  Preisanpassung durchführen und verlangen, dass sein vorgestellter Preis als Anpassungsgrundlage dienen muß. Mit anderen Worten ausgedrückt, hat der Versorger nun auch wieder darzulegen und zu begründen, warum der angepasste Preis den Vorgaben gem. § 1 Abs. 1 , 2 Abs. 1 EnWG entspricht und weshalb sein Vertragspartner, der Verbraucher, diesen Preis akzeptieren soll.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf halte ich ebenso für falsch. Eine solche Vertragsanpassung (§§ 154 ff. BGB) durch ergänzende Vertragsauslegung (das soll immer dasjenige sein, worauf sich ein \"verständiger\" und \"einsichtiger\" Vertragspartner eingelassen haben würde, wenn er die Vertragslücke erkannt hätte - Pause für das Gelächter - ), die wie das OLG zu der Annahme gelangt, der Verbraucher habe sich automatisch (und dies vielleicht schon vor Jahren) dazu bereit erklärt, einseitige Preisanpassungen des Versorgers hinzunehmen, entspricht einer Tautologie  (vulgus: \"Katze-die-sich-in-den-Schwanz-beißt\").

Eine Kündigungsmöglichkeit nach § 314 BGB scheidet m.E. völlig aus, weil der Verbraucher damit gezwungen wird, in die Grundversorgung abzuweichen, was - zumindest derzeit - nicht seiner Interessenlage entspricht (man nehme nur die Fälle der Nacht-Heizstrom-Kunden, die gezwungen sind den (billigen) Nachtstrom zu nutzen, und dann auf den Haushaltstarif ausweichen müßten).
Im Übrigen sieht auch § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB nur dann, wenn eine solche Vertragsanpassung nicht möglich ist, für Dauerschuldverhältnisse eine Kündigung vor. Diese Systematik zeigt ein Vor- und Nachrangigkeitsverhältnis auf.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz