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Autor Thema: Kammergericht Berlin, Urt. v. 28.10.2008 - 21 U 160/06: Gasag- Preiserhöhung unwirksam  (Gelesen 9200 mal)

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Offline RR-E-ft

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Gericht zwingt Gasag zu mehr Transparenz

Pressemitteilung des Kammergerichts

Kurzmitteilung der VZ Berlin

Nicht ersichtlich ist, woraus das Kammergericht ggf. das Preisbestimmungsrecht der Gasag herleiten will.

Die Preiskalkulation der verschiedenen Vertragspreise soll offensichtlich von der letzten Preisfestsetzung an vor und nach der Preisneufestsetzung offen gelegt werden, so dass die Veränderung aller preisbildenden Faktoren (mithin auch des in die jeweiligen Preise  einkalkulierten Gewinnanteils) ersichtlich wird.

Es geht um die Entwicklung der konkreten Deckungsbeiträge in den einzelnen Vertragsmodellen.

Die Offenlegung der Preiskalkulation ist also für jeden einzelnen Preis gesondert erforderlich.

Man muss dazu sagen, dass sich die Gasag die Möglichkeit der Offenlegung der Preiskalkulationen (als gringeres Übel)  wohl gewünscht hatte.

Was die Offenlegung erbringen wird, bleibt abzuwarten.

Offline uwes

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Das Berliner Kammergericht geht offenbar den Weg, den die Bremer Gerichte aus Rechtsgründen nicht gehen wollten.

Man sieht die Preisklauseln in den Sonderkundenveträgen als unwirksam an, sieht dann wegen der Unwirksamkeit der Klausel eine \"regelungsbedürftige Lücke\", die man mit Blick auf § 4 AVBGasV i.V.m. § 315 BGB zu schließen gedenkt.

Denkt man die voraus zu ahnende Entscheidung konsequent weiter, sind wir bald wieder bei der Begründung des VIII. Zivilsenats des BGH und müssen dort uns dann möglicherweise wieder anhören, dass die Preise bis zu einem erklärten Widerspruch ja eigentlich als \"vereinbart\" zu gelten haben (auch wenn die \"Preisvereinbarung\" AGB-rechtlich ja gerade für unwirksam gehalten wurde) so dass ja auch \"nur\" die Erhöhungen auf ihre Billigkeit zu prüfen wären.

Wenn das letztlich das Ergebnis des Berliner Verfahrens sein sollte, dann ist für Jubelarien sicherlich kein Raum.

Anhaltspunkt muss sein, dass eine nichtige Preisvereinbarung nicht sozusagen dürch die Hintertür doch wieder zu Preiserhöhungen berechtigen darf.

Insoweit sind die Entscheidungen aus Bremen nun wirklich konsequenter durchdacht und aus begründungstechnischer Sicht auch juristisch korrekt.

Das KG sollte einmal den Mut besitzen, eine für den Versorger zweifellos prekäre Entscheidung zu treffen und  auch zu vertreten.

Seit 2005 (Flüssggasurteil des BGH) wissen die Versorger, wie es um ihre Preisklauseln bestellt ist. Die swb in Bremen hat daraufhin vorsorglich alle Sonderkundenverträge gekündigt. Dort war man wohl gut beraten.

Uwes
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline RR-E-ft

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@uwes

Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht.

Es ist nicht ersichtlich, ob das Kammergericht  

a) ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht bei Vertragsabschluss als vereinbart ansieht oder ob es gar
b) § 4 AVBGasV direkt für anwendbar hält oder aber
c) durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu § 315 BGB gelangen will oder
d) § 315 BGB wegen einer Monopolstellung der Gasag für anwendbar hält.

Direkte Anwendung von § 4 AVBGasV scheidet aus, soweit es sich um Sonderverträge handelt.

Für eine entsprechende  ergänzende Vertragsauslegung ist nur dann Platz, wenn sich die Parteien bei Vertragsabschluss nicht auf einen Preis geeinigt hatten (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 24/04 und KZR 8/05).

Andernfalls besteht schon keine Regelungslücke gem. § 154 Abs. 1 BGB.

Denn wenn sich die Parteien bei Vertragsabschluss auf einen Preis geeinigt hatten, würde die ergänzende Vertragsauslegung zu einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht dem Lieferanten mehr Rechte einräumen, als bei Vertragsabschluss je beabsichtigt war und eingeräumt wurde.

Hätten die Parteien nämlich schon bei Vertragsabschluss ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Lieferanten gem. § 315 BGB hinsichtlich der vom Kunden zu zahlenden Entgelte gewollt, dann hätten sie ein solches vereinbart. Haben sie aber gerade nicht, wenn sie sich auf einen Preis geeinigt hatten.

Haben sie hingegen bei Vertragsabschluss ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Lieferanten hinsichtlich der vom Kunden zu zahlenden Entgelte vertraglich vereinbart, stellt sich schon die Frage nach einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht. Die einseitig festgesetzten Entgelte unterliegen insgesamt der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB (vgl. BGH NJW 2006, 684).

Wo eine entsprechende Regelungslücke gem. § 154 Abs. 1 BGB besteht und wo diese sodann durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen wird, unterliegt immer das gesamte Entgelt als die einseitig bestimmte Leistung der Billigkeitskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05 und BGH NJW-RR 1992, 183).

Dafür spricht, dass die konkreten Preiskalkulationen offen gelegt werden sollen.  Manche meinen, es habe gar keine gegeben.

Preiskalkulation meint eine kaufmännische Aufstellung, bei der  unter dem Strich der einseitig festgesetzte Preis (Grundpreis, Arbeitspreis) als Summe aller einzelnen preisbildenden Faktoren stehen muss (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 22.03.07 - VI-2 U (Kart) 17/04 unter III).

Hilfreich könnte es sein, wenn die Kollegen aus Berlin den Beschluss des Kammergerichts vom 12.02.2008 in Abschrift zur Verfügung stellen würden.

Offline RR-E-ft

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Auflagenbeschluss des KG Berlin vom 12.02.2008


Mündliche Verhandlung am Kammergericht am 28.10.2008

Zitat
Das Kammergericht will am Dienstag über eine Sammelklage von rund 40 Gasag-Kunden verhandeln, die sich – unter Regie der Verbraucherzentrale – gegen eine rund elfprozentige Preiserhöhung von 2005 gewehrt hatten. In erster Instanz hatten sie bereits 2006 gewonnen, woraufhin die Gasag Berufung einlegte. „Wir hoffen, dass sich das Kammergericht der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anschließen wird“, sagte Gabriele Francke, Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale. Welche Gasag-Kunden letztlich profitieren könnten, sei noch unklar.

Offline RR-E-ft

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Kammergericht gibt Verbrauchern Recht

Zitat
Bereits vor drei Jahren, am 1. Oktober 2005, hatten mehrere Hundert Kunden der Berliner Gasag mit Unterstützung der Berliner Verbraucherzentrale gegen eine 11-prozentige Preiserhöhung eine Sammelklage eingereicht. Diese Klage wurde jetzt durch den 21. Zivilsenat des Kammergerichts bestätigt.
 
Die Erhöhung der Gaspreise durch den Berliner Energieversorger sei unwirksam, heißt es nach Informationen von Morgenpost Online im Urteil. Die Gasag habe in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu vage formuliert, wann und auf welcher Grundlage sie bei Ölpreiserhöhungen auch die Gastarife erhöhen dürfe. Zudem ergebe sich aus der entsprechenden Klausel der AGB auch keine Verpflichtung, die Tarife bei sinkenden Ölpreisen zu reduzieren. Nach Auffassung der Oberlandesrichter sie diese Klausel zu vage formuliert und stelle so eine unzulässige Benachteiligung des Kunden dar.
Damit bestätigte das Kammergericht ein Urteil des Berliner Landgerichts vom 19. Juni 2006, gegen das die Gasag in Berufung gegangen war. Begünstigt durch dieses Urteil, sagte eine Sprecherin des Kammergerichts gegenüber Morgenpost Online, würden aber nur Gasag-Kunden, die ganz konkret gegen die Preiserhöhung vom 1. Oktober 2005 geklagt oder damals nur unter Vorbehalt an das Unternehmen gezahlt hatten.


Zitat
Bernd Ruschinzik, Jurist in der Berliner Verbraucherzentrale, wies darauf hin, dass es in dem aktuellen Urteil des Kammergerichts nicht um die konkrete Preiserhöhung gegangen sei. \"Es ging darum, ob der Kunde überhaupt die Möglichkeit hatte, die Preiserhöhung anhand der Vorgaben des AGB nachzuvollziehen und zu überprüfen.\" Das sei nicht der Fall. Deswegen sei es für die Richter auch nicht mehr nötig gewesen, zu überprüfen, ob die Preiserhöhung vom 1. Oktober korrekt gewesen und welche Kalkulationsgrundlage dafür herangezogen worden sei.

Es ist bisher noch nicht bekannt geworden, ob der Branchenverband BDEW dieses jüngste Urteil des höchsten Berliner Zivilgerichts bergrüßt, nachdem wieder einmal ein Obergericht entschieden hat, dass bei Sondervertragskunden keine gerichtliche Billigkeitskontrolle erfolgen darf, wie es der Verband bereits nach einer entsprechenden Entscheidung des Amtsgerichts Euskirchen in einer Presseerklärung als seine Rechtsauffassung herausgekehrt hatte.

Die Rechtsauffsassung des Branchenverbandes:


Zitat
Berlin, den 16. August 2005 – Das Amtsgericht Euskirchen hat in einem Verfahren eines Kunden gegen die Regionalgas Euskirchen GmbH die Rechtsauffassung der deutschen Gaswirtschaft zur Anpassung der Erdgaspreise bestätigt. Eine Billigkeitskontrolle im Sinne von § 315 BGB ist bei Heizgas-Sonderkundenverträgen danach unzulässig.

Nach der klaren Positionierung des Branchenverbandes, die das Kammergericht (wie bereits zuvor  OLG Bremen und OLG Oldenburg) bestätigt hat, ist nicht nachvollziehbar, wie die Entscheidung für die Gasag noch überraschend kommen konnte. Die Überraschung scheint geheuchelt, auch wenn man zugestehen mag, dass der Branchenverband seine Rechtsauffassung seinerzeit wohl nicht konsequent zu Ende gedacht haben mag.  ;)

Offline RR-E-ft

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Anmerkung von Prof. Kurt Markert zum Urteil und den Folgen

Rückblick

Überwiegend Sondervertragskunden

Zitat
Ohnehin würde eine Bestätigung des Richterspruchs nur jene 340.000 der 700.000 Gasag-Kunden betreffen, die mit ihrem Gas nicht nur kochen, sondern zum Beispiel auch heizen. Nur sie können sich auf mangelnde Transparenz der AGB bei der Gasag berufen. Alle anderen beziehen ihr Gas im Rahmen einer allgemeinen Gasversorgungsverordnung.

Offline tangocharly

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....... findet sich die Entscheidung irgendwo im Internet ? (Vielleicht noch ein bißchen bald)
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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Das Urteil ist hier veröffentlicht (2,23 MB).

 

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